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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Auge, sie erfaßt die Dinge als Erscheinungen. Wir
müssen uns hier zunächst daran erinnern, daß Licht
und Farbe gleich dem Schall als solche nicht außer
uns vorhanden, sondern unsere Empfindungen sind. Jn
aller Erfahrung nehmen wir zunächst nicht Gegenstände
wahr, sondern nur die Affektion unserer Nerven, eine
Veränderung unserer Zustände. Jndem wir diejenigen,
welche wir willkürlich hervorrufen, von denen unter-
scheiden, welche sich ohne unsere Absicht, ja oft gegen
dieselbe ereignen, so schreiben wir diesen letzteren einen
äußeren Grund zu; und wenn von diesem mehrere Sinne
zugleich berührt werden, wenn wir etwas zugleich hö-
ren, sehen, fühlen, wenn ferner auch andere Menschen
denselben Eindruck haben, so zweifeln wir nicht an der
Realität der Sache, die unsere Empfindung erweckt hat.
Die Naturforschung lehrt uns, daß in der Wirklichkeit
die Schwingungen der Luft und des Aethers vorhanden
sind, deren Wellen an unser Ohr und Auge schlagen,
und so die Empfindung des Tons, der Farbe hervor-
rufen; sie sind an sich lautlos und dunkel, erst im le-
bendigen Organismus wird in ihrem Zusammenwirken
mit den Nerven Schall und Licht geboren. Das Auge
empfängt Bilder auf seiner Netzhaut, aber da wir all-
mählig schließen, daß deren Ursprünge und Gegenstände
nicht in uns, sondern außer uns sind, so werfen wir die
Strahlen so zurück, wie sie eingefallen, und stellen das
verjüngte Bild in uns wieder vergrößert außer uns
vor: die sichtbare Welt um uns ist der Reflex oder die
Objektivirung von Eindrücken, die unsere Subjektivität
empfangen und gestaltet hat. Jndem nun die Malerei
dieses Farbenbild der Dinge oder den Widerschein der
Welt im menschlichen Auge wiedergibt, will sie die
Dinge nicht sowohl darstellen, wie sie an sich sind, als
wie sie dem auffassenden Sinn und Geist erscheinen;
sie stellt sie als Erscheinungen dar, in dieser Hinsicht
wie in der andern, wonach alles Reale sich zunächst
dadurch äußert, daß es seine innere Kraft entfaltet
und sich einen Raum setzt und denselben erfüllt, und
in der Form, mit welcher es ihn umschreibt, das eigene
Wesen sichtbar macht.

Es mag verwunderlich klingen, aber es ist doch
wahr: zum Verständniß der Malerei gehört das der
Kantischen Philosophie, und zugleich wird die Fortbil-
dung derselben durch jenes eingeleitet. Kant hat
die Wahrheit des subjektiven Jdealismus festgestellt:
wir wissen zunächst nur von unserem Bewußtseyn; die
Eindrücke, die wir erfahren, ordnen wir nach den Ge-
setzen unseres Denkens und unterscheiden wir vom Jch,
indem wir sie vorstellen, vor uns, außer uns hinstel-
len, uns mit einer Welt von Bildern umgeben, zu wel-
cher die Gegenstände den Anstoß gegeben haben, in der
[Spaltenumbruch] wir aber nur den Abdruck unseres eigenen, durch die
Gegenstände erregten Jnnern haben. Wie die Dinge
an sich beschaffen sind, ist damit nicht im entferntesten
ausgemacht; wir schauen sie an, wie sie uns erscheinen,
die Erscheinungswelt ist das Erzeugniß unserer eigenen
Natur und Thätigkeit. Ein jeder lebt in seiner beson-
dern Welt, wie jeder an die graue Regenwand, die
von den Strahlen der Sonne getroffen wird, einen
eigenen Regenbogen hinsieht, indem er von seinem
Standpunkt aus die Lichtreize seines Auges außer sich
versetzt. So stellt denn der Maler die Menschen, die
Natur nicht dar, wie sie an sich sind, sondern nur wie
sie auf seinem bestimmten Standpunkt erscheinen; die-
selben Dinge würden von einer andern Seite sich ganz
anders ausnehmen. Der Künstler läßt durch das Bild
uns die Welt mit seinem Auge sehen. Seine Subjek-
tivität tritt dadurch in den Vordergrund, sein Stand-
punkt, seine Auffassung, seine Empfindungsweise ma-
chen sich geltend, und die Malerei läßt uns kalt und
ist ungenügend, wenn dieß nicht der Fall ist.

