Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.[Beginn Spaltensatz]
Elternliebe machen, da ist's nichts; das zeigt sich am "Mir ist, wie wenn ich heut' zum erstenmale so "Mutter, das ist ein gutes Wort, das verstehe ich "O Kind, fey nicht so einfältig! Mit neunzehn, Der Sohn mußte hiebei laut auflachen, und die Man hörte in der Ferne Mädchen singen und die "Ja, Mutter, Jhr nehmt noch die ganze Welt Der Sohn hatte während des Redens versucht, "Ja, und du bringst mich damit noch auf was," "Ja, ja, ich red' zu viel, und du brauchst ja nicht [Beginn Spaltensatz]
Elternliebe machen, da ist's nichts; das zeigt sich am „Mir ist, wie wenn ich heut' zum erstenmale so „Mutter, das ist ein gutes Wort, das verstehe ich „O Kind, fey nicht so einfältig! Mit neunzehn, Der Sohn mußte hiebei laut auflachen, und die Man hörte in der Ferne Mädchen singen und die „Ja, Mutter, Jhr nehmt noch die ganze Welt Der Sohn hatte während des Redens versucht, „Ja, und du bringst mich damit noch auf was,“ „Ja, ja, ich red' zu viel, und du brauchst ja nicht <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0008" n="1136"/><fw type="pageNum" place="top">1136</fw><cb type="start"/> Elternliebe machen, da ist's nichts; das zeigt sich am<lb/> besten, wie man thut; und wer viel davon schwätzt, ist<lb/> müd und matt, wenn's an's Thun geht.“ — „Du bist<lb/> ja gescheit,“ sagte die Mutter in spöttischer Glückselig-<lb/> keit, legte die Hand auf die Brust und schaute zu ih-<lb/> rem Sohne auf: „Soll ich dir noch mehr sagen?“ —<lb/> „Ja, ich hör' Euch immer gern.“</p><lb/> <p>„Mir ist, wie wenn ich heut' zum erstenmale so<lb/> recht mit dir reden könnte, und wenn ich sterbe, so<lb/> habe ich nichts mehr hinter mir, was ich vergessen habe.<lb/> Das vierte Gebot! Ja, da fällt mir ein, was mein<lb/> Vater einmal gesagt hat. O, der hat Alles ver-<lb/> standen und viel in Schriften gelesen, und ich habe<lb/> einmal zugehört, wie er zum Pfarrer, der oft bei ihm<lb/> war, gesagt hat: Jch weiß den Grund, warum beim<lb/> vierten Gebot allein eine Belohnung ausgesetzt ist, und<lb/> man meint doch, da wäre es grad am unnöthigsten,<lb/> denn das ist ja das natürlichste; aber es heißt: Ehre<lb/> Vater und Mutter, damit du lange lebest! Damit ist<lb/> nicht gemeint, daß ein braves Kind siebzig oder achtzig<lb/> Jahr alt wird; nein, wer Vater und Mutter ehrt, lebt<lb/> lange, aber rückwärts. Er hat das Leben von seinen<lb/> Eltern in sich, in der Erinnerung, in Gedanken, und<lb/> das kann ihm nicht genommen werden, und er lebt<lb/> lange auf Erden, wie alt er auch sey. Und wer Vater<lb/> und Mutter nicht ehrt, der ist erst heut auf die Welt<lb/> gekommen und morgen nicht mehr da.“</p><lb/> <p>„Mutter, das ist ein gutes Wort, das verstehe ich<lb/> und werde es auch nicht vergessen, und meine Kinder<lb/> sollen's auch lernen. Aber je mehr Jhr so redet, je<lb/> schwerer wird mir's, daß ich Eine finde; ich meine sie<lb/> müßte so seyn wie Jhr.