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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] kannst --" Bärbls Gesicht glühte höher; geschwinde
eine Schelmerei ausdenkend, um ihre Bewegung zu
verbergen, wollte sie eben noch einige Worte hinzufügen,
als sie Schritte hörte, das Tischtuch über'n Arm warf
und der Stube zuflog. Das Röckchen warf wieder eine
artige Welle, eh' die Stubenthür hinter ihr zuflog.

An diesem Morgen wollte der Weringer Weib und
Kinder dem Pfarrer vorstellen. Man ging eine halbe
Stunde früher vom Hause fort, um die feierliche Hand-
lung noch vor dem Gottesdienst auszuführen.

Die Wahrheit zu sagen, erwartete man nicht viel
Freundliches von dem ersten Zusammentreffen mit Seiner
Hochwürden. Der Mann stand in einem seltsamen
Rufe und der Weringer, welcher schon einmal bei ihm
gewesen war, schien keine besondere Meinung von ihm
heimgebracht zu haben. Dem Bärbl und den kleineren
Geschwistern klopfte daher das Herz gewaltig, als ihr
Vater männlich an die Thüre des Pfarrers pochte und
ein scharfes "Herein!" erscholl.

Ein Mann stand vor ihnen, der einer genauen
Beschreibung werth gewesen wäre. Er war von mitt-
lerer Größe, breitschultrig und stark beleibt; schon ziem-
lich hoch betagt, hatte er langes schneeweißes Haar,
das rings um ein brennrothes volles Gesicht auf Schul-
tern und Nacken hinab fiel. Der Ausdruck des Gesichts
war von jener übermächtigen Härte, welche so häufig
zum Vorschein kommt, wenn ehrwürdige und einfluß-
reiche Stellungen Menschen von geringem Beruf zu
Theil werden: dazu waren die Augen, welche an einem
üblen Gesicht so viel gut machen können, klein und
hinter einem weißen Gebüsch von Brauen verborgen,
so daß man nur von Zeit zu Zeit ihren Blitz und nicht
das freundlichere Leuchten sah, zu dem sie manchmal
doch vielleicht veranlaßt waren.

Jndessen merkte die Familie Weringers bald, daß
sie freundlicher aufgenommen wurde, als sie erwartet
hatte. Seine Hochwürden richtete das Wort zwar nur
an die Weringerin, aber die Fragen, welche er stellte,
waren angenehm. Zu dem großen, unbefangen daste-
henden Weringer empor verirrte sich nur dann und
wann ein zückender Blick und die Kinder schienen ganz
unbeachtet zu bleiben; doch erhielten diese beim Fort-
gehen kleine Heiligenbilder von greller Malerei und
reicher Vergoldung.

Man ging also ziemlich befriedigt nach der Kirche,
die Weringerin sprach ihr Bedauern aus, daß gerade
Geistliche den üblen Nachreden so sehr ausgesetzt seyen,
Bärbl athmete leicht auf, daß alles glücklich vorüber
sey, und die Kinder freuten sich am Gold und an den
Farben ihrer Bilder.

Nach dem Gottesdienst überraschte sie ein kleines
[Spaltenumbruch] Volksfest, welches für die Heiterkeit des ganzen Tags
entschied und auch für die Zukunft nicht ohne Folgen
bleiben sollte.

Kaum war das Ite missa est gesprochen, als ein
Pistolenschuß vor der Kirche an Wänden und Fenster
rüttelte. Alles drängte aus dem Gotteshause, voran
die Burschen dreier Dörfer. Diese versammelten sich
in Eile unter einigen Linden; Musik begann und neu-
gierig lärmend setzte man sich in Bewegung zum Dorfe
hinaus auf einen großen Weideplatz. Hier war für
ein Fußwettrennen Raum und Ziel bestimmt. Die
Burschen erhielten Teller voll rund geschälter Rüben,
die auf den Kopf gesetzt werden mußten; wer zuerst
an's Ziel kam, ohne den Teller und eine Rübe verlo-
ren zu haben, der war der Sieger.

