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Marburger Zeitung. Nr. 85, Marburg, 16.07.1908.

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Marburger Zeitung.



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Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr vorm. und von 5--6 Uhr nachm. Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einschaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 85 Donnerstag, 16. Juli 1908 47. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Reinliche Scheidung.

Gott sei Dank -- überall hat man sich doch
noch nicht den Kappzaum der Regierung freiwillig
umhängen lassen und nicht überall schließt man auf
Kommando der "deutschfreiheitlichen" Regierungs-
parteien die Augen, um die politische Verwüstung
nicht sehen zu müssen, welche aus dem unseligen
Sklavenverhältnisse entstehen, in welchem die "deutsch-
freiheitlichen" Parteien und die "deutschen Minister"
zu der slawischklerikalen Regierung des Herrn von
Beck stehen. In Deutschböhmen schwillt der
Groll und auch in Kärnten steigt er auf; der
Gemeindeausschuß von Spital a. d. Drau hat
in einer scharfen Entschließung "das zaghafte
Verhalten
und die Untätigkeit der freiheit-
lichen Abgeordneten" (soweit sie den "großen"
deutschen Parteien angehören) gegeißelt und die
Klagenfurter "Freien Stimmen" schlagen wie
folgt in dieselbe Kerbe:

Die Unzufriedenheit, die tiefe Verstimmung,
welche unter den Deutschen Österreichs allenthalben
herrschen, haben am Sonntag in den deutsch-
böhmischen
Städten lauten Ausdruck gefunden.
In massenhaft besuchten Versammlungen wurde dort
in schärfster Weise gegen die fortschreitende Tsche-
chisierung Deutschböhmens Stellung genommen und
in einer übereinstimmenden Entschließung der Regierung
ein entschiedenes Entweder-Oder zugerufen. Die
Redner, welche in diesen Versammlungen sprachen,
stellten insgesamt fest, daß die Lage des Deutschtums
in Österreich gegenwärtig schlechter sei als je. Sie
machten auch gegen die deutschen Minister Front,
welche sich zu sehr als Staatsmänner und viel zu
wenig als Anwälte ihres Volkes im Rate
der Krone fühlen. Das alte, traurige Lied! Während
der Slawe nach politischer Macht strebt, um diese
der nationalen Sache dienstbar zu machen, wirft
der Deutsche an einflußreicher Stelle den Mantel
[Spaltenumbruch] der "Objektivität" um seine Schultern und wird
in dem ängstlichen Bestreben, gerecht zu sein gegen
die anderen, ungerecht gegen sein eigenes Volk.
Besonders scharf gestaltete sich die Kundgebung in
Reichenberg, wo an der Regierung, an den Ministern
und an den deutschen Parteien die herbste Kritik
geübt wurde. Leider nur Kritik geübt; denn
sowohl in Reichenberg, als auch in den anderen
deutschböhmischen Städten unterließ man es,
auch den Ursachen nachzugehen, welche
zu Zuständen in Regierung und Parlament geführt
haben, die jeden ehrlichen Deutschen mit der größten
Sorge erfüllen müssen. Diese Ursachen sind in der
ganz unnatürlichen Verquirlung der
Parteien zu suchen, auf denen Ministerpräsident
Freiherr v. Beck -- Tscheche der Abstammung
und Klerikaler der Gesinnung nach -- seine Politik
der "mittlern Linie" aufgebaut hat. Was ist denn
eigentlich diese "Politik der mittlern Linie"? Doch
nur eine Konzessionspolitik, deren Um und Auf
in der klaglosen Inganghaltung der Parlaments-
maschine auf Kosten der -- Deutschen besteht,
wie uns nunmehr die Erfahrung doch schon genugsam
gelehrt haben sollte. An dem Wesen dieser auch
sonst geradezu korrumpierend wirkenden
Politik werden Protestversammlungen und gehar-
nischte Entschließungen, wie sie jetzt in Böhmen ge-
faßt wurden, nichts ändern, solange nicht in den
Kreisen der führenden deutschen Männer die Er-
kenntnis Bahn bricht, daß politische Macht bei
gleichzeitiger Verzichtleistung auf entschiedene nationale
und freiheitliche Betätigung Ohnmacht ist. Denn
während die gebundenen Deutschen Koalitionswasser
in den Wein ihrer nationalen Herzenswünsche gießen
müssen und des lieben faulen Friedens willen
eine bittere Koalitionspille nach der andern hin-
unterwürgen, bebauen Tschechen und Slowenen,
den für sie so fruchtbaren Koalitionsboden mit
nationaler Saat, die üppiger als je in Halme
schießt, während die praktischen Polaken sich ihre
[Spaltenumbruch] Koalitionszugehörigkeit auf wirtschaftlichem Gebiete
teuer bezahlen lassen.

