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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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Literatur.

Oesterreichische Lyrik.
Soldatenlaunen. Von einem österreichischen Reiter. Selbstverlag des Verfassers. Druck von C. W. Leske in
Darmstadt. 1854.

[Beginn Spaltensatz]

Das "neue Oesterreich" ist einer der glänzendsten und
am häufigsten genannten Namen, dem man gegenwärtig
überall, nicht nur auf dem Felde des Kriegs und der
Politik, sondern auch auf dem friedlichen der Jndustrie
und der allgemeinen Cultur begegnet. Wir glauben auch
an diesen Namen trotz so vielem, was uns in dem Glau-
ben an eine wirkliche Verjüngung des alten Staats irre
machen könnte. Vielleicht daß die Zeit der Erfüllung
nahe, und Austria erit in orbe ultima. Und daß bei
diesem Aufraffen des "Gesammtstaates" auch die Literatur
nicht zurückbleibt, davon würden wir uns überzeugen
können, auch wenn wir nicht an der aus Auftrag des
Staatsministeriums herausgegebenen literarischen Statistik
mit ihren Tausenden von Nummern ein officielles Doku-
ment dafür hätten, wie es kein anderer Staat aufweisen
kann. Bei alle dem dürfen wir aber nicht vergessen, daß
Oesterreich eben noch gar vieles nachzuholen hat, bis es
den andern nur erst gleich steht, daß wir -- wenigstens
in allgemein geistiger Hinsicht -- noch keineswegs fürch-
ten dürfen, überflügelt zu werden, sondern daß Oesterreich
nur darum so rasch fortzuschreiten scheint, weil das übrige
Deutschland stehen bleibt oder eher rückwärts geht. Dieß
verhehlen auch viele Stimmen aus Oesterreich selbst mit
lobenswerther Aufrichtigkeit keineswegs; sie gestehen, daß
nicht alles Gold ist, was glänzt; von ihrer Journalistik
namentlich, welche man mit Recht für den Maßstab
der allgemeinen Bildung ansieht, sagen sie selbst, sie sey
noch von so neuem Datum, daß man sich nicht wundern
dürfe, wenn sie sich kaum zurecht zu finden wisse, wenn
es oft noch nicht recht gehen wolle, den bisher allein ge-
wohnten und allein zugelassenen trivialen Stoff mit ern-
sterem und gebildeterem Jnhalt zu vertauschen.

Ein besonders anschauliches und interessantes Bild
nun von diesen gemischten Zuständen, bei denen Neues
sich aus Altem herauszuarbeiten sucht, gewinnen wir aus
dem in der Ueberschrift genannten Buche. Seit Jahr und
Tag schon haben wir es auf dem Schreibtisch liegen und
trugen immer Bedenken, es zum Gegenstand einer einge-
henderen öffentlichen Besprechung zu machen, während es
uns von der andern Seite immer wieder auf's neue anzog.
Denn das müssen wir sogleich sagen, daß die meisten der
uns hier gebotenen Gedichte von dem Standpunkt, den
der ästhetische Geschmack in Deutschland allgemein einge-
nommen hat, durchaus keine Berücksichtigung finden könn-
ten. Eigentlich poetischen Gehalt haben sie nicht; es sind
Reflexionen in einer keineswegs bestechenden Form, mit
[Spaltenumbruch] meist sehr trivialem Jnhalt, nicht selten vollkommen un-
verständlich, wenigstens nirgends eine eigentliche Pointe
darbietend. So wenig nun aber ein solches Buch Gegen-
stand der ästhetischen Kritik zu seyn Anspruch machen kann,
so interessant erscheint es uns von der andern Seite, wenn
wir es als specifisch österreichisches Produkt betrachten.

Die bedeutenderen Dichter Oesterreichs, z. B. A. Grün,
sind keine österreichischen Schriftsteller, sondern deutsche;
ihre Werke tragen den Stempel der allgemeinen deutschen
Bildung und sind in der deutschen Nationalliteratur ein-
gebürgert. Hier aber haben wir ein Buch, welches uns
den Stand der gegenwärtig in Oesterreich herrschenden
allgemeinen Bildung, des österreichischen Geschmacks zu
repräsentiren scheint. Daß wir nicht im mindesten im
Sinn haben, der österreichischen Bildung zu nahe zu tre-
ten, wird sich auf's überzeugendste ergeben, wenn wir
demnächst eine Charakteristik einiger Berliner Poeten als
Pendant folgen lassen. Wir kommen dabei zu dem Schlusse,
daß uns die Soldatenlaunen des österreichischen Reiters
doch noch lieber sind, als die ungesalzenen preußischen
Pfiffe, eine Entscheidung, die sich noch in vielen andern
Punkten eben so ergeben dürfte.