Die Persönlichkeit des Architekten machte sich noch
wenig geltend, sie war in ihrer Thätigkeit getragen,
gleich dem epischen Volksdichter, von der Gesammtkraft
der Nation, von dem Styl, der das Empfindungsver-
mögen der Zeit in Formen ausgeprägt hat, innerhalb
deren der Meister sein Werk unter Mitwirkung vieler
Kräfte nach allgemeinen Forderungen und Zwecken voll-
endet. Der Styl war nicht seine Erfindung, sondern
ein naturwüchsiges Erzeugniß des Volksgeistes. Der Bild-
hauer trat schon mehr mit seiner Persönlichkeit hervor.
Aber indem er in der Objektivität seiner Schöpfung
den bleibenden Typus eines Charakters oder die Urge-
stalt einer Jdee darstellt, muß er ihrer Wesenheit sich
anschließen, und aus der Vermählung seines Geistes
mit ihr das Werk hervorbringen, das nun für sich
selber gelten und bestehen soll. Der Maler aber hat
seine eigene Weltanschauung, und gerade diese soll er
uns offenbaren; wir wollen die Dinge sehen als den
Reflex seiner Seele, seine Gemüthsstimmung oder sein
Geist will und soll sich durch die Gestaltung des ihm
eigenthümlichen Weltbildes erschließen. Dieser mitwir-
kende Herzensantheil des Künstlers, dieses Recht der
Subjektivität gibt dem Bilde die größere Jnnigkeit und
Wärme, seinen direkteren Anspruch an unser Mit-
gefühl.

Hierauf beruhen auch die viel größeren Unter-
schiede der Gemälde. Die Bildsäule des Gottes oder
des Helden kann mit mehr oder weniger Vollendung
gefertigt seyn, aber alle Versuche haben ein gemein-
sames Jdeal, das der Meister erreicht und es als gül-
tiges und dauerndes Muster für alle Zeit hinstellt; die
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Auge, sie erfaßt die Dinge als Erscheinungen. Wir
müssen uns hier zunächst daran erinnern, daß Licht
und Farbe gleich dem Schall als solche nicht außer
uns vorhanden, sondern unsere Empfindungen sind. Jn
aller Erfahrung nehmen wir zunächst nicht Gegenstände
wahr, sondern nur die Affektion unserer Nerven, eine
Veränderung unserer Zustände. Jndem wir diejenigen,
welche wir willkürlich hervorrufen, von denen unter-
scheiden, welche sich ohne unsere Absicht, ja oft gegen
dieselbe ereignen, so schreiben wir diesen letzteren einen
äußeren Grund zu; und wenn von diesem mehrere Sinne
zugleich berührt werden, wenn wir etwas zugleich hö-
ren, sehen, fühlen, wenn ferner auch andere Menschen
denselben Eindruck haben, so zweifeln wir nicht an der
Realität der Sache, die unsere Empfindung erweckt hat.
Die Naturforschung lehrt uns, daß in der Wirklichkeit
die Schwingungen der Luft und des Aethers vorhanden
sind, deren Wellen an unser Ohr und Auge schlagen,
und so die Empfindung des Tons, der Farbe hervor-
rufen; sie sind an sich lautlos und dunkel, erst im le-
bendigen Organismus wird in ihrem Zusammenwirken
mit den Nerven Schall und Licht geboren. Das Auge
empfängt Bilder auf seiner Netzhaut, aber da wir all-
mählig schließen, daß deren Ursprünge und Gegenstände
nicht in uns, sondern außer uns sind, so werfen wir die
Strahlen so zurück, wie sie eingefallen, und stellen das
verjüngte Bild in uns wieder vergrößert außer uns
vor: die sichtbare Welt um uns ist der Reflex oder die
Objektivirung von Eindrücken, die unsere Subjektivität
empfangen und gestaltet hat. Jndem nun die Malerei
dieses Farbenbild der Dinge oder den Widerschein der
Welt im menschlichen Auge wiedergibt, will sie die
Dinge nicht sowohl darstellen, wie sie an sich sind, als
wie sie dem auffassenden Sinn und Geist erscheinen;
sie stellt sie als Erscheinungen dar, in dieser Hinsicht
wie in der andern, wonach alles Reale sich zunächst
dadurch äußert, daß es seine innere Kraft entfaltet
und sich einen Raum setzt und denselben erfüllt, und
in der Form, mit welcher es ihn umschreibt, das eigene
Wesen sichtbar macht.