Nicht nur in Böhmen, auch in den deutschen
Alpenländern wetterleuchtet es. Aber man bleibt
hier nicht, wie in Böhmen, an der Oberfläche,
sondern geht den Dingen auf den Grund. Die
Politik der sogenannten mittlern Linie des Frei-
herrn v. Beck schließt eine entschieden deutsch-
nationale Politik der deutschen Abgeordneten und
der deutschen Minister vollständig aus. Und nicht
einmal Optimisten können glauben, daß deutsche
Parteien von grundverschiedener Weltanschauung --
die eine national, die andere international -- mit-
einander in deutschnationalem Sinne wirken können.
Daraus aber folgt, daß die reinliche Scheidung
notwendig ist. Sie wird ersehnt von all den
Tausenden und Tausenden, denen es das Herz zu-
sammenschnürt, wenn sie es miterleben müssen,
wie jetzt Stück für Stück des deutsch-
nationalen Programmes staatsmännisch
zurückgestellt
wird, der Erhaltung einer Macht-
stellung zuliebe, die in Wahrheit nur eine Ohn-
macht
stellung ist."

Als die "Marburger Zeitung" schon vor Jahr
und Tag im obigen Sinne schrieb, da erregten wir
den Groll der "gutgesinnten" Blätter der deutschen
Volkspartei; man hielt uns die Störung der
(gottverlassenen!) "Einigkeit" vor. Jetzt, wo diese
Einigkeit im Sündigen, die Einigkeit
im Aufopfern
unserer nationalen, wirtschaftlichen
und freiheitlichen Lebensinteressen die schwersten
Krankheitssymptome erzeugt hat, jetzt, wo man sieht,
daß die deutschen Minister und jene regierungs-
dienerische "Realpolitik" keinen Schuß Pulver wert
sind, daß wir infolge dieser "Einigkeit" von einer
politischen Niederlage zur anderen getrieben werden,
jetzt kommt jener Standpunkt wieder allmählig zu
Ehren, den wir und alle uns Gleichgesinnten schon
zu einer Zeit einnahmen, als die gegenwärtige
politische Lage noch im Keinen war.




[Spaltenumbruch]
Schloß Eichgrund.

14



(Nachdruck verboten.)

"Suchen Sie nicht erst, meine Herren, das
Einzige, was vorhanden war, habe ich bereits an
mich genommen".

Er öffnete sein Taschenbuch und zeigte ein
kleines Stück Papier, das er zusammengeknüllt
vorgefunden hatte, das nun aber sorgfältig glatt
gestrichen war.

Der Staatsanwalt, sowohl wie der Landes-
gerichtsrat betrachteten es mit großer Aufmerksamkeit.

"Das ist aus einer französischen Zeitung",
bemerkte der Staatsanwalt.

"Und zwar der "L'Illustration", fügte der
Richter hinzu, auf die noch vorhandenen letzten
Silben des Wortes zeigend.

"Das Papier ist durchfettet", bemerkte weiter
der Kommissär, "es müssen also Eßwaren darin
eingepackt gewesen sein und zwar ..., nun meine
Herren, auf was meinen Sie schließen zu können,
vielleicht täusche ich mich".

Dr. Horst hielt das Papier an die Nase, um
aus dem Geruch etwas finden zu können, er reichte
es dann achselzuckend seinem Kollegen. Auch dieser
fand nach genauester Prüfung keinen Anhalt und
gab es dem Kommissär zurück. Dieser zog die Lupe
aus der Tasche und bat die Herren, das braune,
unscheinbare Pünktchen genau zu betrachten.

"Teufel noch einmal, das ist ein Restchen von
dem Federansatz irgend eines Geflügels!"


[Spaltenumbruch]

"Richtig", ergänzte der Kriminalbeamte "und
zwar von einem jedenfalls sehr appetitlichen Reb-
huhnschenkel".

Er zog bei diesen Worten aus seiner Tasche
ein sauber abgenagtes Knochenstück.

