Marburger Zeitung. Nr. 141, Marburg, 24.11.1910.Marburger Zeitung. [Spaltenumbruch] Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Mit Postversendung: [Spaltenumbruch] Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon Nr. 24.) [Spaltenumbruch] Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von Schluß für Einschaltungen: Die Einzelnummer kostet 10 Heller. Nr. 141 Donnerstag, 24. November 1910 49. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Das Bündnis. Der Stuttgarter Türmer führt über die Frage: [Spaltenumbruch] Das Haus am Nixensee. 22 (Nachdruck verboten.) Grete beachtete die beiden nicht weiter, sie be- Grete sah sich um. Kein Mensch war zu sehen [Spaltenumbruch] Nun wandte der Herr plötzlich den Kopf; er Das erschien doch seltsam. Sollte es doch Char- 8. Als Grete nach Hause kam, fand sie die Mutter "Mein Gott", klagte sie, die Tränen trocknend, Grete schlang zärtlich die Arme um den Hals "Ach, du Ärmste, wie leid es mir tut, daß Gespannt blickte Frau Sommer die Tochter an Die Mutter war tief erschüttert. "So hat halt jeder sein Kreuz auf der Welt", Sie seufzte tief auf und fuhr dann fort: "Die Marburger Zeitung. [Spaltenumbruch] Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Mit Poſtverſendung: [Spaltenumbruch] Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) [Spaltenumbruch] Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von Schluß für Einſchaltungen: Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 141 Donnerstag, 24. November 1910 49. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Das Bündnis. Der Stuttgarter Türmer führt über die Frage: [Spaltenumbruch] Das Haus am Nixenſee. 22 (Nachdruck verboten.) Grete beachtete die beiden nicht weiter, ſie be- Grete ſah ſich um. Kein Menſch war zu ſehen [Spaltenumbruch] Nun wandte der Herr plötzlich den Kopf; er Das erſchien doch ſeltſam. Sollte es doch Char- 8. Als Grete nach Hauſe kam, fand ſie die Mutter „Mein Gott“, klagte ſie, die Tränen trocknend, Grete ſchlang zärtlich die Arme um den Hals „Ach, du Ärmſte, wie leid es mir tut, daß Geſpannt blickte Frau Sommer die Tochter an Die Mutter war tief erſchüttert. „So hat halt jeder ſein Kreuz auf der Welt“, Sie ſeufzte tief auf und fuhr dann fort: „Die <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <titlePage xml:id="title1" type="heading" next="#title2"> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Marburger Zeitung.</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p>Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:<lb/> Ganzjährig 12 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 6 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K,</hi> monat-<lb/> lich 1 <hi rendition="#aq">K.</hi> Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 <hi rendition="#aq">h</hi> mehr.</p><lb/> <p>Mit Poſtverſendung:<lb/> Ganzjährig 14 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 7 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K 50 h.</hi><lb/> Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.</p><lb/> <cb/> <p> <hi rendition="#b">Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und<lb/> Samstag abends.</hi> </p><lb/> <p><hi rendition="#b">Sprechſtunden</hi> des Schriftleiters an allen Wochentagen von<lb/><hi rendition="#b">11—12</hi> Uhr vorm. und von <hi rendition="#b">5—6</hi> Uhr nachm. 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In Ungarn<lb/> ſetzte die Entdeutſchung ſeit 1848 ein, daß das<lb/> national tüchtige Bachſche Regiment nur vorüber-<lb/> gehend der Magyariſierung entgegenwirken konnte.<lb/> Es handelt ſich nur um Tatſachen und ſcheidet jede<lb/> Schuldfrage aus, da ja auch Preußen ſeine Bam-<lb/> berger Bauern vor den Toren des deutſch ge-<lb/> wordenen Poſen mit geiſtlicher Hilfe verpolen ließ.