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Marburger Zeitung. Nr. 222, Marburg, 30.09.1917.

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Marburger Zeitung Nr. 220 28 September 1917

[Spaltenumbruch]
England im Kampfe mit Irland.

[Spaltenumbruch]

Die Beunruhiung
Irlands durch die Versuche der Regierung, die
allgemeine Wehrpflicht auch in Irland durch-
zuführen, äußert sich in allen Teilen der Insel
in demonstrativen Umzügen und Verhaftungen,
Verurteilungen, Hungerstreiks und Plünderungen
gehören zu den täglichen Vorkommnissen. Die
Redmond-Nationalisten versuchen krampfhaft,
den Sinnfeinern gegenüber Boden zu gewinnen,
indem auch sie gegen die unglaubliche
Stupidität
der englischen Regierung und
die haarsträubende Brutalität
der Maxwellschen Schreckensherr-
schaft protestiren.

In Cork hielt am Sonntag Arthur
[Spaltenumbruch] Griffith eine große Sinnfeiner-Versammlung
ab, in der er offen zum äußersten Wider-
stand
gegen jeden Versuch zu zwangsweiser
Rekrutierung auffordert. Auch er erwähnte die
Vorbereitungen, die die angemessene Vertretung
Irlands bei den kommenden Friedensverhand-
lungen sichern sollen. Er protestierte gleichzeitig
gegen den erwähnten irischen Kongreß, der
von der englischen Regierung einberufen wurde,
da England auch nicht die allergeringste Zu-
sicherung gegeben habe, die Beschlüsse der all-
irischen Konvention auch wirklich zur Aus-
führung zu bringen. Die Situation wird in
England als höchst kritisch angesehen.




[Spaltenumbruch]
Amerika.
Amerikanisch-"demokratische"
Deutschenjagd.

(Reuter.)
Die Verhaftungen von Deutschen und Deutsch-
freundlichen haben gestern eingesetzt und dauern
heute an. Viele Personen sind nach Ellis Island
gebracht worden, wo sie, wie mitgeteilt wurde,
wahrscheinlich während der Dauer des Krieges in-
terniert werden. Die meisten Verhafteten waren in
Geschoßfabriken oder bei Schiffsarbeiten beschäftigt.
Man "glaubt", daß ein weitverzweigtes "Kom-
plott" zur Beschädigung von Maschinen, das auf
Anweisung deutscher "Agenten in Europa" arbeitet,
zum Scheitern gebracht worden ist. Die "Ver-
schwörer" wurden von den Agenten des Marine-
departements seit Monaten beobachtet.

Riesenstreik in Westamerika.

Nach einer
Drahtnachricht aus New-York werden durch den
Streik in San Francisco Kriegslieferungs-
aufträge
im Werte von 600 Miltionen
Mark aufgehalten.

Peru.
Ein peruanisches Ultimatum.

"Niuwe Cou-
rant" meldt aus London: Die Regierung von
Peru hat wegen der Versenkung des Schiffes
"Lorton" ein Ultimatum an Deutschland ge-
richtet, worin binnen einer Woche Genugtuung
verlangt wird.

China.
Ausbruch einer Militärrevolte.

(Reuter.) Die
Garnison des strategisch wichtigen Passes
[Spaltenumbruch] von Ling-Ling
im südlichen Hunan hat sich
von der Zentralregierung unabhängig erklärt.
Die Revolte wurde von den Führern des Südens
angestiftet. Der Anschlag gibt ihnen die Herr-
schaft
über die Provinz Hunau. Truppen
aus Kwangsi marschieren nach Hunan, um
den Rebellen beizustehen.

Schweden.
Beratungen mit Wilson?

Die "München-
Augsburger Abendzeitung" meldet aus Amsterdam:
Aus Washington wird gemeldet: Präsident Wilson
hält mit dem schwedischen Gesandten täglich
Beratungen ab. Ihr Ziel ist nicht bekannt, sie
erregen aber großes Aufsehen.




Die Kriegslage.


Der gewaltige englische Krafteinsatz an
Menschen und Geschützen in der neuen Schlacht
in Flandern hat der Entente wieder eine
Enttäuschung bereitet; als einzigen Gewinn
konnten die englischen Massen an einer Stelle eine
leichte Einbuchtung in der deutschen Front erzielen,
die sie aber mit schweren blutigen Opfern büßen
mußten. Zerschossene englische Divisionen fluteten
an allen anderen Stellen wieder zurück oder
wurden im Gegenstoße wieder über die vom
feindlichen Massenfeuer zerwühlte Kampfzone
zurückgetrieben. Wie schon in früheren Schlachten
im Flandrischen beginnen die Engländer nach der
notgedrungenen Infanteriepause wieder die deutsche
Verteidigunslinie mit ihrem ungeheueren Artillerie-
material zu zertrommeln, um dann neuerdings
zum Massensturme vorzugehen. Aber immer noch
sind aus der zerrissenen Erde, die einer verkraterten
Mondlandschaft gleicht, im Augenblicke des Sturmes
[Spaltenumbruch] deutsche Verteidiger emporgestiegen und die
Maschinengewehre, die aus der Versenkung auf-
tauchten, sandten den Tod in die Reihen der
Stürmer; unerschüttert bleibt die deutsche Front,
trotz der gewaltigen feindlichen Ueberlegenheit in
der Zahl der Massen und der Artillerien Englands,
Frankreichs und Amerikas. Mit festem Vertrauen
können wir dem Fortgange der neuen Schlacht in
Flandern entgegensehen.

