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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

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[Beginn Spaltensatz] der außerordentlichen Erfindsamkeit der Alten und von
ihrem Streben, einem jeden Gegenstand, der im täg-
lichen Leben seine Anwendung fand, das Gepräge der
Kunst aufzudrücken. Vasen, Tafelaufsätze, Becher,
Schüsseln und Geschirre aller Art standen auf den
Schenktischen umher und es bedurfte nur eines Winkes
des Hausherrn, um alle diese Gegenstände der Kunst
und des Luxus den bewundernden Gästen vorzuführen.

Man kann sich denken, daß der Oberaufseher des
Speisesaales vollauf zu thun hatte, um alles in Ord-
nung zu bringen und in Stand zu setzen. Er hatte
zwar eine nicht geringe Anzahl Tafeldecker und anderer
Gehülfen zu seiner Verfügung, aber die Kürze der heute
ihm zugemessenen Zeit nahm die Thätigkeit aller in
Anspruch.

Lucullus konnte mit Zuversicht auf die guten An-
ordnungen seines Haushofmeisters und auf deren pünkt-
liche Ausführung rechnen; denn in dem gastfreien Hause
war offene Tafel gewöhnlich. Einst, so wird uns un-
ter andern erzählt, hielt sich eine Anzahl Griechen in
Rom auf, um Aufträge, welche sie erhalten hatten,
auszuführen. Sie waren die täglichen Tischgäste des
reichen und dabei gastfreien Römers. Da ihr Aufent-
halt sich in die Länge zog und die glänzende Bewirthung
an jedem Tage sich gleich blieb, so meinten sie endlich
aus Rücksichten der Höflichkeit die ferneren Einladungen
ablehnen zu müssen. Da tröstete sie Lucullus und
sprach in freundlicher Weise: "Lieben Leute, macht euch
keine Sorgen. Nur einen Theil des Aufwandes ver-
ursacht ihr mir; der größere Theil desselben gilt dem
Lucullus."

Heute aber mochte Lucullus doch etwas früher vom
Forum heimgekehrt seyn, um selbst nachzusehen, ob alles
im besten Stande sey, und wir können überzeugt seyn,
daß er alle Ursache hatte, mit den getroffenen Anord-
nungen zufrieden zu seyn.

Jnzwischen war die Tischzeit herbei gekommen, die
nach der Sitte der Römer sich nach der Jahreszeit
richtete. Wenn nicht die Absicht vorlag, ein schwelge-
risches Mahl zu halten, kam man in der Regel mit der
eintretenden Dämmerung zusammen.

Pompejus und Cicero fanden sich zu der gewöhn-
lichen Stunde ein. Sie hatten jeder einen Diener bei
sich. Denn obgleich die Dienerschaft im Hause eines
vornehmen Römers sehr zahlreich war und die Bedie-
nung insbesondere bei Tische nichts zu wünschen übrig
ließ, so folgte doch dem geladenen Gaste einer seiner
Diener. Er kannte ja die Gewohnheiten seines Herrn
am besten und hatte, während die Dienerschaft des
Wirths das Auftragen der Speisen auf die Tafel und
[Spaltenumbruch] andere nöthigen Geschäfte zu besorgen hatte, nur dem
eigenen Herrn seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Auch trug er ihm die Hausschuhe nach, da die Fußbe-
kleidung, die man auf der Straße trug, beim Eintritt
in die fremde Wohnung abgelegt wurde. Gewöhnlich
hatte der Diener auch die Serviette seines Herrn mit-
gebracht. Sie war von zottiger Wolle, bei denen, die
das Vorrecht hatten einen Purpurstreifen an der Tu-
nica zu tragen, mit einem solchen Saum versehen, und
diente dazu, Mund und Hände nach jedem Gerichte
abzuwischen. Denn wir wollen hier gleich die Bemer-
kung einschalten, daß die Römer den Gebrauch von
Messer und Gabel bei Tisch nicht kannten; auch der
Gebrauch des Löffels war sehr eingeschränkt. Da man
keine Suppe genoß, wurden den Gästen nur kleine
Löffel zum Oeffnen der Eier und zum Genuß der süßen
Speisen gereicht. Sonst bediente man sich der bloßen
Finger. Die Fleischspeisen wurden, nachdem sie erst
ganz auf die Tafel gesezt worden, von einem geschickten
Tranchirer zerlegt und dann wieder von den Dienern
in so kleine Stücke zerschnitten, daß sie der auf dem
Sopha Liegende bequem zum Munde führen konnte.
Freilich machte dieses Zulangen und noch mehr das Ein-
tunken in Saucen und Brühen eine öftere Reinigung
von Hand und Mund nothwendig und gab wohl auch
den Grund zu der Sitte ab, bei Tisch die Ringe ab-
zulegen. Mit der Serviette wurde dem Gast zugleich
das Wasser gereicht, in welches man im Sommer zur
Erfrischung Schnee warf.

