Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] einen Fliederbusch. Hier saß sie lange wohl= und weh-
gestimmt allein und berechnete Stunde und Minute, wo
Urban in der alten, unvergeßlichen Heimath ankommen
und ihren Wolfgang sehen konnte. Aber sie wurde
aufgefunden und sehr unliebsam gestört.

Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten,
Bärbls Eltern seyen voraus zu den "Spielleuten" und
hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch
extra hinterlassen, daß sie ja auch nachkommen solle.
Da in diesem Augenblick ein Ländler aus dem Wirths-
hause herüber tönte, so faßten sich die zwei Dirnen
freudetoll und tanzten um den Fliederbusch herum.

"O weh, mein Aug!" rief ein Bursch lachend über
den Zaun herüber und ging weiter. Die Dirnen er-
schracken und hörten auf zu tanzen. -- "Bärbl," sagte
die ältere Magd, "jetzt hätt' ich meinen Tänzer so gewiß
wie du, ich weiß wo ich wär'! Aber du mußt mit;
dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne
Preislauf aus Erdingen will's. Bist du bei uns, so
dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben."

Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren
Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders,
als dem Willen ihrer Eltern folgen; sie ging also mit.
Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte und
jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie
fortgehend,

Die Kirschen sind zeitig,
Die Weichsel sind braun,
Eine Jed' hat ihr Bübl',
Muß mir auch um ein's schau'n!

Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet.
Sie war noch nicht bis an die Thüre des Wirths-
hauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen
eilten. Besonders "der schöne Preislauf aus Erdingen"
wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit.

Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern,
hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte
wohl ein ernsteres Auge auf die schöne Tochter We-
ringers wersen. So zum mindesten wurde die Sache
allgemein aufgefaßt und man redete die nächsten Tage
heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und
dem schönen Franz Lämmer. Bärbl wußte das und
lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban in-
zwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimath
mitgebracht. -- "Sagt was ihr wollt," dachte sie, "ich
weiß doch, was ich weiß." Und sie ging unbekümmert
und still vergnügt inmitten des Geredes umher. Aber die
Sache war damit doch nicht abgethan. Am Sonnabend vor
Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben
beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer
[Spaltenumbruch] sprang und auf die Fragen ihrer Mutter erwiederte:
sie hätte jemand am Kammerfester gehört und wisse
nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen. Sogleich
wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da,
man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbl's Kammer-
fenster.

Die Mägde lachten, Urban lächelte. Der We-
ringer wollte wissen, was dieß bedeute, und erhielt nach
einigem Zögern die Erklärung, daß die Aepfel von einem
Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Fest-
tanz lade; Bärbl mußte jetzt, wenn ihr der Bursch auch
recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit
Bändern und Blumen zieren.

Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: "Da
müßt' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursch ist."
-- Hier happerte es, bis Urban den Löffel weglegte
und sagte: "Der Franz Lämmer ist's!"

Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber
blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Jhre
Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es be-
trübte sie über die Maßen, daß der hübsche Bursch
aus Erdingen wirklich ernstlich an sie dachte; von Ur-
ban aber verdroß sie's peinlich, daß der die Sache so
leicht und spaßhaft nehmen konnte.

"Du bist mir auch Einer!" sagte sie noch densel-
ben Abend an der Stallecke zu ihm. "Hast ihn nicht
wieder fortrichten können? Du weißt, ich kann nicht,
ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten.
Das wär' so grade recht für die Leute!"

Urban erwiederte: "Du Närrle! Ein' Tänzer mußt
du doch haben und weil's der Wolfgang jetzt nicht seyn
kann, dacht' ich, soll's allerwenigstens der best' und
schönst' herum seyn." -- "Aber der Hut!" rief Bärbl
wenig besänftigt. -- "Den hol' ich dir selbst," sagte
Urban wohl gelaunt. "Dabei will ich dem Lämmer
den Daumen auf's Hirn drücken und sagen: bilde dir
nichts ein!"

Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie
nach der Stube gerufen wurde. Die Mutter theilte
ihr mit, daß der Vater gerne sehen würde, wenn sie
die Volkssitte mitmache, wie es üblich sey. Der We-
ringer hatte guten Grund, diesen Wunsch auszusprechen.
Der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pacht-
hof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der
Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen
so wie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte
hatte sich seitdem erhalten und auch ohne Lehnsherrn
fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise
und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer
wünschte daher, daß seine Tochter einen Tänzer nicht
abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefaßt hatte
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] einen Fliederbusch. Hier saß sie lange wohl= und weh-
gestimmt allein und berechnete Stunde und Minute, wo
Urban in der alten, unvergeßlichen Heimath ankommen
und ihren Wolfgang sehen konnte. Aber sie wurde
aufgefunden und sehr unliebsam gestört.

Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten,
Bärbls Eltern seyen voraus zu den „Spielleuten“ und
hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch
extra hinterlassen, daß sie ja auch nachkommen solle.
Da in diesem Augenblick ein Ländler aus dem Wirths-
hause herüber tönte, so faßten sich die zwei Dirnen
freudetoll und tanzten um den Fliederbusch herum.

„O weh, mein Aug!“ rief ein Bursch lachend über
den Zaun herüber und ging weiter. Die Dirnen er-
schracken und hörten auf zu tanzen. — „Bärbl,“ sagte
die ältere Magd, „jetzt hätt' ich meinen Tänzer so gewiß
wie du, ich weiß wo ich wär'! Aber du mußt mit;
dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne
Preislauf aus Erdingen will's. Bist du bei uns, so
dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben.“

Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren
Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders,
als dem Willen ihrer Eltern folgen; sie ging also mit.
Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte und
jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie
fortgehend,

Die Kirschen sind zeitig,
Die Weichsel sind braun,
Eine Jed' hat ihr Bübl',
Muß mir auch um ein's schau'n!

Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet.
Sie war noch nicht bis an die Thüre des Wirths-
hauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen
eilten. Besonders „der schöne Preislauf aus Erdingen“
wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit.

Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern,
hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte
wohl ein ernsteres Auge auf die schöne Tochter We-
ringers wersen. So zum mindesten wurde die Sache
allgemein aufgefaßt und man redete die nächsten Tage
heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und
dem schönen Franz Lämmer. Bärbl wußte das und
lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban in-
zwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimath
mitgebracht. — „Sagt was ihr wollt,“ dachte sie, „ich
weiß doch, was ich weiß.“ Und sie ging unbekümmert
und still vergnügt inmitten des Geredes umher. Aber die
Sache war damit doch nicht abgethan. Am Sonnabend vor
Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben
beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer
[Spaltenumbruch] sprang und auf die Fragen ihrer Mutter erwiederte:
sie hätte jemand am Kammerfester gehört und wisse
nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen. Sogleich
wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da,
man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbl's Kammer-
fenster.

Die Mägde lachten, Urban lächelte. Der We-
ringer wollte wissen, was dieß bedeute, und erhielt nach
einigem Zögern die Erklärung, daß die Aepfel von einem
Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Fest-
tanz lade; Bärbl mußte jetzt, wenn ihr der Bursch auch
recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit
Bändern und Blumen zieren.

Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: „Da
müßt' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursch ist.“
— Hier happerte es, bis Urban den Löffel weglegte
und sagte: „Der Franz Lämmer ist's!“

Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber
blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Jhre
Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es be-
trübte sie über die Maßen, daß der hübsche Bursch
aus Erdingen wirklich ernstlich an sie dachte; von Ur-
ban aber verdroß sie's peinlich, daß der die Sache so
leicht und spaßhaft nehmen konnte.

„Du bist mir auch Einer!“ sagte sie noch densel-
ben Abend an der Stallecke zu ihm. „Hast ihn nicht
wieder fortrichten können? Du weißt, ich kann nicht,
ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten.
Das wär' so grade recht für die Leute!“

Urban erwiederte: „Du Närrle! Ein' Tänzer mußt
du doch haben und weil's der Wolfgang jetzt nicht seyn
kann, dacht' ich, soll's allerwenigstens der best' und
schönst' herum seyn.“ — „Aber der Hut!“ rief Bärbl
wenig besänftigt. — „Den hol' ich dir selbst,“ sagte
Urban wohl gelaunt. „Dabei will ich dem Lämmer
den Daumen auf's Hirn drücken und sagen: bilde dir
nichts ein!“

Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie
nach der Stube gerufen wurde. Die Mutter theilte
ihr mit, daß der Vater gerne sehen würde, wenn sie
die Volkssitte mitmache, wie es üblich sey. Der We-
ringer hatte guten Grund, diesen Wunsch auszusprechen.
Der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pacht-
hof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der
Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen
so wie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte
hatte sich seitdem erhalten und auch ohne Lehnsherrn
fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise
und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer
wünschte daher, daß seine Tochter einen Tänzer nicht
abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefaßt hatte
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0007" n="799"/><fw type="pageNum" place="top">799</fw><cb type="start"/>
einen Fliederbusch. Hier saß sie lange wohl= und weh-<lb/>
gestimmt allein und berechnete Stunde und Minute, wo<lb/>
Urban in der alten, unvergeßlichen Heimath ankommen<lb/>
und ihren Wolfgang sehen konnte. Aber sie wurde<lb/>
aufgefunden und sehr unliebsam gestört.</p><lb/>
        <p>Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten,<lb/>
Bärbls Eltern seyen voraus zu den &#x201E;Spielleuten&#x201C; und<lb/>
hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch<lb/>
extra hinterlassen, daß sie ja auch nachkommen solle.<lb/>
Da in diesem Augenblick ein Ländler aus dem Wirths-<lb/>
hause herüber tönte, so faßten sich die zwei Dirnen<lb/>
freudetoll und tanzten um den Fliederbusch herum.</p><lb/>
        <p>&#x201E;O weh, mein Aug!&#x201C; rief ein Bursch lachend über<lb/>
den Zaun herüber und ging weiter. Die Dirnen er-<lb/>
schracken und hörten auf zu tanzen. &#x2014; &#x201E;Bärbl,&#x201C; sagte<lb/>
die ältere Magd, &#x201E;jetzt hätt' ich meinen Tänzer so gewiß<lb/>
wie du, ich weiß wo ich wär'! Aber du mußt mit;<lb/>
dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne<lb/>
Preislauf aus Erdingen will's. Bist <hi rendition="#g">du</hi> bei uns, so<lb/>
dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren<lb/>
Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders,<lb/>
als dem Willen ihrer Eltern folgen; sie ging also mit.<lb/>
Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte und<lb/>
jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie<lb/>
fortgehend,</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Die Kirschen sind zeitig,</l><lb/>
          <l>Die Weichsel sind braun,</l><lb/>
          <l>Eine Jed' hat ihr Bübl',</l><lb/>
          <l>Muß mir auch um ein's schau'n!</l>
        </lg><lb/>
        <p>Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet.<lb/>
Sie war noch nicht bis an die Thüre des Wirths-<lb/>
hauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen<lb/>
eilten. Besonders &#x201E;der schöne Preislauf aus Erdingen&#x201C;<lb/>
wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit.</p><lb/>
        <p>Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern,<lb/>
hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte<lb/>
wohl ein ernsteres Auge auf die schöne Tochter We-<lb/>
ringers wersen. So zum mindesten wurde die Sache<lb/>
allgemein aufgefaßt und man redete die nächsten Tage<lb/>
heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und<lb/>
dem schönen Franz Lämmer. Bärbl wußte das und<lb/>
lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban in-<lb/>
zwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimath<lb/>
mitgebracht. &#x2014; &#x201E;Sagt was ihr wollt,&#x201C; dachte sie, &#x201E;ich<lb/>
weiß doch, was ich weiß.&#x201C; Und sie ging unbekümmert<lb/>
und still vergnügt inmitten des Geredes umher. Aber die<lb/>
Sache war damit doch nicht abgethan. Am Sonnabend vor<lb/>
Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben<lb/>
beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer<lb/><cb n="2"/>
sprang und auf die Fragen ihrer Mutter erwiederte:<lb/>
sie hätte jemand am Kammerfester gehört und wisse<lb/>
nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen. Sogleich<lb/>
wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da,<lb/>
man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbl's Kammer-<lb/>
fenster.</p><lb/>
        <p>Die Mägde lachten, Urban lächelte. Der We-<lb/>
ringer wollte wissen, was dieß bedeute, und erhielt nach<lb/>
einigem Zögern die Erklärung, daß die Aepfel von einem<lb/>
Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Fest-<lb/>
tanz lade; Bärbl mußte jetzt, wenn ihr der Bursch auch<lb/>
recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit<lb/>
Bändern und Blumen zieren.</p><lb/>
        <p>Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: &#x201E;Da<lb/>
müßt' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursch ist.&#x201C;<lb/>
&#x2014; Hier happerte es, bis Urban den Löffel weglegte<lb/>
und sagte: &#x201E;Der Franz Lämmer ist's!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber<lb/>
blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Jhre<lb/>
Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es be-<lb/>
trübte sie über die Maßen, daß der hübsche Bursch<lb/>
aus Erdingen wirklich ernstlich an sie dachte; von Ur-<lb/>
ban aber verdroß sie's peinlich, daß der die Sache so<lb/>
leicht und spaßhaft nehmen konnte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bist mir auch Einer!&#x201C; sagte sie noch densel-<lb/>
ben Abend an der Stallecke zu ihm. &#x201E;Hast ihn nicht<lb/>
wieder fortrichten können? Du weißt, ich kann nicht,<lb/>
ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten.<lb/>
Das wär' so grade recht für die Leute!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Urban erwiederte: &#x201E;Du Närrle! Ein' Tänzer mußt<lb/>
du doch haben und weil's der Wolfgang jetzt nicht seyn<lb/>
kann, dacht' ich, soll's allerwenigstens der best' und<lb/>
schönst' herum seyn.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Aber der Hut!&#x201C; rief Bärbl<lb/>
wenig besänftigt. &#x2014; &#x201E;Den hol' ich dir selbst,&#x201C; sagte<lb/>
Urban wohl gelaunt. &#x201E;Dabei will ich dem Lämmer<lb/>
den Daumen auf's Hirn drücken und sagen: bilde dir<lb/>
nichts ein!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie<lb/>
nach der Stube gerufen wurde. Die Mutter theilte<lb/>
ihr mit, daß der Vater gerne sehen würde, wenn sie<lb/>
die Volkssitte mitmache, wie es üblich sey. Der We-<lb/>
ringer hatte guten Grund, diesen Wunsch auszusprechen.<lb/>
Der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pacht-<lb/>
hof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der<lb/>
Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen<lb/>
so wie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte<lb/>
hatte sich seitdem erhalten und auch ohne Lehnsherrn<lb/>
fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise<lb/>
und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer<lb/>
wünschte daher, daß seine Tochter einen Tänzer nicht<lb/>
abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefaßt hatte<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[799/0007] 799 einen Fliederbusch. Hier saß sie lange wohl= und weh- gestimmt allein und berechnete Stunde und Minute, wo Urban in der alten, unvergeßlichen Heimath ankommen und ihren Wolfgang sehen konnte. Aber sie wurde aufgefunden und sehr unliebsam gestört. Die zwei lustigen Mägde nämlich kamen und sagten, Bärbls Eltern seyen voraus zu den „Spielleuten“ und hätten sie mitnehmen wollen; die Mutter hätte noch extra hinterlassen, daß sie ja auch nachkommen solle. Da in diesem Augenblick ein Ländler aus dem Wirths- hause herüber tönte, so faßten sich die zwei Dirnen freudetoll und tanzten um den Fliederbusch herum. „O weh, mein Aug!“ rief ein Bursch lachend über den Zaun herüber und ging weiter. Die Dirnen er- schracken und hörten auf zu tanzen. — „Bärbl,“ sagte die ältere Magd, „jetzt hätt' ich meinen Tänzer so gewiß wie du, ich weiß wo ich wär'! Aber du mußt mit; dein Vater will's, deine Mutter will's, der schöne Preislauf aus Erdingen will's. Bist du bei uns, so dürfen wir auch eine Stunde länger bleiben.