Die Musik schwieg einen Augenblick; an die
dreißig rüstige Burschen stellten sich an; hierauf ein
Schuß, ein Tusch und der Wettlauf begann. Jeden
Augenblick schlug ein betäubendes Gelächter der Zu-
schauer auf, da man nach einigen Sprüngen schon
Teller und Rüben von den Köpfen fliegen und einen
Burschen um den andern vom Wettlauf ablassen sah.
Ein einziger Läufer, schlank und hübsch gewachsen, der
seinen Kopf wie ein Hirsch munter trug und gleichmäßig
ohne Uebereile lief, erreichte mit dem Teller und allen
Rüben das Ziel -- er war der Sieger. Sofort wurde
er lebhaft bejubelt und in einem großen Kreise um-
ringt; die Musik stellte sich in die Mitte und spielte
einen lustigen Ländler; der Sieger im Wettlauf mußte
den Tanz eröffnen. Es war eine Wahl mit Bedacht,
als er nach einigem Zögern auf Weringers Bärbl los-
ging und mit ihr den Plan durchflog; ihnen folgte nun
Paar auf Paar, und in Kurzem wogte die weite Fläche
von drehenden Burschen und Mädchen. Bald aber
wurde das Zeichen zum Aufbruch gegeben und die
Musik voran, zog alles bunt durcheinander dem benach-
barten Dobbl zu, wo Nachmittags und Abends der
Tanz fortgesetzt werden sollte. Weringer und seine
Familie kamen vergnügt nach Haus.

Ueber Tisch wurde Bärbl nicht ungeneckt gelassen,
und selbst ihr Vater ließ in guter Laune merken, daß
er gerne sähe, wenn sie sich beim Tanz noch ferner
vergnügte. Jhm war es willkommen, daß die Gegend
öfter solche Feste darbot, weil sie besonders dazu bei-
tragen mußten, den Seinigen die neue Heimath ange-
nehm zu machen.

Bärbl gab sich Mühe, bei Tisch heiter auszusehen,
im Jnnern war sie aber betrübt und fest entschlossen,
heute nicht mehr zu tanzen. Als daher nach dem Essen
das Nöthige gethan war, schlüpfte sie nach dem Garten
und versteckte sich am äußersten Ende desselben hinter
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] kannst —“ Bärbls Gesicht glühte höher; geschwinde
eine Schelmerei ausdenkend, um ihre Bewegung zu
verbergen, wollte sie eben noch einige Worte hinzufügen,
als sie Schritte hörte, das Tischtuch über'n Arm warf
und der Stube zuflog. Das Röckchen warf wieder eine
artige Welle, eh' die Stubenthür hinter ihr zuflog.

An diesem Morgen wollte der Weringer Weib und
Kinder dem Pfarrer vorstellen. Man ging eine halbe
Stunde früher vom Hause fort, um die feierliche Hand-
lung noch vor dem Gottesdienst auszuführen.

Die Wahrheit zu sagen, erwartete man nicht viel
Freundliches von dem ersten Zusammentreffen mit Seiner
Hochwürden. Der Mann stand in einem seltsamen
Rufe und der Weringer, welcher schon einmal bei ihm
gewesen war, schien keine besondere Meinung von ihm
heimgebracht zu haben. Dem Bärbl und den kleineren
Geschwistern klopfte daher das Herz gewaltig, als ihr
Vater männlich an die Thüre des Pfarrers pochte und
ein scharfes „Herein!“ erscholl.

Ein Mann stand vor ihnen, der einer genauen
Beschreibung werth gewesen wäre. Er war von mitt-
lerer Größe, breitschultrig und stark beleibt; schon ziem-
lich hoch betagt, hatte er langes schneeweißes Haar,
das rings um ein brennrothes volles Gesicht auf Schul-
tern und Nacken hinab fiel. Der Ausdruck des Gesichts
war von jener übermächtigen Härte, welche so häufig
zum Vorschein kommt, wenn ehrwürdige und einfluß-
reiche Stellungen Menschen von geringem Beruf zu
Theil werden: dazu waren die Augen, welche an einem
üblen Gesicht so viel gut machen können, klein und
hinter einem weißen Gebüsch von Brauen verborgen,
so daß man nur von Zeit zu Zeit ihren Blitz und nicht
das freundlichere Leuchten sah, zu dem sie manchmal
doch vielleicht veranlaßt waren.