Oft wurde es dem geladenen Gast freigestellt, auch
ungeladene Gäste mitzubringen, die man umbrae oder
Schatten nannte. Ob Cicero und Pompejus beim
Gastmahle des Lucullus von diesem Vorrecht Gebrauch
gemacht haben oder nicht, wissen wir nicht. Eben so
ist uns unbekannt, ob die Anzahl der Gäste überhaupt
größer war. Nach einer Regel, die man gern bei Tisch-
gesellschaften befolgte, durfte die Anzahl der Geladenen
nicht unter der Zahl der Grazien seyn und nicht die
der Musen übersteigen. Größere Mahle, zu denen sechzig
und mehr Personen geladen wurden, machten natürlich
eine Ausnahme, sie wurden aber nicht in den Speise-
zimmern, sondern im geräumigen Atrium gehalten,
welches in den großen Palästen über tausend Personen
fassen konnte.

Denken wir uns in Ermanglung bestimmter Nach-
richten das Wahrscheinliche und Naheliegende, so hatte
Lucullus absichtlich eine größere Gesellschaft nicht einge-
laden. Es mochte in seiner Absicht liegen, den beiden
Männern zu zeigen, daß er auch für die kleine, ausgewählte
Gesellschaft den ungewöhnlichen Aufwand nicht scheue.
Zudem mochte es ihm wünschenswerth erscheinen, nach
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] der außerordentlichen Erfindsamkeit der Alten und von
ihrem Streben, einem jeden Gegenstand, der im täg-
lichen Leben seine Anwendung fand, das Gepräge der
Kunst aufzudrücken. Vasen, Tafelaufsätze, Becher,
Schüsseln und Geschirre aller Art standen auf den
Schenktischen umher und es bedurfte nur eines Winkes
des Hausherrn, um alle diese Gegenstände der Kunst
und des Luxus den bewundernden Gästen vorzuführen.

Man kann sich denken, daß der Oberaufseher des
Speisesaales vollauf zu thun hatte, um alles in Ord-
nung zu bringen und in Stand zu setzen. Er hatte
zwar eine nicht geringe Anzahl Tafeldecker und anderer
Gehülfen zu seiner Verfügung, aber die Kürze der heute
ihm zugemessenen Zeit nahm die Thätigkeit aller in
Anspruch.

Lucullus konnte mit Zuversicht auf die guten An-
ordnungen seines Haushofmeisters und auf deren pünkt-
liche Ausführung rechnen; denn in dem gastfreien Hause
war offene Tafel gewöhnlich. Einst, so wird uns un-
ter andern erzählt, hielt sich eine Anzahl Griechen in
Rom auf, um Aufträge, welche sie erhalten hatten,
auszuführen. Sie waren die täglichen Tischgäste des
reichen und dabei gastfreien Römers. Da ihr Aufent-
halt sich in die Länge zog und die glänzende Bewirthung
an jedem Tage sich gleich blieb, so meinten sie endlich
aus Rücksichten der Höflichkeit die ferneren Einladungen
ablehnen zu müssen. Da tröstete sie Lucullus und
sprach in freundlicher Weise: „Lieben Leute, macht euch
keine Sorgen. Nur einen Theil des Aufwandes ver-
ursacht ihr mir; der größere Theil desselben gilt dem
Lucullus.“

Heute aber mochte Lucullus doch etwas früher vom
Forum heimgekehrt seyn, um selbst nachzusehen, ob alles
im besten Stande sey, und wir können überzeugt seyn,
daß er alle Ursache hatte, mit den getroffenen Anord-
nungen zufrieden zu seyn.

