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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz]

Lessing und Schiller haben es, im Anschluß an des
Aristoteles Bestimmung über die Charaktere, der wahrhaft
tragischen Sühne und Rührung durchaus zuwider gefun-
den, wenn das Drama Helden aufstellt, die sich uns, sey
es durch Mangel an Adel der Gesinnung, sey es durch
kleinliche und unwürdige Verschuldungen entfremden, da
alsdann ihr Untergang nichts Erhebendes habe, sondern
im Gegentheil die Vorstellungen von der Schwäche der
menschlichen Natur höchstens ein gemeines Mitleiden er-
wecken. Eben so wenig sey es statthaft, daß der Held an
seinem Schicksal unschuldig ist und nur das Opfer der
Jntrigue oder boshafter Umtriebe wird; in diesem Falle
könne von einer tragischen Versöhnung nicht die Rede seyn,
da ein solcher Gang der Dinge mit dem Glauben an die
Gerechtigkeit der Weltordnung im Widerspruch steht. Beide
Forderungen sind wohl begründet, und das Gesetz scheint
so überaus einfach und leicht zu befolgen; aber selbst ein
oberflächlicher Blick auf die Produktionen der modernen
Dramatiker beweist, daß die Mehrzahl von ihnen gegen
dieses einfache und leichte Gesetz verstößt. Es sey an Kö-
nig Erich und Karl Bourbon von Prutz erinnert, an
[Spaltenumbruch] Laubes Monaldeschi und Struensee, an die Girondisten
von Griepenkerl, die Agnes Bernauer von A. Böttger,
an Bürger und Molly von Rosenthal, Reginald von
Meißner u. s. w. Fast stereotyp ist die Verirrung sowohl
nach der einen als nach der andern Seite bei Gutzkow.
Uriel Akosta, der seine Ueberzeugungen verleugnet und
sich in der Synagoge schimpflich mit Füßen treten läßt,
um alsbald den Widerruf zurückzunehmen und sich schließ-
lich die Kugel durch das Hirn zu jagen, ist für die Tra-
gödie als Held völlig verdorben. Jn der blutigen Hen-
kergeschichte, welche sich nach Patkull benennt, wird der
Untergang des Helden dadurch bewirkt, besteht also seine
tragische Schuld darin, daß Patkull dem Kommandanten
des Königsteins 5000 Dukaten abdingen will. Die sieche
Mis e re im Werner, der sich, jeder moralischen Charakter-
integrität baar und ledig, von der ersten bis zur letzten
Scene bald wie ein Lump, bald wie ein Narr benimmt,
wird unleidlich, der sittliche Werth Ottfrieds steht noch
unter dem Niveau der Eulalia Meinau. Ueber Ella Rose
ist aus dem nämlichen Grunde der Stab zu brechen.

[Ende Spaltensatz]



Korrespondenz-Nachrichten.
Newyork, Juli.
( Schluß. )

Feuersbrünste. -- Carrikaturen des Lebens. -- Präfidentenwahl. -- Percival +. -- Deutsche Literatur und Sprache. -- Minnehaha.

[Beginn Spaltensatz]