Jndessen merkte die Familie Weringers bald, daß
sie freundlicher aufgenommen wurde, als sie erwartet
hatte. Seine Hochwürden richtete das Wort zwar nur
an die Weringerin, aber die Fragen, welche er stellte,
waren angenehm. Zu dem großen, unbefangen daste-
henden Weringer empor verirrte sich nur dann und
wann ein zückender Blick und die Kinder schienen ganz
unbeachtet zu bleiben; doch erhielten diese beim Fort-
gehen kleine Heiligenbilder von greller Malerei und
reicher Vergoldung.

Man ging also ziemlich befriedigt nach der Kirche,
die Weringerin sprach ihr Bedauern aus, daß gerade
Geistliche den üblen Nachreden so sehr ausgesetzt seyen,
Bärbl athmete leicht auf, daß alles glücklich vorüber
sey, und die Kinder freuten sich am Gold und an den
Farben ihrer Bilder.

Nach dem Gottesdienst überraschte sie ein kleines
[Spaltenumbruch] Volksfest, welches für die Heiterkeit des ganzen Tags
entschied und auch für die Zukunft nicht ohne Folgen
bleiben sollte.

Kaum war das Ite missa est gesprochen, als ein
Pistolenschuß vor der Kirche an Wänden und Fenster
rüttelte. Alles drängte aus dem Gotteshause, voran
die Burschen dreier Dörfer. Diese versammelten sich
in Eile unter einigen Linden; Musik begann und neu-
gierig lärmend setzte man sich in Bewegung zum Dorfe
hinaus auf einen großen Weideplatz. Hier war für
ein Fußwettrennen Raum und Ziel bestimmt. Die
Burschen erhielten Teller voll rund geschälter Rüben,
die auf den Kopf gesetzt werden mußten; wer zuerst
an's Ziel kam, ohne den Teller und eine Rübe verlo-
ren zu haben, der war der Sieger.

Die Musik schwieg einen Augenblick; an die
dreißig rüstige Burschen stellten sich an; hierauf ein
Schuß, ein Tusch und der Wettlauf begann. Jeden
Augenblick schlug ein betäubendes Gelächter der Zu-
schauer auf, da man nach einigen Sprüngen schon
Teller und Rüben von den Köpfen fliegen und einen
Burschen um den andern vom Wettlauf ablassen sah.
Ein einziger Läufer, schlank und hübsch gewachsen, der
seinen Kopf wie ein Hirsch munter trug und gleichmäßig
ohne Uebereile lief, erreichte mit dem Teller und allen
Rüben das Ziel — er war der Sieger. Sofort wurde
er lebhaft bejubelt und in einem großen Kreise um-
ringt; die Musik stellte sich in die Mitte und spielte
einen lustigen Ländler; der Sieger im Wettlauf mußte
den Tanz eröffnen. Es war eine Wahl mit Bedacht,
als er nach einigem Zögern auf Weringers Bärbl los-
ging und mit ihr den Plan durchflog; ihnen folgte nun
Paar auf Paar, und in Kurzem wogte die weite Fläche
von drehenden Burschen und Mädchen. Bald aber
wurde das Zeichen zum Aufbruch gegeben und die
Musik voran, zog alles bunt durcheinander dem benach-
barten Dobbl zu, wo Nachmittags und Abends der
Tanz fortgesetzt werden sollte. Weringer und seine
Familie kamen vergnügt nach Haus.

Ueber Tisch wurde Bärbl nicht ungeneckt gelassen,
und selbst ihr Vater ließ in guter Laune merken, daß
er gerne sähe, wenn sie sich beim Tanz noch ferner
vergnügte. Jhm war es willkommen, daß die Gegend
öfter solche Feste darbot, weil sie besonders dazu bei-
tragen mußten, den Seinigen die neue Heimath ange-
nehm zu machen.

