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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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Literatur.
Gutzkows Ella Rose.
( Schluß. )
[Beginn Spaltensatz]

Für die weiteren Ausstellungen, die wir gegen Ella
Rose erheben, haben wir keine Anerkennung als Gegen-
gewicht des Tadels. Die Charakteristik, die Motivirung
und vor allem die Katastrophe machen in "den Rechten
des Herzens" einen höchst unbefriedigenden Eindruck. Die
ursprüngliche Jntention des Dichters ist denn doch keine
andere, als den Sieg der Pflicht in dem Konflikt zwischen
Pflicht und Neigung zu schildern. Jm Verlaufe des
Dramas mußte sich demgemäß der Läuterungsproceß in
der Seele der Heldin vollziehen. Wir wollen den morali-
schen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung sinn-
lich verfolgen; die Entwicklung mußte stufenweise darauf
hindrängen, daß Ella die Neigung sowohl zu Tailfourd
als zur Bühne -- denn beide Motive werden von Gutz-
kow benutzt, um Ellas Widerwillen gegen Charles zu er-
klären -- siegreich niederkämpft und sich schließlich, von
ihrem Unrecht durchdrungen, mit dem Gatten versöhnt,
obwohl dann allerdings immer noch der Titel: "Rechte
des Herzens," seltsam gewählt bliebe. Gutzkow hat die
Katastrophe anders angelegt. Bis auf die letzte Minute
wissen wir nicht -- wußte vielleicht der Dichter selbst
nicht -- wie das Drama enden wird. Die Auflösung
erfolgt eben so jäh als unmotivirt. Für Ellas Versöh-
nung mit dem Gatten fehlt der Kausalnexus. Ella hat
keineswegs den Konflikt siegreich durchgerungen; noch im
letzten entscheidenden Moment fragt sie Tailfourd, was
sie thun oder lassen soll. Nicht also Nothwendigkeit, son-
dern Zufall und Caprice geben den Ausschlag; Ella han-
delt nicht sittlich frei, sondern sittlich unfrei. Der Sieg
im Drama muß erfolgen mit zwingender Gewalt, welche
uns überzeugt und die keinen weiteren Zweifel übrig läßt;
im Schlusse eines Dramas soll die sittliche Basis frei her-
vortreten. Von Ella bleibt es selbst dem naivsten Ge-
müth zweifelhaft, ob sie nicht nach vier neuen Flitterwo-
chen, wenn sie wieder einmal Peitschenknall und Hörnerruf
vernimmt, abermals den mondumglänzten Hügel im
Stiche läßt und auf und davon fährt. Unmündige Mädchen
und alte Weiber mögen durch eine solche Moral gerührt
und erbaut werden, über einer solchen Tragik in Thrä-
nen zerfließen; in der That ist sie um nichts besser als
Kotzebues Zumuthung, wir sollen die ladyliken Frauen-
zimmer, die sich in seinen Dramen mit Kindern ohne
Väter umher treiben, für Heilige und Madonnen halten,
weil sie so viel Almosen geben und so rührend zu weinen
wissen.

So siech aber und haltungslos wie in der Katastrophe,
zeigt sich Ella auch in den übrigen Scenen. Die Beweg-
[Spaltenumbruch] gründe ihrer Handlungen verschwimmen in einander, wir
bleiben durchgehends über ihre wahren Motive im Un-
klaren. Weßhalb behagt sie sich nicht im Hause der
Schwiegereltern? Sie sagt, sie sey kalt behandelt; daß
die Behandlung in Wirklichkeit eine verletzende war, können
wir aus keiner Thatsache entnehmen. Weßhalb entläuft sie
dem Gatten? Wird sie Schauspielerin, weil sie dem in-
nern Drange nachgibt, der sie unwiderstehlich zur Kunst
hinzieht, oder weil sie durch das zu erwerbende Geld den
Gatten befreien will? Weßhalb wird Tailfourd während
der fünf Jahre so spröde zurückgewiesen? Weßhalb küm-
mert sich während dieser ganzen Zeit das nämliche Weib,
das uns eben erst versichert, es würde für den geliebten
Gatten jedes Opfer bringen, keinen Augenblick um das
Schicksal des letzteren? Wodurch ist das nachmalige Auf-
treten als Dido motivirt, nachdem Ella den feierlichen
Entschluß gefaßt, sich für immer von der Bühne zurück
zu ziehen? Es gibt nur Eine Antwort auf alle Fragen:
Alles geschieht und Alles unterbleibt aus Laune.