"Wo Geflügel verzehrt wird", erläuterte er,
"fallen Knochen ab, diese wollte der Schlemmer
beseitigen. Ich suchte deshalb in dem Gebüsch hier
nebenan und fand, was ich vermutete. Sie haben,
meine Herren, bei unserer Fährtenverfolgung auch
noch ein zweites übersehen; unser Metier schärft
uns die Augen. Außer der Spur des eleganten
Herrenstiefels findet sich noch eine andere, von
einem Damenfuße".

Er führte die Herren vorsichtig zurück und
zeigte ihnen die allerdings fast unsichtbaren Eindrücke
des zierlichen Stiefels. Ein sicheres Anzeichen boten
eigentlich nur die Vertiefungen, welche die hohen
Absätze des Stiefels hinterlassen hatten und auch
diese waren nur deshalb zu erkennen, weil dieser
Rasenplatz unmittelbar am Schlosse junges, erst
von diesem Jahre stammendes Gras aufwies. In
den Absatzvertiefungen zeigte sich eine winzige Spur
von Wasser.

"Das beweist", erklärte der Beamte, "daß die
Dame diesen Weg früher gegangen ist als Derjenige,
welcher sich dann zum Balkon begab. Das sind
nämlich kleine Regenlachen in diesen winzigen
Tüpfchen und der Regen gestern Abend hörte
zwischen acht und neun Uhr abends auf".

Die Herren waren, die Fußspur verfolgend,
bis an ein kleines Blumenrondel gekommen, das
mitten auf dem Rasenplatze angelegt war. Hier
[Spaltenumbruch] zeigten sich in dem weichen Erdreich die Spuren
in fast photographischer Treue.

"Diese Zeichen sind es gewesen, meine Herren",
bemerkte der Kommissär, "die mich veranlaßten,
genauere Nachforschung nach einer zweiten Fährte
anzustellen. Die Dame hat sich von hier aus direkt
zur Borkenhütte begeben und ist wieder zurück zur
Veranda gegangen, während der Mann diesen Weg
nur einmal und zwar nach der Veranda, beziehungs-
weise zum Balkon zurückgelegt hat".

"Wohin hat sich schließlich der Mann entfernt,
d. h. auf welchem Wege das Schloß und seine
Umgebung verlassen?" fragte der Staatsanwalt.

Der Kommissär zuckte die Schultern.

"Es ist nichts aufzufinden, was eine Anhalt
geben könnte. Er kann sich nur auf dem Kieswege
entfernt haben; denn die andere Möglichkeit, daß
er sich im Schloß verborgen hält, ist hinfällig
geworden, seitdem eine systematische Durchsuchung
aller Schloßräumlichkeiten erfolglos gewesen ist".

Der Untersuchungsrichter sah nachdenklich vor
sich hin.

"Wir können die Vernehmung von Frau
Mertens nicht mehr aufschieben", sagte er zu dem
neben ihm schreitenden Staatsanwalt.

"Wenn sich eines noch als zutreffend heraus-
stellt", antwortete dieser; "he!" rief er dann hinüber
zu Werner, der neben dem Inspektor auf dem
Balkon stand, -- dieser Werner schien ihm der
intelligentere von beiden Dienern zu sein, ihn wollte
er befragen, -- "kommen Sie herunter!"

Der Diener verschwand, um bald darauf sich
den Herren zu nähern.


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 85 Donnerstag, 16. Juli 1908 47. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Reinliche Scheidung.

Gott ſei Dank — überall hat man ſich doch
noch nicht den Kappzaum der Regierung freiwillig
umhängen laſſen und nicht überall ſchließt man auf
Kommando der „deutſchfreiheitlichen“ Regierungs-
parteien die Augen, um die politiſche Verwüſtung
nicht ſehen zu müſſen, welche aus dem unſeligen
Sklavenverhältniſſe entſtehen, in welchem die „deutſch-
freiheitlichen“ Parteien und die „deutſchen Miniſter“
zu der ſlawiſchklerikalen Regierung des Herrn von
Beck ſtehen. In Deutſchböhmen ſchwillt der
Groll und auch in Kärnten ſteigt er auf; der
Gemeindeausſchuß von Spital a. d. Drau hat
in einer ſcharfen Entſchließung „das zaghafte
Verhalten
und die Untätigkeit der freiheit-
lichen Abgeordneten“ (ſoweit ſie den „großen“
deutſchen Parteien angehören) gegeißelt und die
Klagenfurter „Freien Stimmen“ ſchlagen wie
folgt in dieſelbe Kerbe:

Die Unzufriedenheit, die tiefe Verſtimmung,
welche unter den Deutſchen Öſterreichs allenthalben
herrſchen, haben am Sonntag in den deutſch-
böhmiſchen
Städten lauten Ausdruck gefunden.
In maſſenhaft beſuchten Verſammlungen wurde dort
in ſchärfſter Weiſe gegen die fortſchreitende Tſche-
chiſierung Deutſchböhmens Stellung genommen und
in einer übereinſtimmenden Entſchließung der Regierung
ein entſchiedenes Entweder-Oder zugerufen. Die
Redner, welche in dieſen Verſammlungen ſprachen,
ſtellten insgeſamt feſt, daß die Lage des Deutſchtums
in Öſterreich gegenwärtig ſchlechter ſei als je. Sie
machten auch gegen die deutſchen Miniſter Front,
welche ſich zu ſehr als Staatsmänner und viel zu
wenig als Anwälte ihres Volkes im Rate
der Krone fühlen. Das alte, traurige Lied! Während
der Slawe nach politiſcher Macht ſtrebt, um dieſe
der nationalen Sache dienſtbar zu machen, wirft
der Deutſche an einflußreicher Stelle den Mantel
[Spaltenumbruch] der „Objektivität“ um ſeine Schultern und wird
in dem ängſtlichen Beſtreben, gerecht zu ſein gegen
die anderen, ungerecht gegen ſein eigenes Volk.
Beſonders ſcharf geſtaltete ſich die Kundgebung in
Reichenberg, wo an der Regierung, an den Miniſtern
und an den deutſchen Parteien die herbſte Kritik
geübt wurde. Leider nur Kritik geübt; denn
ſowohl in Reichenberg, als auch in den anderen
deutſchböhmiſchen Städten unterließ man es,
auch den Urſachen nachzugehen, welche
zu Zuſtänden in Regierung und Parlament geführt
haben, die jeden ehrlichen Deutſchen mit der größten
Sorge erfüllen müſſen. Dieſe Urſachen ſind in der
ganz unnatürlichen Verquirlung der
Parteien zu ſuchen, auf denen Miniſterpräſident
Freiherr v. Beck — Tſcheche der Abſtammung
und Klerikaler der Geſinnung nach — ſeine Politik
der „mittlern Linie“ aufgebaut hat. Was iſt denn
eigentlich dieſe „Politik der mittlern Linie“? Doch
nur eine Konzeſſionspolitik, deren Um und Auf
in der klagloſen Inganghaltung der Parlaments-
maſchine auf Koſten der — Deutſchen beſteht,
wie uns nunmehr die Erfahrung doch ſchon genugſam
gelehrt haben ſollte. An dem Weſen dieſer auch
ſonſt geradezu korrumpierend wirkenden
Politik werden Proteſtverſammlungen und gehar-
niſchte Entſchließungen, wie ſie jetzt in Böhmen ge-
faßt wurden, nichts ändern, ſolange nicht in den
Kreiſen der führenden deutſchen Männer die Er-
kenntnis Bahn bricht, daß politiſche Macht bei
gleichzeitiger Verzichtleiſtung auf entſchiedene nationale
und freiheitliche Betätigung Ohnmacht iſt. Denn
während die gebundenen Deutſchen Koalitionswaſſer
in den Wein ihrer nationalen Herzenswünſche gießen
müſſen und des lieben faulen Friedens willen
eine bittere Koalitionspille nach der andern hin-
unterwürgen, bebauen Tſchechen und Slowenen,
den für ſie ſo fruchtbaren Koalitionsboden mit
nationaler Saat, die üppiger als je in Halme
ſchießt, während die praktiſchen Polaken ſich ihre
[Spaltenumbruch] Koalitionszugehörigkeit auf wirtſchaftlichem Gebiete
teuer bezahlen laſſen.