Unter die von den hiefigen Satirikern vorgebrachten
Hyperbeln gehört auch die Behauptung, daß von den Mu-
sterrepublikanern und modernen Römern alljährlich ein
Drittheil ihrer brennbaren Habe dem alten Gotte Jsraels
als Vrandopfer dargebracht werde. Das Wahre an der
Sache ist stark genug, um für charakteristisch gelten zu
können, indem durch 174 Feuersbrünste in der Union
während der ersten fünf Monate dieses Jahres ein Verlust
von 7,384,060 Dollars entstanden ist. Damit soll indessen
keineswegs gesagt seyn, daß in den Unionszuständen nicht
von selbst wirkliche Carricaturen zu Tage kommen. Die
Leser werden es kaum glauben wollen, daß z. B. erst
neulich der Sheriff des Walker=County im Staate Alabama
einen Menschen, der zum Tode verurtheilt war, trotz des
Aufschubbefehls des Gouverneurs, also der höchsten Exe-
kutivbehörde, hängen ließ und dabei äußerte: "Er ( der
Gouverneur ) hat den ganzen Winter die Bills der Legis-
latur mit dem Veto belegt und einen verdammten Narren
[Spaltenumbruch] aus sich gemacht; aber, Gott verdamme ihn, dießmal kann
er nicht drüber kommen. Der Richter hat den Kerl ver-
urtheilt; da sind Leute mehr als zwanzig Meilen weit her-
gekommen, um ihn baumeln zu sehen, und bei Gott, ich
will ihn hängen!" Dieß ist eben so nackte, barbarische
Wahrheit, wie die Thatsache, daß vor wenigen Wochen
Richter Lackland zu St. Louis zwei Professoren des dor-
tigen medicinischen Collegs beauftragte, einen zum Tode
verurtheilten Neger zu hängen, weil im Gesetzbuch von
Missouri vorgeschrieben ist: "es solle eine solche Operation
durch eine geschickte ( skillfull ) Person vollzogen werden."
Einer der Professoren, Namens Mac Dowell, lehnte den
Antrag in einem Briefe an den Richter sehr artig ab,
mit dem Bemerken: er operire keinen Patienten, außer
wenn es absolut nothwendig sey. -- Neben solchen zahl-
los vorkommenden Rohheiten nimmt sich -- auch als Car-
ricatur -- die Behauptung ganz gut aus, die man von
allen Seiten zu hören bekommt, daß die Amerikaner, oder
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Lessing und Schiller haben es, im Anschluß an des
Aristoteles Bestimmung über die Charaktere, der wahrhaft
tragischen Sühne und Rührung durchaus zuwider gefun-
den, wenn das Drama Helden aufstellt, die sich uns, sey
es durch Mangel an Adel der Gesinnung, sey es durch
kleinliche und unwürdige Verschuldungen entfremden, da
alsdann ihr Untergang nichts Erhebendes habe, sondern
im Gegentheil die Vorstellungen von der Schwäche der
menschlichen Natur höchstens ein gemeines Mitleiden er-
wecken. Eben so wenig sey es statthaft, daß der Held an
seinem Schicksal unschuldig ist und nur das Opfer der
Jntrigue oder boshafter Umtriebe wird; in diesem Falle
könne von einer tragischen Versöhnung nicht die Rede seyn,
da ein solcher Gang der Dinge mit dem Glauben an die
Gerechtigkeit der Weltordnung im Widerspruch steht. Beide
Forderungen sind wohl begründet, und das Gesetz scheint
so überaus einfach und leicht zu befolgen; aber selbst ein
oberflächlicher Blick auf die Produktionen der modernen
Dramatiker beweist, daß die Mehrzahl von ihnen gegen
dieses einfache und leichte Gesetz verstößt. Es sey an Kö-
nig Erich und Karl Bourbon von Prutz erinnert, an
[Spaltenumbruch] Laubes Monaldeschi und Struensee, an die Girondisten
von Griepenkerl, die Agnes Bernauer von A. Böttger,
an Bürger und Molly von Rosenthal, Reginald von
Meißner u. s. w. Fast stereotyp ist die Verirrung sowohl
nach der einen als nach der andern Seite bei Gutzkow.
Uriel Akosta, der seine Ueberzeugungen verleugnet und
sich in der Synagoge schimpflich mit Füßen treten läßt,
um alsbald den Widerruf zurückzunehmen und sich schließ-
lich die Kugel durch das Hirn zu jagen, ist für die Tra-
gödie als Held völlig verdorben. Jn der blutigen Hen-
kergeschichte, welche sich nach Patkull benennt, wird der
Untergang des Helden dadurch bewirkt, besteht also seine
tragische Schuld darin, daß Patkull dem Kommandanten
des Königsteins 5000 Dukaten abdingen will. Die sieche
Mis è re im Werner, der sich, jeder moralischen Charakter-
integrität baar und ledig, von der ersten bis zur letzten
Scene bald wie ein Lump, bald wie ein Narr benimmt,
wird unleidlich, der sittliche Werth Ottfrieds steht noch
unter dem Niveau der Eulalia Meinau. Ueber Ella Rose
ist aus dem nämlichen Grunde der Stab zu brechen.

