Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] ausführlicher, des Adelstolzes. Seine Mittheilungen
hierüber leitet er mit folgenden allgemeinen Betrachtun-
gen ein: "Uneingeweihte können im Zweifel darüber
seyn, ob Lords oft an ihre Titel denken, ob der lieb-
liche Ton ihnen häufig in den Ohren klingt oder nicht.
Manche Lords werden die Frage als eine gemeine und gar
nicht aufzuwerfende verächtlich abweisen; von diesen
dürft ihr aber annehmen, daß sie besonders oft daran
denken. Die Wahrheit ist, daß die meisten von ihnen
an ihre Titel denken wie ein schönes Mädchen an ihr
Gesicht." -- "Die Menschen geben irgend einen Vor-
zug, den sie besitzen, sey es ein wirklicher oder einge-
bildeter, nicht so leicht auf, und sie können hiefür Gründe
genug anführen. Wenn ein Mann glücklich gemacht
werden kann durch einen Titel, so sehe ich auch nicht
ein, warum wir ihm an demselben mäkeln oder warum
er selbst gering davon denken sollte, geringer als von
Schönheit und Reichthum, oder irgend etwas, was
sonst auf die Einbildungskraft wirkt. Die Frage ist
nur, ob durch seinen persönlichen Vortheil die Uebrigen
verlezt werden oder nicht."

Diese Bemerkungen dürften nicht ohne allgemeines
Jnteresse seyn, da wir aus ihnen lernen, wie ein eng-
lischer Republikaner, und zwar kein bloß idealer, über
diese Dinge denkt. Um uns nun Byrons Denkungs-
weise hierüber kennen zu lehren, erzählt er von seinem
Verhältniß zu dem Lord, wie dasselbe zur Zeit ihrer
ersten Bekanntschaft in England ein so vertrauliches
gewesen, daß er ihn am Anfang eines Briefs oder im
Gespräch ohne Titel anredete, obgleich er sonst in der
Regel Gelegenheiten, mit Männern von Rang vertraut
zu werden, wie sie einem Journalisten nicht selten vor-
kommen, aus Grundsatz abgelehnt habe. "Jezt aber
war es Zeit, dachte ich, der Welt zu zeigen, daß Freund-
schaft, Talent und Poesie höher gelten als Rang, und
zwar bei Männern von Rang selbst. Mein Freund
schien mir diese Annahme nicht bloß zu gestatten, son-
dern mich sogar dazu zu ermuthigen. Jch nahm ihn
beim Wort und glaube, daß er darüber eben so erstaunt
war ( obgleich sich niemand verbindlicher über diese An-
gelegenheit hätte aussprechen können ) , als ich, indem ich
dieses schreibe, über den bloßen Gedanken daran ärger-
lich bin. Jch sah meine Albernheit ein, lang ehe ich
nach Jtalien ging, und beschloß, wenn sich wieder ein
Verhältniß zwischen uns anknüpfen sollte, dasselbe auf
einem ganz andern Fuß zu halten, jedoch auf eine
Weise, die er eben so zu seinen wie zu meinen Gunsten
auslegen könnte. Daß es ihm genehm seyn werde,
glaubte ich annehmen zu dürfen, weil es sich von selbst
ergeben sollte, als das Resultat von etwas mehr Welt-
kenntniß und nicht als Folge einer genaueren Beobachtung
[Spaltenumbruch] seiner persönlichen Wünsche; ich rechnete um so mehr
darauf, weil ich zur Zeit, als ich diesen Entschluß
faßte, wirklich weniger an seinen individuellen Charakter
dachte, als an die allgemeinen conventionellen Rück-
sichten, die bei ihm wie bei andern seines Ranges ob-
walteten und von denen nicht zu erwarten war, daß
man bei ihm gänzlich Umgang davon nehmen könne.
Jch setzte voraus, Lord Byron halte seinen Titel eben
so hoch als ein anderer Edelmann, höher vielleicht, weil
er sich den Anschein gab, nichts nach demselben zu
fragen. Ueberdieß hatte er eine poetische Einbildungskraft.
