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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Dame alle Donnersmarkdosen aufkauften, vernichteten,
und diese --" -- "Allein übrig blieb, wie Sie mir
gestern auf der neuen Brücke erzählten."

"Richtig! ich vergaß! Reden wir von etwas an-
derem!" rief der Alterthümler, die Dose, wie es seine
Gewohnheit war, fortwährend zwischen seinen langen,
magern Fingern drehend. "Sie haben da eine Brille,
Herr Lambert, welche mir nicht ohne Verdienst scheint.
Sie ist nicht ganz neu --" -- "Jch trage sie auch
nur," fiel der Advokat ein, "weil ich meine gewöhn-
liche Brille verlegt habe und heute als am Sonntag
keine neue kaufen kann. Ohne Brille kann ich nicht
ausgehen." -- "Jn der That," wiederholte Catcott,
"das Gestell ist nicht ohne Verdienst. Könnte man sie
nicht vielleicht einen Augenblick abnehmen, werthester
Freund, um zu sehen --?" -- "Von morgen an steht
sie Jhnen ganz und eigenthümlich zu Diensten," sagte
Lambert ablehnend. -- "Sehr verbunden! Allein was
haben Sie denn?" fuhr der Alterthümler fort, welcher
bei Betrachtung der Brille genauer in Lamberts Gesicht
gesehen hatte; "Sie sind verletzt und so blaß --" --
"Jch habe mich heute Morgen beim Rasiren geschnitten,
eben durch den Mangel meiner Brille," sagte der Ad-
vokat schnell, "daher das Pflaster und einiger Blut-
verlust, welcher mich blaß gemacht hat. Allein ich muß
hier eintreten und wünsche Jhnen guten Tag."

Sie waren während ihres Gesprächs die Straße
herunter bis vor das Haus der Wittwe gekommen. --
"Sie gehen zu Frau Chatterton?" rief Catcott. " Char-
mant! da bleiben wir zusammen! Sie bringen ihr hoffent-
lich eben so viel Gutes von ihrem Sohn wie ich."

Lamberts Gesicht nahm einen Ausdruck des Be-
dauerns an. -- "Welches die Ausdehnung Jhrer guten
Neuigkeiten ist, weiß ich nicht," sagte er dann, "die
meinigen sind nicht weit her. Mit gerechtem Schmerz
komme ich, um der Wittwe zu berichten, daß ich ihren
Sohn aus meinen Diensten entlassen habe." -- "Ei der
Tausend!" rief der Alterthümler erstaunt. "Und warum
das?" -- "Wegen nächtlicher Ausschweifungen und Ver-
untreuung meiner Zeit durch Beschäftigung mit fremden
Dingen -- Versen und altem Pergamentenkram."

"Altem Pergamentenkram!" wiederholte Catcott
ärgerlich. "Eine solche Beschäftigung dürfte wohl die
wichtigste und ehrenvollste seyn, welche es auf der ganzen
Welt gibt. Was ist herrlicher als die Ermittlung dessen,
was unsere Vorfahren vor uns dachten und thaten?
Gerade auf solche Beschäftigungen des jungen Mannes
bezieht sich die Protektion, welche Doktor Barrett und
ich ihm angedeihen lassen. Was Jhre sonstigen Be-
schwerden angeht, so haben wir von einem Hang zu
Ausschweifungen irgendwelcher Art noch nicht das Min-
[Spaltenumbruch] deste an ihm bemerkt; nur die verwerfliche Liebhaberei
am Versemachen scheint mir leider begründet. Doch
von so überflüssigen Dingen wird Herr Chatterton schon
von selbst zurückkommen, und so wird sich die Angele-
genheit mit Jhnen wohl wieder in's Geleise bringen
lassen." -- "Das ist ganz unmöglich," versetzte Lambert
sehr bestimmt. "Treten wir ein!"

Jm Jnnern fanden sie die Wittwe, ihre Tochter
und Frau Edkins um den Tisch sitzend. Fanny hatte
eine aufgeschlagene Bibel vor sich liegen, die beiden
Frauen hielten Predigtbücher in den Händen, allein
keine schien eifrig mit der erbaulichen Lektüre be-
schäftigt, vielmehr lag erwartungsvolle Unruhe auf
ihren Gesichtern. Tom war die Ursache derselben.
Wenn er seinen gewöhnlichen Sonntagsausflug an-
trat, so pflegte er vorher zu Hause Abschied zu neh-
men und sich mit einem kleinen Mundvorrath zu ver-
sehen; sonst kam er spätestens zu Tisch nach Hause,
heute aber war er gänzlich ausgeblieben. Nach dem
Mittagsmahl, mit welchem man vergeblich auf ihn gewar-
tet, hatte ihn Fanny bei der Frau Edkins gesucht,
allein auch dort fand er sich nicht vor. Die kleine Frau
begleitete darauf Fanny nach Hause und war gerade im
Begriff, ihre Ansicht von der Sache, daß nämlich Toms
Abwesenheit jedenfalls mit seiner unsinnigen Leiden-
schaft für Miß Rumsay in Verbindung stehen müsse, zu
begründen, als die beiden Herrn eintraten.