Ganz das Gleiche gilt von den beiden andern Trä-
gern des Stücks. Charles Rose wie William Tailfourd
sind Wetterfahnen voller Widersprüche, Mollusken ohne
Mark und Knochen. Der Dichter muthet uns zu, wir
sollen Tailfourd als herrlichen, edlen Menschen verehren,
der Seelenstärke genug besessen, seiner Liebe zu entsagen,
weil er sich von der Unsittlichkeit des Verhältnisses über-
zeugt hat. Das Motiv wird aber nur in der Schlußscene
auf einmal vorgeschoben, wo die Phrasen von der Heilig-
keit der Ehe abgesetzt werden sollen; vorher hat der Lieb-
haber strikt und unumwunden Ella selber in's Gesicht
erklärt, er ziehe sich einzig und allein deßhalb zurück,
weil sein Stolz, seine Eitelkeit tödtlich verletzt worden,
als sie ihn im Beiseyn von Charles gehen heißen. Welch
unmännliches Benehmen von dem Gatten, um die Gunst
dieser Ella zu winseln, zu erklären, er verlasse sie, weil
sie kein Geheimniß daraus gemacht, daß einem andern
ihre Liebe gehöre, und trotzdem nach ein paar Stunden
es als das höchste Glück zu preisen, daß Ella wieder die
Seine seyn will! Wie stimmt mit der contemplativen Ruhe
und der kalten Besonnenheit, die Charles sonst zur Schau
trägt, das stürmische Rencontre mit dem Dichter im
Vorsaal der Schauspielerin, und wie vereinigt sich mit
der brennenden Eifersucht die freiwillig und ohne Zeugen
gestattete Unterredung zwischen Tailfourd und Ella? Auf
die Hochherzigkeit der Gesinnung, welche sich zum Lauschen
hinter dem Schlüsselloch erniedrigt, ist bereits aufmerksam
gemacht.

[Ende Spaltensatz]
Literatur.
Gutzkows Ella Rose.
( Schluß. )
[Beginn Spaltensatz]