Shelley, der zwar keine längere Bekanntschaft mit ihm
gehabt, aber ihn doch genauer kennen gelernt hatte, gab
ihm seinen Titel auf's pünktlichste und sagte mir unver-
holen, es scheine ihm dieß das beste für beide Theile.
Es ist wahr, daß seine älteren Bekannten in diesem
Stück es hielten, wie man bei vertrautem Umgang zu
thun pflegt; Shelley aber hielt eine solche Vertraulich-
keit nicht für angemessen und glaubte, daß, obgleich ich
es früher anders gemacht, eine lange Unterbrechung
unseres Umgangs eine Aenderung um so unverfäng-
licher machen werde, die in vieler Beziehung wünschens-
werth, ganz ungezwungen und überhaupt darauf ein-
gerichtet war, günstig aufgenommen zu werden. Jch
trug daher Sorge, mein neues Reglement nicht studirt
oder steif erscheinen zu lassen. Jn jeder Beziehung ging
sonst alles wie zuvor; wir lachten, schwatzten, ritten
mit einander aus und waren so vertraulich, als man
wünschen konnte, so daß ich allen Grund hatte, anzu-
nehmen, er werde die Sache ganz nach meinem Wunsch
ansehen. Nichts desto weniger hatte er gar keinen Ge-
fallen daran. Früher, als er sah, welche Mühe ich
mir gab, meine Philosophie zu zeigen, wußte er wohl,
daß er sicher war, ich mochte ihn tituliren wie ich wollte.
Jetzt aber, da er entdeckte, daß ich älter geworden, und
aus meinen allgemeinen Ansichten und Gewohnheiten
den Schluß zog, daß meine Erfahrung, obgleich sie im
Umgang mit der Welt den Styl derselben annahm, doch
in mancher Hinsicht weniger Weltliches an sich hatte
als je, war ihm meine veränderte Anrede unangenehm.
Dieses Gefühl kam ihm nicht mit einemmal; je mehr
wir aber mit einander umgingen und je mehr er die
einfache, ruhige Ansicht kennen lernte, die ich von man-
chen Dingen gewonnen hatte, über welche er den Schein
haben wollte, eben so gleichgültig zu denken, um so
weniger war er davon erbaut. Endlich, da er dachte,
ich habe aufgehört ihn zu achten, fing er an mich dar-
über zu necken und zu schrauben. Jch wußte, daß
unter allen Umständen keiner von uns die frühere voll-
ständige Vertraulichkeit zurückrufen könne, er nicht, weil
er es als einen Triumph angesehen haben würde, der
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ausführlicher, des Adelstolzes. Seine Mittheilungen
hierüber leitet er mit folgenden allgemeinen Betrachtun-
gen ein: „Uneingeweihte können im Zweifel darüber
seyn, ob Lords oft an ihre Titel denken, ob der lieb-
liche Ton ihnen häufig in den Ohren klingt oder nicht.