Die Harrenden wurden durch den unerwarteten
Besuch noch bestürzter. Lambert nahm zuerst das Wort,
um in salbungsvoller Rede die Entlassung Toms und
die Rechtfertigung dieser Maßregel durch seine uns schon
bekannten Beschwerden über das Verhalten des Jüng-
lings vorzutragen. Nur von der Prügelscene sprach er
nichts. Seine Anklage schloß sich mit dem frommen
Wunsch, daß es Herrn Chatterton gelingen möge, sich
in einer andern Laufbahn als der des Juristen eine
gesicherte Stellung zu erringen.

Catcott zeigte während dieser Auseinandersetzung
einige Ungeduld, er schritt im Zimmer hin und her und
drehte seinen gräflichen Schuh schneller als gewöhnlich
in der Hand; die Wittwe und Fanny saßen mit be-
trübten Mienen und gesenkten Blicken da; Frau Edkins
endlich bekundete durch die mannigfachsten Bewegungen
ihren Unwillen über die gegen Tom erhobenen Beschul-
digungen und zeigte sich zu einer Entgegnung bereit,
als Frau Chatterton, nachdem der Advokat geendet, mit
der ihr eigenen Ruhe das Wort nahm.

"Es steht mir nicht zu," sagte sie, "über das Ver-
halten meines Sohnes zu streiten, er selbst wird seine
Rechtfertigung übernehmen. Wenn Sie ihn aber be-
bestimmt von seinem Platze entsernt haben, Herr Lambert,
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[Beginn Spaltensatz] Dame alle Donnersmarkdosen aufkauften, vernichteten,
und diese —“ — „Allein übrig blieb, wie Sie mir
gestern auf der neuen Brücke erzählten.“

„Richtig! ich vergaß! Reden wir von etwas an-
derem!“ rief der Alterthümler, die Dose, wie es seine
Gewohnheit war, fortwährend zwischen seinen langen,
magern Fingern drehend. „Sie haben da eine Brille,
Herr Lambert, welche mir nicht ohne Verdienst scheint.
Sie ist nicht ganz neu —“ — „Jch trage sie auch
nur,“ fiel der Advokat ein, „weil ich meine gewöhn-
liche Brille verlegt habe und heute als am Sonntag
keine neue kaufen kann. Ohne Brille kann ich nicht
ausgehen.“ — „Jn der That,“ wiederholte Catcott,
„das Gestell ist nicht ohne Verdienst. Könnte man sie
nicht vielleicht einen Augenblick abnehmen, werthester
Freund, um zu sehen —?“ — „Von morgen an steht
sie Jhnen ganz und eigenthümlich zu Diensten,“ sagte
Lambert ablehnend. — „Sehr verbunden! Allein was
haben Sie denn?“ fuhr der Alterthümler fort, welcher
bei Betrachtung der Brille genauer in Lamberts Gesicht
gesehen hatte; „Sie sind verletzt und so blaß —“ —
„Jch habe mich heute Morgen beim Rasiren geschnitten,
eben durch den Mangel meiner Brille,“ sagte der Ad-
vokat schnell, „daher das Pflaster und einiger Blut-
verlust, welcher mich blaß gemacht hat. Allein ich muß
hier eintreten und wünsche Jhnen guten Tag.“

Sie waren während ihres Gesprächs die Straße
herunter bis vor das Haus der Wittwe gekommen. —
„Sie gehen zu Frau Chatterton?“ rief Catcott. „ Char-
mant! da bleiben wir zusammen! Sie bringen ihr hoffent-
lich eben so viel Gutes von ihrem Sohn wie ich.“

Lamberts Gesicht nahm einen Ausdruck des Be-
dauerns an. — „Welches die Ausdehnung Jhrer guten
Neuigkeiten ist, weiß ich nicht,“ sagte er dann, „die
meinigen sind nicht weit her. Mit gerechtem Schmerz
komme ich, um der Wittwe zu berichten, daß ich ihren
Sohn aus meinen Diensten entlassen habe.“ — „Ei der
Tausend!“ rief der Alterthümler erstaunt. „Und warum
das?“ — „Wegen nächtlicher Ausschweifungen und Ver-
untreuung meiner Zeit durch Beschäftigung mit fremden
Dingen — Versen und altem Pergamentenkram.“