Schon das halten wir für charakteristisch an unserer
Gedichtsammlung, daß sie aus dem Schooß der österrei-
chischen Armee hervorgeht, welche für den Kaiserstaat noch
in ungleich höherem Grade das Fundament seines Beste-
hens und Zusammenhaltens bildet, als selbst das " herr-
liche Kriegsheer" in Preußen, welche mit vollkommen be-
rechtigtem Selbstgefühl von sich sagen kann: wir sind die
Träger des Staats; der Staat, das sind wir. Dieses
Bewußtseyn von der Stellung, welche die aus den ver-
schiedensten Nationalitäten gebildete und über die ver-
schiedensten Länder als das sie zusammenhaltende eiserne
Band ausgebreitete Armee einnimmt, ist denn auch so-
gleich in dem zueignenden Vorwort in einer Weise aus-
gedrückt, daß wir dasselbe für das bei weitem beste Poem
der ganzen Sammlung halten müssen. Gleich die erste
Zeile:

Nehmt meinen Gruß, ihr Tausend, die mich kennt,

ist zwar sprachlich nicht ganz corrcct und dieser Fehler
fällt um so unangenehmer auf, da sich derselbe Mangel
des persönlichen Fürworts schon in der dritten Zeile wie-
derholt. Läßt man sich aber dadurch nicht stören, so ist
es gewiß eine recht anziehende Schilderung, die man hier
erhält von den Tausenden, die im reichen, schönen Mähren
[Ende Spaltensatz]

Literatur.

Oesterreichische Lyrik.
Soldatenlaunen. Von einem österreichischen Reiter. Selbstverlag des Verfassers. Druck von C. W. Leske in
Darmstadt. 1854.

[Beginn Spaltensatz]

Das „neue Oesterreich“ ist einer der glänzendsten und
am häufigsten genannten Namen, dem man gegenwärtig
überall, nicht nur auf dem Felde des Kriegs und der
Politik, sondern auch auf dem friedlichen der Jndustrie
und der allgemeinen Cultur begegnet. Wir glauben auch
an diesen Namen trotz so vielem, was uns in dem Glau-
ben an eine wirkliche Verjüngung des alten Staats irre
machen könnte. Vielleicht daß die Zeit der Erfüllung
nahe, und Austria erit in orbe ultima. Und daß bei
diesem Aufraffen des „Gesammtstaates“ auch die Literatur
nicht zurückbleibt, davon würden wir uns überzeugen
können, auch wenn wir nicht an der aus Auftrag des
Staatsministeriums herausgegebenen literarischen Statistik
mit ihren Tausenden von Nummern ein officielles Doku-
ment dafür hätten, wie es kein anderer Staat aufweisen
kann. Bei alle dem dürfen wir aber nicht vergessen, daß
Oesterreich eben noch gar vieles nachzuholen hat, bis es
den andern nur erst gleich steht, daß wir — wenigstens
in allgemein geistiger Hinsicht — noch keineswegs fürch-
ten dürfen, überflügelt zu werden, sondern daß Oesterreich
nur darum so rasch fortzuschreiten scheint, weil das übrige
Deutschland stehen bleibt oder eher rückwärts geht. Dieß
verhehlen auch viele Stimmen aus Oesterreich selbst mit
lobenswerther Aufrichtigkeit keineswegs; sie gestehen, daß
nicht alles Gold ist, was glänzt; von ihrer Journalistik
namentlich, welche man mit Recht für den Maßstab
der allgemeinen Bildung ansieht, sagen sie selbst, sie sey
noch von so neuem Datum, daß man sich nicht wundern
dürfe, wenn sie sich kaum zurecht zu finden wisse, wenn
es oft noch nicht recht gehen wolle, den bisher allein ge-
wohnten und allein zugelassenen trivialen Stoff mit ern-
sterem und gebildeterem Jnhalt zu vertauschen.