Manche Lords werden die Frage als eine gemeine und gar
nicht aufzuwerfende verächtlich abweisen; von diesen
dürft ihr aber annehmen, daß sie besonders oft daran
denken. Die Wahrheit ist, daß die meisten von ihnen
an ihre Titel denken wie ein schönes Mädchen an ihr
Gesicht.“ — „Die Menschen geben irgend einen Vor-
zug, den sie besitzen, sey es ein wirklicher oder einge-
bildeter, nicht so leicht auf, und sie können hiefür Gründe
genug anführen. Wenn ein Mann glücklich gemacht
werden kann durch einen Titel, so sehe ich auch nicht
ein, warum wir ihm an demselben mäkeln oder warum
er selbst gering davon denken sollte, geringer als von
Schönheit und Reichthum, oder irgend etwas, was
sonst auf die Einbildungskraft wirkt. Die Frage ist
nur, ob durch seinen persönlichen Vortheil die Uebrigen
verlezt werden oder nicht.“

Diese Bemerkungen dürften nicht ohne allgemeines
Jnteresse seyn, da wir aus ihnen lernen, wie ein eng-
lischer Republikaner, und zwar kein bloß idealer, über
diese Dinge denkt. Um uns nun Byrons Denkungs-
weise hierüber kennen zu lehren, erzählt er von seinem
Verhältniß zu dem Lord, wie dasselbe zur Zeit ihrer
ersten Bekanntschaft in England ein so vertrauliches
gewesen, daß er ihn am Anfang eines Briefs oder im
Gespräch ohne Titel anredete, obgleich er sonst in der
Regel Gelegenheiten, mit Männern von Rang vertraut
zu werden, wie sie einem Journalisten nicht selten vor-
kommen, aus Grundsatz abgelehnt habe. „Jezt aber
war es Zeit, dachte ich, der Welt zu zeigen, daß Freund-
schaft, Talent und Poesie höher gelten als Rang, und
zwar bei Männern von Rang selbst. Mein Freund
schien mir diese Annahme nicht bloß zu gestatten, son-
dern mich sogar dazu zu ermuthigen. Jch nahm ihn
beim Wort und glaube, daß er darüber eben so erstaunt
war ( obgleich sich niemand verbindlicher über diese An-
gelegenheit hätte aussprechen können ) , als ich, indem ich
dieses schreibe, über den bloßen Gedanken daran ärger-
lich bin. Jch sah meine Albernheit ein, lang ehe ich
nach Jtalien ging, und beschloß, wenn sich wieder ein
Verhältniß zwischen uns anknüpfen sollte, dasselbe auf
einem ganz andern Fuß zu halten, jedoch auf eine
Weise, die er eben so zu seinen wie zu meinen Gunsten
auslegen könnte. Daß es ihm genehm seyn werde,
glaubte ich annehmen zu dürfen, weil es sich von selbst
ergeben sollte, als das Resultat von etwas mehr Welt-
kenntniß und nicht als Folge einer genaueren Beobachtung
[Spaltenumbruch] seiner persönlichen Wünsche; ich rechnete um so mehr
darauf, weil ich zur Zeit, als ich diesen Entschluß
faßte, wirklich weniger an seinen individuellen Charakter
dachte, als an die allgemeinen conventionellen Rück-
sichten, die bei ihm wie bei andern seines Ranges ob-
walteten und von denen nicht zu erwarten war, daß
man bei ihm gänzlich Umgang davon nehmen könne.
Jch setzte voraus, Lord Byron halte seinen Titel eben
so hoch als ein anderer Edelmann, höher vielleicht, weil
er sich den Anschein gab, nichts nach demselben zu
fragen. Ueberdieß hatte er eine poetische Einbildungskraft.
Shelley, der zwar keine längere Bekanntschaft mit ihm
gehabt, aber ihn doch genauer kennen gelernt hatte, gab
ihm seinen Titel auf's pünktlichste und sagte mir unver-
holen, es scheine ihm dieß das beste für beide Theile.
Es ist wahr, daß seine älteren Bekannten in diesem
Stück es hielten, wie man bei vertrautem Umgang zu
thun pflegt; Shelley aber hielt eine solche Vertraulich-
keit nicht für angemessen und glaubte, daß, obgleich ich
es früher anders gemacht, eine lange Unterbrechung
unseres Umgangs eine Aenderung um so unverfäng-
licher machen werde, die in vieler Beziehung wünschens-
werth, ganz ungezwungen und überhaupt darauf ein-
gerichtet war, günstig aufgenommen zu werden. Jch
trug daher Sorge, mein neues Reglement nicht studirt
oder steif erscheinen zu lassen. Jn jeder Beziehung ging
sonst alles wie zuvor; wir lachten, schwatzten, ritten
mit einander aus und waren so vertraulich, als man
wünschen konnte, so daß ich allen Grund hatte, anzu-
nehmen, er werde die Sache ganz nach meinem Wunsch
ansehen. Nichts desto weniger hatte er gar keinen Ge-
fallen daran. Früher, als er sah, welche Mühe ich
mir gab, meine Philosophie zu zeigen, wußte er wohl,
daß er sicher war, ich mochte ihn tituliren wie ich wollte.