„Altem Pergamentenkram!“ wiederholte Catcott
ärgerlich. „Eine solche Beschäftigung dürfte wohl die
wichtigste und ehrenvollste seyn, welche es auf der ganzen
Welt gibt. Was ist herrlicher als die Ermittlung dessen,
was unsere Vorfahren vor uns dachten und thaten?
Gerade auf solche Beschäftigungen des jungen Mannes
bezieht sich die Protektion, welche Doktor Barrett und
ich ihm angedeihen lassen. Was Jhre sonstigen Be-
schwerden angeht, so haben wir von einem Hang zu
Ausschweifungen irgendwelcher Art noch nicht das Min-
[Spaltenumbruch] deste an ihm bemerkt; nur die verwerfliche Liebhaberei
am Versemachen scheint mir leider begründet. Doch
von so überflüssigen Dingen wird Herr Chatterton schon
von selbst zurückkommen, und so wird sich die Angele-
genheit mit Jhnen wohl wieder in's Geleise bringen
lassen.“ — „Das ist ganz unmöglich,“ versetzte Lambert
sehr bestimmt. „Treten wir ein!“

Jm Jnnern fanden sie die Wittwe, ihre Tochter
und Frau Edkins um den Tisch sitzend. Fanny hatte
eine aufgeschlagene Bibel vor sich liegen, die beiden
Frauen hielten Predigtbücher in den Händen, allein
keine schien eifrig mit der erbaulichen Lektüre be-
schäftigt, vielmehr lag erwartungsvolle Unruhe auf
ihren Gesichtern. Tom war die Ursache derselben.
Wenn er seinen gewöhnlichen Sonntagsausflug an-
trat, so pflegte er vorher zu Hause Abschied zu neh-
men und sich mit einem kleinen Mundvorrath zu ver-
sehen; sonst kam er spätestens zu Tisch nach Hause,
heute aber war er gänzlich ausgeblieben. Nach dem
Mittagsmahl, mit welchem man vergeblich auf ihn gewar-
tet, hatte ihn Fanny bei der Frau Edkins gesucht,
allein auch dort fand er sich nicht vor. Die kleine Frau
begleitete darauf Fanny nach Hause und war gerade im
Begriff, ihre Ansicht von der Sache, daß nämlich Toms
Abwesenheit jedenfalls mit seiner unsinnigen Leiden-
schaft für Miß Rumsay in Verbindung stehen müsse, zu
begründen, als die beiden Herrn eintraten.

Die Harrenden wurden durch den unerwarteten
Besuch noch bestürzter. Lambert nahm zuerst das Wort,
um in salbungsvoller Rede die Entlassung Toms und
die Rechtfertigung dieser Maßregel durch seine uns schon
bekannten Beschwerden über das Verhalten des Jüng-
lings vorzutragen. Nur von der Prügelscene sprach er
nichts. Seine Anklage schloß sich mit dem frommen
Wunsch, daß es Herrn Chatterton gelingen möge, sich
in einer andern Laufbahn als der des Juristen eine
gesicherte Stellung zu erringen.

Catcott zeigte während dieser Auseinandersetzung
einige Ungeduld, er schritt im Zimmer hin und her und
drehte seinen gräflichen Schuh schneller als gewöhnlich
in der Hand; die Wittwe und Fanny saßen mit be-
trübten Mienen und gesenkten Blicken da; Frau Edkins
endlich bekundete durch die mannigfachsten Bewegungen
ihren Unwillen über die gegen Tom erhobenen Beschul-
digungen und zeigte sich zu einer Entgegnung bereit,
als Frau Chatterton, nachdem der Advokat geendet, mit
der ihr eigenen Ruhe das Wort nahm.

„Es steht mir nicht zu,“ sagte sie, „über das Ver-
halten meines Sohnes zu streiten, er selbst wird seine
Rechtfertigung übernehmen. Wenn Sie ihn aber be-
bestimmt von seinem Platze entsernt haben, Herr Lambert,
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[1087/0007] 1087 Dame alle Donnersmarkdosen aufkauften, vernichteten, und diese —“ — „Allein übrig blieb, wie Sie mir gestern auf der neuen Brücke erzählten.“ „Richtig! ich vergaß! Reden wir von etwas an- derem!“ rief der Alterthümler, die Dose, wie es seine Gewohnheit war, fortwährend zwischen seinen langen, magern Fingern drehend. „Sie haben da eine Brille, Herr Lambert, welche mir nicht ohne Verdienst scheint. Sie ist nicht ganz neu —“ — „Jch trage sie auch nur,“ fiel der Advokat ein, „weil ich meine gewöhn- liche Brille verlegt habe und heute als am Sonntag keine neue kaufen kann. Ohne Brille kann ich nicht ausgehen.“ — „Jn der That,“ wiederholte Catcott, „das Gestell ist nicht ohne Verdienst. Könnte man sie nicht vielleicht einen Augenblick abnehmen, werthester Freund, um zu sehen —?“ — „Von morgen an steht sie Jhnen ganz und eigenthümlich zu Diensten,“ sagte Lambert ablehnend. — „Sehr verbunden! 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856, S. 1087. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt46_1856/7>, abgerufen am 24.11.2024.