Nicht nur in Böhmen, auch in den deutſchen
Alpenländern wetterleuchtet es. Aber man bleibt
hier nicht, wie in Böhmen, an der Oberfläche,
ſondern geht den Dingen auf den Grund. Die
Politik der ſogenannten mittlern Linie des Frei-
herrn v. Beck ſchließt eine entſchieden deutſch-
nationale Politik der deutſchen Abgeordneten und
der deutſchen Miniſter vollſtändig aus. Und nicht
einmal Optimiſten können glauben, daß deutſche
Parteien von grundverſchiedener Weltanſchauung —
die eine national, die andere international — mit-
einander in deutſchnationalem Sinne wirken können.
Daraus aber folgt, daß die reinliche Scheidung
notwendig iſt. Sie wird erſehnt von all den
Tauſenden und Tauſenden, denen es das Herz zu-
ſammenſchnürt, wenn ſie es miterleben müſſen,
wie jetzt Stück für Stück des deutſch-
nationalen Programmes ſtaatsmänniſch
zurückgeſtellt
wird, der Erhaltung einer Macht-
ſtellung zuliebe, die in Wahrheit nur eine Ohn-
macht
ſtellung iſt.“

Als die „Marburger Zeitung“ ſchon vor Jahr
und Tag im obigen Sinne ſchrieb, da erregten wir
den Groll der „gutgeſinnten“ Blätter der deutſchen
Volkspartei; man hielt uns die Störung der
(gottverlaſſenen!) „Einigkeit“ vor. Jetzt, wo dieſe
Einigkeit im Sündigen, die Einigkeit
im Aufopfern
unſerer nationalen, wirtſchaftlichen
und freiheitlichen Lebensintereſſen die ſchwerſten
Krankheitsſymptome erzeugt hat, jetzt, wo man ſieht,
daß die deutſchen Miniſter und jene regierungs-
dieneriſche „Realpolitik“ keinen Schuß Pulver wert
ſind, daß wir infolge dieſer „Einigkeit“ von einer
politiſchen Niederlage zur anderen getrieben werden,
jetzt kommt jener Standpunkt wieder allmählig zu
Ehren, den wir und alle uns Gleichgeſinnten ſchon
zu einer Zeit einnahmen, als die gegenwärtige
politiſche Lage noch im Keinen war.




[Spaltenumbruch]
Schloß Eichgrund.

14



(Nachdruck verboten.)

„Suchen Sie nicht erſt, meine Herren, das
Einzige, was vorhanden war, habe ich bereits an
mich genommen“.

Er öffnete ſein Taſchenbuch und zeigte ein
kleines Stück Papier, das er zuſammengeknüllt
vorgefunden hatte, das nun aber ſorgfältig glatt
geſtrichen war.

Der Staatsanwalt, ſowohl wie der Landes-
gerichtsrat betrachteten es mit großer Aufmerkſamkeit.

„Das iſt aus einer franzöſiſchen Zeitung“,
bemerkte der Staatsanwalt.

„Und zwar der „L’Illuſtration“, fügte der
Richter hinzu, auf die noch vorhandenen letzten
Silben des Wortes zeigend.

„Das Papier iſt durchfettet“, bemerkte weiter
der Kommiſſär, „es müſſen alſo Eßwaren darin
eingepackt geweſen ſein und zwar ..., nun meine
Herren, auf was meinen Sie ſchließen zu können,
vielleicht täuſche ich mich“.

Dr. Horſt hielt das Papier an die Naſe, um
aus dem Geruch etwas finden zu können, er reichte
es dann achſelzuckend ſeinem Kollegen. Auch dieſer
fand nach genaueſter Prüfung keinen Anhalt und
gab es dem Kommiſſär zurück. Dieſer zog die Lupe
aus der Taſche und bat die Herren, das braune,
unſcheinbare Pünktchen genau zu betrachten.

„Teufel noch einmal, das iſt ein Reſtchen von
dem Federanſatz irgend eines Geflügels!“


[Spaltenumbruch]

„Richtig“, ergänzte der Kriminalbeamte „und
zwar von einem jedenfalls ſehr appetitlichen Reb-
huhnſchenkel“.

Er zog bei dieſen Worten aus ſeiner Taſche
ein ſauber abgenagtes Knochenſtück.

„Wo Geflügel verzehrt wird“, erläuterte er,
„fallen Knochen ab, dieſe wollte der Schlemmer
beſeitigen. Ich ſuchte deshalb in dem Gebüſch hier
nebenan und fand, was ich vermutete. Sie haben,
meine Herren, bei unſerer Fährtenverfolgung auch
noch ein zweites überſehen; unſer Metier ſchärft
uns die Augen. Außer der Spur des eleganten
Herrenſtiefels findet ſich noch eine andere, von
einem Damenfuße“.