Jetzt aber, da er entdeckte, daß ich älter geworden, und
aus meinen allgemeinen Ansichten und Gewohnheiten
den Schluß zog, daß meine Erfahrung, obgleich sie im
Umgang mit der Welt den Styl derselben annahm, doch
in mancher Hinsicht weniger Weltliches an sich hatte
als je, war ihm meine veränderte Anrede unangenehm.
Dieses Gefühl kam ihm nicht mit einemmal; je mehr
wir aber mit einander umgingen und je mehr er die
einfache, ruhige Ansicht kennen lernte, die ich von man-
chen Dingen gewonnen hatte, über welche er den Schein
haben wollte, eben so gleichgültig zu denken, um so
weniger war er davon erbaut. Endlich, da er dachte,
ich habe aufgehört ihn zu achten, fing er an mich dar-
über zu necken und zu schrauben. Jch wußte, daß
unter allen Umständen keiner von uns die frühere voll-
ständige Vertraulichkeit zurückrufen könne, er nicht, weil
er es als einen Triumph angesehen haben würde, der
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="133"/><fw type="pageNum" place="top">133</fw><cb type="start"/>
ausführlicher, des Adelstolzes. Seine Mittheilungen<lb/>
hierüber leitet er mit folgenden allgemeinen Betrachtun-<lb/>
gen ein: &#x201E;Uneingeweihte können im Zweifel darüber<lb/>
seyn, ob Lords oft an ihre Titel denken, ob der lieb-<lb/>
liche Ton ihnen häufig in den Ohren klingt oder nicht.<lb/>
Manche Lords werden die Frage als eine gemeine und gar<lb/>
nicht aufzuwerfende verächtlich abweisen; von diesen<lb/>
dürft ihr aber annehmen, daß sie besonders oft daran<lb/>
denken. Die Wahrheit ist, daß die meisten von ihnen<lb/>
an ihre Titel denken wie ein schönes Mädchen an ihr<lb/>
Gesicht.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Die Menschen geben irgend einen Vor-<lb/>
zug, den sie besitzen, sey es ein wirklicher oder einge-<lb/>
bildeter, nicht so leicht auf, und sie können hiefür Gründe<lb/>
genug anführen. Wenn ein Mann glücklich gemacht<lb/>
werden kann durch einen Titel, so sehe ich auch nicht<lb/>
ein, warum wir ihm an demselben mäkeln oder warum<lb/>
er selbst gering davon denken sollte, geringer als von<lb/>
Schönheit und Reichthum, oder irgend etwas, was<lb/>
sonst auf die Einbildungskraft wirkt. Die Frage ist<lb/>
nur, ob durch seinen persönlichen Vortheil die Uebrigen<lb/>
verlezt werden oder nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Diese Bemerkungen dürften nicht ohne allgemeines<lb/>
Jnteresse seyn, da wir aus ihnen lernen, wie ein eng-<lb/>
lischer Republikaner, und zwar kein bloß idealer, über<lb/>
diese Dinge denkt. Um uns nun Byrons Denkungs-<lb/>
weise hierüber kennen zu lehren, erzählt er von seinem<lb/>
Verhältniß zu dem Lord, wie dasselbe zur Zeit ihrer<lb/>
ersten Bekanntschaft in England ein so vertrauliches<lb/>
gewesen, daß er ihn am Anfang eines Briefs oder im<lb/>
Gespräch ohne Titel anredete, obgleich er sonst in der<lb/>
Regel Gelegenheiten, mit Männern von Rang vertraut<lb/>
zu werden, wie sie einem Journalisten nicht selten vor-<lb/>
kommen, aus Grundsatz abgelehnt habe. &#x201E;Jezt aber<lb/>
war es Zeit, dachte ich, der Welt zu zeigen, daß Freund-<lb/>
schaft, Talent und Poesie höher gelten als Rang, und<lb/>
zwar bei Männern von Rang selbst. Mein Freund<lb/>
