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Mainzer Journal. Nr. 110. Mainz, 12. Oktober 1848.

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[Beginn Spaltensatz] ziehen sehen, als am Main. Ob dort die Appellation an die bru-
tale Gewalt andere Früchte trägt, als sie hier und noch überall,
wo man zu ihr griff, getragen hat, wird die nahe Zukunft lehren.
Einstweilen hat der Kaiser Schönbrunn mit der Erklärung ver-
lassen, daß er Alles gethan, Alles gewährt habe, was man ge-
wollt, daß er aber der Allianz von Aufruhr und Mord sich nicht
unterwerfen könne. Wohin er sich gewendet, ist unbekannt; in-
dessen soll er die Straße nach Hütteldorf eingeschlagen, also nicht
die, welche ihn zu Jellachich geführt hätte, unter dessen Schutz
sich in diesem Augenblick zu stellen, auch wohl in keiner Hinsicht
räthlich gewesen wäre. Die drei Minister Kraus, Hornbostl und
Doblhoff scheinen einstweilen alle Geschäfte übernommen zu haben.
Der Justizminister Bach, einst der Held der Radicalen und der
Liebling der Massen, jetzt von ihnen mit dem Tode bedroht, weil
er auf dem Reichstag an Recht und Gesetz appellirt hatte, hatte
sich unter den Schutz der akademischen Legion gestellt. Diese
Legion hatte wieder vorangestanden in diesem Kampf; sie soll
mit Tapferkeit sich geschlagen haben, und ihr Losungswort
war wieder: die deutschen Jnteressen. Möglich, ja wahrschein-
lich, daß Viele von den besten Absichten geleitet wurden;
aber wir fürchten, sie haben diesen deutschen Jnteressen --
die auch wir zum Wahlspruch des deutschen Oesterreichs er-
hoben wünschten -- dießmal so wenig genützt als früher. Zwar
hoffen wir, vertrauend auf die große Sache des gemeinsamen
Vaterlandes, daß auch aus der gräuelhaften Erschütterung der
zwei größten deutschen Hauptstädte der Einheit ein Gewinn er-
wachse, aber die mit muthwilligem Mord befleckte Hand darf da-
bei keinen Anspruch auf irgendein Verdienst machen. Das Vater-
land wird gerettet werden trotz ihnen! -- -- Jndem wir unsere
Briefe noch einmal durchfliegen, finden wir, daß ein Bruder des
in Frankfurt gemeuchelten Fürsten Lichnowsky bei diesem Wiener
Aufstande erschossen wurde. Er soll sich als Zuschauer unter
denen, die das Zeughaus umtobten, befunden haben, und von
einer Kugel durch die Stirn getroffen worden seyn. Jm Reichs-
tage lief folgende nicht amtliche Ministerliste um: Doblhoff,
Ministerpräsident; General Hauslab für das Aeußere; Bor-
rosch,
das Jnnere; Brauner, Justiz; Brestl, Unterricht;
Hornbostel, Handel; Kraus, Finanzen; Stobnizky, Krieg;
Pretis, öffentliche Arbeiten; Löhner, Unterstaatssecretär im
Ministerium des Jnnern. Ein nach einzelnen Namen unbegreif-
liches, hoffentlich unmögliches Ministerium. Der Reichstag hatte
-- wir ersehen nicht zu welcher Stunde, aber wohlbemerkt schon
am 6. folgende Kundmachung erlassen: "Der Reichstag beschließt
der Direction der Nordbahn zu befehlen, daß dafür zu sorgen
sey, daß kein Militär auf der Nordbahn hieher geführt werde.
Die betreffende Weisung ist nach Olmütz und Brünn zu geben.
Wien am 6. October 1848. Vom ersten Vicepräsidenten des
Reichstages: Franz Smolka. " -- Mittlerweile stand in
Wien das Proletariat in vollen Waffen, denn es hatte im Zeug-
hauh allein gegen 80,000 Gewehre erbeutet. Kudlich war unter
denen, die sich auf das Ehrenwort des Pöbels verließen, daß
nichts weggenommen werden solle! Viele Waffen wurden natür-
lich zerstört; das meiste wird für immer verloren seyn. Eben
erhalten wir noch einen Brief aus Wien, der bestätigt, der Kaiser
habe die Richtung von St. Pölten eingeschlagen. Die Zahl der
Todten und Verwundeten wird -- wie immer wohl höchst über-
trieben -- auf 1000, ja auf 2000 angegeben. Die morgige Post
wird diese Angabe gewiß sehr reduciren.