<lb/> Die Dänen machten als deutſche Bundesglieder aus<lb/> Nordſchleswig Südjütland, obwohl das dort ge-<lb/> redete Platt niemals däniſch war und ganz Jütland<lb/> ſprachlich erſt däniſiert worden iſt. Altjütiſch iſt eine<lb/><cb/> deutſche Mundart. Selbſt die erſt von Deutſchland<lb/> gerettete Oranierherrſchaft entblödete ſich als eben-<lb/> falls deutſches Bundesglied nicht, das urdeutſche<lb/> Lützelburg — franzöſiſch zu regieren, was noch<lb/> fortdauert. 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Lieſe<lb/> kommt auch ſolange nicht. Sie ging ſchon vor zwei<lb/> Stunden zu Tante Lina — So war ich mit meiner<lb/> Angſt und Sorge ganz allein. Ich meinte, vergehen<lb/> zu müſſen. Ruhelos wanderte ich umher, hudertmal<lb/> habe ich zum Fenſter hinausgeſehen, aber du kamſt<lb/> nicht. Es war zum verzweifeln.“</p><lb/> <p>Grete ſchlang zärtlich die Arme um den Hals<lb/> der Mutter und ſchmiegte ſich an ſie.</p><lb/> <p>„Ach, du Ärmſte, wie leid es mir tut, daß<lb/> du dich ſo geängſtigt haſt! Aber ich konnte wirklich<lb/> nicht früher kommen. Mütterchen, verzeihe mir, du<lb/> weißt nicht, was ich alles erlebt habe.“</p><lb/> <p>Geſpannt blickte Frau Sommer die Tochter an<lb/> und dieſe berichtete nun ihr Erlebnis.</p><lb/> <p>Die Mutter war tief erſchüttert.</p><lb/> <p>„So hat halt jeder ſein Kreuz auf der Welt“,<lb/> meinte ſie dann nachdenklich. „Die Leute ſind nun<lb/> reich und dennoch unglücklich. Was hilft ihnen das<lb/> viele Geld?“</p><lb/> <p>Sie ſeufzte tief auf und fuhr dann fort: „Die<lb/> Hoffnung, daß der Vater ſich beſſern würde, iſt<lb/> nun auch wieder geſchwunden. Seit du geneſen biſt,<lb/> treibt er es ärger als je. Ich möchte wohl wiſſen,<lb/> was er noch im Beſitz hat von dem vielen Geld,<lb/> das er von Frau Gronau erhalten hat.“</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
Marburger Zeitung.
Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.
Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.
Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.
Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.
Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)
Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.
Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags,
Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.
Nr. 141 Donnerstag, 24. November 1910 49. Jahrgang.
Das Bündnis.
Der Stuttgarter Türmer führt über die Frage:
Welches Intereſſe haben wir am öſterreichiſchen
Bündnis? u. a. folgendes aus: Es iſt nicht nur
Gefühlsſchwärmerei, wenn der Staatsangehörige des
kleindeutſchen Reiches im Weſten den heutigen habs-
burgiſchen Donauſtaat als das oſtdeutſche Kaiſerreich
anſieht, die ſich beide ergänzen und den Hauptſtock
des deutſchen Volkes in ſich bergen, ohne der
deutſchen Außenlande in den Alpen, dem alten Ober-
ſchwaben, der gegenwärtigen Schweiz und an der
Rhein- und Maasmündung, den Niederlanden habs-
burgiſchen und öſterreichiſchen Angedenkens, Belgien
und Holland, zu vergeſſen. Der Schwerpunkt einer
allgemeinen deutſchen Politik liegt keineswegs allein
in Berlin. Die politiſche Ausſcheidung Öſterreichs
aus dem ſeligen, lebensunfähigen Deutſchen Bunde
änderte das nationale Gepräge der Oſtmark nicht,
von wo aus Deutſchland jahrhundertelang regiert
worden war. Treitſche ſpricht es mit geſchichtlicher
Sehergabe über jeden Zweifel erhaben klar und
deutlich aus, daß nur das Volk eine wirkliche Welt-
macht beſitzen wird, deſſen Sprache am meiſten auf
der Erde geſprochen werden wird. Von europäiſchen
Völkern ſind England und Rußland auf dieſem
Wege; England auch hauptſächlich durch ſeinen
republikaniſchen Ableger über dem großen Teiche,
wo 30 Millionen Deutſche unter einer engliſchen
Staatsſprache ſtehen, die durch die deutſche zu er-
ſetzen ihnen bei der Gründung der Vereinigten
Staaten möglich geweſen war; hat doch der deutſche
Präſident (Mühlenberg) der konſtituierenden National-
verſammlung durch ſeine Stimme zugunſten der
engliſchen die deutſche Staatsſprache erſt beſeitigt.