Kurz und kürzer werden unsere Generalstabs-
berichte von der italienischen Front; die
Fronten stehen sich gegenüber als zwei Kräfte, die
Atem holen zu neuen Schlägen und es ist nicht
zu verkennen, daß in der italienischen Heeresleitung
große Besorgnisse um die Zukunft herrschen;
Grenzsperre gegen die Schweiz und Truppenver-
schiebungen kennzeichnen die Lage. Welche großen
inneren Gärungen und Erschütterungen das ver-
räterische Königreich durchziehen, wie der Auftakt
kommrnder Ereignisse, ist genugsam bekannt.

Zwischen der Ostsee und dem Schwarzen
Meere
sind alle Kämpfe abgeflaut.




Innerpolitisches.
Taboritenlied des Tschechenpriesters.

Die letzte fanatische Parlamentsrede des
Tschechenpriesters Zahradnik hat sogar die
deutschen Christlichsozialen zur Empörung gereizt;
vielleicht weniger der flammende nationale Haß
des Tschechenpriesters, der letzten Endes auf die
Zertrümmerung Oesterreichs ausgeht, als vielmehr
der Umstand, daß der hochwürdige Zahradnik ver-
blümt den Papst beschimpfte und sich von
ihm im gewissen Sinne lossagte. Das Wiener
Hauptorgan der Christlichsozialen schrieb darüber u. a.:

"Abg. Zahradnik, dessen beleidigende Worte
nicht an die erhabene Person des Papstes heran-
reichen können, ist katholischer Ordens-
geistlicher
und steht an der Spitze eines
böhmischen Prämonstratenserstiftes; er ist
ein Führer der tschechischen Agrarpartei, in deren
Organisation zahlreiche Priester als Stützen
der Partei tätig sind. Abg. Zahradnik hat nach
alter Taboritenweise ein hussitisch
Lied angestimmt,
das zeigt, wie tief der
tschechische Radikalismus sich im tschechischem Volke,
ja selbst im tschechischen Klerus eingefressen hat
und welche Verirrungen der radikale Wahnsinn
bereits möglich macht. Der tschechische Sozial-
demokrat Nemec
hat heute dem Papst den
Dank für seine Friedensnote ausgesprochen -- der
tschechische Priester Zahradnik hat gegen
den Heiligen Vater als Friedensstifter
die Hand erhoben!
"




Hingewiesen muß aber darauf werden, daß die
Tschechen und die Südslawen durch ihre
wilde, gegen Oesterreich vorgehende
Rammtaktik fortwährend Erfolge erzielen.

Der größte Erfolg war die Amnestie der




[Spaltenumbruch]
Im stillen Winkel.

Referendar Balden betrachtete die aufgeregte
junge Dame mit spöttischem Lächeln, dann pfiff er
leise durch die Zähne und versicherte sich mit
raschem Blick, ob nicht jemand zuhörte. Doch die
Gäste waren alle sehr mit sich selbst beschäftigt, mit
Ausnahme eines jungen Leutnants, der dem Mäd-
chen zur Rechten saß und angelegentlich hinüber
blickte.

"Warum sind Sie so bitter, Fräulein Helmer?
Auch arme Mädchen werden geheiratet --"

Sie lachte wieder schneidend auf.

"In den seltesten Fällen! Hätte ich Geld wie
Heddy Schönberg, so säße ich vielleicht heute statt
ihrer an der Seite des schönen Walter Berghof
als dessen "geliebte" Frau!"

Sie legte einen besonderen Nachdruck auf das
Wort. Ein Blick des tiefsten Hasses traf das Braut-
paar, das Hand in Hand am obersten Ende der
Tafel saß.

Referendar Balden schaute mit höchsten Inter-
esse auf die hübsche Sprecherin, deren Augen
sprühten. Auch der junge Leutnant an ihrer anderen
Seite betrachtete sie aufmerksam und fragte dann
eindringlich: "So glauben Sie nicht, daß Walter
Berghos einen Liebesbund geschlossen hat? Alle Welt
nimmt doch das an!"


[Spaltenumbruch]

"Liebesbund?" wiederholte sie verächtlich, "eine
Geldheirat ist es, nichts weiter, das weiß ich ganz
bestimmt! Denn" -- sie senkte die Stimme und
gedämpften Tones fort: "Ich kann es ruhig aus-
sprechen, ich durste mich als Walters Braut be-
trachten, wir liebten uns, und er nahm jede Ge-
legenheit wahr, die sich ihm bot, um mich zu treffen,
Wir machten gemeinsame Spaziergänge und er ver-
sicherte mir oft, daß ich ihm eiu lieber Kame-
rad sei."