Wien 7. October. ( A. Z. ) Nachdem der Muth durch den
schrecklichen Tod des Ministers Latour gekühlt war -- es war ein
grausenerregennder Anblick den Leichnam am Pfahle hangen, den
Pöbel mit demselben Scherz treiben und das Militär gleichgültig
gegenüber die Pfeife schmauchen zu sehen -- nachdem das kaiser-
liche Zeughaus genommen und jeder wer da will, sich mit Waffen
versehen, ist die Ruhe wiederhergestellt. Alles durchwogt schein-
bar ruhig die Straßen. Die Läden bis auf jene der Victualien-
händler sind geschlossen, und ein Fremder, der zufällig herkommt
ohne die Ereignisse zu kennen, würde glauben es sey Festtag. --
Die Proclamationen des Reichstags haben gut gewirkt. Wir
werden nun sehen, welches volkshümliche Ministerium Hornbostl
und Doblhoff zusammenbringen werden. Auf Schwarzer wurde
gefahndet, und so eben höre ich seine Gefangennehmung in Ma-
riahilf.

Wien 7. October. 4 Uhr Nachmittags. ( A. Z. ) Die Ruhe
ward nicht im geringsten gestört und wird hoffentlich aufrechter-
halten bleiben. Wenigstens in der Stadt ist nichts zu befürchten.
Man besorgt aber, daß das Militär sich sammle und mit Macht
über die Stadt einbreche. Dann sey der Himmel Wien gnädig,
denn dann kommt es zu einem mörderischen Kampfe; die Wiener
scheinen entschlossen sich bis auf das äußerste zu vertheidigen. Die
herrschende Stimmung nach den gestrigen Ereignissen ist erstau-
nenswerth. Auf allen Gesichtern der vielen Tausende, welche die
[Spaltenumbruch] Stadt durchziehen, liest man Zufriedenheit, und es ist fast als ob
gar nichts vorgefallen wäre. Die Barricaden stehen noch. Auch
sind die Schlünde der Gewehre von den mit Steinen belegten
Fenstern auf die Straßen gerichtet und alles hat noch ein kriege-
risches Ansehen; aber hoffentlich ist für jetzt alles glücklich über-
standen. Gebe der Himmel, daß es also sey!

Das heute morgen schon erwähnte kaiserliche Manifest lautet
beiläufig folgendermaßen: "Alles, was ein Herrscher an Liebe
und Güte für sein Volk thun kann, habe ich mit Freuden erschöpft,
habe mich meiner ererbten absoluten Macht begeben, um durch die
Constitution der Selbstthätigkeit Spielraum zu gewähren, um
durch dieselbe die Kraft und das Selbstgefühl meiner Völker zu
erhöhen. Und wenn die Gewaltthat des 15. Mai mich aus der
Burg meiner Väter vertrieben hat, so ward ich doch nicht müde
zu geben und zu gewähren. Auf der breitesten Grundlage des
Wahlrechts ward ein Reichstag berufen, um in Uebereinstimmung
mit mir die Constitution zu berathen. Hierauf kehrte ich in meine
Hauptstadt zurück, ohne für meine persönliche Sicherheit eine an-
dere Bürgschaft zu verlangen als das Rechtsgefühl und die Dank-
barkeit meiner Völker. Allein eine geringe Anzahl Jrregeführ-
ter bedroht die Hoffnungen jedes Vaterlandsfreundes mit Vernich-
tung, die Anarchie hat ihr Aeußerstes vollbracht. Wien ist mit
Brand und Mord erfüllt, mein Kriegsminister, den schon sein
Greisenalter hätte schirmen sollen, hat unter den Händen meuchel-
mörderischer Rotten geendet. Jch vertraue auf Gott und
mein Recht, verlasse die Nähe meiner Hauptstadt,
um Mittel zu finden dem unterjochten Volke Hülfe
zu bringen. Wer Oesterreich, wer die Freiheit
liebt, schaare sich um seinen Kaiser.
" gez. Ferdinand.