“</p><lb/> <p>„O Kind, fey nicht so einfältig! Mit neunzehn,<lb/> zwanzig Jahren bin ich auch noch ganz anders gewesen,<lb/> wild und eigenwillig, und auch jetzt bin ich noch nicht,<lb/> wie ich seyn möchte. Aber was ich dir noch sagen wollte?<lb/> Ja, von wegen der Frau. Es ist wunderlich, warum<lb/> es gerade dir so schwer wird. Aber dir ist von klein<lb/> auf Alles schwerer geworden; du hast erst mit zwei Jah-<lb/> ren laufen gelernt und kannst doch jetzt springen wie<lb/> ein Füllen. Nur noch ein paar Kleinigkeiten, aber da<lb/> kennt man oft Großes draus. Merk' auf, wie sie<lb/> lacht; nicht so pflatschig zum Ausschütten, und nicht so<lb/> spitzig zum Schnäbelchen machen, nein, so von innen<lb/> heraus; ich wollt', du wüßtest, wie du lachst, dann<lb/> könntest du's schon abmerken.“</p><lb/> <p>Der Sohn mußte hiebei laut auflachen, und die<lb/> Mutter sagte: „Ja, ja, so ist's, so hat gerad mein<lb/> Vater auch gelacht, so hat's ihm den Buckel geschüttelt<lb/> und die Achseln gehoben.“ Und je mehr die Mutter<lb/> das sagte, um so mehr mußte der Sohn lachen, und<lb/><cb n="2"/> sie stimmte endlich selbst mit ein, und so oft das Eine<lb/> aufhörte, steckte das fortgesetzte Lachen des Andern es<lb/> wieder an. Sie setzten sich an einen Wegrain, ließen<lb/> das Pferd grasen, und indem die Mutter ein Maas-<lb/> liebchen abpflückte und damit in der Hand spielte, sagte<lb/> sie: „Ja, das ist auch was, das hat viel zu bedeuten.<lb/> Gib Acht, ob ihr Blumen gedeihen, da steckt viel drin,<lb/> mehr als man glaubt.“</p><lb/> <p>Man hörte in der Ferne Mädchen singen und die<lb/> Mutter sagte: „Merk' auch auf, ob sie beim Singen<lb/> gern gleich die zweite Stimme singt; die, wo gern im-<lb/> mer den Ton angeben, das hat etwas zu bedeuten.<lb/> Und schau! da kommen Schulkinder, die sagen mir<lb/> auch was. Wenn du's erkundschaften kannst, ob sie<lb/> ihr Schreibbuch aus der Schule noch hat, das ist auch<lb/> wichtig.“</p><lb/> <p>„Ja, Mutter, Jhr nehmt noch die ganze Welt<lb/> zum Wahrzeichen. Was soll denn das jetzt zu bedeu-<lb/> ten haben, ob sie ihr Schreibuch noch hat?“ — „Daß<lb/> du noch fragst, das zeigt, daß du noch nicht ganz ge-<lb/> scheit bist. Ein Mädchen, das nicht gern alles auf-<lb/> bewahrt, was einmal gegolten hat, das hat kein rechtes<lb/> Herz.“</p><lb/> <p>Der Sohn hatte während des Redens versucht,<lb/> die Treibschnur an der Peitsche, die sich verknotet hatte,<lb/> aufzuknüpfen; jetzt holte er das Messer aus der Tasche<lb/> und schnitt den Knoten entzwei. Mit dem Finger dar-<lb/> auf hindeutend, sagte die Mutter: „Siehst du? Das<lb/> darfst Du thun, aber das Mädchen nicht. Gib Acht,<lb/> ob sie einen Knoten schnell zerschneidet; da liegt ein<lb/> Geheimniß drin.“ — „Das kann ich errathen,“ sagte<lb/> der Sohn. „Aber Euer Schuhbändel ist Euch aufge-<lb/> gangen und wir müssen jetzt fort.