"Gab er Ihnen ein Heiratsversprechen?" fragte
der Referendar, wie ihr scheinen wollte, etwas
erregt.

"Nein!" sagte sie hart. "Weshalb sollte er das?
Wir sprachen überhaupt nicht von Liebe, aber ich
sah seine Augen oft frendig aufleuchten, wenn er
mich erblickte, und er versicherte mir stets, daß ihm
mein heiteres Geplander zur lieben Gewohnheit
geworden sei, daß er sich darauf freue, -- und
nannte mich seinen guten Kameraden. Das dauerte
so ungefähr ein Vierteljahr, -- bis Heddy Schön-
berg aus der Pension zurückkam und sich die beiden
auf einem Balle trafen. Er hatte jedenfalls sehr
bald herausgefunden, daß Heddy ein Goldfisch ist
und sie, -- na, sie mag ihn ja lieben, das gebe
ich zu! Von jenem Tage an zog er sich auffällig
von mir zurück und hatte keine Zeit mehr für
unsere gemeinsamen Ausflüge. Was ich dabei emp-
fand. waß ich litt, -- darnach fragte der feine Herr
nicht, -- was liegt an einem armen Mädchen!
[Spaltenumbruch] Aber mir war Walter Berghof Lebensinhalt ge-
wesen, die einzige Freude, die ich je gehabt! Denn
meine Jugend war sehr traurig. Und einmal, --
da lief er mir in den Weg -- zufällig -- ich hängte
mich an ihn, ich wollte wenigstens wissen, welche
Empfindungen er hegte. Auf meine Frage, weshalb
er mir so auffällig ausweiche, sah er mich halb be-
lustigt, halb erstaunt an: "Ja, wissen Sie denn
nicht, ich habe mich doch verlobt? Wie sollte ich
da Zeit für eine andere haben?"

Er mochte wohl meinen Zorn, weine Ver-
achtung bemerken, den er fügte rasch hinzu: "Aber
Fräulein Anna, -- was machen Sie für ein Ge-
sicht? Ja, bildeten Sie sich schon am Ende ein, --
daß ich -- daß aus uns zwei ein Paar hätte
werden können? -- Wir haben beide kein Geld, --
was ich verdiene, brauche ich für mich, -- ich
muß gestehen -- -- derartige Gedanken lagen mir
fern! Wir waren Freunde, gute Kameraden --"

Weiter hörte ich nichts. Ich floh wie gehetzt
davon, -- ich fchämte mich!" -- --

"Und haben Sie der kleinen Heddy irgend
eine Andeutung von den Vorgefallenen gemacht?"
fragte der junge Leutnant von Richthofen, der auf-
merksam zugehört hatte.

Sie schüttelte heftig den Kopf.

"Wie sollte ich wohl dazu kommen? Wir kennen
uns ja kaum."

"Wie kommen Sie dann auf diese Hochzeit
und als Brautjungfer?" (Forts. folgt.)


Marburger Zeitung Nr. 220 28 September 1917

[Spaltenumbruch]
England im Kampfe mit Irland.

[Spaltenumbruch]

Die Beunruhiung
Irlands durch die Verſuche der Regierung, die
allgemeine Wehrpflicht auch in Irland durch-
zuführen, äußert ſich in allen Teilen der Inſel
in demonſtrativen Umzügen und Verhaftungen,
Verurteilungen, Hungerſtreiks und Plünderungen
gehören zu den täglichen Vorkommniſſen. Die
Redmond-Nationaliſten verſuchen krampfhaft,
den Sinnfeinern gegenüber Boden zu gewinnen,
indem auch ſie gegen die unglaubliche
Stupidität
der engliſchen Regierung und
die haarſträubende Brutalität
der Maxwellſchen Schreckensherr-
ſchaft proteſtiren.

In Cork hielt am Sonntag Arthur
[Spaltenumbruch] Griffith eine große Sinnfeiner-Verſammlung
ab, in der er offen zum äußerſten Wider-
ſtand
gegen jeden Verſuch zu zwangsweiſer
Rekrutierung auffordert. Auch er erwähnte die
Vorbereitungen, die die angemeſſene Vertretung
Irlands bei den kommenden Friedensverhand-
lungen ſichern ſollen. Er proteſtierte gleichzeitig
gegen den erwähnten iriſchen Kongreß, der
von der engliſchen Regierung einberufen wurde,
da England auch nicht die allergeringſte Zu-
ſicherung gegeben habe, die Beſchlüſſe der all-
iriſchen Konvention auch wirklich zur Aus-
führung zu bringen. Die Situation wird in
England als höchſt kritiſch angeſehen.




[Spaltenumbruch]
Amerika.
Amerikaniſch-„demokratiſche“
Deutſchenjagd.