Dieſe faſt volksverräteriſche Schwäche unſeres deutſchen
Volkes hat auch in der Alten Welt Früchte ge-
tragen, die den uralten deutſchen Volksboden in
der Schweiz und den beiden Niederlanden, ſowie
in Öſterreich-Ungarn immer mehr benagen. Den
tſchechiſchen Keil im deutſchen Volksgebiet völlig
einzudeutſchen, wäre bis 1848 eine Kleinigkeit ge-
weſen, da die ſlawiſche Mundart tatſächlich nur die
des niederen Volkes ohne ausgebildete Schriftform
war. Ein deutſcher Profeſſor (Jungmann) erfand
erſt dieſe. Unter kirchlichem Einfluß iſt Südtirol,
das bis zum ſüdlichen Ende des Gartenſees eine
reine deutſche, bayeriſche Bevölkerung birgt, die bis
vor den Toren Paduas ſaß und Verona (Bern)
bis 1200 deutſches Gepräge verlieh, ſtaatlich künſt-
lich verwelſcht worden. Als Öſterreich 1815 Venetien
erhielt, italieniſierte es arglos die deci und tredeci
communi der Berner und Wiſentainer (Vicentiner)
Alpen; das Veltlin wurde als lombardiſches An-
hängſel ebenfalls vollkommen verwelſcht. In Ungarn
ſetzte die Entdeutſchung ſeit 1848 ein, daß das
national tüchtige Bachſche Regiment nur vorüber-
gehend der Magyariſierung entgegenwirken konnte.
Es handelt ſich nur um Tatſachen und ſcheidet jede
Schuldfrage aus, da ja auch Preußen ſeine Bam-
berger Bauern vor den Toren des deutſch ge-
wordenen Poſen mit geiſtlicher Hilfe verpolen ließ.
Die Dänen machten als deutſche Bundesglieder aus
Nordſchleswig Südjütland, obwohl das dort ge-
redete Platt niemals däniſch war und ganz Jütland
ſprachlich erſt däniſiert worden iſt. Altjütiſch iſt eine
deutſche Mundart. Selbſt die erſt von Deutſchland
gerettete Oranierherrſchaft entblödete ſich als eben-
falls deutſches Bundesglied nicht, das urdeutſche
Lützelburg — franzöſiſch zu regieren, was noch
fortdauert. Die Schickſalsfrage des deutſchen Volkes
in Europa iſt alſo eine Sprachenfrage und in Öſter-
reich kann am wenigſten darüber Zweifel beſtehen.
Die deutſche Sprache iſt dort ſogar beſonders im
ſtaatlich gewollten oder doch geduldeten Rückgang
begriffen, der die Grundlage des Staates als einer
deutſchen Koloniſation berührt. Zwar läßt ſich nicht
leugnen, daß die Verkehrsſprache in ganz Ungarn
noch die deutſche iſt. Das angeführte Treitſchkeſche
Wort gilt aber auch für das deutſch-öſterreichiſche
Bündnis, das auf der nationalen Intereſſengemein-
ſchaft beruhen muß, ſoll es von bleibender Dauer
ſein. Das Deutſche Reich hat keinerlei Intereſſe an
den Slawen, Magyaren und Italienern Öſterreichs,
die ihre Volkszahl auf deutſche Koſten vermehren.
Teuer und wertvoll iſt uns bloß der Deutſche in
der Oſtmark, den wir nie im Stiche laſſen werden
und dürfen. Schon ſind, abgerechnet von den Juden,
mehr als zwei Millionen Deutſche in den beiden
öſterreichiſchen Reichshälften verſlawt und
magyariſiert, was unter dem Schutz des
deutſchen Bündniſſes fortgeſetzt wird,
obwohl die Staatstreue der Tſchechen, Magyaren
und jüngſt der Serbokroaten niemals feſtgeſtanden
hat. Der Magyar befindet ſich ſeit der Eroberung
ſeines Landes durch die habsburgiſchen Könige in
faſt dauerndem Aufruhr, der jetzt bloß parlamentariſch
gemildert iſt, was dem ſchärferen reichsdeutſchen
Auge doch nicht verborgen bleiben kann.
Das Haus am Nixenſee.
Original-Roman von Irene v. Hellmuth.
22 (Nachdruck verboten.)
Grete beachtete die beiden nicht weiter, ſie be-
merkte nur, das der junge Mann zuweilen ver-
ſtohlen nach der Hand der Dame haſchte und die-
ſelbe an ſeine Lippen zog. Das helle Auflachen
der vor ihr Gehenden tönte manchmal an Gretes
Ohr und ihr war es, als hätte ſie dieſes Lachen
ſchon irgendwo gehört; ſie wußte nur nicht gleich,
wo. Angeſtrengt dachte ſie nach. Und es fiel ihr
ein, wo dies geweſen ſein könnte. Es war, als
Tante Lina ſie neulich in Geſellſchaft Charlotte
Walters beſuchte. Ja, genau ſo hatte die junge
Braut damals gelacht. Aber die vor ihr gehende
Dame konnte unmöglich Charlotte Walter ſein,
wenigſtens war der, der ſie begleitete, ſicher nicht
Otto, Charlottens Verlobter. Und wie käme ſie dazu,
ſich von einem andern die Hand küſſen zu laſſen?