schien mir diese Annahme nicht bloß zu gestatten, son-<lb/>
dern mich sogar dazu zu ermuthigen. Jch nahm ihn<lb/>
beim Wort und glaube, daß er darüber eben so erstaunt<lb/>
war ( obgleich sich niemand verbindlicher über diese An-<lb/>
gelegenheit hätte aussprechen können ) , als ich, indem ich<lb/>
dieses schreibe, über den bloßen Gedanken daran ärger-<lb/>
lich bin. Jch sah meine Albernheit ein, lang ehe ich<lb/>
nach Jtalien ging, und beschloß, wenn sich wieder ein<lb/>
Verhältniß zwischen uns anknüpfen sollte, dasselbe auf<lb/>
einem ganz andern Fuß zu halten, jedoch auf eine<lb/>
Weise, die er eben so zu seinen wie zu meinen Gunsten<lb/>
auslegen könnte. Daß es ihm genehm seyn werde,<lb/>
glaubte ich annehmen zu dürfen, weil es sich von selbst<lb/>
ergeben sollte, als das Resultat von etwas mehr Welt-<lb/>
kenntniß und nicht als Folge einer genaueren Beobachtung<lb/><cb n="2"/>
seiner persönlichen Wünsche; ich rechnete um so mehr<lb/>
darauf, weil ich zur Zeit, als ich diesen Entschluß<lb/>
faßte, wirklich weniger an seinen individuellen Charakter<lb/>
dachte, als an die allgemeinen conventionellen Rück-<lb/>
sichten, die bei ihm wie bei andern seines Ranges ob-<lb/>
walteten und von denen nicht zu erwarten war, daß<lb/>
man bei ihm gänzlich Umgang davon nehmen könne.<lb/>
Jch setzte voraus, Lord Byron halte seinen Titel eben<lb/>
so hoch als ein anderer Edelmann, höher vielleicht, weil<lb/>
er sich den Anschein gab, nichts nach demselben zu<lb/>
fragen. Ueberdieß hatte er eine poetische Einbildungskraft.<lb/>
Shelley, der zwar keine längere Bekanntschaft mit ihm<lb/>
gehabt, aber ihn doch genauer kennen gelernt hatte, gab<lb/>
ihm seinen Titel auf's pünktlichste und sagte mir unver-<lb/>
holen, es scheine ihm dieß das beste für beide Theile.<lb/>
Es ist wahr, daß seine älteren Bekannten in diesem<lb/>
Stück es hielten, wie man bei vertrautem Umgang zu<lb/>
thun pflegt; Shelley aber hielt eine solche Vertraulich-<lb/>
keit nicht für angemessen und glaubte, daß, obgleich ich<lb/>
es früher anders gemacht, eine lange Unterbrechung<lb/>
unseres Umgangs eine Aenderung um so unverfäng-<lb/>
licher machen werde, die in vieler Beziehung wünschens-<lb/>
werth, ganz ungezwungen und überhaupt darauf ein-<lb/>
gerichtet war, günstig aufgenommen zu werden. Jch<lb/>
trug daher Sorge, mein neues Reglement nicht studirt<lb/>
oder steif erscheinen zu lassen. Jn jeder Beziehung ging<lb/>
sonst alles wie zuvor; wir lachten, schwatzten, ritten<lb/>
mit einander aus und waren so vertraulich, als man<lb/>
wünschen konnte, so daß ich allen Grund hatte, anzu-<lb/>
nehmen, er werde die Sache ganz nach meinem Wunsch<lb/>
ansehen. Nichts desto weniger hatte er gar keinen Ge-<lb/>
fallen daran. Früher, als er sah, welche Mühe ich<lb/>
mir gab, meine Philosophie zu zeigen, wußte er wohl,<lb/>
daß er sicher war, ich mochte ihn tituliren wie ich wollte.<lb/>
Jetzt aber, da er entdeckte, daß ich älter geworden, und<lb/>
aus meinen allgemeinen Ansichten und Gewohnheiten<lb/>
den Schluß zog, daß meine Erfahrung, obgleich sie im<lb/>
Umgang mit der Welt den Styl derselben annahm, doch<lb/>