Ein besonders anschauliches und interessantes Bild
nun von diesen gemischten Zuständen, bei denen Neues
sich aus Altem herauszuarbeiten sucht, gewinnen wir aus
dem in der Ueberschrift genannten Buche. Seit Jahr und
Tag schon haben wir es auf dem Schreibtisch liegen und
trugen immer Bedenken, es zum Gegenstand einer einge-
henderen öffentlichen Besprechung zu machen, während es
uns von der andern Seite immer wieder auf's neue anzog.
Denn das müssen wir sogleich sagen, daß die meisten der
uns hier gebotenen Gedichte von dem Standpunkt, den
der ästhetische Geschmack in Deutschland allgemein einge-
nommen hat, durchaus keine Berücksichtigung finden könn-
ten. Eigentlich poetischen Gehalt haben sie nicht; es sind
Reflexionen in einer keineswegs bestechenden Form, mit
[Spaltenumbruch] meist sehr trivialem Jnhalt, nicht selten vollkommen un-
verständlich, wenigstens nirgends eine eigentliche Pointe
darbietend. So wenig nun aber ein solches Buch Gegen-
stand der ästhetischen Kritik zu seyn Anspruch machen kann,
so interessant erscheint es uns von der andern Seite, wenn
wir es als specifisch österreichisches Produkt betrachten.

Die bedeutenderen Dichter Oesterreichs, z. B. A. Grün,
sind keine österreichischen Schriftsteller, sondern deutsche;
ihre Werke tragen den Stempel der allgemeinen deutschen
Bildung und sind in der deutschen Nationalliteratur ein-
gebürgert. Hier aber haben wir ein Buch, welches uns
den Stand der gegenwärtig in Oesterreich herrschenden
allgemeinen Bildung, des österreichischen Geschmacks zu
repräsentiren scheint. Daß wir nicht im mindesten im
Sinn haben, der österreichischen Bildung zu nahe zu tre-
ten, wird sich auf's überzeugendste ergeben, wenn wir
demnächst eine Charakteristik einiger Berliner Poeten als
Pendant folgen lassen. Wir kommen dabei zu dem Schlusse,
daß uns die Soldatenlaunen des österreichischen Reiters
doch noch lieber sind, als die ungesalzenen preußischen
Pfiffe, eine Entscheidung, die sich noch in vielen andern
Punkten eben so ergeben dürfte.

Schon das halten wir für charakteristisch an unserer
Gedichtsammlung, daß sie aus dem Schooß der österrei-
chischen Armee hervorgeht, welche für den Kaiserstaat noch
in ungleich höherem Grade das Fundament seines Beste-
hens und Zusammenhaltens bildet, als selbst das „ herr-
liche Kriegsheer“ in Preußen, welche mit vollkommen be-
rechtigtem Selbstgefühl von sich sagen kann: wir sind die
Träger des Staats; der Staat, das sind wir. Dieses
Bewußtseyn von der Stellung, welche die aus den ver-
schiedensten Nationalitäten gebildete und über die ver-
schiedensten Länder als das sie zusammenhaltende eiserne
Band ausgebreitete Armee einnimmt, ist denn auch so-
gleich in dem zueignenden Vorwort in einer Weise aus-
gedrückt, daß wir dasselbe für das bei weitem beste Poem
der ganzen Sammlung halten müssen. Gleich die erste
Zeile:

Nehmt meinen Gruß, ihr Tausend, die mich kennt,

ist zwar sprachlich nicht ganz corrcct und dieser Fehler
fällt um so unangenehmer auf, da sich derselbe Mangel
des persönlichen Fürworts schon in der dritten Zeile wie-
derholt. Läßt man sich aber dadurch nicht stören, so ist
es gewiß eine recht anziehende Schilderung, die man hier
erhält von den Tausenden, die im reichen, schönen Mähren
[Ende Spaltensatz]