Nein, nein, es mußte eine Täuſchung ſein.
Grete ſah ſich um. Kein Menſch war zu ſehen
weit und breit. Das vor ihr gehende Pärchen
ſchmiegte ſich eng zuſammen. Grete beſchleunigte ihre
Schritte, das Paar fing an, ſie zu intereſſieren.
Die Dame war elegant gekleidet, trug einen modernen
Sommerhut mit rotem Mohn garniert und ein helles
Koſtüm. Unter dem Hut leuchtete ein rötlicher dicker
Haarknoten hervor.
Nun wandte der Herr plötzlich den Kopf; er
bemerkte das Mädchen und neigte ſich blitzſchnell zu
ſeiner Begleiterin. Er ſchien ihr eine Mitteilung zu
machen; dann beſchleunigten die beiden auffallend
ihre Schritte und ehe Grete ihnen folgen konnte,
waren ſie um die nächſte Wegbiegung verſchwunden.
Sie mußten von da an fluchtartig gelaufen ſein,
denn als Grete die Ecke erreichte, war keine mehr
von ihnen zu ſehen.
Das erſchien doch ſeltſam. Sollte es doch Char-
lotte Walter geweſen ſein, die da mit einem andern
in der Dämmerung promenierte? An ein ſolch ſcham-
loſes Benehmen wollte Grete nicht glauben. Und
doch ſchien alles darauf hinzudeuten. Die Figur,
das Hoar, die Kleidung, alles ſtimmte. Grete dachte
darüber nach, ob ſie über den Vorfall ſchweigen
ſollte oder nicht. Beſtimmtes wußte ſie allerdings
nicht, ſo war es wohl beſſer, den Mund zu halten.
Aber war es nicht Pflicht, darüber zu ſprechen?
Sie nahm ſich vor, wenigſtens Lieſe auf die Sache
aufmerkſam zu machen.
8.
Als Grete nach Hauſe kam, fand ſie die Mutter
in begreiflicher Aufregung. Die arme Frau hatte
ſich wegen des langen Ausbleibens unſäglich ge-
ängſtigt.
„Mein Gott“, klagte ſie, die Tränen trocknend,
die ihr die Angſt um die kaum geneſene Tochter
entlockt hatte, „was habe ich ausgeſtanden! Ich
füchtete, es ſei dir etwas zugeſtoßen. Wie konnteſt
du nur ſo lange ausbleiben. Die Sorge um dich
warf mich faſt nieder. Am liebſten wäre ich ſelbſt
fortlaufen, dich zu ſuchen, aber ich wagte es nicht,
denn der Vater hat keinen Schlüſſel und wenn er
heimgekommen wäre und hätte die Türe verſchloſſen
gefunden, würde es einen Krach geſetzt haben. Lieſe
kommt auch ſolange nicht. Sie ging ſchon vor zwei
Stunden zu Tante Lina — So war ich mit meiner
Angſt und Sorge ganz allein. Ich meinte, vergehen
zu müſſen. Ruhelos wanderte ich umher, hudertmal
habe ich zum Fenſter hinausgeſehen, aber du kamſt
nicht. Es war zum verzweifeln.“
Grete ſchlang zärtlich die Arme um den Hals
der Mutter und ſchmiegte ſich an ſie.
„Ach, du Ärmſte, wie leid es mir tut, daß
du dich ſo geängſtigt haſt! Aber ich konnte wirklich
nicht früher kommen. Mütterchen, verzeihe mir, du
weißt nicht, was ich alles erlebt habe.“
Geſpannt blickte Frau Sommer die Tochter an
und dieſe berichtete nun ihr Erlebnis.
Die Mutter war tief erſchüttert.
„So hat halt jeder ſein Kreuz auf der Welt“,
meinte ſie dann nachdenklich. „Die Leute ſind nun
reich und dennoch unglücklich. Was hilft ihnen das
viele Geld?“
Sie ſeufzte tief auf und fuhr dann fort: „Die
Hoffnung, daß der Vater ſich beſſern würde, iſt
nun auch wieder geſchwunden. Seit du geneſen biſt,
treibt er es ärger als je. Ich möchte wohl wiſſen,
was er noch im Beſitz hat von dem vielen Geld,
das er von Frau Gronau erhalten hat.“
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(2018-01-26T13:38:42Z)
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