Er führte die Herren vorſichtig zurück und
zeigte ihnen die allerdings faſt unſichtbaren Eindrücke
des zierlichen Stiefels. Ein ſicheres Anzeichen boten
eigentlich nur die Vertiefungen, welche die hohen
Abſätze des Stiefels hinterlaſſen hatten und auch
dieſe waren nur deshalb zu erkennen, weil dieſer
Raſenplatz unmittelbar am Schloſſe junges, erſt
von dieſem Jahre ſtammendes Gras aufwies. In
den Abſatzvertiefungen zeigte ſich eine winzige Spur
von Waſſer.

„Das beweist“, erklärte der Beamte, „daß die
Dame dieſen Weg früher gegangen iſt als Derjenige,
welcher ſich dann zum Balkon begab. Das ſind
nämlich kleine Regenlachen in dieſen winzigen
Tüpfchen und der Regen geſtern Abend hörte
zwiſchen acht und neun Uhr abends auf“.

Die Herren waren, die Fußſpur verfolgend,
bis an ein kleines Blumenrondel gekommen, das
mitten auf dem Raſenplatze angelegt war. Hier
[Spaltenumbruch] zeigten ſich in dem weichen Erdreich die Spuren
in faſt photographiſcher Treue.

„Dieſe Zeichen ſind es geweſen, meine Herren“,
bemerkte der Kommiſſär, „die mich veranlaßten,
genauere Nachforſchung nach einer zweiten Fährte
anzuſtellen. Die Dame hat ſich von hier aus direkt
zur Borkenhütte begeben und iſt wieder zurück zur
Veranda gegangen, während der Mann dieſen Weg
nur einmal und zwar nach der Veranda, beziehungs-
weiſe zum Balkon zurückgelegt hat“.

„Wohin hat ſich ſchließlich der Mann entfernt,
d. h. auf welchem Wege das Schloß und ſeine
Umgebung verlaſſen?“ fragte der Staatsanwalt.

Der Kommiſſär zuckte die Schultern.

„Es iſt nichts aufzufinden, was eine Anhalt
geben könnte. Er kann ſich nur auf dem Kieswege
entfernt haben; denn die andere Möglichkeit, daß
er ſich im Schloß verborgen hält, iſt hinfällig
geworden, ſeitdem eine ſyſtematiſche Durchſuchung
aller Schloßräumlichkeiten erfolglos geweſen iſt“.

Der Unterſuchungsrichter ſah nachdenklich vor
ſich hin.

„Wir können die Vernehmung von Frau
Mertens nicht mehr aufſchieben“, ſagte er zu dem
neben ihm ſchreitenden Staatsanwalt.

„Wenn ſich eines noch als zutreffend heraus-
ſtellt“, antwortete dieſer; „he!“ rief er dann hinüber
zu Werner, der neben dem Inſpektor auf dem
Balkon ſtand, — dieſer Werner ſchien ihm der
intelligentere von beiden Dienern zu ſein, ihn wollte
er befragen, — „kommen Sie herunter!“

Der Diener verſchwand, um bald darauf ſich
den Herren zu nähern.


