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Mainzer Journal. Nr. 261. Mainz, 3. November 1849.

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[Beginn Spaltensatz] von der Linken, der er sich am 26. März durch einen förmlichen
( aber in Gotha thatsächlich widerrufenen ) Pact verpflichtet hatte,
sondern auch von der Weidenbuschpartei ins Schlepptau genom-
men worden ist, daß dieses vermeintliche Parteihaupt in den wich-
tigsten politischen Fragen seine Ueberzeugung verhandelt hat an
Freunde und Feinde. -- Aber wie? Jst Herr v. Gagern nicht
ein Mann von Charakterfestigkeit und Wahrheitsliebe? -- Ohne
Zweifel haben diese Tugenden zu seinem reichen Erbtheile gehört.
Aber er hatte das Unglück, in eine geistige Nervenkrankheit zu
verfallen, in die Jdeologie. Während der nach Jdeen handelnde
Staatsmann das Wirkliche im Sinne der Jdee zu veredeln strebt,
sucht der [unleserliches Material - 13 Zeichen fehlen]prakticirende [unleserliches Material - 8 Zeichen fehlen]Jdeologe seine Jdee für das Wirkliche zu
substituiren, dieses zu Gunsten jenes zu vernichten. Wenn Herr
v. Gagern die in Frankfurt zusammengestellte Reichsverfassung
ein "aus endlosen Anstrengungen und Parteikämpfen hervor-
gegangenes " Werk nennt, so bezeichnet er damit sehr gut seine
eigene Situation bei einem Unternehmen, an dessen natürlicher
Unmöglichkeit selbst die stärksten sittlichen Kräfte der Unternehmer
sich abnützen oder umbiegen müssen.

# Vom Haardtgebirge 1. November. Das Mainzer Journal
vom 30. October theilt eine Correspondenz aus der "Deutschen
Zeitung" mit, wonach auch "einige Geistliche neuerdings wieder
mit Untersuchungen überrascht worden" seyen. Daß unter diesen
"einigen Geistlichen" die D. Z., das Organ der pfälzischen
Preußenfreunde, sowie der Correspondent derselben nur prote-
stantische Geistliche
verstanden und verstehen konnten, wissen
wahrscheinlich nicht alle Leser. Jch berichtige darum jene Angabe
dahin, daß es keine katholischen, sondern nur protestantische Geist-
liche seyn können; indem meines Wissens kein einziger katholischer
Geistlicher sich so weit betheiligt hat, daß eine Untersuchung gegen
ihn stattgehabt hätte. -- Notar Werner von Neustadt soll wegen
Betheiligung bei der letzten Revolution auf acht Tage ( ! ) suspen-
dirt worden seyn. Ob diese Strafe im rechten Verhältnisse zu
seiner Betheiligung steht oder ob noch andere Einflüsse bei
derselben gewaltet haben, wage ich nicht zu entscheiden. An-
deren Beamten der Gegend steht das Disciplinarerkenntniß noch
bevor.

Dresden 28. October. ( A. Z. ) Wie hat die constitutio-
nelle Partei
sich bei den gegenwärtigen Wahlen in Sachsen
geltend zu machen gewußt? Obschon noch nicht alle Wahlresul-
tate bekannt sind, so stehen doch bereits soviel Wahlen fest, daß
ein ungefährer Ueberblick sich gewinnen läßt. Jn 52 ( von 75 )
Wahlbezirken zur zweiten Kammer sind die Wahlen von 25 Can-
didaten der radicalen Partei durchgesetzt worden, mit einer Dop-
pelwahl; unter den Gewählten sind neun wegen Betheiligung an
dem Maiaufstande Suspendirte, und zu diesen neun gehört auch
einer unserer provisorischen Regenten, Kreisamtmann Heubner
-- ein glänzender Beweis für den politischen Sinn des Wahlbe-
zirkes Freiberg. Unter den 27 Wahlen der Gegenpartei sind zwei
Doppelwahlen. Von den 50 Abgeordneten zur ersten Kammer
sind 18 definitiv gewählt, von denen 8 zu den Candidaten der
Radicalen gehören; doch glaub' ich, lassen diese Parteibestimmun-
gen sich nicht so fest nach der Zahl fixiren, da unter den Gewähl-
ten viele homines novi sind, von denen die Farbe nur vermuthet
wird. Verhältnißmäßig stark scheint diesmal der geistliche Stand
vertreten zu seyn, nächst ihm der unvermeidliche der Advocaten.
Fragen wir aber, mit welcher Parteitactik gewählt worden ist, so
zeigen die speciellen Wahlnachrichten, daß die sogenannten Con-
seroativ=Liberalen fast überall ihre Stimmen zersplittert ha-
ben; ja es soll vorgekommen seyn, daß in combinirten Wahlbe-
zirken zur ersten Kammer mit den beiden radicalen Candidaten
zehn bis zwölf Gegencandidaten concurrirt haben. So ist die
radicale Partei in nicht wenig Bezirken mit den unausbleiblichen
Minoritätswahlen Siegerin geblieben. Wie traurig zeigt sich da
der politische Sinn von der Nasenlänge bei der Partei, die es
einmal nicht hören, nicht begreifen will, daß man vom Feinde
Politik lernen muß. Eine Regierung aber, welche nicht schein-
constitutionell genug ist, um in Kammern aus Minoritätswahlen
eine wahrhafte Repräsentation des Volkes erblicken zu wollen,
wird nicht umhin können nach zwei verunglückten Versuchen mit
dem directen Wahlmodus zu dem indirecten so lange zurückzu-
kehren, bis die Urwähler jenen Grund von politischer Bildung
erlangt haben, daß auch ohne Clubdirection Minoritätswahlen
vermieden werden.

