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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Statt "mein Vater ist aufgereizt," sage ich: dein
Vater ist aufgereizt; dein Vater wird alle Geschütze
auf uns richten; er wird dich zwingen, den unmensch-
lichen Sohn zu machen. -- Ferdinand dann wieder:
O, ma Louise, je ne reponds de rien! -- Und ich:
Der Sohn wird den Vater in die Hände des Henkers
liefern. -- Höre Ferdinand -- du und die Liebe und
ich! Liegt nicht in diesem Cirkel der ganze Himmel?
Braucht's noch ein Viertes dazu?"

Jch hatte mit möglichst ernsthafter Miene zugehört.
Das Pathos ihres Vortrags ließ mich einen Augen-
blick das komische Gewirre vergessen, welches sie solcher
Art, beide Parteien zu einer verschmelzend und sich
fortwährend dasjenige als eigene Antwort in den
Mund legend, was Ferdinand ihr entgegnet, in den
ganzen Gedankengang des Stücks hinein brachte. Als
sie aber geendet hatte und den Hamlet hervor holte,
um mir vielleicht auf die nämliche Weise eine verbesserte
Ophelia vorzuführen, konnte ich ein herzliches Lachen
nicht unterdrücken, in welches sie ohne Bedenken ein-
stimmte.

Jm Nebenzimmer regte sich bei diesem Ausbruch
lauter Heiterkeit der Direktor; sie legte den Finger auf
die Lippen, und da auch ich eine Weile stumm blieb,
war der Schläfer bald wieder im Schnarchen begriffen.

"Sie haben mich ausgelacht," fing sie wieder an,
"und ich nehme es Jhnen nicht übel, weil ich im
Grunde mit meiner Rücksichtslosigkeit gegen das Publi-
kum zur Unzeit prahlte. Nie hat eine Schauspielerin
gleiche Rücksichten genommen, wie ich, indem ich die
Last des ganzen Stücks auf meine alleinigen Schultern
lade, nur um nicht zu viel zu streichen. Es ist ein
trauriges Loos," setzte sie seufzend hinzu, " d'etre con-
damnee a des travaux forces pareils
!" -- Und ich gab
ihr im Herzen recht.

Als sie die Bücher wieder weggelegt hatte, zog sie
ein Miniaturbild von vorzüglicher Arbeit aus ihrem
Busen hervor, und mir es reichend, fragte sie: " Ken-
nen Sie diesen Mann?" -- Jch muß zu meiner Beschä-
mung gestehen, daß ich für Gesichtszüge aus der Sphäre
der betreffenden Persönlichkeit ein schwaches Gedächtniß
habe. Dennoch konnte ich ungefähr vermuthen, worauf
sie abzielte, und eine früher viel besprochene Begeben-
heit stand plötzlich wieder lebhaft vor meiner Erinne-
rung. Jch blickte von dem Bilde nach ihr empor und
sah einen Zug unaussprechlichen Selbstbewußtseyns um
ihre Lippen spielen. Sollte sie selbst die Heldin dieses
langen Jntriguenstücks gewesen seyn, das so tragisch
endete? Jch wußte, daß sie nach einem vielbeklagten
Todesfalle vor dem allgemein laut werdenden Unwillen
das Land hatte verlassen müssen. Jch hatte von ihrer
[Spaltenumbruch] gepriesenen Schönheit gehört, mehr aber von dem Un-
heil, das sie bereitet, von der stolzen Härte, mit der
sie, einem schon tief gebeugten Weibe gegenüber, ihre
ungesetzliche Stellung behauptete und noch verletzender
machte; ich sah mich unwillkürlich nach dem Kinde um,
das in ihr Schicksal mit verflochten war, nach ihrer
jüngeren, ebenfalls als Schönheit oft genannten Schwe-
ster, die man prophetisch schon seit langem als ihre
Nachfolgerin bezeichnet hatte.

Als mein Blick von den leeren Wänden des ärm-
lichen Gemachs wieder zu dem Weibe zurückkehrte, das
noch immer das Medaillon in ihren Händen hielt und
meine Gedanken errathen haben mochte, nannte sie
ihren Namen. -- Jch fuhr unwillkürlich vom Stuhle
empor. Sie war es selbst! Das war der Name, --
ich hatte ihn zum Ueberdruß gehört.