Es mag verwunderlich klingen, aber es ist doch
wahr: zum Verständniß der Malerei gehört das der
Kantischen Philosophie, und zugleich wird die Fortbil-
dung derselben durch jenes eingeleitet. Kant hat
die Wahrheit des subjektiven Jdealismus festgestellt:
wir wissen zunächst nur von unserem Bewußtseyn; die
Eindrücke, die wir erfahren, ordnen wir nach den Ge-
setzen unseres Denkens und unterscheiden wir vom Jch,
indem wir sie vorstellen, vor uns, außer uns hinstel-
len, uns mit einer Welt von Bildern umgeben, zu wel-
cher die Gegenstände den Anstoß gegeben haben, in der
[Spaltenumbruch] wir aber nur den Abdruck unseres eigenen, durch die
Gegenstände erregten Jnnern haben. Wie die Dinge
an sich beschaffen sind, ist damit nicht im entferntesten
ausgemacht; wir schauen sie an, wie sie uns erscheinen,
die Erscheinungswelt ist das Erzeugniß unserer eigenen
Natur und Thätigkeit. Ein jeder lebt in seiner beson-
dern Welt, wie jeder an die graue Regenwand, die
von den Strahlen der Sonne getroffen wird, einen
eigenen Regenbogen hinsieht, indem er von seinem
Standpunkt aus die Lichtreize seines Auges außer sich
versetzt. So stellt denn der Maler die Menschen, die
Natur nicht dar, wie sie an sich sind, sondern nur wie
sie auf seinem bestimmten Standpunkt erscheinen; die-
selben Dinge würden von einer andern Seite sich ganz
anders ausnehmen. Der Künstler läßt durch das Bild
uns die Welt mit seinem Auge sehen. Seine Subjek-
tivität tritt dadurch in den Vordergrund, sein Stand-
punkt, seine Auffassung, seine Empfindungsweise ma-
chen sich geltend, und die Malerei läßt uns kalt und
ist ungenügend, wenn dieß nicht der Fall ist.

Die Persönlichkeit des Architekten machte sich noch
wenig geltend, sie war in ihrer Thätigkeit getragen,
gleich dem epischen Volksdichter, von der Gesammtkraft
der Nation, von dem Styl, der das Empfindungsver-
mögen der Zeit in Formen ausgeprägt hat, innerhalb
deren der Meister sein Werk unter Mitwirkung vieler
Kräfte nach allgemeinen Forderungen und Zwecken voll-
endet. Der Styl war nicht seine Erfindung, sondern
ein naturwüchsiges Erzeugniß des Volksgeistes. Der Bild-
hauer trat schon mehr mit seiner Persönlichkeit hervor.
Aber indem er in der Objektivität seiner Schöpfung
den bleibenden Typus eines Charakters oder die Urge-
stalt einer Jdee darstellt, muß er ihrer Wesenheit sich
anschließen, und aus der Vermählung seines Geistes
mit ihr das Werk hervorbringen, das nun für sich
selber gelten und bestehen soll. Der Maler aber hat
seine eigene Weltanschauung, und gerade diese soll er
uns offenbaren; wir wollen die Dinge sehen als den
Reflex seiner Seele, seine Gemüthsstimmung oder sein
Geist will und soll sich durch die Gestaltung des ihm
eigenthümlichen Weltbildes erschließen. Dieser mitwir-
kende Herzensantheil des Künstlers, dieses Recht der
Subjektivität gibt dem Bilde die größere Jnnigkeit und
Wärme, seinen direkteren Anspruch an unser Mit-
gefühl.

Hierauf beruhen auch die viel größeren Unter-
schiede der Gemälde. Die Bildsäule des Gottes oder
des Helden kann mit mehr oder weniger Vollendung
gefertigt seyn, aber alle Versuche haben ein gemein-
sames Jdeal, das der Meister erreicht und es als gül-
tiges und dauerndes Muster für alle Zeit hinstellt; die
[Ende Spaltensatz]