Mannheim 29. October. ( C. Z. ) Es ist in letzter Zeit viel-
fach in öffentlichen Blättern davon die Rede gewesen, daß die
großherzogliche Regierung beabsichtige, die revolutionairen Ele-
mente, die sich im Lande angesammelt haben, durch das Mittel
einer freiwilligen Auswanderung nach Nord= oder Südamerika
abzuleiten. Es bestätigt sich jetzt, daß die Regierung dergleichen
Pläne hegt, nicht aber, wie es zimlich allgemein hieß, blos in Be-
[Spaltenumbruch] zug auf die Mindergravirten; es sind im Gegentheile gerade die
Schwergravirten, die Candidaten zur zehnjährigen Zuchthaus-
strafe, deren die Regierung sich -- nöthigenfalls noch durch Zah-
lung des Reisegeldes -- entledigen möchte. -- Es ist die Anwei-
sung ergangen, daß alle Angeschuldigten, die bestimmt waren, vor
den Standgerichten zu erscheinen, nunmehr, nach erfolgter Auf-
lösung derselben, gefragt werden sollen, ob sie es nicht vorziehen,
unter eventueller Unterstützung der Regierung für immer auszu-
wandern, anstatt sich dem Ausfalle des Urtheiles der Civilstraf-
gerichte auszusetzen. Jn Karlsruhe haben sämmtliche Gefan-
gene die Frage verneint!

Darmstadt 2. November. ( D. Z. ) Gestern wurde hier die
Ausstellung der vereinigten Gewerbhallen der süddeutschen Städte
Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Frankfurt a. M., Mannheim,
Heidelberg, Bensheim, Worms, Gießen, Homburg vor der Höhe,
Mainz, Offenbach und Wiesbaden eröffnet. Nach großen, haupt-
sächlich durch die Zeitverhältnisse veranlaßten Schwierigkeiten war
sie doch endlich zu Stande gekommen und rühmt jetzt neben dem
Gewerbfleiße jener Städte zugleich die Ausdauer der Unternehmer.
Jm Vorsaale des alten Theaters, dem sogenannten Reitsaale, ist
die Ausstellung; der Großherzog hat jenen Raum dazu hergegeben.
Er ist aufs Zweckmäßigste benutzt. Von den genannten Städten
lieferte Frankfurt a. M. die meisten Nummern ( 269 ) , im Werthe
von 1423 fl.; Stuttgarts 239 Nummern haben einen Werth
von 2731 fl. Den nächsthöchsten Werth mit 1399 fl. 57 kr.
lieferte die Gewerbshalle in Wiesbaden in 200 Nummern. Die
Gesammtzahl sämmtlicher Nummern beträgt 2215; der Werth
derselben mit Ausnahme der 200 Darmstädter Nummern, deren
Betrag im Verzeichnisse nicht summirt ist, beträgt 14,203 fl. 54 kr.
Der Schmuck der Ausstellung ist wohl ein Schreibtisch in Pa-
lisanderholz a la Rococo herrlich gearbeitet, welcher nebst einem,
ebenfalls aus Stuttgart gekommenen Fauteuil, den ersten Preis der
Verloosung im [unleserliches Material - 6 Zeichen fehlen]Werthe von 450 fl. bildet. Weiter besonders werth-
voll ist ein Pianoforte in Tafelform in Palisanderholz mit Octa-
ven aus Stuttgart zu 300 fl.; ein Flügel von6 1 / 2 Octaven in
Mahagoni aus Mannheim zu 300 fl. u. s. w. Aber auch des
Kleinen und Kleinsten, als Preise von 10 fl., 5 fl. und selbst 2 fl.
wird viel Erfreuliches geboten und gewinnt noch durch die ge-
schmackvolle Anordnung. Die Loose, zu 1 fl. das Stück ( auf
7 Loose kommt ein Treffer ) , finden fortgesetzt Käufer.