Sie versuchte durch eine leichtfertig hingeworfene
Phrase das Peinliche des Schweigens zu brechen, wel-
ches ihrem letzten Worte gefolgt war. Jch fand aber
nicht die Fähigkeit, des Widerwillens Meister zu wer-
den, der sich meiner bemächtigt hatte, und war im
Begriff Abschied zu nehmen, als sie mich, erblaßt und
veränderten Gesichts, bat, noch einmal niederzusitzen.

"So können Sie mich nicht verlassen wollen," sagte
sie und ihre Hände zitterten auf der Decke. "Hören
Sie mich wenigstens, ich litt schon genug, um diese
Gunst zu verdienen. Grand Dieu, -- grand Dieu!"
-- Sie konnte vor Aufregung nicht weiter reden und
stützte sich auf den Arm, um Athem zu schöpfen.

"Jch habe ein leichtsinniges Leben hinter mir," fing
sie nach einer Pause wieder an, "aber Gott ist mein
Zeuge, ich war nicht schlecht. Alle Menschen müssen
sterben; mein böses Geschick wollte es, daß der Tod
gegen mich Partei nahm, und meine Feinde haben sich's
zu Nutzen zu machen gewußt: -- das ist es, -- das
ist es, glauben Sie's mir! Jch habe niemandens Un-
tergang herbeiführen wollen, -- ich habe nichts Arges
beabsichtigt, so wahr ich hier in meinem Elende die
Hand vor Jhnen gen Himmel halte! Mein Leichtsinn
ist mein Verbrechen -- und meine Rechtfertigung!"

Sie sank erschöpft zurück. Die eben noch so hoch-
fahrenden Plane, -- wo waren sie hin? Aber als ich
schweigend aufstand, flammte plötzlich die frühere Gluth
wieder auf den verblühten Wangen, und sie rief mit
erhobener Stimme: "Noch sollen aber meine Feinde
nicht triumphiren! Mein Stern wird wieder aufgehen;
sie werden noch einmal vor mir zittern, wie sie es ge-
than haben, die Nichtswürdigen! Und jede Stunde
des erduldeten Elends werde ich sie entgelten lassen, --
jede Stunde, vor allen diese! "

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Statt „mein Vater ist aufgereizt,“ sage ich: dein
Vater ist aufgereizt; dein Vater wird alle Geschütze
auf uns richten; er wird dich zwingen, den unmensch-
lichen Sohn zu machen. — Ferdinand dann wieder:
O, ma Louise, je ne réponds de rien! — Und ich:
Der Sohn wird den Vater in die Hände des Henkers
liefern. — Höre Ferdinand — du und die Liebe und
ich! Liegt nicht in diesem Cirkel der ganze Himmel?
Braucht's noch ein Viertes dazu?“

Jch hatte mit möglichst ernsthafter Miene zugehört.
Das Pathos ihres Vortrags ließ mich einen Augen-
blick das komische Gewirre vergessen, welches sie solcher
Art, beide Parteien zu einer verschmelzend und sich
fortwährend dasjenige als eigene Antwort in den
Mund legend, was Ferdinand ihr entgegnet, in den
ganzen Gedankengang des Stücks hinein brachte. Als
sie aber geendet hatte und den Hamlet hervor holte,
um mir vielleicht auf die nämliche Weise eine verbesserte
Ophelia vorzuführen, konnte ich ein herzliches Lachen
nicht unterdrücken, in welches sie ohne Bedenken ein-
stimmte.

Jm Nebenzimmer regte sich bei diesem Ausbruch
lauter Heiterkeit der Direktor; sie legte den Finger auf
die Lippen, und da auch ich eine Weile stumm blieb,
war der Schläfer bald wieder im Schnarchen begriffen.

„Sie haben mich ausgelacht,“ fing sie wieder an,
„und ich nehme es Jhnen nicht übel, weil ich im
Grunde mit meiner Rücksichtslosigkeit gegen das Publi-
kum zur Unzeit prahlte. Nie hat eine Schauspielerin
gleiche Rücksichten genommen, wie ich, indem ich die
Last des ganzen Stücks auf meine alleinigen Schultern
lade, nur um nicht zu viel zu streichen. Es ist ein
trauriges Loos,“ setzte sie seufzend hinzu, » d'être con-
damnée à des travaux forcés pareils
!« — Und ich gab
ihr im Herzen recht.