Wien 7. October. Abends sechs Uhr. ( Bresl. Z. ) Graf
Auersperg erklärt so eben im Reichstage ( ? ) , daß er Wien
binnen
12 Stunden in Belagerungs zustand versetzen
werde.
Es sind dazu bereits vorgestern die Anstalten getroffen.
[ Nach Privatberichten aus Frankfurt war dort das Gerücht ver-
breitet, Wien sey auf allen Seiten von Militär umstellt und die
Kanonen nach der Stadt gerichtet. Die Hauptfrage ist die: Was
werden die Provinzen dazu sagen? ]

Berlin 9. October. ( Fr. O. P. A. Z. ) Die Ereignisse in Wien,
welche schon am frühen Morgen, obwohl nur als dunkle Gerüchte
bekannt wurden, haben hier eine Erregung hervorgebracht,
welche sich überall, im Hause, in Versammlungen und auf den
Straßen in lebhaften Gruppen kundgibt. Allgemein fühlt man,
daß die Folgen des Ausganges in Wien, er sey welcher er wolle,
zunächst für Preußen unausbleiblich sind. Man kann, wenn man
den heutigen Verhandlungen in der constituirenden Versammlung
aufmerksam gefolgt ist, behaupten, daß bereits jetzt eine Art von
Rückwirkung zu bemerken gewesen, denn es darf zum mindesten
bezweifelt werden, ob das heute beendigte Jagdgesetz unter allen
Umständen in so liberaler Fassung aus der Debatte hervorge-
gangen wäre: hofft man doch sogar, daß nunmehr das mit so
vielem Widerspruch aufgenommene Bürgerwehrgesetz bei der defi-
nitiven Beschlußnahme über dasselbe verworfen werden wird! --
Berlin ist vollkommen ruhig; mit der größten Spannung
sieht man neuen Nachrichten aus Wien entgegen.