“</p><lb/> <p>„Ja, und du bringst mich damit noch auf was,“<lb/> sagte die Mutter. „Schau, das ist noch eins der be-<lb/> sten Zeichen: gib Acht, wie sie die Schuhe vertritt,<lb/> nach innen oder nach außen, und ob sie schlurkt und<lb/> viel Schuhwerk zerreißt.“ — „Da müßte ich zum Schuh-<lb/> macher laufen,“ sagte der Sohn lächelnd. „O Mut-<lb/> ter, Alles das, was Jhr sagt, das findet man nicht<lb/> bei einander.“</p><lb/> <p>„Ja, ja, ich red' zu viel, und du brauchst ja nicht<lb/> Alles zu behalten, es soll dich nur daran erinnern, wenn's<lb/> dir vorkommt. Jch meine nur: nicht was eine hat oder<lb/> erbt, ist die Hauptsache, sondern was eine braucht. Jetzt<lb/> aber, du weißt, ich habe dich ruhig gehen lassen, jetzt<lb/> mach' mir dein Herz auf und sag': Was ist dir denn<lb/> geschehen, daß du voriges Jahr von der Hochzeit in<lb/> Endringen heim gekommen bist wie behext, und seitdem<lb/> nicht mehr der alte Bursche bist von ehedem? Sag's,<lb/> vielleicht kann ich dir helfen.“</p><lb/> <cb type="end"/> </div> </body> </text> </TEI> [1136/0008]
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Elternliebe machen, da ist's nichts; das zeigt sich am
besten, wie man thut; und wer viel davon schwätzt, ist
müd und matt, wenn's an's Thun geht.“ — „Du bist
ja gescheit,“ sagte die Mutter in spöttischer Glückselig-
keit, legte die Hand auf die Brust und schaute zu ih-
rem Sohne auf: „Soll ich dir noch mehr sagen?“ —
„Ja, ich hör' Euch immer gern.“
„Mir ist, wie wenn ich heut' zum erstenmale so
recht mit dir reden könnte, und wenn ich sterbe, so
habe ich nichts mehr hinter mir, was ich vergessen habe.
Das vierte Gebot! Ja, da fällt mir ein, was mein
Vater einmal gesagt hat. O, der hat Alles ver-
standen und viel in Schriften gelesen, und ich habe
einmal zugehört, wie er zum Pfarrer, der oft bei ihm
war, gesagt hat: Jch weiß den Grund, warum beim
vierten Gebot allein eine Belohnung ausgesetzt ist, und
man meint doch, da wäre es grad am unnöthigsten,
denn das ist ja das natürlichste; aber es heißt: Ehre
Vater und Mutter, damit du lange lebest! Damit ist
nicht gemeint, daß ein braves Kind siebzig oder achtzig
Jahr alt wird; nein, wer Vater und Mutter ehrt, lebt
lange, aber rückwärts. Er hat das Leben von seinen
Eltern in sich, in der Erinnerung, in Gedanken, und
das kann ihm nicht genommen werden, und er lebt
lange auf Erden, wie alt er auch sey. Und wer Vater
und Mutter nicht ehrt, der ist erst heut auf die Welt
gekommen und morgen nicht mehr da.“
„Mutter, das ist ein gutes Wort, das verstehe ich
und werde es auch nicht vergessen, und meine Kinder
sollen's auch lernen. Aber je mehr Jhr so redet, je
schwerer wird mir's, daß ich Eine finde; ich meine sie
müßte so seyn wie Jhr.“
„O Kind, fey nicht so einfältig! Mit neunzehn,
zwanzig Jahren bin ich auch noch ganz anders gewesen,
wild und eigenwillig, und auch jetzt bin ich noch nicht,
wie ich seyn möchte. Aber was ich dir noch sagen wollte?