[Ende Spaltensatz]



Korrespondenz-Nachrichten.
Newyork, Juli.
( Schluß. )

Feuersbrünste. — Carrikaturen des Lebens. — Präfidentenwahl. — Percival †. — Deutsche Literatur und Sprache. — Minnehaha.

[Beginn Spaltensatz]

Unter die von den hiefigen Satirikern vorgebrachten
Hyperbeln gehört auch die Behauptung, daß von den Mu-
sterrepublikanern und modernen Römern alljährlich ein
Drittheil ihrer brennbaren Habe dem alten Gotte Jsraels
als Vrandopfer dargebracht werde. Das Wahre an der
Sache ist stark genug, um für charakteristisch gelten zu
können, indem durch 174 Feuersbrünste in der Union
während der ersten fünf Monate dieses Jahres ein Verlust
von 7,384,060 Dollars entstanden ist. Damit soll indessen
keineswegs gesagt seyn, daß in den Unionszuständen nicht
von selbst wirkliche Carricaturen zu Tage kommen. Die
Leser werden es kaum glauben wollen, daß z. B. erst
neulich der Sheriff des Walker=County im Staate Alabama
einen Menschen, der zum Tode verurtheilt war, trotz des
Aufschubbefehls des Gouverneurs, also der höchsten Exe-
kutivbehörde, hängen ließ und dabei äußerte: „Er ( der
Gouverneur ) hat den ganzen Winter die Bills der Legis-
latur mit dem Veto belegt und einen verdammten Narren
[Spaltenumbruch] aus sich gemacht; aber, Gott verdamme ihn, dießmal kann
er nicht drüber kommen. Der Richter hat den Kerl ver-
urtheilt; da sind Leute mehr als zwanzig Meilen weit her-
gekommen, um ihn baumeln zu sehen, und bei Gott, ich
will ihn hängen!“ Dieß ist eben so nackte, barbarische
Wahrheit, wie die Thatsache, daß vor wenigen Wochen
Richter Lackland zu St. Louis zwei Professoren des dor-
tigen medicinischen Collegs beauftragte, einen zum Tode
verurtheilten Neger zu hängen, weil im Gesetzbuch von
Missouri vorgeschrieben ist: „es solle eine solche Operation
durch eine geschickte ( skillfull ) Person vollzogen werden.“
Einer der Professoren, Namens Mac Dowell, lehnte den
Antrag in einem Briefe an den Richter sehr artig ab,
mit dem Bemerken: er operire keinen Patienten, außer
wenn es absolut nothwendig sey. — Neben solchen zahl-
los vorkommenden Rohheiten nimmt sich — auch als Car-
ricatur — die Behauptung ganz gut aus, die man von
allen Seiten zu hören bekommt, daß die Amerikaner, oder
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[738/0018] 738 Lessing und Schiller haben es, im Anschluß an des Aristoteles Bestimmung über die Charaktere, der wahrhaft tragischen Sühne und Rührung durchaus zuwider gefun- den, wenn das Drama Helden aufstellt, die sich uns, sey es durch Mangel an Adel der Gesinnung, sey es durch kleinliche und unwürdige Verschuldungen entfremden, da alsdann ihr Untergang nichts Erhebendes habe, sondern im Gegentheil die Vorstellungen von der Schwäche der menschlichen Natur höchstens ein gemeines Mitleiden er- wecken. Eben so wenig sey es statthaft, daß der Held an seinem Schicksal unschuldig ist und nur das Opfer der Jntrigue oder boshafter Umtriebe wird; in diesem Falle könne von einer tragischen Versöhnung nicht die Rede seyn, da ein solcher Gang der Dinge mit dem Glauben an die Gerechtigkeit der Weltordnung im Widerspruch steht. Beide Forderungen sind wohl begründet, und das Gesetz scheint so überaus einfach und leicht zu befolgen; aber selbst ein oberflächlicher Blick auf die Produktionen der modernen Dramatiker beweist, daß die Mehrzahl von ihnen gegen dieses einfache und leichte Gesetz verstößt. Es sey an