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[809/0017] 809 Literatur. Oesterreichische Lyrik. Soldatenlaunen. Von einem österreichischen Reiter. Selbstverlag des Verfassers. Druck von C. W. Leske in Darmstadt. 1854. Das „neue Oesterreich“ ist einer der glänzendsten und am häufigsten genannten Namen, dem man gegenwärtig überall, nicht nur auf dem Felde des Kriegs und der Politik, sondern auch auf dem friedlichen der Jndustrie und der allgemeinen Cultur begegnet. Wir glauben auch an diesen Namen trotz so vielem, was uns in dem Glau- ben an eine wirkliche Verjüngung des alten Staats irre machen könnte. Vielleicht daß die Zeit der Erfüllung nahe, und Austria erit in orbe ultima. Und daß bei diesem Aufraffen des „Gesammtstaates“ auch die Literatur nicht zurückbleibt, davon würden wir uns überzeugen können, auch wenn wir nicht an der aus Auftrag des Staatsministeriums herausgegebenen literarischen Statistik mit ihren Tausenden von Nummern ein officielles Doku- ment dafür hätten, wie es kein anderer Staat aufweisen kann. Bei alle dem dürfen wir aber nicht vergessen, daß Oesterreich eben noch gar vieles nachzuholen hat, bis es den andern nur erst gleich steht, daß wir — wenigstens in allgemein geistiger Hinsicht — noch keineswegs fürch- ten dürfen, überflügelt zu werden, sondern daß Oesterreich nur darum so rasch fortzuschreiten scheint, weil das übrige Deutschland stehen bleibt oder eher rückwärts geht. Dieß verhehlen auch viele Stimmen aus Oesterreich selbst mit lobenswerther Aufrichtigkeit keineswegs; sie gestehen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt; von ihrer Journalistik namentlich, welche man mit Recht für den Maßstab der allgemeinen Bildung ansieht, sagen sie selbst, sie sey noch von so neuem Datum, daß man sich nicht wundern dürfe, wenn sie sich kaum zurecht zu finden wisse, wenn es oft noch nicht recht gehen wolle, den bisher allein ge- wohnten und allein zugelassenen trivialen Stoff mit ern- sterem und gebildeterem Jnhalt zu vertauschen. Ein besonders anschauliches und interessantes Bild nun von diesen gemischten Zuständen, bei denen Neues sich aus Altem herauszuarbeiten sucht, gewinnen wir aus dem in der Ueberschrift genannten Buche. Seit Jahr und Tag schon haben wir es auf dem Schreibtisch liegen und trugen immer Bedenken, es zum Gegenstand einer einge- henderen öffentlichen Besprechung zu machen, während es uns von der andern Seite immer wieder auf's neue anzog. Denn das müssen wir sogleich sagen, daß die meisten der uns hier gebotenen Gedichte von dem Standpunkt, den der ästhetische Geschmack in Deutschland allgemein einge- nommen hat, durchaus keine Berücksichtigung finden könn- ten. Eigentlich poetischen Gehalt haben sie nicht; es sind Reflexionen in einer keineswegs bestechenden Form, mit meist sehr trivialem Jnhalt, nicht selten vollkommen un- verständlich, wenigstens nirgends eine eigentliche Pointe darbietend. So wenig nun aber ein solches Buch Gegen- stand der ästhetischen Kritik zu seyn Anspruch machen kann, so interessant erscheint es uns von der andern Seite, wenn wir es als specifisch österreichisches Produkt betrachten. Die bedeutenderen Dichter Oesterreichs, z. B. A. Grün, sind keine österreichischen Schriftsteller, sondern deutsche; ihre Werke tragen den Stempel der allgemeinen deutschen Bildung und sind in der deutschen Nationalliteratur ein- gebürgert. Hier aber haben wir ein Buch, welches uns den Stand der gegenwärtig in Oesterreich herrschenden allgemeinen Bildung, des österreichischen Geschmacks zu repräsentiren scheint. Daß wir nicht im mindesten im Sinn haben, der österreichischen Bildung zu nahe zu tre- ten, wird sich auf's überzeugendste ergeben, wenn wir demnächst eine Charakteristik einiger Berliner Poeten als Pendant folgen lassen. Wir kommen dabei zu dem Schlusse, daß uns die Soldatenlaunen des österreichischen Reiters doch noch lieber sind, als die ungesalzenen preußischen Pfiffe, eine Entscheidung, die sich noch in vielen andern Punkten eben so ergeben dürfte. Schon das halten wir für charakteristisch an unserer Gedichtsammlung, daß sie aus dem Schooß der österrei- chischen Armee hervorgeht, welche für den Kaiserstaat noch in ungleich höherem Grade das Fundament seines Beste- hens und Zusammenhaltens bildet, als selbst das „ herr- liche Kriegsheer“ in Preußen, welche mit vollkommen be- rechtigtem Selbstgefühl von sich sagen kann: wir sind die Träger des Staats; der Staat, das sind wir. Dieses Bewußtseyn von der Stellung, welche die aus den ver- schiedensten Nationalitäten gebildete und über die ver- schiedensten Länder als das sie zusammenhaltende eiserne Band ausgebreitete Armee einnimmt, ist denn auch so- gleich in dem zueignenden Vorwort in einer Weise aus- gedrückt, daß wir dasselbe für das bei weitem beste Poem der ganzen Sammlung halten müssen. Gleich die erste Zeile: Nehmt meinen Gruß, ihr Tausend, die mich kennt, ist zwar sprachlich nicht ganz corrcct und dieser Fehler fällt um so unangenehmer auf, da sich derselbe Mangel des persönlichen Fürworts schon in der dritten Zeile wie- derholt. Läßt man sich aber dadurch nicht stören, so ist es gewiß eine recht anziehende Schilderung, die man hier erhält von den Tausenden, die im reichen, schönen Mähren

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/17>, abgerufen am 18.06.2024.