(Reuter.)
Die Verhaftungen von Deutſchen und Deutſch-
freundlichen haben geſtern eingeſetzt und dauern
heute an. Viele Perſonen ſind nach Ellis Island
gebracht worden, wo ſie, wie mitgeteilt wurde,
wahrſcheinlich während der Dauer des Krieges in-
terniert werden. Die meiſten Verhafteten waren in
Geſchoßfabriken oder bei Schiffsarbeiten beſchäftigt.
Man „glaubt“, daß ein weitverzweigtes „Kom-
plott“ zur Beſchädigung von Maſchinen, das auf
Anweiſung deutſcher „Agenten in Europa“ arbeitet,
zum Scheitern gebracht worden iſt. Die „Ver-
ſchwörer“ wurden von den Agenten des Marine-
departements ſeit Monaten beobachtet.

Rieſenſtreik in Weſtamerika.

Nach einer
Drahtnachricht aus New-York werden durch den
Streik in San Francisco Kriegslieferungs-
aufträge
im Werte von 600 Miltionen
Mark aufgehalten.

Peru.
Ein peruaniſches Ultimatum.

„Niuwe Cou-
rant“ meldt aus London: Die Regierung von
Peru hat wegen der Verſenkung des Schiffes
„Lorton“ ein Ultimatum an Deutſchland ge-
richtet, worin binnen einer Woche Genugtuung
verlangt wird.

China.
Ausbruch einer Militärrevolte.

(Reuter.) Die
Garniſon des ſtrategiſch wichtigen Paſſes
[Spaltenumbruch] von Ling-Ling
im ſüdlichen Hunan hat ſich
von der Zentralregierung unabhängig erklärt.
Die Revolte wurde von den Führern des Südens
angeſtiftet. Der Anſchlag gibt ihnen die Herr-
ſchaft
über die Provinz Hunau. Truppen
aus Kwangſi marſchieren nach Hunan, um
den Rebellen beizuſtehen.

Schweden.
Beratungen mit Wilſon?

Die „München-
Augsburger Abendzeitung“ meldet aus Amſterdam:
Aus Waſhington wird gemeldet: Präſident Wilſon
hält mit dem ſchwediſchen Geſandten täglich
Beratungen ab. Ihr Ziel iſt nicht bekannt, ſie
erregen aber großes Aufſehen.




Die Kriegslage.


Der gewaltige engliſche Krafteinſatz an
Menſchen und Geſchützen in der neuen Schlacht
in Flandern hat der Entente wieder eine
Enttäuſchung bereitet; als einzigen Gewinn
konnten die engliſchen Maſſen an einer Stelle eine
leichte Einbuchtung in der deutſchen Front erzielen,
die ſie aber mit ſchweren blutigen Opfern büßen
mußten. Zerſchoſſene engliſche Diviſionen fluteten
an allen anderen Stellen wieder zurück oder
wurden im Gegenſtoße wieder über die vom
feindlichen Maſſenfeuer zerwühlte Kampfzone
zurückgetrieben. Wie ſchon in früheren Schlachten
im Flandriſchen beginnen die Engländer nach der
notgedrungenen Infanteriepauſe wieder die deutſche
Verteidigunslinie mit ihrem ungeheueren Artillerie-
material zu zertrommeln, um dann neuerdings
zum Maſſenſturme vorzugehen. Aber immer noch
ſind aus der zerriſſenen Erde, die einer verkraterten
Mondlandſchaft gleicht, im Augenblicke des Sturmes
[Spaltenumbruch] deutſche Verteidiger emporgeſtiegen und die
Maſchinengewehre, die aus der Verſenkung auf-
tauchten, ſandten den Tod in die Reihen der
Stürmer; unerſchüttert bleibt die deutſche Front,
trotz der gewaltigen feindlichen Ueberlegenheit in
der Zahl der Maſſen und der Artillerien Englands,
Frankreichs und Amerikas. Mit feſtem Vertrauen
können wir dem Fortgange der neuen Schlacht in
Flandern entgegenſehen.

Kurz und kürzer werden unſere Generalſtabs-
berichte von der italieniſchen Front; die
Fronten ſtehen ſich gegenüber als zwei Kräfte, die
Atem holen zu neuen Schlägen und es iſt nicht
zu verkennen, daß in der italieniſchen Heeresleitung
große Beſorgniſſe um die Zukunft herrſchen;
Grenzſperre gegen die Schweiz und Truppenver-
ſchiebungen kennzeichnen die Lage. Welche großen
inneren Gärungen und Erſchütterungen das ver-
räteriſche Königreich durchziehen, wie der Auftakt
kommrnder Ereigniſſe, iſt genugſam bekannt.

Zwiſchen der Oſtſee und dem Schwarzen
Meere
ſind alle Kämpfe abgeflaut.




Innerpolitiſches.
Taboritenlied des Tſchechenprieſters.