L Wiesbaden 2. November. Die Zahl der Fremden, welche
diesen Winter über in unserer Stadt sich aufzuhalten gedenken,
mehrt sich auf erfreuliche Weise, so daß es scheint, als sey der im
vorigen Jahre etwas getrübte Ruf Wiesbadens als eines der
anmuthigsten und gastfreundlichsten Aufenthaltsorte Deutschlands
wieder in seiner Herstellung begriffen. Wie es heißt, gedenken
unter Anderen auch Se. K. H. der Erzherzog Stephan, sowie
der Fürst von Wied ihren diesjährigen Winteraufenthalt bei
uns zu nehmen.

x Aus dem goldenen Grunde [ Herzogth. Nassau ] 1. Novem-
ber. Wie Sie in Jhrem Blatte uns berichtet, hat ein der Maje-
stätsbeleidigung des Königs von Preußen Angeklagter vor den
Geschworenen in Wiesbaden seine Behauptung damit vertheidigt,
daß dieser König ein blutdürstiger Tyrann sey, und wurde dann
freigesprochen. Es kommt freilich jetzt, wo in dem ehemaligen
Reiche deutscher Nation die Begriffe von Religion, Moral und
Recht, von Gewissenhaftigkeit, Wahrhaftigkeit u. s. w., wie sie
im Christenthume erwachsen, [unleserliches Material - 8 Zeichen fehlen]veraltet sind, Alles auf "Ansichten"
an. Wenn nun Jemand die Ansicht hat, daß die Könige als
solche rechtlos seyen, warum sollte der gebildete Deutsche etwas
dagegen einwenden? Haben nicht die berühmten Männer der
Nation, die Philosophen und Dichter, die Professoren auf den
Universitäten, haben nicht die Regierungen und die ihnen unter-
gebenen Lehrer an den Gymnasien und Volksschulen -- Ausnah-
men in den genannten Kategorien verstehen sich von selbst, --
sowie die meisten unserer Zeitungen, unter denen die glänzende
Augsburger Allgemeine, alle das Jhrige gethan, die Jdeen
des deutschen Geistes in Fluß zu bringen,
so daß sie
jetzt dahin fließen wie ein überaus prächtiger, glänzender, schillern-
der Strom, in dem Alles aufgelöst dahin treibt, was ehemals
Deutschland an Glaube, Sitte, Recht, gleich Gold und
kostbarem Gesteine, unantastbar bewahrte? O des Jammers und
der Kurzsichtigkeit! Wie weit entfernt ist denn eine Zeit, in der
solche Rechtssprüche vorkommen gleich jenem der Geschworenen
in Wiesbaden, von dem eigentlichen Königsmorde unter dem
Scheine der Gesetzlichkeit? Und muthet man den Königen und
Fürsten zu, unthätig zuzuwarten, bis es dahin kommt?

Wir gestehen, daß uns die Zustände unseres Vaterlandes fast
trostlos erscheinen, im Großen wie im Kleinen. Wenn doch we-
nigstens das kommende Geschlecht gerettet würde, damit das
Vaterland, nachdem die drohenden Stürme über es dahin ge-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] von der Linken, der er sich am 26. März durch einen förmlichen
( aber in Gotha thatsächlich widerrufenen ) Pact verpflichtet hatte,
sondern auch von der Weidenbuschpartei ins Schlepptau genom-
men worden ist, daß dieses vermeintliche Parteihaupt in den wich-
tigsten politischen Fragen seine Ueberzeugung verhandelt hat an
Freunde und Feinde. — Aber wie? Jst Herr v. Gagern nicht
ein Mann von Charakterfestigkeit und Wahrheitsliebe? — Ohne
Zweifel haben diese Tugenden zu seinem reichen Erbtheile gehört.
Aber er hatte das Unglück, in eine geistige Nervenkrankheit zu
verfallen, in die Jdeologie. Während der nach Jdeen handelnde
Staatsmann das Wirkliche im Sinne der Jdee zu veredeln strebt,
sucht der [unleserliches Material – 13 Zeichen fehlen]prakticirende [unleserliches Material – 8 Zeichen fehlen]Jdeologe seine Jdee für das Wirkliche zu
substituiren, dieses zu Gunsten jenes zu vernichten. Wenn Herr
v. Gagern die in Frankfurt zusammengestellte Reichsverfassung
ein „aus endlosen Anstrengungen und Parteikämpfen hervor-
gegangenes “ Werk nennt, so bezeichnet er damit sehr gut seine
eigene Situation bei einem Unternehmen, an dessen natürlicher
Unmöglichkeit selbst die stärksten sittlichen Kräfte der Unternehmer
sich abnützen oder umbiegen müssen.