Als sie die Bücher wieder weggelegt hatte, zog sie
ein Miniaturbild von vorzüglicher Arbeit aus ihrem
Busen hervor, und mir es reichend, fragte sie: „ Ken-
nen Sie diesen Mann?“ — Jch muß zu meiner Beschä-
mung gestehen, daß ich für Gesichtszüge aus der Sphäre
der betreffenden Persönlichkeit ein schwaches Gedächtniß
habe. Dennoch konnte ich ungefähr vermuthen, worauf
sie abzielte, und eine früher viel besprochene Begeben-
heit stand plötzlich wieder lebhaft vor meiner Erinne-
rung. Jch blickte von dem Bilde nach ihr empor und
sah einen Zug unaussprechlichen Selbstbewußtseyns um
ihre Lippen spielen. Sollte sie selbst die Heldin dieses
langen Jntriguenstücks gewesen seyn, das so tragisch
endete? Jch wußte, daß sie nach einem vielbeklagten
Todesfalle vor dem allgemein laut werdenden Unwillen
das Land hatte verlassen müssen. Jch hatte von ihrer
[Spaltenumbruch] gepriesenen Schönheit gehört, mehr aber von dem Un-
heil, das sie bereitet, von der stolzen Härte, mit der
sie, einem schon tief gebeugten Weibe gegenüber, ihre
ungesetzliche Stellung behauptete und noch verletzender
machte; ich sah mich unwillkürlich nach dem Kinde um,
das in ihr Schicksal mit verflochten war, nach ihrer
jüngeren, ebenfalls als Schönheit oft genannten Schwe-
ster, die man prophetisch schon seit langem als ihre
Nachfolgerin bezeichnet hatte.

Als mein Blick von den leeren Wänden des ärm-
lichen Gemachs wieder zu dem Weibe zurückkehrte, das
noch immer das Medaillon in ihren Händen hielt und
meine Gedanken errathen haben mochte, nannte sie
ihren Namen. — Jch fuhr unwillkürlich vom Stuhle
empor. Sie war es selbst! Das war der Name, —
ich hatte ihn zum Ueberdruß gehört.

Sie versuchte durch eine leichtfertig hingeworfene
Phrase das Peinliche des Schweigens zu brechen, wel-
ches ihrem letzten Worte gefolgt war. Jch fand aber
nicht die Fähigkeit, des Widerwillens Meister zu wer-
den, der sich meiner bemächtigt hatte, und war im
Begriff Abschied zu nehmen, als sie mich, erblaßt und
veränderten Gesichts, bat, noch einmal niederzusitzen.

„So können Sie mich nicht verlassen wollen,“ sagte
sie und ihre Hände zitterten auf der Decke. „Hören
Sie mich wenigstens, ich litt schon genug, um diese
Gunst zu verdienen. Grand Dieu, — grand Dieu
— Sie konnte vor Aufregung nicht weiter reden und
stützte sich auf den Arm, um Athem zu schöpfen.

„Jch habe ein leichtsinniges Leben hinter mir,“ fing
sie nach einer Pause wieder an, „aber Gott ist mein
Zeuge, ich war nicht schlecht. Alle Menschen müssen
sterben; mein böses Geschick wollte es, daß der Tod
gegen mich Partei nahm, und meine Feinde haben sich's
zu Nutzen zu machen gewußt: — das ist es, — das
ist es, glauben Sie's mir! Jch habe niemandens Un-
tergang herbeiführen wollen, — ich habe nichts Arges
beabsichtigt, so wahr ich hier in meinem Elende die
Hand vor Jhnen gen Himmel halte! Mein Leichtsinn
ist mein Verbrechen — und meine Rechtfertigung!“

Sie sank erschöpft zurück. Die eben noch so hoch-
fahrenden Plane, — wo waren sie hin? Aber als ich
schweigend aufstand, flammte plötzlich die frühere Gluth
wieder auf den verblühten Wangen, und sie rief mit
erhobener Stimme: „Noch sollen aber meine Feinde
nicht triumphiren! Mein Stern wird wieder aufgehen;
sie werden noch einmal vor mir zittern, wie sie es ge-
than haben, die Nichtswürdigen! Und jede Stunde
des erduldeten Elends werde ich sie entgelten lassen, —
jede Stunde, vor allen diese!

[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/7>, abgerufen am 03.12.2024.