Die letzte fanatiſche Parlamentsrede des
Tſchechenprieſters Zahradnik hat ſogar die
deutſchen Chriſtlichſozialen zur Empörung gereizt;
vielleicht weniger der flammende nationale Haß
des Tſchechenprieſters, der letzten Endes auf die
Zertrümmerung Oeſterreichs ausgeht, als vielmehr
der Umſtand, daß der hochwürdige Zahradnik ver-
blümt den Papſt beſchimpfte und ſich von
ihm im gewiſſen Sinne losſagte. Das Wiener
Hauptorgan der Chriſtlichſozialen ſchrieb darüber u. a.:

„Abg. Zahradnik, deſſen beleidigende Worte
nicht an die erhabene Perſon des Papſtes heran-
reichen können, iſt katholiſcher Ordens-
geiſtlicher
und ſteht an der Spitze eines
böhmiſchen Prämonſtratenſerſtiftes; er iſt
ein Führer der tſchechiſchen Agrarpartei, in deren
Organiſation zahlreiche Prieſter als Stützen
der Partei tätig ſind. Abg. Zahradnik hat nach
alter Taboritenweiſe ein huſſitiſch
Lied angeſtimmt,
das zeigt, wie tief der
tſchechiſche Radikalismus ſich im tſchechiſchem Volke,
ja ſelbſt im tſchechiſchen Klerus eingefreſſen hat
und welche Verirrungen der radikale Wahnſinn
bereits möglich macht. Der tſchechiſche Sozial-
demokrat Nemec
hat heute dem Papſt den
Dank für ſeine Friedensnote ausgeſprochen — der
tſchechiſche Prieſter Zahradnik hat gegen
den Heiligen Vater als Friedensſtifter
die Hand erhoben!




Hingewieſen muß aber darauf werden, daß die
Tſchechen und die Südſlawen durch ihre
wilde, gegen Oeſterreich vorgehende
Rammtaktik fortwährend Erfolge erzielen.

Der größte Erfolg war die Amneſtie der




[Spaltenumbruch]
Im ſtillen Winkel.

Referendar Balden betrachtete die aufgeregte
junge Dame mit ſpöttiſchem Lächeln, dann pfiff er
leiſe durch die Zähne und verſicherte ſich mit
raſchem Blick, ob nicht jemand zuhörte. Doch die
Gäſte waren alle ſehr mit ſich ſelbſt beſchäftigt, mit
Ausnahme eines jungen Leutnants, der dem Mäd-
chen zur Rechten ſaß und angelegentlich hinüber
blickte.

„Warum ſind Sie ſo bitter, Fräulein Helmer?
Auch arme Mädchen werden geheiratet —“

Sie lachte wieder ſchneidend auf.

„In den ſelteſten Fällen! Hätte ich Geld wie
Heddy Schönberg, ſo ſäße ich vielleicht heute ſtatt
ihrer an der Seite des ſchönen Walter Berghof
als deſſen „geliebte“ Frau!“

Sie legte einen beſonderen Nachdruck auf das
Wort. Ein Blick des tiefſten Haſſes traf das Braut-
paar, das Hand in Hand am oberſten Ende der
Tafel ſaß.

Referendar Balden ſchaute mit höchſten Inter-
eſſe auf die hübſche Sprecherin, deren Augen
ſprühten. Auch der junge Leutnant an ihrer anderen
Seite betrachtete ſie aufmerkſam und fragte dann
eindringlich: „So glauben Sie nicht, daß Walter
Berghoſ einen Liebesbund geſchloſſen hat? Alle Welt
nimmt doch das an!“


[Spaltenumbruch]

„Liebesbund?“ wiederholte ſie verächtlich, „eine
Geldheirat iſt es, nichts weiter, das weiß ich ganz
beſtimmt! Denn“ — ſie ſenkte die Stimme und
gedämpften Tones fort: „Ich kann es ruhig aus-
ſprechen, ich durſte mich als Walters Braut be-
trachten, wir liebten uns, und er nahm jede Ge-
legenheit wahr, die ſich ihm bot, um mich zu treffen,
Wir machten gemeinſame Spaziergänge und er ver-
ſicherte mir oft, daß ich ihm eiu lieber Kame-
rad ſei.“

„Gab er Ihnen ein Heiratsverſprechen?“ fragte
der Referendar, wie ihr ſcheinen wollte, etwas
erregt.

„Nein!“ ſagte ſie hart. „Weshalb ſollte er das?
Wir ſprachen überhaupt nicht von Liebe, aber ich
ſah ſeine Augen oft frendig aufleuchten, wenn er
mich erblickte, und er verſicherte mir ſtets, daß ihm
mein heiteres Geplander zur lieben Gewohnheit
geworden ſei, daß er ſich darauf freue, — und
nannte mich ſeinen guten Kameraden. Das dauerte
ſo ungefähr ein Vierteljahr, — bis Heddy Schön-
berg aus der Penſion zurückkam und ſich die beiden
auf einem Balle trafen. Er hatte jedenfalls ſehr
bald herausgefunden, daß Heddy ein Goldfiſch iſt
und ſie, — na, ſie mag ihn ja lieben, das gebe
ich zu! Von jenem Tage an zog er ſich auffällig
von mir zurück und hatte keine Zeit mehr für
unſere gemeinſamen Ausflüge. Was ich dabei emp-
fand. waß ich litt, — darnach fragte der feine Herr
nicht, — was liegt an einem armen Mädchen!
[Spaltenumbruch] Aber mir war Walter Berghof Lebensinhalt ge-
weſen, die einzige Freude, die ich je gehabt! Denn
meine Jugend war ſehr traurig. Und einmal, —
da lief er mir in den Weg — zufällig — ich hängte
mich an ihn, ich wollte wenigſtens wiſſen, welche
Empfindungen er hegte. Auf meine Frage, weshalb
er mir ſo auffällig ausweiche, ſah er mich halb be-
luſtigt, halb erſtaunt an: „Ja, wiſſen Sie denn
nicht, ich habe mich doch verlobt? Wie ſollte ich
da Zeit für eine andere haben?“