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 85 Donnerstag, 16. Juli 1908 47. Jahrgang. Reinliche Scheidung. Gott ſei Dank — überall hat man ſich doch noch nicht den Kappzaum der Regierung freiwillig umhängen laſſen und nicht überall ſchließt man auf Kommando der „deutſchfreiheitlichen“ Regierungs- parteien die Augen, um die politiſche Verwüſtung nicht ſehen zu müſſen, welche aus dem unſeligen Sklavenverhältniſſe entſtehen, in welchem die „deutſch- freiheitlichen“ Parteien und die „deutſchen Miniſter“ zu der ſlawiſchklerikalen Regierung des Herrn von Beck ſtehen. In Deutſchböhmen ſchwillt der Groll und auch in Kärnten ſteigt er auf; der Gemeindeausſchuß von Spital a. d. 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Sie machten auch gegen die deutſchen Miniſter Front, welche ſich zu ſehr als Staatsmänner und viel zu wenig als Anwälte ihres Volkes im Rate der Krone fühlen. Das alte, traurige Lied! Während der Slawe nach politiſcher Macht ſtrebt, um dieſe der nationalen Sache dienſtbar zu machen, wirft der Deutſche an einflußreicher Stelle den Mantel der „Objektivität“ um ſeine Schultern und wird in dem ängſtlichen Beſtreben, gerecht zu ſein gegen die anderen, ungerecht gegen ſein eigenes Volk. Beſonders ſcharf geſtaltete ſich die Kundgebung in Reichenberg, wo an der Regierung, an den Miniſtern und an den deutſchen Parteien die herbſte Kritik geübt wurde. Leider nur Kritik geübt; denn ſowohl in Reichenberg, als auch in den anderen deutſchböhmiſchen Städten unterließ man es, auch den Urſachen nachzugehen, welche zu Zuſtänden in Regierung und Parlament geführt haben, die jeden ehrlichen Deutſchen mit der größten Sorge erfüllen müſſen. 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Denn während die gebundenen Deutſchen Koalitionswaſſer in den Wein ihrer nationalen Herzenswünſche gießen müſſen und des lieben faulen Friedens willen eine bittere Koalitionspille nach der andern hin- unterwürgen, bebauen Tſchechen und Slowenen, den für ſie ſo fruchtbaren Koalitionsboden mit nationaler Saat, die üppiger als je in Halme ſchießt, während die praktiſchen Polaken ſich ihre Koalitionszugehörigkeit auf wirtſchaftlichem Gebiete teuer bezahlen laſſen. Nicht nur in Böhmen, auch in den deutſchen Alpenländern wetterleuchtet es. Aber man bleibt hier nicht, wie in Böhmen, an der Oberfläche, ſondern geht den Dingen auf den Grund. Die Politik der ſogenannten mittlern Linie des Frei- herrn v. Beck ſchließt eine entſchieden deutſch- nationale Politik der deutſchen Abgeordneten und der deutſchen Miniſter vollſtändig aus. Und nicht einmal Optimiſten können glauben, daß deutſche Parteien von grundverſchiedener Weltanſchauung — die eine national, die andere international — mit- einander in deutſchnationalem Sinne wirken können. Daraus aber folgt, daß die reinliche Scheidung notwendig iſt. Sie wird erſehnt von all den Tauſenden und Tauſenden, denen es das Herz zu- ſammenſchnürt, wenn ſie es miterleben müſſen, wie jetzt Stück für Stück des deutſch- nationalen Programmes ſtaatsmänniſch zurückgeſtellt wird, der Erhaltung einer Macht- ſtellung zuliebe, die in Wahrheit nur eine Ohn- macht ſtellung iſt.“ Als die „Marburger Zeitung“ ſchon vor Jahr und Tag im obigen Sinne ſchrieb, da erregten wir den Groll der „gutgeſinnten“ Blätter der deutſchen Volkspartei; man hielt uns die Störung der (gottverlaſſenen!) „Einigkeit“ vor. Jetzt, wo dieſe Einigkeit im Sündigen, die Einigkeit im Aufopfern unſerer nationalen, wirtſchaftlichen und freiheitlichen Lebensintereſſen die ſchwerſten Krankheitsſymptome erzeugt hat, jetzt, wo man ſieht, daß die deutſchen Miniſter und jene regierungs- dieneriſche „Realpolitik“ keinen Schuß Pulver wert ſind, daß wir infolge dieſer „Einigkeit“ von einer politiſchen Niederlage zur anderen getrieben werden, jetzt kommt jener Standpunkt wieder allmählig zu Ehren, den wir und alle uns Gleichgeſinnten ſchon zu einer Zeit einnahmen, als die gegenwärtige politiſche Lage noch im Keinen war. Schloß Eichgrund. Kriminal-Roman von Hans von Wieſa. 