# Vom Haardtgebirge 1. November. Das Mainzer Journal
vom 30. October theilt eine Correspondenz aus der „Deutschen
Zeitung“ mit, wonach auch „einige Geistliche neuerdings wieder
mit Untersuchungen überrascht worden“ seyen. Daß unter diesen
„einigen Geistlichen“ die D. Z., das Organ der pfälzischen
Preußenfreunde, sowie der Correspondent derselben nur prote-
stantische Geistliche
verstanden und verstehen konnten, wissen
wahrscheinlich nicht alle Leser. Jch berichtige darum jene Angabe
dahin, daß es keine katholischen, sondern nur protestantische Geist-
liche seyn können; indem meines Wissens kein einziger katholischer
Geistlicher sich so weit betheiligt hat, daß eine Untersuchung gegen
ihn stattgehabt hätte. — Notar Werner von Neustadt soll wegen
Betheiligung bei der letzten Revolution auf acht Tage ( ! ) suspen-
dirt worden seyn. Ob diese Strafe im rechten Verhältnisse zu
seiner Betheiligung steht oder ob noch andere Einflüsse bei
derselben gewaltet haben, wage ich nicht zu entscheiden. An-
deren Beamten der Gegend steht das Disciplinarerkenntniß noch
bevor.

Dresden 28. October. ( A. Z. ) Wie hat die constitutio-
nelle Partei
sich bei den gegenwärtigen Wahlen in Sachsen
geltend zu machen gewußt? Obschon noch nicht alle Wahlresul-
tate bekannt sind, so stehen doch bereits soviel Wahlen fest, daß
ein ungefährer Ueberblick sich gewinnen läßt. Jn 52 ( von 75 )
Wahlbezirken zur zweiten Kammer sind die Wahlen von 25 Can-
didaten der radicalen Partei durchgesetzt worden, mit einer Dop-
pelwahl; unter den Gewählten sind neun wegen Betheiligung an
dem Maiaufstande Suspendirte, und zu diesen neun gehört auch
einer unserer provisorischen Regenten, Kreisamtmann Heubner
— ein glänzender Beweis für den politischen Sinn des Wahlbe-
zirkes Freiberg. Unter den 27 Wahlen der Gegenpartei sind zwei
Doppelwahlen. Von den 50 Abgeordneten zur ersten Kammer
sind 18 definitiv gewählt, von denen 8 zu den Candidaten der
Radicalen gehören; doch glaub' ich, lassen diese Parteibestimmun-
gen sich nicht so fest nach der Zahl fixiren, da unter den Gewähl-
ten viele homines novi sind, von denen die Farbe nur vermuthet
wird. Verhältnißmäßig stark scheint diesmal der geistliche Stand
vertreten zu seyn, nächst ihm der unvermeidliche der Advocaten.
Fragen wir aber, mit welcher Parteitactik gewählt worden ist, so
zeigen die speciellen Wahlnachrichten, daß die sogenannten Con-
seroativ=Liberalen fast überall ihre Stimmen zersplittert ha-
ben; ja es soll vorgekommen seyn, daß in combinirten Wahlbe-
zirken zur ersten Kammer mit den beiden radicalen Candidaten
zehn bis zwölf Gegencandidaten concurrirt haben. So ist die
radicale Partei in nicht wenig Bezirken mit den unausbleiblichen
Minoritätswahlen Siegerin geblieben. Wie traurig zeigt sich da
der politische Sinn von der Nasenlänge bei der Partei, die es
einmal nicht hören, nicht begreifen will, daß man vom Feinde
Politik lernen muß. Eine Regierung aber, welche nicht schein-
constitutionell genug ist, um in Kammern aus Minoritätswahlen
eine wahrhafte Repräsentation des Volkes erblicken zu wollen,
wird nicht umhin können nach zwei verunglückten Versuchen mit
dem directen Wahlmodus zu dem indirecten so lange zurückzu-
kehren, bis die Urwähler jenen Grund von politischer Bildung
erlangt haben, daß auch ohne Clubdirection Minoritätswahlen
vermieden werden.