“ Bärbl war aufgestanden. So ungern sie ihren Vorsatz änderte, so konnte sie jetzt doch nicht anders, als dem Willen ihrer Eltern folgen; sie ging also mit. Die erfreuten Dirnen nahmen sie in die Mitte und jede schlang einen Arm um ihren Hals; so sangen sie fortgehend, Die Kirschen sind zeitig, Die Weichsel sind braun, Eine Jed' hat ihr Bübl', Muß mir auch um ein's schau'n! Bärbl wurde von den Burschen sehr ausgezeichnet. Sie war noch nicht bis an die Thüre des Wirths- hauses gekommen, als ihr schon einige Tänzer entgegen eilten. Besonders „der schöne Preislauf aus Erdingen“ wählte sie als Ziel seiner dauernden Aufmerksamkeit. Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern, hatte einen ansehnlichen Hof zu erwarten und mochte wohl ein ernsteres Auge auf die schöne Tochter We- ringers wersen. So zum mindesten wurde die Sache allgemein aufgefaßt und man redete die nächsten Tage heimlich und halblaut viel von Bärbl Weringer und dem schönen Franz Lämmer. Bärbl wußte das und lächelte dazu; hatte ihr doch der Oberknecht Urban in- zwischen sehr frohe Botschaft aus der alten Heimath mitgebracht. — „Sagt was ihr wollt,“ dachte sie, „ich weiß doch, was ich weiß.“ Und sie ging unbekümmert und still vergnügt inmitten des Geredes umher. Aber die Sache war damit doch nicht abgethan. Am Sonnabend vor Mariä Himmelfahrt saß man im Weringerhause eben beim Nachtessen, als Bärbl erschrocken aus der Kammer sprang und auf die Fragen ihrer Mutter erwiederte: sie hätte jemand am Kammerfester gehört und wisse nicht, ob es ein Dieb oder Geist gewesen. Sogleich wurde Licht genommen und nachgesehen; aber siehe da, man fand nur einige Holzäpfel vor Bärbl's Kammer- fenster. Die Mägde lachten, Urban lächelte. Der We- ringer wollte wissen, was dieß bedeute, und erhielt nach einigem Zögern die Erklärung, daß die Aepfel von einem Burschen kämen, welcher Bärbl zu dem morgigen Fest- tanz lade; Bärbl mußte jetzt, wenn ihr der Bursch auch recht wäre, dessen Sonntagshut holen lassen und mit Bändern und Blumen zieren. Jetzt lächelte auch der Weringer und sagte: „Da müßt' ja wohl Bärbl erst wissen, wer der Bursch ist.“ — Hier happerte es, bis Urban den Löffel weglegte und sagte: „Der Franz Lämmer ist's!“ Bärbl hatte sich eben zu Tisch gesetzt, stand aber blitzschnell wieder auf und lief in die Küche. Jhre Wangen glühten, ihre Augen wurden feucht. Es be- trübte sie über die Maßen, daß der hübsche Bursch aus Erdingen wirklich ernstlich an sie dachte; von Ur- ban aber verdroß sie's peinlich, daß der die Sache so leicht und spaßhaft nehmen konnte. „Du bist mir auch Einer!“ sagte sie noch densel- ben Abend an der Stallecke zu ihm. „Hast ihn nicht wieder fortrichten können? Du weißt, ich kann nicht, ich mag nicht, ich will nicht mit dem Lämmer halten. Das wär' so grade recht für die Leute!“ Urban erwiederte: „Du Närrle! Ein' Tänzer mußt du doch haben und weil's der Wolfgang jetzt nicht seyn kann, dacht' ich, soll's allerwenigstens der best' und schönst' herum seyn.“ — „Aber der Hut!“ rief Bärbl wenig besänftigt. — „Den hol' ich dir selbst,“ sagte Urban wohl gelaunt. „Dabei will ich dem Lämmer den Daumen auf's Hirn drücken und sagen: bilde dir nichts ein!“ Bärbl wollte eben noch dagegen kämpfen, als sie nach der Stube gerufen wurde. Die Mutter theilte ihr mit, daß der Vater gerne sehen würde, wenn sie die Volkssitte mitmache, wie es üblich sey. Der We- ringer hatte guten Grund, diesen Wunsch auszusprechen. Der große Hof, den er jetzt besaß, war einst der Pacht- hof eines Rittergutes gewesen, und alljährlich kam der Lehnsherr mit seiner Familie, um hier sich und den Seinen so wie dem Volke ein kleines Fest zu geben. Die Sitte hatte sich seitdem erhalten und auch ohne Lehnsherrn fuhren die Bauern fort, das Fest in der alten Weise und an derselben Stelle zu feiern. Der Weringer wünschte daher, daß seine Tochter einen Tänzer nicht abweise, für den er selbst einige Vorliebe gefaßt hatte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/7
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 799. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/7>, abgerufen am 15.06.2024.