14 (Nachdruck verboten.) „Suchen Sie nicht erſt, meine Herren, das Einzige, was vorhanden war, habe ich bereits an mich genommen“. Er öffnete ſein Taſchenbuch und zeigte ein kleines Stück Papier, das er zuſammengeknüllt vorgefunden hatte, das nun aber ſorgfältig glatt geſtrichen war. Der Staatsanwalt, ſowohl wie der Landes- gerichtsrat betrachteten es mit großer Aufmerkſamkeit. „Das iſt aus einer franzöſiſchen Zeitung“, bemerkte der Staatsanwalt. „Und zwar der „L’Illuſtration“, fügte der Richter hinzu, auf die noch vorhandenen letzten Silben des Wortes zeigend. „Das Papier iſt durchfettet“, bemerkte weiter der Kommiſſär, „es müſſen alſo Eßwaren darin eingepackt geweſen ſein und zwar ..., nun meine Herren, auf was meinen Sie ſchließen zu können, vielleicht täuſche ich mich“. Dr. Horſt hielt das Papier an die Naſe, um aus dem Geruch etwas finden zu können, er reichte es dann achſelzuckend ſeinem Kollegen. Auch dieſer fand nach genaueſter Prüfung keinen Anhalt und gab es dem Kommiſſär zurück. Dieſer zog die Lupe aus der Taſche und bat die Herren, das braune, unſcheinbare Pünktchen genau zu betrachten. „Teufel noch einmal, das iſt ein Reſtchen von dem Federanſatz irgend eines Geflügels!“ „Richtig“, ergänzte der Kriminalbeamte „und zwar von einem jedenfalls ſehr appetitlichen Reb- huhnſchenkel“. Er zog bei dieſen Worten aus ſeiner Taſche ein ſauber abgenagtes Knochenſtück. „Wo Geflügel verzehrt wird“, erläuterte er, „fallen Knochen ab, dieſe wollte der Schlemmer beſeitigen. Ich ſuchte deshalb in dem Gebüſch hier nebenan und fand, was ich vermutete. Sie haben, meine Herren, bei unſerer Fährtenverfolgung auch noch ein zweites überſehen; unſer Metier ſchärft uns die Augen. Außer der Spur des eleganten Herrenſtiefels findet ſich noch eine andere, von einem Damenfuße“. Er führte die Herren vorſichtig zurück und zeigte ihnen die allerdings faſt unſichtbaren Eindrücke des zierlichen Stiefels. Ein ſicheres Anzeichen boten eigentlich nur die Vertiefungen, welche die hohen Abſätze des Stiefels hinterlaſſen hatten und auch dieſe waren nur deshalb zu erkennen, weil dieſer Raſenplatz unmittelbar am Schloſſe junges, erſt von dieſem Jahre ſtammendes Gras aufwies. In den Abſatzvertiefungen zeigte ſich eine winzige Spur von Waſſer. „Das beweist“, erklärte der Beamte, „daß die Dame dieſen Weg früher gegangen iſt als Derjenige, welcher ſich dann zum Balkon begab. Das ſind nämlich kleine Regenlachen in dieſen winzigen Tüpfchen und der Regen geſtern Abend hörte zwiſchen acht und neun Uhr abends auf“. Die Herren waren, die Fußſpur verfolgend, bis an ein kleines Blumenrondel gekommen, das mitten auf dem Raſenplatze angelegt war. Hier zeigten ſich in dem weichen Erdreich die Spuren in faſt photographiſcher Treue. „Dieſe Zeichen ſind es geweſen, meine Herren“, bemerkte der Kommiſſär, „die mich veranlaßten, genauere Nachforſchung nach einer zweiten Fährte anzuſtellen. Die Dame hat ſich von hier aus direkt zur Borkenhütte begeben und iſt wieder zurück zur Veranda gegangen, während der Mann dieſen Weg nur einmal und zwar nach der Veranda, beziehungs- weiſe zum Balkon zurückgelegt hat“. „Wohin hat ſich ſchließlich der Mann entfernt, d. h. auf welchem Wege das Schloß und ſeine Umgebung verlaſſen?“ fragte der Staatsanwalt. Der Kommiſſär zuckte die Schultern. „Es iſt nichts aufzufinden, was eine Anhalt geben könnte. Er kann ſich nur auf dem Kieswege entfernt haben; denn die andere Möglichkeit, daß er ſich im Schloß verborgen hält, iſt hinfällig geworden, ſeitdem eine ſyſtematiſche Durchſuchung aller Schloßräumlichkeiten erfolglos geweſen iſt“. Der Unterſuchungsrichter ſah nachdenklich vor ſich hin. „Wir können die Vernehmung von Frau Mertens nicht mehr aufſchieben“, ſagte er zu dem neben ihm ſchreitenden Staatsanwalt. „Wenn ſich eines noch als zutreffend heraus- ſtellt“, antwortete dieſer; „he!“ rief er dann hinüber zu Werner, der neben dem Inſpektor auf dem Balkon ſtand, — dieſer Werner ſchien ihm der intelligentere von beiden Dienern zu ſein, ihn wollte er befragen, — „kommen Sie herunter!“ Der Diener verſchwand, um bald darauf ſich den Herren zu nähern.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 85, Marburg, 16.07.1908, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger85_1908/1>, abgerufen am 28.03.2024.