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[1041/0009] 1041 Auge, sie erfaßt die Dinge als Erscheinungen. Wir müssen uns hier zunächst daran erinnern, daß Licht und Farbe gleich dem Schall als solche nicht außer uns vorhanden, sondern unsere Empfindungen sind. Jn aller Erfahrung nehmen wir zunächst nicht Gegenstände wahr, sondern nur die Affektion unserer Nerven, eine Veränderung unserer Zustände. Jndem wir diejenigen, welche wir willkürlich hervorrufen, von denen unter- scheiden, welche sich ohne unsere Absicht, ja oft gegen dieselbe ereignen, so schreiben wir diesen letzteren einen äußeren Grund zu; und wenn von diesem mehrere Sinne zugleich berührt werden, wenn wir etwas zugleich hö- ren, sehen, fühlen, wenn ferner auch andere Menschen denselben Eindruck haben, so zweifeln wir nicht an der Realität der Sache, die unsere Empfindung erweckt hat. Die Naturforschung lehrt uns, daß in der Wirklichkeit die Schwingungen der Luft und des Aethers vorhanden sind, deren Wellen an unser Ohr und Auge schlagen, und so die Empfindung des Tons, der Farbe hervor- rufen; sie sind an sich lautlos und dunkel, erst im le- bendigen Organismus wird in ihrem Zusammenwirken mit den Nerven Schall und Licht geboren. Das Auge empfängt Bilder auf seiner Netzhaut, aber da wir all- mählig schließen, daß deren Ursprünge und Gegenstände nicht in uns, sondern außer uns sind, so werfen wir die Strahlen so zurück, wie sie eingefallen, und stellen das verjüngte Bild in uns wieder vergrößert außer uns vor: die sichtbare Welt um uns ist der Reflex oder die Objektivirung von Eindrücken, die unsere Subjektivität empfangen und gestaltet hat. Jndem nun die Malerei dieses Farbenbild der Dinge oder den Widerschein der Welt im menschlichen Auge wiedergibt, will sie die Dinge nicht sowohl darstellen, wie sie an sich sind, als wie sie dem auffassenden Sinn und Geist erscheinen; sie stellt sie als Erscheinungen dar, in dieser Hinsicht wie in der andern, wonach alles Reale sich zunächst dadurch äußert, daß es seine innere Kraft entfaltet und sich einen Raum setzt und denselben erfüllt, und in der Form, mit welcher es ihn umschreibt, das eigene Wesen sichtbar macht. Es mag verwunderlich klingen, aber es ist doch wahr: zum Verständniß der Malerei gehört das der Kantischen Philosophie, und zugleich wird die Fortbil- dung derselben durch jenes eingeleitet. Kant hat die Wahrheit des subjektiven Jdealismus festgestellt: wir wissen zunächst nur von unserem Bewußtseyn; die Eindrücke, die wir erfahren, ordnen wir nach den Ge- setzen unseres Denkens und unterscheiden wir vom Jch, indem wir sie vorstellen, vor uns, außer uns hinstel- len, uns mit einer Welt von Bildern umgeben, zu wel- cher die Gegenstände den Anstoß gegeben haben, in der wir aber nur den Abdruck unseres eigenen, durch die Gegenstände erregten Jnnern haben. Wie die Dinge an sich beschaffen sind, ist damit nicht im entferntesten ausgemacht; wir schauen sie an, wie sie uns erscheinen, die Erscheinungswelt ist das Erzeugniß unserer eigenen Natur und Thätigkeit. Ein jeder lebt in seiner beson- dern Welt, wie jeder an die graue Regenwand, die von den Strahlen der Sonne getroffen wird, einen eigenen Regenbogen hinsieht, indem er von seinem Standpunkt aus die Lichtreize seines Auges außer sich versetzt. So stellt denn der Maler die Menschen, die Natur nicht dar, wie sie an sich sind, sondern nur wie sie auf seinem bestimmten Standpunkt erscheinen; die- selben Dinge würden von einer andern Seite sich ganz anders ausnehmen. Der Künstler läßt durch das Bild uns die Welt mit seinem Auge sehen. Seine Subjek- tivität tritt dadurch in den Vordergrund, sein Stand- punkt, seine Auffassung, seine Empfindungsweise ma- chen sich geltend, und die Malerei läßt uns kalt und ist ungenügend, wenn dieß nicht der Fall ist. Die Persönlichkeit des Architekten machte sich noch wenig geltend, sie war in ihrer Thätigkeit getragen, gleich dem epischen Volksdichter, von der Gesammtkraft der Nation, von dem Styl, der das Empfindungsver- mögen der Zeit in Formen ausgeprägt hat, innerhalb deren der Meister sein Werk unter Mitwirkung vieler Kräfte nach allgemeinen Forderungen und Zwecken voll- endet. Der Styl war nicht seine Erfindung, sondern ein naturwüchsiges Erzeugniß des Volksgeistes. Der Bild- hauer trat schon mehr mit seiner Persönlichkeit hervor. Aber indem er in der Objektivität seiner Schöpfung den bleibenden Typus eines Charakters oder die Urge- stalt einer Jdee darstellt, muß er ihrer Wesenheit sich anschließen, und aus der Vermählung seines Geistes mit ihr das Werk hervorbringen, das nun für sich selber gelten und bestehen soll. Der Maler aber hat seine eigene Weltanschauung, und gerade diese soll er uns offenbaren; wir wollen die Dinge sehen als den Reflex seiner Seele, seine Gemüthsstimmung oder sein Geist will und soll sich durch die Gestaltung des ihm eigenthümlichen Weltbildes erschließen. Dieser mitwir- kende Herzensantheil des Künstlers, dieses Recht der Subjektivität gibt dem Bilde die größere Jnnigkeit und Wärme, seinen direkteren Anspruch an unser Mit- gefühl. Hierauf beruhen auch die viel größeren Unter- schiede der Gemälde. Die Bildsäule des Gottes oder des Helden kann mit mehr oder weniger Vollendung gefertigt seyn, aber alle Versuche haben ein gemein- sames Jdeal, das der Meister erreicht und es als gül- tiges und dauerndes Muster für alle Zeit hinstellt; die

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1041. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/9>, abgerufen am 26.06.2024.