Ja, von wegen der Frau. Es ist wunderlich, warum
es gerade dir so schwer wird. Aber dir ist von klein
auf Alles schwerer geworden; du hast erst mit zwei Jah-
ren laufen gelernt und kannst doch jetzt springen wie
ein Füllen. Nur noch ein paar Kleinigkeiten, aber da
kennt man oft Großes draus. Merk' auf, wie sie
lacht; nicht so pflatschig zum Ausschütten, und nicht so
spitzig zum Schnäbelchen machen, nein, so von innen
heraus; ich wollt', du wüßtest, wie du lachst, dann
könntest du's schon abmerken.“
Der Sohn mußte hiebei laut auflachen, und die
Mutter sagte: „Ja, ja, so ist's, so hat gerad mein
Vater auch gelacht, so hat's ihm den Buckel geschüttelt
und die Achseln gehoben.“ Und je mehr die Mutter
das sagte, um so mehr mußte der Sohn lachen, und
sie stimmte endlich selbst mit ein, und so oft das Eine
aufhörte, steckte das fortgesetzte Lachen des Andern es
wieder an. Sie setzten sich an einen Wegrain, ließen
das Pferd grasen, und indem die Mutter ein Maas-
liebchen abpflückte und damit in der Hand spielte, sagte
sie: „Ja, das ist auch was, das hat viel zu bedeuten.
Gib Acht, ob ihr Blumen gedeihen, da steckt viel drin,
mehr als man glaubt.“
Man hörte in der Ferne Mädchen singen und die
Mutter sagte: „Merk' auch auf, ob sie beim Singen
gern gleich die zweite Stimme singt; die, wo gern im-
mer den Ton angeben, das hat etwas zu bedeuten.
Und schau! da kommen Schulkinder, die sagen mir
auch was. Wenn du's erkundschaften kannst, ob sie
ihr Schreibbuch aus der Schule noch hat, das ist auch
wichtig.“
„Ja, Mutter, Jhr nehmt noch die ganze Welt
zum Wahrzeichen. Was soll denn das jetzt zu bedeu-
ten haben, ob sie ihr Schreibuch noch hat?“ — „Daß
du noch fragst, das zeigt, daß du noch nicht ganz ge-
scheit bist. Ein Mädchen, das nicht gern alles auf-
bewahrt, was einmal gegolten hat, das hat kein rechtes
Herz.“
Der Sohn hatte während des Redens versucht,
die Treibschnur an der Peitsche, die sich verknotet hatte,
aufzuknüpfen; jetzt holte er das Messer aus der Tasche
und schnitt den Knoten entzwei. Mit dem Finger dar-
auf hindeutend, sagte die Mutter: „Siehst du? Das
darfst Du thun, aber das Mädchen nicht. Gib Acht,
ob sie einen Knoten schnell zerschneidet; da liegt ein
Geheimniß drin.“ — „Das kann ich errathen,“ sagte
der Sohn. „Aber Euer Schuhbändel ist Euch aufge-
gangen und wir müssen jetzt fort.“
„Ja, und du bringst mich damit noch auf was,“
sagte die Mutter. „Schau, das ist noch eins der be-
sten Zeichen: gib Acht, wie sie die Schuhe vertritt,
nach innen oder nach außen, und ob sie schlurkt und
viel Schuhwerk zerreißt.“ — „Da müßte ich zum Schuh-
macher laufen,“ sagte der Sohn lächelnd. „O Mut-
ter, Alles das, was Jhr sagt, das findet man nicht
bei einander.“
„Ja, ja, ich red' zu viel, und du brauchst ja nicht
Alles zu behalten, es soll dich nur daran erinnern, wenn's
dir vorkommt. Jch meine nur: nicht was eine hat oder
erbt, ist die Hauptsache, sondern was eine braucht. Jetzt
aber, du weißt, ich habe dich ruhig gehen lassen, jetzt
mach' mir dein Herz auf und sag': Was ist dir denn
geschehen, daß du voriges Jahr von der Hochzeit in
Endringen heim gekommen bist wie behext, und seitdem
nicht mehr der alte Bursche bist von ehedem? Sag's,
vielleicht kann ich dir helfen.“
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