Kö- nig Erich und Karl Bourbon von Prutz erinnert, an Laubes Monaldeschi und Struensee, an die Girondisten von Griepenkerl, die Agnes Bernauer von A. Böttger, an Bürger und Molly von Rosenthal, Reginald von Meißner u. s. w. Fast stereotyp ist die Verirrung sowohl nach der einen als nach der andern Seite bei Gutzkow. Uriel Akosta, der seine Ueberzeugungen verleugnet und sich in der Synagoge schimpflich mit Füßen treten läßt, um alsbald den Widerruf zurückzunehmen und sich schließ- lich die Kugel durch das Hirn zu jagen, ist für die Tra- gödie als Held völlig verdorben. Jn der blutigen Hen- kergeschichte, welche sich nach Patkull benennt, wird der Untergang des Helden dadurch bewirkt, besteht also seine tragische Schuld darin, daß Patkull dem Kommandanten des Königsteins 5000 Dukaten abdingen will. Die sieche Mis è re im Werner, der sich, jeder moralischen Charakter- integrität baar und ledig, von der ersten bis zur letzten Scene bald wie ein Lump, bald wie ein Narr benimmt, wird unleidlich, der sittliche Werth Ottfrieds steht noch unter dem Niveau der Eulalia Meinau. Ueber Ella Rose ist aus dem nämlichen Grunde der Stab zu brechen. Korrespondenz-Nachrichten. Newyork, Juli. ( Schluß. ) Feuersbrünste. — Carrikaturen des Lebens. — Präfidentenwahl. — Percival †. — Deutsche Literatur und Sprache. — Minnehaha. Unter die von den hiefigen Satirikern vorgebrachten Hyperbeln gehört auch die Behauptung, daß von den Mu- sterrepublikanern und modernen Römern alljährlich ein Drittheil ihrer brennbaren Habe dem alten Gotte Jsraels als Vrandopfer dargebracht werde. Das Wahre an der Sache ist stark genug, um für charakteristisch gelten zu können, indem durch 174 Feuersbrünste in der Union während der ersten fünf Monate dieses Jahres ein Verlust von 7,384,060 Dollars entstanden ist. Damit soll indessen keineswegs gesagt seyn, daß in den Unionszuständen nicht von selbst wirkliche Carricaturen zu Tage kommen. Die Leser werden es kaum glauben wollen, daß z. B. erst neulich der Sheriff des Walker=County im Staate Alabama einen Menschen, der zum Tode verurtheilt war, trotz des Aufschubbefehls des Gouverneurs, also der höchsten Exe- kutivbehörde, hängen ließ und dabei äußerte: „Er ( der Gouverneur ) hat den ganzen Winter die Bills der Legis- latur mit dem Veto belegt und einen verdammten Narren aus sich gemacht; aber, Gott verdamme ihn, dießmal kann er nicht drüber kommen. Der Richter hat den Kerl ver- urtheilt; da sind Leute mehr als zwanzig Meilen weit her- gekommen, um ihn baumeln zu sehen, und bei Gott, ich will ihn hängen!“ Dieß ist eben so nackte, barbarische Wahrheit, wie die Thatsache, daß vor wenigen Wochen Richter Lackland zu St. Louis zwei Professoren des dor- tigen medicinischen Collegs beauftragte, einen zum Tode verurtheilten Neger zu hängen, weil im Gesetzbuch von Missouri vorgeschrieben ist: „es solle eine solche Operation durch eine geschickte ( skillfull ) Person vollzogen werden.“ Einer der Professoren, Namens Mac Dowell, lehnte den Antrag in einem Briefe an den Richter sehr artig ab, mit dem Bemerken: er operire keinen Patienten, außer wenn es absolut nothwendig sey. — Neben solchen zahl- los vorkommenden Rohheiten nimmt sich — auch als Car- ricatur — die Behauptung ganz gut aus, die man von allen Seiten zu hören bekommt, daß die Amerikaner, oder

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/18>, abgerufen am 23.11.2024.