Mannheim 29. October. ( C. Z. ) Es ist in letzter Zeit viel-
fach in öffentlichen Blättern davon die Rede gewesen, daß die
großherzogliche Regierung beabsichtige, die revolutionairen Ele-
mente, die sich im Lande angesammelt haben, durch das Mittel
einer freiwilligen Auswanderung nach Nord= oder Südamerika
abzuleiten. Es bestätigt sich jetzt, daß die Regierung dergleichen
Pläne hegt, nicht aber, wie es zimlich allgemein hieß, blos in Be-
[Spaltenumbruch] zug auf die Mindergravirten; es sind im Gegentheile gerade die
Schwergravirten, die Candidaten zur zehnjährigen Zuchthaus-
strafe, deren die Regierung sich — nöthigenfalls noch durch Zah-
lung des Reisegeldes — entledigen möchte. — Es ist die Anwei-
sung ergangen, daß alle Angeschuldigten, die bestimmt waren, vor
den Standgerichten zu erscheinen, nunmehr, nach erfolgter Auf-
lösung derselben, gefragt werden sollen, ob sie es nicht vorziehen,
unter eventueller Unterstützung der Regierung für immer auszu-
wandern, anstatt sich dem Ausfalle des Urtheiles der Civilstraf-
gerichte auszusetzen. Jn Karlsruhe haben sämmtliche Gefan-
gene die Frage verneint!

Darmstadt 2. November. ( D. Z. ) Gestern wurde hier die
Ausstellung der vereinigten Gewerbhallen der süddeutschen Städte
Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Frankfurt a. M., Mannheim,
Heidelberg, Bensheim, Worms, Gießen, Homburg vor der Höhe,
Mainz, Offenbach und Wiesbaden eröffnet. Nach großen, haupt-
sächlich durch die Zeitverhältnisse veranlaßten Schwierigkeiten war
sie doch endlich zu Stande gekommen und rühmt jetzt neben dem
Gewerbfleiße jener Städte zugleich die Ausdauer der Unternehmer.
Jm Vorsaale des alten Theaters, dem sogenannten Reitsaale, ist
die Ausstellung; der Großherzog hat jenen Raum dazu hergegeben.
Er ist aufs Zweckmäßigste benutzt. Von den genannten Städten
lieferte Frankfurt a. M. die meisten Nummern ( 269 ) , im Werthe
von 1423 fl.; Stuttgarts 239 Nummern haben einen Werth
von 2731 fl. Den nächsthöchsten Werth mit 1399 fl. 57 kr.
lieferte die Gewerbshalle in Wiesbaden in 200 Nummern. Die
Gesammtzahl sämmtlicher Nummern beträgt 2215; der Werth
derselben mit Ausnahme der 200 Darmstädter Nummern, deren
Betrag im Verzeichnisse nicht summirt ist, beträgt 14,203 fl. 54 kr.
Der Schmuck der Ausstellung ist wohl ein Schreibtisch in Pa-
lisanderholz à la Rococo herrlich gearbeitet, welcher nebst einem,
ebenfalls aus Stuttgart gekommenen Fauteuil, den ersten Preis der
Verloosung im [unleserliches Material – 6 Zeichen fehlen]Werthe von 450 fl. bildet. Weiter besonders werth-
voll ist ein Pianoforte in Tafelform in Palisanderholz mit Octa-
ven aus Stuttgart zu 300 fl.; ein Flügel von6 1 / 2 Octaven in
Mahagoni aus Mannheim zu 300 fl. u. s. w. Aber auch des
Kleinen und Kleinsten, als Preise von 10 fl., 5 fl. und selbst 2 fl.
wird viel Erfreuliches geboten und gewinnt noch durch die ge-
schmackvolle Anordnung. Die Loose, zu 1 fl. das Stück ( auf
7 Loose kommt ein Treffer ) , finden fortgesetzt Käufer.

L Wiesbaden 2. November. Die Zahl der Fremden, welche
diesen Winter über in unserer Stadt sich aufzuhalten gedenken,
mehrt sich auf erfreuliche Weise, so daß es scheint, als sey der im
vorigen Jahre etwas getrübte Ruf Wiesbadens als eines der
anmuthigsten und gastfreundlichsten Aufenthaltsorte Deutschlands
wieder in seiner Herstellung begriffen. Wie es heißt, gedenken
unter Anderen auch Se. K. H. der Erzherzog Stephan, sowie
der Fürst von Wied ihren diesjährigen Winteraufenthalt bei
uns zu nehmen.