in mancher Hinsicht weniger Weltliches an sich hatte<lb/>
als je, war ihm meine veränderte Anrede unangenehm.<lb/>
Dieses Gefühl kam ihm nicht mit einemmal; je mehr<lb/>
wir aber mit einander umgingen und je mehr er die<lb/>
einfache, ruhige Ansicht kennen lernte, die ich von man-<lb/>
chen Dingen gewonnen hatte, über welche er den Schein<lb/>
haben wollte, eben so gleichgültig zu denken, um so<lb/>
weniger war er davon erbaut. Endlich, da er dachte,<lb/>
ich habe aufgehört ihn zu achten, fing er an mich dar-<lb/>
über zu necken und zu schrauben. Jch wußte, daß<lb/>
unter allen Umständen keiner von uns die frühere voll-<lb/>
ständige Vertraulichkeit zurückrufen könne, er nicht, weil<lb/>
er es als einen Triumph angesehen haben würde, der<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0013] 133 ausführlicher, des Adelstolzes. Seine Mittheilungen hierüber leitet er mit folgenden allgemeinen Betrachtun- gen ein: „Uneingeweihte können im Zweifel darüber seyn, ob Lords oft an ihre Titel denken, ob der lieb- liche Ton ihnen häufig in den Ohren klingt oder nicht. Manche Lords werden die Frage als eine gemeine und gar nicht aufzuwerfende verächtlich abweisen; von diesen dürft ihr aber annehmen, daß sie besonders oft daran denken. Die Wahrheit ist, daß die meisten von ihnen an ihre Titel denken wie ein schönes Mädchen an ihr Gesicht.“ — „Die Menschen geben irgend einen Vor- zug, den sie besitzen, sey es ein wirklicher oder einge- bildeter, nicht so leicht auf, und sie können hiefür Gründe genug anführen. Wenn ein Mann glücklich gemacht werden kann durch einen Titel, so sehe ich auch nicht ein, warum wir ihm an demselben mäkeln oder warum er selbst gering davon denken sollte, geringer als von Schönheit und Reichthum, oder irgend etwas, was sonst auf die Einbildungskraft wirkt. Die Frage ist nur, ob durch seinen persönlichen Vortheil die Uebrigen verlezt werden oder nicht.“ Diese Bemerkungen dürften nicht ohne allgemeines Jnteresse seyn, da wir aus ihnen lernen, wie ein eng- lischer Republikaner, und zwar kein bloß idealer, über diese Dinge denkt. Um uns nun Byrons Denkungs- weise hierüber kennen zu lehren, erzählt er von seinem Verhältniß zu dem Lord, wie dasselbe zur Zeit ihrer ersten Bekanntschaft in England ein so vertrauliches gewesen, daß er ihn am Anfang eines Briefs oder im Gespräch ohne Titel anredete, obgleich er sonst in der Regel Gelegenheiten, mit Männern von Rang vertraut zu werden, wie sie einem Journalisten nicht selten vor- kommen, aus Grundsatz abgelehnt habe. „Jezt aber war es Zeit, dachte ich, der Welt zu zeigen, daß Freund- schaft, Talent und Poesie höher gelten als Rang, und zwar bei Männern von Rang selbst. Mein Freund schien mir diese Annahme nicht bloß zu gestatten, son- dern mich sogar dazu zu ermuthigen. Jch nahm ihn beim Wort und glaube, daß er darüber eben so erstaunt war ( obgleich sich niemand verbindlicher über diese An- gelegenheit hätte aussprechen können ) , als ich, indem ich dieses schreibe, über den bloßen Gedanken daran ärger- lich bin. Jch sah meine Albernheit ein, lang ehe ich nach Jtalien ging, und beschloß, wenn sich wieder ein Verhältniß zwischen uns anknüpfen sollte, dasselbe auf einem ganz