Jnzwischen war die Tischzeit herbei gekommen, die
nach der Sitte der Römer sich nach der Jahreszeit
richtete. Wenn nicht die Absicht vorlag, ein schwelge-
risches Mahl zu halten, kam man in der Regel mit der
eintretenden Dämmerung zusammen.

Pompejus und Cicero fanden sich zu der gewöhn-
lichen Stunde ein. Sie hatten jeder einen Diener bei
sich. Denn obgleich die Dienerschaft im Hause eines
vornehmen Römers sehr zahlreich war und die Bedie-
nung insbesondere bei Tische nichts zu wünschen übrig
ließ, so folgte doch dem geladenen Gaste einer seiner
Diener. Er kannte ja die Gewohnheiten seines Herrn
am besten und hatte, während die Dienerschaft des
Wirths das Auftragen der Speisen auf die Tafel und
[Spaltenumbruch] andere nöthigen Geschäfte zu besorgen hatte, nur dem
eigenen Herrn seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Auch trug er ihm die Hausschuhe nach, da die Fußbe-
kleidung, die man auf der Straße trug, beim Eintritt
in die fremde Wohnung abgelegt wurde. Gewöhnlich
hatte der Diener auch die Serviette seines Herrn mit-
gebracht. Sie war von zottiger Wolle, bei denen, die
das Vorrecht hatten einen Purpurstreifen an der Tu-
nica zu tragen, mit einem solchen Saum versehen, und
diente dazu, Mund und Hände nach jedem Gerichte
abzuwischen. Denn wir wollen hier gleich die Bemer-
kung einschalten, daß die Römer den Gebrauch von
Messer und Gabel bei Tisch nicht kannten; auch der
Gebrauch des Löffels war sehr eingeschränkt. Da man
keine Suppe genoß, wurden den Gästen nur kleine
Löffel zum Oeffnen der Eier und zum Genuß der süßen
Speisen gereicht. Sonst bediente man sich der bloßen
Finger. Die Fleischspeisen wurden, nachdem sie erst
ganz auf die Tafel gesezt worden, von einem geschickten
Tranchirer zerlegt und dann wieder von den Dienern
in so kleine Stücke zerschnitten, daß sie der auf dem
Sopha Liegende bequem zum Munde führen konnte.
Freilich machte dieses Zulangen und noch mehr das Ein-
tunken in Saucen und Brühen eine öftere Reinigung
von Hand und Mund nothwendig und gab wohl auch
den Grund zu der Sitte ab, bei Tisch die Ringe ab-
zulegen. Mit der Serviette wurde dem Gast zugleich
das Wasser gereicht, in welches man im Sommer zur
Erfrischung Schnee warf.

Oft wurde es dem geladenen Gast freigestellt, auch
ungeladene Gäste mitzubringen, die man umbrae oder
Schatten nannte. Ob Cicero und Pompejus beim
Gastmahle des Lucullus von diesem Vorrecht Gebrauch
gemacht haben oder nicht, wissen wir nicht. Eben so
ist uns unbekannt, ob die Anzahl der Gäste überhaupt
größer war. Nach einer Regel, die man gern bei Tisch-
gesellschaften befolgte, durfte die Anzahl der Geladenen
nicht unter der Zahl der Grazien seyn und nicht die
der Musen übersteigen. Größere Mahle, zu denen sechzig
und mehr Personen geladen wurden, machten natürlich
eine Ausnahme, sie wurden aber nicht in den Speise-
zimmern, sondern im geräumigen Atrium gehalten,
welches in den großen Palästen über tausend Personen
fassen konnte.