× Aus dem goldenen Grunde [ Herzogth. Nassau ] 1. Novem-
ber. Wie Sie in Jhrem Blatte uns berichtet, hat ein der Maje-
stätsbeleidigung des Königs von Preußen Angeklagter vor den
Geschworenen in Wiesbaden seine Behauptung damit vertheidigt,
daß dieser König ein blutdürstiger Tyrann sey, und wurde dann
freigesprochen. Es kommt freilich jetzt, wo in dem ehemaligen
Reiche deutscher Nation die Begriffe von Religion, Moral und
Recht, von Gewissenhaftigkeit, Wahrhaftigkeit u. s. w., wie sie
im Christenthume erwachsen, [unleserliches Material – 8 Zeichen fehlen]veraltet sind, Alles auf „Ansichten“
an. Wenn nun Jemand die Ansicht hat, daß die Könige als
solche rechtlos seyen, warum sollte der gebildete Deutsche etwas
dagegen einwenden? Haben nicht die berühmten Männer der
Nation, die Philosophen und Dichter, die Professoren auf den
Universitäten, haben nicht die Regierungen und die ihnen unter-
gebenen Lehrer an den Gymnasien und Volksschulen — Ausnah-
men in den genannten Kategorien verstehen sich von selbst, —
sowie die meisten unserer Zeitungen, unter denen die glänzende
Augsburger Allgemeine, alle das Jhrige gethan, die Jdeen
des deutschen Geistes in Fluß zu bringen,
so daß sie
jetzt dahin fließen wie ein überaus prächtiger, glänzender, schillern-
der Strom, in dem Alles aufgelöst dahin treibt, was ehemals
Deutschland an Glaube, Sitte, Recht, gleich Gold und
kostbarem Gesteine, unantastbar bewahrte? O des Jammers und
der Kurzsichtigkeit! Wie weit entfernt ist denn eine Zeit, in der
solche Rechtssprüche vorkommen gleich jenem der Geschworenen
in Wiesbaden, von dem eigentlichen Königsmorde unter dem
Scheine der Gesetzlichkeit? Und muthet man den Königen und
Fürsten zu, unthätig zuzuwarten, bis es dahin kommt?

Wir gestehen, daß uns die Zustände unseres Vaterlandes fast
trostlos erscheinen, im Großen wie im Kleinen. Wenn doch we-
nigstens das kommende Geschlecht gerettet würde, damit das
Vaterland, nachdem die drohenden Stürme über es dahin ge-
[Ende Spaltensatz]