Er mochte wohl meinen Zorn, weine Ver-
achtung bemerken, den er fügte raſch hinzu: „Aber
Fräulein Anna, — was machen Sie für ein Ge-
ſicht? Ja, bildeten Sie ſich ſchon am Ende ein, —
daß ich — daß aus uns zwei ein Paar hätte
werden können? — Wir haben beide kein Geld, —
was ich verdiene, brauche ich für mich, — ich
muß geſtehen — — derartige Gedanken lagen mir
fern! Wir waren Freunde, gute Kameraden —“

Weiter hörte ich nichts. Ich floh wie gehetzt
davon, — ich fchämte mich!“ — —

„Und haben Sie der kleinen Heddy irgend
eine Andeutung von den Vorgefallenen gemacht?“
fragte der junge Leutnant von Richthofen, der auf-
merkſam zugehört hatte.

Sie ſchüttelte heftig den Kopf.

„Wie ſollte ich wohl dazu kommen? Wir kennen
uns ja kaum.“

„Wie kommen Sie dann auf dieſe Hochzeit
und als Brautjungfer?“ (Fortſ. folgt.)


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[2/0002] Marburger Zeitung Nr. 220 28 September 1917 England im Kampfe mit Irland. Bern. 28. September. Die Beunruhiung Irlands durch die Verſuche der Regierung, die allgemeine Wehrpflicht auch in Irland durch- zuführen, äußert ſich in allen Teilen der Inſel in demonſtrativen Umzügen und Verhaftungen, Verurteilungen, Hungerſtreiks und Plünderungen gehören zu den täglichen Vorkommniſſen. Die Redmond-Nationaliſten verſuchen krampfhaft, den Sinnfeinern gegenüber Boden zu gewinnen, indem auch ſie gegen die unglaubliche Stupidität der engliſchen Regierung und die haarſträubende Brutalität der Maxwellſchen Schreckensherr- ſchaft proteſtiren. In Cork hielt am Sonntag Arthur Griffith eine große Sinnfeiner-Verſammlung ab, in der er offen zum äußerſten Wider- ſtand gegen jeden Verſuch zu zwangsweiſer Rekrutierung auffordert. Auch er erwähnte die Vorbereitungen, die die angemeſſene Vertretung Irlands bei den kommenden Friedensverhand- lungen ſichern ſollen. Er proteſtierte gleichzeitig gegen den erwähnten iriſchen Kongreß, der von der engliſchen Regierung einberufen wurde, da England auch nicht die allergeringſte Zu- ſicherung gegeben habe, die Beſchlüſſe der all- iriſchen Konvention auch wirklich zur Aus- führung zu bringen. Die Situation wird in England als höchſt kritiſch angeſehen. Amerika. Amerikaniſch-„demokratiſche“ Deutſchenjagd. KB. New-York, 28. September. (Reuter.) Die Verhaftungen von Deutſchen und Deutſch- freundlichen haben geſtern eingeſetzt und dauern heute an. Viele Perſonen ſind nach Ellis Island gebracht worden, wo ſie, wie mitgeteilt wurde, wahrſcheinlich während der Dauer des Krieges in- terniert werden. Die meiſten Verhafteten waren in Geſchoßfabriken oder bei Schiffsarbeiten beſchäftigt. Man „glaubt“, daß ein weitverzweigtes „Kom- plott“ zur Beſchädigung von Maſchinen, das auf Anweiſung deutſcher „Agenten in Europa“ arbeitet, zum Scheitern gebracht worden iſt. Die „Ver- ſchwörer“ wurden von den Agenten des Marine- departements ſeit Monaten beobachtet. Rieſenſtreik in Weſtamerika. Rotterdam, 27. September. Nach einer Drahtnachricht aus New-York werden durch den Streik in San Francisco Kriegslieferungs- aufträge im Werte von 600 Miltionen Mark aufgehalten. Peru. Ein peruaniſches Ultimatum. K.-B. Haag, 18. September. „Niuwe Cou- rant“ meldt aus London: Die Regierung von Peru hat wegen der Verſenkung des Schiffes „Lorton“ ein Ultimatum an Deutſchland ge- richtet, worin binnen einer Woche Genugtuung verlangt wird. China. Ausbruch einer Militärrevolte. Peking, 26. September. (Reuter.) Die Garniſon des ſtrategiſch wichtigen Paſſes von Ling-Ling im ſüdlichen Hunan hat ſich von der Zentralregierung unabhängig erklärt. Die Revolte wurde von den Führern des Südens angeſtiftet. Der Anſchlag gibt ihnen die Herr- ſchaft über die Provinz Hunau. Truppen aus Kwangſi marſchieren nach Hunan, um den Rebellen beizuſtehen. Schweden. Beratungen mit Wilſon? München, 28. September. Die „München- Augsburger Abendzeitung“ meldet aus