Bärbl gab sich Mühe, bei Tisch heiter auszusehen,
im Jnnern war sie aber betrübt und fest entschlossen,
heute nicht mehr zu tanzen. Als daher nach dem Essen
das Nöthige gethan war, schlüpfte sie nach dem Garten
und versteckte sich am äußersten Ende desselben hinter
[Ende Spaltensatz]

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[798/0006] 798 kannst —“ Bärbls Gesicht glühte höher; geschwinde eine Schelmerei ausdenkend, um ihre Bewegung zu verbergen, wollte sie eben noch einige Worte hinzufügen, als sie Schritte hörte, das Tischtuch über'n Arm warf und der Stube zuflog. Das Röckchen warf wieder eine artige Welle, eh' die Stubenthür hinter ihr zuflog. An diesem Morgen wollte der Weringer Weib und Kinder dem Pfarrer vorstellen. Man ging eine halbe Stunde früher vom Hause fort, um die feierliche Hand- lung noch vor dem Gottesdienst auszuführen. Die Wahrheit zu sagen, erwartete man nicht viel Freundliches von dem ersten Zusammentreffen mit Seiner Hochwürden. Der Mann stand in einem seltsamen Rufe und der Weringer, welcher schon einmal bei ihm gewesen war, schien keine besondere Meinung von ihm heimgebracht zu haben. Dem Bärbl und den kleineren Geschwistern klopfte daher das Herz gewaltig, als ihr Vater männlich an die Thüre des Pfarrers pochte und ein scharfes „Herein!“ erscholl. Ein Mann stand vor ihnen, der einer genauen Beschreibung werth gewesen wäre. Er war von mitt- lerer Größe, breitschultrig und stark beleibt; schon ziem- lich hoch betagt, hatte er langes schneeweißes Haar, das rings um ein brennrothes volles Gesicht auf Schul- tern und Nacken hinab fiel. Der Ausdruck des Gesichts war von jener übermächtigen Härte, welche so häufig zum Vorschein kommt, wenn ehrwürdige und einfluß- reiche Stellungen Menschen von geringem Beruf zu Theil werden: dazu waren die Augen, welche an einem üblen Gesicht so viel gut machen können, klein und hinter einem weißen Gebüsch von Brauen verborgen, so daß man nur von Zeit zu Zeit ihren Blitz und nicht das freundlichere Leuchten sah, zu dem sie manchmal doch vielleicht veranlaßt waren. Jndessen merkte die Familie Weringers bald, daß sie freundlicher aufgenommen wurde, als sie erwartet hatte. Seine Hochwürden richtete das Wort zwar nur an die Weringerin, aber die Fragen, welche er stellte, waren angenehm. 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Diese versammelten sich in Eile unter einigen Linden; Musik begann und neu- gierig lärmend setzte man sich in Bewegung zum Dorfe hinaus auf einen großen Weideplatz. Hier war für ein Fußwettrennen Raum und Ziel bestimmt. Die Burschen erhielten Teller voll rund geschälter Rüben, die auf den Kopf gesetzt werden mußten; wer zuerst an's Ziel kam, ohne den Teller und eine Rübe verlo- ren zu haben, der war der Sieger. Die Musik schwieg einen Augenblick; an die dreißig rüstige Burschen stellten sich an; hierauf ein Schuß, ein Tusch und der Wettlauf begann. Jeden Augenblick schlug ein betäubendes Gelächter der Zu- schauer auf, da man nach einigen Sprüngen schon Teller und Rüben von den Köpfen fliegen und einen Burschen um den andern vom Wettlauf ablassen sah. Ein einziger Läufer, schlank und hübsch gewachsen, der seinen Kopf wie ein Hirsch munter trug und gleichmäßig ohne Uebereile lief, erreichte mit dem Teller und allen Rüben das Ziel — er war der Sieger. 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Bärbl gab sich Mühe, bei Tisch heiter auszusehen, im Jnnern war sie aber betrübt und fest entschlossen, heute nicht mehr zu tanzen. Als daher nach dem Essen das Nöthige gethan war, schlüpfte sie nach dem Garten und versteckte sich am äußersten Ende desselben hinter

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 798. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/6>, abgerufen am 17.07.2024.