andern Fuß zu halten, jedoch auf eine Weise, die er eben so zu seinen wie zu meinen Gunsten auslegen könnte. Daß es ihm genehm seyn werde, glaubte ich annehmen zu dürfen, weil es sich von selbst ergeben sollte, als das Resultat von etwas mehr Welt- kenntniß und nicht als Folge einer genaueren Beobachtung seiner persönlichen Wünsche; ich rechnete um so mehr darauf, weil ich zur Zeit, als ich diesen Entschluß faßte, wirklich weniger an seinen individuellen Charakter dachte, als an die allgemeinen conventionellen Rück- sichten, die bei ihm wie bei andern seines Ranges ob- walteten und von denen nicht zu erwarten war, daß man bei ihm gänzlich Umgang davon nehmen könne. Jch setzte voraus, Lord Byron halte seinen Titel eben so hoch als ein anderer Edelmann, höher vielleicht, weil er sich den Anschein gab, nichts nach demselben zu fragen. Ueberdieß hatte er eine poetische Einbildungskraft. Shelley, der zwar keine längere Bekanntschaft mit ihm gehabt, aber ihn doch genauer kennen gelernt hatte, gab ihm seinen Titel auf's pünktlichste und sagte mir unver- holen, es scheine ihm dieß das beste für beide Theile. Es ist wahr, daß seine älteren Bekannten in diesem Stück es hielten, wie man bei vertrautem Umgang zu thun pflegt; Shelley aber hielt eine solche Vertraulich- keit nicht für angemessen und glaubte, daß, obgleich ich es früher anders gemacht, eine lange Unterbrechung unseres Umgangs eine Aenderung um so unverfäng- licher machen werde, die in vieler Beziehung wünschens- werth, ganz ungezwungen und überhaupt darauf ein- gerichtet war, günstig aufgenommen zu werden. Jch trug daher Sorge, mein neues Reglement nicht studirt oder steif erscheinen zu lassen. Jn jeder Beziehung ging sonst alles wie zuvor; wir lachten, schwatzten, ritten mit einander aus und waren so vertraulich, als man wünschen konnte, so daß ich allen Grund hatte, anzu- nehmen, er werde die Sache ganz nach meinem Wunsch ansehen. Nichts desto weniger hatte er gar keinen Ge- fallen daran. Früher, als er sah, welche Mühe ich mir gab, meine Philosophie zu zeigen, wußte er wohl, daß er sicher war, ich mochte ihn tituliren wie ich wollte. Jetzt aber, da er entdeckte, daß ich älter geworden, und aus meinen allgemeinen Ansichten und Gewohnheiten den Schluß zog, daß meine Erfahrung, obgleich sie im Umgang mit der Welt den Styl derselben annahm, doch in mancher Hinsicht weniger Weltliches an sich hatte als je, war ihm meine veränderte Anrede unangenehm. Dieses Gefühl kam ihm nicht mit einemmal; je mehr wir aber mit einander umgingen und je mehr er die einfache, ruhige Ansicht kennen lernte, die ich von man- chen Dingen gewonnen hatte, über welche er den Schein haben wollte, eben so gleichgültig zu denken, um so weniger war er davon erbaut. Endlich, da er dachte, ich habe aufgehört ihn zu achten, fing er an mich dar- über zu necken und zu schrauben. Jch wußte, daß unter allen Umständen keiner von uns die frühere voll- ständige Vertraulichkeit zurückrufen könne, er nicht, weil er es als einen Triumph angesehen haben würde, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/13
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/13>, abgerufen am 23.11.2024.