Amſterdam: Aus Waſhington wird gemeldet: Präſident Wilſon hält mit dem ſchwediſchen Geſandten täglich Beratungen ab. Ihr Ziel iſt nicht bekannt, ſie erregen aber großes Aufſehen. Die Kriegslage. (Von unſerem Wiener militäriſchen Mitarbeiter.) Wien, 29. September. Der gewaltige engliſche Krafteinſatz an Menſchen und Geſchützen in der neuen Schlacht in Flandern hat der Entente wieder eine Enttäuſchung bereitet; als einzigen Gewinn konnten die engliſchen Maſſen an einer Stelle eine leichte Einbuchtung in der deutſchen Front erzielen, die ſie aber mit ſchweren blutigen Opfern büßen mußten. Zerſchoſſene engliſche Diviſionen fluteten an allen anderen Stellen wieder zurück oder wurden im Gegenſtoße wieder über die vom feindlichen Maſſenfeuer zerwühlte Kampfzone zurückgetrieben. Wie ſchon in früheren Schlachten im Flandriſchen beginnen die Engländer nach der notgedrungenen Infanteriepauſe wieder die deutſche Verteidigunslinie mit ihrem ungeheueren Artillerie- material zu zertrommeln, um dann neuerdings zum Maſſenſturme vorzugehen. Aber immer noch ſind aus der zerriſſenen Erde, die einer verkraterten Mondlandſchaft gleicht, im Augenblicke des Sturmes deutſche Verteidiger emporgeſtiegen und die Maſchinengewehre, die aus der Verſenkung auf- tauchten, ſandten den Tod in die Reihen der Stürmer; unerſchüttert bleibt die deutſche Front, trotz der gewaltigen feindlichen Ueberlegenheit in der Zahl der Maſſen und der Artillerien Englands, Frankreichs und Amerikas. Mit feſtem Vertrauen können wir dem Fortgange der neuen Schlacht in Flandern entgegenſehen. Kurz und kürzer werden unſere Generalſtabs- berichte von der italieniſchen Front; die Fronten ſtehen ſich gegenüber als zwei Kräfte, die Atem holen zu neuen Schlägen und es iſt nicht zu verkennen, daß in der italieniſchen Heeresleitung große Beſorgniſſe um die Zukunft herrſchen; Grenzſperre gegen die Schweiz und Truppenver- ſchiebungen kennzeichnen die Lage. Welche großen inneren Gärungen und Erſchütterungen das ver- räteriſche Königreich durchziehen, wie der Auftakt kommrnder Ereigniſſe, iſt genugſam bekannt. Zwiſchen der Oſtſee und dem Schwarzen Meere ſind alle Kämpfe abgeflaut. Innerpolitiſches. Taboritenlied des Tſchechenprieſters. Die letzte fanatiſche Parlamentsrede des Tſchechenprieſters Zahradnik hat ſogar die deutſchen Chriſtlichſozialen zur Empörung gereizt; vielleicht weniger der flammende nationale Haß des Tſchechenprieſters, der letzten Endes auf die Zertrümmerung Oeſterreichs ausgeht, als vielmehr der Umſtand, daß der hochwürdige Zahradnik ver- blümt den Papſt beſchimpfte und ſich von ihm im gewiſſen Sinne losſagte. Das Wiener Hauptorgan der Chriſtlichſozialen ſchrieb darüber u. a.: „Abg. Zahradnik, deſſen beleidigende Worte nicht an die erhabene Perſon des Papſtes heran- reichen können, iſt katholiſcher Ordens- geiſtlicher und ſteht an der Spitze eines böhmiſchen Prämonſtratenſerſtiftes; er iſt ein Führer der tſchechiſchen Agrarpartei, in deren Organiſation zahlreiche Prieſter als Stützen der Partei tätig ſind. Abg. Zahradnik hat nach alter Taboritenweiſe ein huſſitiſch Lied angeſtimmt, das zeigt, wie tief der tſchechiſche Radikalismus ſich im tſchechiſchem Volke, ja ſelbſt im tſchechiſchen Klerus eingefreſſen hat und welche Verirrungen der radikale Wahnſinn bereits möglich macht. Der tſchechiſche Sozial- demokrat Nemec hat heute dem Papſt den Dank für ſeine Friedensnote ausgeſprochen — der tſchechiſche Prieſter Zahradnik hat gegen den Heiligen Vater als Friedensſtifter die Hand erhoben!