Denken wir uns in Ermanglung bestimmter Nach-
richten das Wahrscheinliche und Naheliegende, so hatte
Lucullus absichtlich eine größere Gesellschaft nicht einge-
laden. Es mochte in seiner Absicht liegen, den beiden
Männern zu zeigen, daß er auch für die kleine, ausgewählte
Gesellschaft den ungewöhnlichen Aufwand nicht scheue.
Zudem mochte es ihm wünschenswerth erscheinen, nach
[Ende Spaltensatz]

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Einst, so wird uns un- ter andern erzählt, hielt sich eine Anzahl Griechen in Rom auf, um Aufträge, welche sie erhalten hatten, auszuführen. Sie waren die täglichen Tischgäste des reichen und dabei gastfreien Römers. Da ihr Aufent- halt sich in die Länge zog und die glänzende Bewirthung an jedem Tage sich gleich blieb, so meinten sie endlich aus Rücksichten der Höflichkeit die ferneren Einladungen ablehnen zu müssen. Da tröstete sie Lucullus und sprach in freundlicher Weise: „Lieben Leute, macht euch keine Sorgen. Nur einen Theil des Aufwandes ver- ursacht ihr mir; der größere Theil desselben gilt dem Lucullus.“ Heute aber mochte Lucullus doch etwas früher vom Forum heimgekehrt seyn, um selbst nachzusehen, ob alles im besten Stande sey, und wir können überzeugt seyn, daß er alle Ursache hatte, mit den getroffenen Anord- nungen zufrieden zu seyn. Jnzwischen war die Tischzeit herbei gekommen, die nach der Sitte der Römer sich nach der Jahreszeit richtete. Wenn nicht die Absicht vorlag, ein schwelge- risches Mahl zu halten, kam man in der Regel mit der eintretenden Dämmerung zusammen. Pompejus und Cicero fanden sich zu der gewöhn- lichen Stunde ein. Sie hatten jeder einen Diener bei sich. Denn obgleich die Dienerschaft im Hause eines vornehmen Römers sehr zahlreich war und die Bedie- nung insbesondere bei Tische nichts zu wünschen übrig ließ, so folgte doch dem geladenen Gaste einer seiner Diener. Er kannte ja die Gewohnheiten seines Herrn am besten und hatte, während die Dienerschaft des Wirths das Auftragen der Speisen auf die Tafel und andere nöthigen Geschäfte zu besorgen hatte, nur dem eigenen Herrn seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden. Auch trug er ihm die Hausschuhe nach, da die Fußbe- kleidung, die man auf der Straße trug, beim Eintritt in die fremde Wohnung abgelegt wurde. Gewöhnlich hatte der Diener auch die Serviette seines Herrn mit- gebracht. Sie war von zottiger Wolle, bei denen, die das Vorrecht hatten einen Purpurstreifen an der Tu- nica zu tragen, mit einem solchen Saum versehen, und diente dazu, Mund und Hände nach jedem Gerichte abzuwischen. Denn wir wollen hier gleich die Bemer- kung einschalten, daß die Römer den Gebrauch von Messer und Gabel bei Tisch nicht kannten; auch der Gebrauch des Löffels war sehr eingeschränkt. Da man keine Suppe genoß, wurden den Gästen nur kleine Löffel zum Oeffnen der Eier und zum Genuß der süßen Speisen gereicht. Sonst bediente man sich der bloßen Finger. Die Fleischspeisen wurden, nachdem sie erst ganz auf die Tafel gesezt worden, von einem geschickten Tranchirer zerlegt und dann wieder von den Dienern in so kleine Stücke zerschnitten, daß sie der auf dem Sopha Liegende bequem zum Munde führen konnte. 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Größere Mahle, zu denen sechzig und mehr Personen geladen wurden, machten natürlich eine Ausnahme, sie wurden aber nicht in den Speise- zimmern, sondern im geräumigen Atrium gehalten, welches in den großen Palästen über tausend Personen fassen konnte. Denken wir uns in Ermanglung bestimmter Nach- richten das Wahrscheinliche und Naheliegende, so hatte Lucullus absichtlich eine größere Gesellschaft nicht einge- laden. Es mochte in seiner Absicht liegen, den beiden Männern zu zeigen, daß er auch für die kleine, ausgewählte Gesellschaft den ungewöhnlichen Aufwand nicht scheue. Zudem mochte es ihm wünschenswerth erscheinen, nach

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/5>, abgerufen am 25.11.2024.