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[0003] von der Linken, der er sich am 26. März durch einen förmlichen ( aber in Gotha thatsächlich widerrufenen ) Pact verpflichtet hatte, sondern auch von der Weidenbuschpartei ins Schlepptau genom- men worden ist, daß dieses vermeintliche Parteihaupt in den wich- tigsten politischen Fragen seine Ueberzeugung verhandelt hat an Freunde und Feinde. — Aber wie? Jst Herr v. Gagern nicht ein Mann von Charakterfestigkeit und Wahrheitsliebe? — Ohne Zweifel haben diese Tugenden zu seinem reichen Erbtheile gehört. Aber er hatte das Unglück, in eine geistige Nervenkrankheit zu verfallen, in die Jdeologie. Während der nach Jdeen handelnde Staatsmann das Wirkliche im Sinne der Jdee zu veredeln strebt, sucht der _____________prakticirende ________Jdeologe seine Jdee für das Wirkliche zu substituiren, dieses zu Gunsten jenes zu vernichten. Wenn Herr v. Gagern die in Frankfurt zusammengestellte Reichsverfassung ein „aus endlosen Anstrengungen und Parteikämpfen hervor- gegangenes “ Werk nennt, so bezeichnet er damit sehr gut seine eigene Situation bei einem Unternehmen, an dessen natürlicher Unmöglichkeit selbst die stärksten sittlichen Kräfte der Unternehmer sich abnützen oder umbiegen müssen. # Vom Haardtgebirge 1. November. Das Mainzer Journal vom 30. October theilt eine Correspondenz aus der „Deutschen Zeitung“ mit, wonach auch „einige Geistliche neuerdings wieder mit Untersuchungen überrascht worden“ seyen. Daß unter diesen „einigen Geistlichen“ die D. Z., das Organ der pfälzischen Preußenfreunde, sowie der Correspondent derselben nur prote- stantische Geistliche verstanden und verstehen konnten, wissen wahrscheinlich nicht alle Leser. Jch berichtige darum jene Angabe dahin, daß es keine katholischen, sondern nur protestantische Geist- liche seyn können; indem meines Wissens kein einziger katholischer Geistlicher sich so weit betheiligt hat, daß eine Untersuchung gegen ihn stattgehabt hätte. — Notar Werner von Neustadt soll wegen Betheiligung bei der letzten Revolution auf acht Tage ( ! ) suspen- dirt worden seyn. Ob diese Strafe im rechten Verhältnisse zu seiner Betheiligung steht oder ob noch andere Einflüsse bei derselben gewaltet haben, wage ich nicht zu entscheiden. An- deren Beamten der Gegend steht das Disciplinarerkenntniß noch bevor. Dresden 28. October. ( A. Z. ) Wie hat die constitutio- nelle Partei sich bei den gegenwärtigen Wahlen in Sachsen geltend zu machen gewußt? Obschon noch nicht alle Wahlresul- tate bekannt sind, so stehen doch bereits soviel Wahlen fest, daß ein ungefährer Ueberblick sich gewinnen läßt. Jn 52 ( von 75 ) Wahlbezirken zur zweiten Kammer sind die Wahlen von 25 Can- didaten der radicalen Partei durchgesetzt worden, mit einer Dop- pelwahl; unter den Gewählten sind neun wegen Betheiligung an dem Maiaufstande Suspendirte, und zu diesen neun gehört auch einer unserer provisorischen Regenten, Kreisamtmann Heubner — ein glänzender Beweis für den politischen Sinn des Wahlbe- zirkes Freiberg. Unter den 27 Wahlen der Gegenpartei sind zwei Doppelwahlen. Von den 50 Abgeordneten zur ersten Kammer sind 18 definitiv gewählt, von denen 8 zu den Candidaten der Radicalen gehören; doch glaub' ich, lassen diese Parteibestimmun- gen sich nicht so fest nach der Zahl fixiren, da unter den Gewähl- ten viele homines novi sind, von denen die Farbe nur vermuthet wird. Verhältnißmäßig stark scheint diesmal der geistliche Stand vertreten zu seyn, nächst ihm der unvermeidliche der Advocaten. Fragen wir aber, mit welcher Parteitactik gewählt worden ist, so zeigen die speciellen Wahlnachrichten, daß die sogenannten Con- seroativ=Liberalen fast überall ihre Stimmen zersplittert ha- ben; ja es soll vorgekommen seyn, daß in combinirten Wahlbe- zirken zur ersten Kammer mit den beiden radicalen Candidaten zehn bis zwölf Gegencandidaten concurrirt haben. So ist die radicale Partei in nicht wenig Bezirken mit den unausbleiblichen Minoritätswahlen Siegerin geblieben. Wie traurig zeigt sich da der politische Sinn von der Nasenlänge bei der Partei, die es einmal nicht hören, nicht begreifen will, daß man vom Feinde Politik lernen muß. Eine Regierung aber, welche nicht schein- constitutionell genug ist, um in Kammern aus Minoritätswahlen eine wahrhafte Repräsentation des Volkes erblicken zu wollen, wird nicht umhin können nach zwei verunglückten Versuchen mit dem directen Wahlmodus zu dem indirecten so lange zurückzu- kehren, bis die Urwähler jenen Grund von politischer Bildung erlangt haben, daß auch ohne Clubdirection Minoritätswahlen vermieden werden. Mannheim 29. October. ( C. Z. ) Es ist in letzter Zeit viel- fach in öffentlichen Blättern davon die Rede gewesen, daß die großherzogliche Regierung beabsichtige, die revolutionairen Ele- mente, die sich im Lande angesammelt haben, durch das Mittel einer freiwilligen Auswanderung nach Nord= oder Südamerika abzuleiten. Es bestätigt sich jetzt, daß die Regierung dergleichen Pläne hegt, nicht aber, wie es zimlich allgemein hieß, blos in Be- zug auf die Mindergravirten; es