“ Hingewieſen muß aber darauf werden, daß die Tſchechen und die Südſlawen durch ihre wilde, gegen Oeſterreich vorgehende Rammtaktik fortwährend Erfolge erzielen. Der größte Erfolg war die Amneſtie der Im ſtillen Winkel. Nach einer Idee von Richard Walther, von 10 Irene v. Hellmuth. Referendar Balden betrachtete die aufgeregte junge Dame mit ſpöttiſchem Lächeln, dann pfiff er leiſe durch die Zähne und verſicherte ſich mit raſchem Blick, ob nicht jemand zuhörte. Doch die Gäſte waren alle ſehr mit ſich ſelbſt beſchäftigt, mit Ausnahme eines jungen Leutnants, der dem Mäd- chen zur Rechten ſaß und angelegentlich hinüber blickte. „Warum ſind Sie ſo bitter, Fräulein Helmer? Auch arme Mädchen werden geheiratet —“ Sie lachte wieder ſchneidend auf. „In den ſelteſten Fällen! Hätte ich Geld wie Heddy Schönberg, ſo ſäße ich vielleicht heute ſtatt ihrer an der Seite des ſchönen Walter Berghof als deſſen „geliebte“ Frau!“ Sie legte einen beſonderen Nachdruck auf das Wort. Ein Blick des tiefſten Haſſes traf das Braut- paar, das Hand in Hand am oberſten Ende der Tafel ſaß. Referendar Balden ſchaute mit höchſten Inter- eſſe auf die hübſche Sprecherin, deren Augen ſprühten. Auch der junge Leutnant an ihrer anderen Seite betrachtete ſie aufmerkſam und fragte dann eindringlich: „So glauben Sie nicht, daß Walter Berghoſ einen Liebesbund geſchloſſen hat? Alle Welt nimmt doch das an!“ „Liebesbund?“ wiederholte ſie verächtlich, „eine Geldheirat iſt es, nichts weiter, das weiß ich ganz beſtimmt! Denn“ — ſie ſenkte die Stimme und gedämpften Tones fort: „Ich kann es ruhig aus- ſprechen, ich durſte mich als Walters Braut be- trachten, wir liebten uns, und er nahm jede Ge- legenheit wahr, die ſich ihm bot, um mich zu treffen, Wir machten gemeinſame Spaziergänge und er ver- ſicherte mir oft, daß ich ihm eiu lieber Kame- rad ſei.“ „Gab er Ihnen ein Heiratsverſprechen?“ fragte der Referendar, wie ihr ſcheinen wollte, etwas erregt. „Nein!“ ſagte ſie hart. „Weshalb ſollte er das? Wir ſprachen überhaupt nicht von Liebe, aber ich ſah ſeine Augen oft frendig aufleuchten, wenn er mich erblickte, und er verſicherte mir ſtets, daß ihm mein heiteres Geplander zur lieben Gewohnheit geworden ſei, daß er ſich darauf freue, — und nannte mich ſeinen guten Kameraden. Das dauerte ſo ungefähr ein Vierteljahr, — bis Heddy Schön- berg aus der Penſion zurückkam und ſich die beiden auf einem Balle trafen. Er hatte jedenfalls ſehr bald herausgefunden, daß Heddy ein Goldfiſch iſt und ſie, — na, ſie mag ihn ja lieben, das gebe ich zu! Von jenem Tage an zog er ſich auffällig von mir zurück und hatte keine Zeit mehr für unſere gemeinſamen Ausflüge. Was ich dabei emp- fand. waß ich litt, — darnach fragte der feine Herr nicht, — was liegt an einem armen Mädchen! Aber mir war Walter Berghof Lebensinhalt ge- weſen, die einzige Freude, die ich je gehabt! Denn meine Jugend war ſehr traurig. Und einmal, — da lief er mir in den Weg — zufällig — ich hängte mich an ihn, ich wollte wenigſtens wiſſen, welche Empfindungen er hegte. Auf meine Frage, weshalb er mir ſo auffällig ausweiche, ſah er mich halb be- luſtigt, halb erſtaunt an: „Ja, wiſſen Sie denn nicht, ich habe mich doch verlobt? Wie ſollte ich da Zeit für eine andere haben?“ Er mochte wohl meinen Zorn, weine Ver- achtung bemerken, den er fügte raſch hinzu: „Aber Fräulein Anna, — was machen Sie für ein Ge- ſicht? Ja, bildeten Sie ſich ſchon am Ende ein, — daß ich — daß aus uns zwei ein Paar hätte werden können? — Wir haben beide kein Geld, — was ich verdiene, brauche ich für mich, — ich muß geſtehen — — derartige Gedanken lagen mir fern! Wir waren Freunde, gute Kameraden —“ Weiter hörte ich nichts. Ich floh wie gehetzt davon, — ich fchämte mich!“ — — „Und haben Sie der kleinen Heddy irgend eine Andeutung von den Vorgefallenen gemacht?“ fragte der junge Leutnant von Richthofen, der auf- merkſam zugehört hatte. Sie ſchüttelte heftig den Kopf. „Wie ſollte ich wohl dazu kommen? Wir kennen uns ja kaum.“ „Wie kommen Sie dann auf dieſe Hochzeit und als Brautjungfer?“ (Fortſ. folgt.)

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 222, Marburg, 30.09.1917, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger222_1917/2>, abgerufen am 18.04.2024.