Für die weiteren Ausstellungen, die wir gegen Ella
Rose erheben, haben wir keine Anerkennung als Gegen-
gewicht des Tadels. Die Charakteristik, die Motivirung
und vor allem die Katastrophe machen in „den Rechten
des Herzens“ einen höchst unbefriedigenden Eindruck. Die
ursprüngliche Jntention des Dichters ist denn doch keine
andere, als den Sieg der Pflicht in dem Konflikt zwischen
Pflicht und Neigung zu schildern. Jm Verlaufe des
Dramas mußte sich demgemäß der Läuterungsproceß in
der Seele der Heldin vollziehen. Wir wollen den morali-
schen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung sinn-
lich verfolgen; die Entwicklung mußte stufenweise darauf
hindrängen, daß Ella die Neigung sowohl zu Tailfourd
als zur Bühne — denn beide Motive werden von Gutz-
kow benutzt, um Ellas Widerwillen gegen Charles zu er-
klären — siegreich niederkämpft und sich schließlich, von
ihrem Unrecht durchdrungen, mit dem Gatten versöhnt,
obwohl dann allerdings immer noch der Titel: „Rechte
des Herzens,“ seltsam gewählt bliebe. Gutzkow hat die
Katastrophe anders angelegt. Bis auf die letzte Minute
wissen wir nicht — wußte vielleicht der Dichter selbst
nicht — wie das Drama enden wird. Die Auflösung
erfolgt eben so jäh als unmotivirt. Für Ellas Versöh-
nung mit dem Gatten fehlt der Kausalnexus. Ella hat
keineswegs den Konflikt siegreich durchgerungen; noch im
letzten entscheidenden Moment fragt sie Tailfourd, was
sie thun oder lassen soll. Nicht also Nothwendigkeit, son-
dern Zufall und Caprice geben den Ausschlag; Ella han-
delt nicht sittlich frei, sondern sittlich unfrei. Der Sieg
im Drama muß erfolgen mit zwingender Gewalt, welche
uns überzeugt und die keinen weiteren Zweifel übrig läßt;
im Schlusse eines Dramas soll die sittliche Basis frei her-
vortreten. Von Ella bleibt es selbst dem naivsten Ge-
müth zweifelhaft, ob sie nicht nach vier neuen Flitterwo-
chen, wenn sie wieder einmal Peitschenknall und Hörnerruf
vernimmt, abermals den mondumglänzten Hügel im
Stiche läßt und auf und davon fährt. Unmündige Mädchen
und alte Weiber mögen durch eine solche Moral gerührt
und erbaut werden, über einer solchen Tragik in Thrä-
nen zerfließen; in der That ist sie um nichts besser als
Kotzebues Zumuthung, wir sollen die ladyliken Frauen-
zimmer, die sich in seinen Dramen mit Kindern ohne
Väter umher treiben, für Heilige und Madonnen halten,
weil sie so viel Almosen geben und so rührend zu weinen
wissen.

So siech aber und haltungslos wie in der Katastrophe,
zeigt sich Ella auch in den übrigen Scenen. Die Beweg-
[Spaltenumbruch] gründe ihrer Handlungen verschwimmen in einander, wir
bleiben durchgehends über ihre wahren Motive im Un-
klaren. Weßhalb behagt sie sich nicht im Hause der
Schwiegereltern? Sie sagt, sie sey kalt behandelt; daß
die Behandlung in Wirklichkeit eine verletzende war, können
wir aus keiner Thatsache entnehmen. Weßhalb entläuft sie
dem Gatten? Wird sie Schauspielerin, weil sie dem in-
nern Drange nachgibt, der sie unwiderstehlich zur Kunst
hinzieht, oder weil sie durch das zu erwerbende Geld den
Gatten befreien will? Weßhalb wird Tailfourd während
der fünf Jahre so spröde zurückgewiesen? Weßhalb küm-
mert sich während dieser ganzen Zeit das nämliche Weib,
das uns eben erst versichert, es würde für den geliebten
Gatten jedes Opfer bringen, keinen Augenblick um das
Schicksal des letzteren? Wodurch ist das nachmalige Auf-
treten als Dido motivirt, nachdem Ella den feierlichen
Entschluß gefaßt, sich für immer von der Bühne zurück
zu ziehen? Es gibt nur Eine Antwort auf alle Fragen:
Alles geschieht und Alles unterbleibt aus Laune.

Ganz das Gleiche gilt von den beiden andern Trä-
gern des Stücks. Charles Rose wie William Tailfourd
sind Wetterfahnen voller Widersprüche, Mollusken ohne
Mark und Knochen. Der Dichter muthet uns zu, wir
sollen Tailfourd als herrlichen, edlen Menschen verehren,
der Seelenstärke genug besessen, seiner Liebe zu entsagen,
weil er sich von der Unsittlichkeit des Verhältnisses über-
zeugt hat. Das Motiv wird aber nur in der Schlußscene
auf einmal vorgeschoben, wo die Phrasen von der Heilig-
keit der Ehe abgesetzt werden sollen; vorher hat der Lieb-
haber strikt und unumwunden Ella selber in's Gesicht
erklärt, er ziehe sich einzig und allein deßhalb zurück,
weil sein Stolz, seine Eitelkeit tödtlich verletzt worden,
als sie ihn im Beiseyn von Charles gehen heißen. Welch
unmännliches Benehmen von dem Gatten, um die Gunst
dieser Ella zu winseln, zu erklären, er verlasse sie, weil
sie kein Geheimniß daraus gemacht, daß einem andern
ihre Liebe gehöre, und trotzdem nach ein paar Stunden
es als das höchste Glück zu preisen, daß Ella wieder die
Seine seyn will! Wie stimmt mit der contemplativen Ruhe
und der kalten Besonnenheit, die Charles sonst zur Schau
trägt, das stürmische Rencontre mit dem Dichter im
Vorsaal der Schauspielerin, und wie vereinigt sich mit
der brennenden Eifersucht die freiwillig und ohne Zeugen
gestattete Unterredung zwischen Tailfourd und Ella? Auf
die Hochherzigkeit der Gesinnung, welche sich zum Lauschen
hinter dem Schlüsselloch erniedrigt, ist bereits aufmerksam
gemacht.