sind im Gegentheile gerade die Schwergravirten, die Candidaten zur zehnjährigen Zuchthaus- strafe, deren die Regierung sich — nöthigenfalls noch durch Zah- lung des Reisegeldes — entledigen möchte. — Es ist die Anwei- sung ergangen, daß alle Angeschuldigten, die bestimmt waren, vor den Standgerichten zu erscheinen, nunmehr, nach erfolgter Auf- lösung derselben, gefragt werden sollen, ob sie es nicht vorziehen, unter eventueller Unterstützung der Regierung für immer auszu- wandern, anstatt sich dem Ausfalle des Urtheiles der Civilstraf- gerichte auszusetzen. Jn Karlsruhe haben sämmtliche Gefan- gene die Frage verneint! Darmstadt 2. November. ( D. Z. ) Gestern wurde hier die Ausstellung der vereinigten Gewerbhallen der süddeutschen Städte Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Frankfurt a. M., Mannheim, Heidelberg, Bensheim, Worms, Gießen, Homburg vor der Höhe, Mainz, Offenbach und Wiesbaden eröffnet. Nach großen, haupt- sächlich durch die Zeitverhältnisse veranlaßten Schwierigkeiten war sie doch endlich zu Stande gekommen und rühmt jetzt neben dem Gewerbfleiße jener Städte zugleich die Ausdauer der Unternehmer. Jm Vorsaale des alten Theaters, dem sogenannten Reitsaale, ist die Ausstellung; der Großherzog hat jenen Raum dazu hergegeben. Er ist aufs Zweckmäßigste benutzt. Von den genannten Städten lieferte Frankfurt a. M. die meisten Nummern ( 269 ) , im Werthe von 1423 fl.; Stuttgarts 239 Nummern haben einen Werth von 2731 fl. Den nächsthöchsten Werth mit 1399 fl. 57 kr. lieferte die Gewerbshalle in Wiesbaden in 200 Nummern. Die Gesammtzahl sämmtlicher Nummern beträgt 2215; der Werth derselben mit Ausnahme der 200 Darmstädter Nummern, deren Betrag im Verzeichnisse nicht summirt ist, beträgt 14,203 fl. 54 kr. Der Schmuck der Ausstellung ist wohl ein Schreibtisch in Pa- lisanderholz à la Rococo herrlich gearbeitet, welcher nebst einem, ebenfalls aus Stuttgart gekommenen Fauteuil, den ersten Preis der Verloosung im ______Werthe von 450 fl. bildet. Weiter besonders werth- voll ist ein Pianoforte in Tafelform in Palisanderholz mit Octa- ven aus Stuttgart zu 300 fl.; ein Flügel von6 1 / 2 Octaven in Mahagoni aus Mannheim zu 300 fl. u. s. w. Aber auch des Kleinen und Kleinsten, als Preise von 10 fl., 5 fl. und selbst 2 fl. wird viel Erfreuliches geboten und gewinnt noch durch die ge- schmackvolle Anordnung. Die Loose, zu 1 fl. das Stück ( auf 7 Loose kommt ein Treffer ) , finden fortgesetzt Käufer. L Wiesbaden 2. November. Die Zahl der Fremden, welche diesen Winter über in unserer Stadt sich aufzuhalten gedenken, mehrt sich auf erfreuliche Weise, so daß es scheint, als sey der im vorigen Jahre etwas getrübte Ruf Wiesbadens als eines der anmuthigsten und gastfreundlichsten Aufenthaltsorte Deutschlands wieder in seiner Herstellung begriffen. Wie es heißt, gedenken unter Anderen auch Se. K. H. der Erzherzog Stephan, sowie der Fürst von Wied ihren diesjährigen Winteraufenthalt bei uns zu nehmen. × Aus dem goldenen Grunde [ Herzogth. Nassau ] 1. Novem- ber. Wie Sie in Jhrem Blatte uns berichtet, hat ein der Maje- stätsbeleidigung des Königs von Preußen Angeklagter vor den Geschworenen in Wiesbaden seine Behauptung damit vertheidigt, daß dieser König ein blutdürstiger Tyrann sey, und wurde dann freigesprochen. Es kommt freilich jetzt, wo in dem ehemaligen Reiche deutscher Nation die Begriffe von Religion, Moral und Recht, von Gewissenhaftigkeit, Wahrhaftigkeit u. s. w., wie sie im Christenthume erwachsen, ________veraltet sind, Alles auf „Ansichten“ an. Wenn nun Jemand die Ansicht hat, daß die Könige als solche rechtlos seyen, warum sollte der gebildete Deutsche etwas dagegen einwenden? Haben nicht die berühmten Männer der Nation, die Philosophen und Dichter, die Professoren auf den Universitäten, haben nicht die Regierungen und die ihnen unter- gebenen Lehrer an den Gymnasien und Volksschulen — Ausnah- men in den genannten Kategorien verstehen sich von selbst, — sowie die meisten unserer Zeitungen, unter denen die glänzende Augsburger Allgemeine, alle das Jhrige gethan, die Jdeen des deutschen Geistes in Fluß zu bringen, so daß sie jetzt dahin fließen wie ein überaus prächtiger, glänzender, schillern- der Strom, in dem Alles aufgelöst dahin treibt, was ehemals Deutschland an Glaube, Sitte, Recht, gleich Gold und kostbarem Gesteine, unantastbar bewahrte? O des Jammers und der Kurzsichtigkeit! Wie weit entfernt ist denn eine Zeit, in der solche Rechtssprüche vorkommen gleich jenem der Geschworenen in Wiesbaden, von dem eigentlichen Königsmorde unter dem Scheine der Gesetzlichkeit? Und muthet man den Königen und Fürsten zu, unthätig zuzuwarten, bis es dahin kommt? Wir gestehen, daß uns die Zustände unseres Vaterlandes fast trostlos erscheinen, im Großen wie im Kleinen. Wenn doch we- nigstens das kommende Geschlecht gerettet würde, damit das Vaterland, nachdem die drohenden Stürme über es dahin ge-

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 261. Mainz, 3. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal261_1849/3>, abgerufen am 03.07.2024.