[Ende Spaltensatz]
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[737/0017] 737 Literatur. Gutzkows Ella Rose. ( Schluß. ) Für die weiteren Ausstellungen, die wir gegen Ella Rose erheben, haben wir keine Anerkennung als Gegen- gewicht des Tadels. Die Charakteristik, die Motivirung und vor allem die Katastrophe machen in „den Rechten des Herzens“ einen höchst unbefriedigenden Eindruck. Die ursprüngliche Jntention des Dichters ist denn doch keine andere, als den Sieg der Pflicht in dem Konflikt zwischen Pflicht und Neigung zu schildern. Jm Verlaufe des Dramas mußte sich demgemäß der Läuterungsproceß in der Seele der Heldin vollziehen. 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So siech aber und haltungslos wie in der Katastrophe, zeigt sich Ella auch in den übrigen Scenen. Die Beweg- gründe ihrer Handlungen verschwimmen in einander, wir bleiben durchgehends über ihre wahren Motive im Un- klaren. Weßhalb behagt sie sich nicht im Hause der Schwiegereltern? Sie sagt, sie sey kalt behandelt; daß die Behandlung in Wirklichkeit eine verletzende war, können wir aus keiner Thatsache entnehmen. Weßhalb entläuft sie dem Gatten? Wird sie Schauspielerin, weil sie dem in- nern Drange nachgibt, der sie unwiderstehlich zur Kunst hinzieht, oder weil sie durch das zu erwerbende Geld den Gatten befreien will? Weßhalb wird Tailfourd während der fünf Jahre so spröde zurückgewiesen? Weßhalb küm- mert sich während dieser ganzen Zeit das nämliche Weib, das uns eben erst versichert, es würde für den geliebten Gatten jedes Opfer bringen, keinen Augenblick um das Schicksal des letzteren? 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Das Motiv wird aber nur in der Schlußscene auf einmal vorgeschoben, wo die Phrasen von der Heilig- keit der Ehe abgesetzt werden sollen; vorher hat der Lieb- haber strikt und unumwunden Ella selber in's Gesicht erklärt, er ziehe sich einzig und allein deßhalb zurück, weil sein Stolz, seine Eitelkeit tödtlich verletzt worden, als sie ihn im Beiseyn von Charles gehen heißen. Welch unmännliches Benehmen von dem Gatten, um die Gunst dieser Ella zu winseln, zu erklären, er verlasse sie, weil sie kein Geheimniß daraus gemacht, daß einem andern ihre Liebe gehöre, und trotzdem nach ein paar Stunden es als das höchste Glück zu preisen, daß Ella wieder die Seine seyn will! Wie stimmt mit der contemplativen Ruhe und der kalten Besonnenheit, die Charles sonst zur Schau trägt, das stürmische Rencontre mit dem Dichter im Vorsaal der Schauspielerin, und wie vereinigt sich mit der brennenden Eifersucht die freiwillig und ohne Zeugen gestattete Unterredung zwischen Tailfourd und Ella? 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/17>, abgerufen am 23.11.2024.