Fulda 9. October. Gestern hatten wir hier ein großartiges,
militärisches Schauspiel, indem die gesammte Bürgerwehr nebst
dem Turnercorps von hier und dem benachbarten Horas, so wie
die militärisch=organisirte, meist aus Arbeitern bestehende Frei-
schaar ( Sensenmänner ) ihre Exerzierübungen mit einem großen
Feldmanöuvre beschloß. Die Erstürmung des eine halbe Stunde
vor hiesiger Stadt gelegenen Vorwerkes Kalten herberge bil-
dete das Ziel des Manoeuvres und wir müssen gestehen, daß die
Haltung der gesammten bürgerlichen Wehrmannschaft, die Tüch-
tigkeit, womit dieselbe die schwierigsten militärischen Evolutionen
ausführte und die Schnelligkeit, welche sie beim Feuern zeigte, alle
unsere Erwartungen weit übertroffen hat und wir nicht umhin
können, den guten Geist, welcher unter diesen zur Volksbewaff-
nung gehörenden Corps herrscht, öffentlich anzurühmen. Nach
beendigtem Manoeuvre zog die Mannschaft nach dem Leipziger
Hofe, wo auch diesmal wieder der Gasthaus= und Brauereibe-
sitzer Hr. Hilp sein bayerisches Bier von vorzüglicher Güte den
Gästen spendete, was um so mehr anzuerkennen ist, als man an
anderen Orten bei großem Menschenandrang häufig genug Biere
von sehr leichtem Gehalte und mißlungener Mischung fin-
det. Kein Unfall störte das vom schönsten Spätsommerwetter
begünstigte Fest, dem eine ungetrübte, heitere Stimmung der zahl-
reichen Zuschauer aus Fulda und der ganzen Umgegend den Cha-
rakter eines wahren Volksfestes verlieh. -- Gestern Abend traf
hier die Nachricht von der Versetzung unseres allverehrten Stadt-
commandanten, Generalmajors von Stark ein. Dieser wackere
Stabsofficier ( jetzt nach Cassel bestimmt ) hat die Liebe und Hoch-
achtung der hiesigen Bürgerschaft besonders während der so be-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ziehen sehen, als am Main. Ob dort die Appellation an die bru-
tale Gewalt andere Früchte trägt, als sie hier und noch überall,
wo man zu ihr griff, getragen hat, wird die nahe Zukunft lehren.
Einstweilen hat der Kaiser Schönbrunn mit der Erklärung ver-
lassen, daß er Alles gethan, Alles gewährt habe, was man ge-
wollt, daß er aber der Allianz von Aufruhr und Mord sich nicht
unterwerfen könne. Wohin er sich gewendet, ist unbekannt; in-
dessen soll er die Straße nach Hütteldorf eingeschlagen, also nicht
die, welche ihn zu Jellachich geführt hätte, unter dessen Schutz
sich in diesem Augenblick zu stellen, auch wohl in keiner Hinsicht
räthlich gewesen wäre. Die drei Minister Kraus, Hornbostl und
Doblhoff scheinen einstweilen alle Geschäfte übernommen zu haben.
Der Justizminister Bach, einst der Held der Radicalen und der
Liebling der Massen, jetzt von ihnen mit dem Tode bedroht, weil
er auf dem Reichstag an Recht und Gesetz appellirt hatte, hatte
sich unter den Schutz der akademischen Legion gestellt. Diese
Legion hatte wieder vorangestanden in diesem Kampf; sie soll
mit Tapferkeit sich geschlagen haben, und ihr Losungswort
war wieder: die deutschen Jnteressen. Möglich, ja wahrschein-
lich, daß Viele von den besten Absichten geleitet wurden;
aber wir fürchten, sie haben diesen deutschen Jnteressen —
die auch wir zum Wahlspruch des deutschen Oesterreichs er-
hoben wünschten — dießmal so wenig genützt als früher. Zwar
hoffen wir, vertrauend auf die große Sache des gemeinsamen
Vaterlandes, daß auch aus der gräuelhaften Erschütterung der
zwei größten deutschen Hauptstädte der Einheit ein Gewinn er-
wachse, aber die mit muthwilligem Mord befleckte Hand darf da-
bei keinen Anspruch auf irgendein Verdienst machen. Das Vater-
land wird gerettet werden trotz ihnen! — — Jndem wir unsere
Briefe noch einmal durchfliegen, finden wir, daß ein Bruder des
in Frankfurt gemeuchelten Fürsten Lichnowsky bei diesem Wiener
Aufstande erschossen wurde. Er soll sich als Zuschauer unter
denen, die das Zeughaus umtobten, befunden haben, und von
einer Kugel durch die Stirn getroffen worden seyn. Jm Reichs-
tage lief folgende nicht amtliche Ministerliste um: Doblhoff,
Ministerpräsident; General Hauslab für das Aeußere; Bor-
rosch,
das Jnnere; Brauner, Justiz; Brestl, Unterricht;
Hornbostel, Handel; Kraus, Finanzen; Stobnizky, Krieg;
Pretis, öffentliche Arbeiten; Löhner, Unterstaatssecretär im
Ministerium des Jnnern. Ein nach einzelnen Namen unbegreif-
liches, hoffentlich unmögliches Ministerium. Der Reichstag hatte
— wir ersehen nicht zu welcher Stunde, aber wohlbemerkt schon
am 6. folgende Kundmachung erlassen: „Der Reichstag beschließt
der Direction der Nordbahn zu befehlen, daß dafür zu sorgen
sey, daß kein Militär auf der Nordbahn hieher geführt werde.
Die betreffende Weisung ist nach Olmütz und Brünn zu geben.
Wien am 6. October 1848. Vom ersten Vicepräsidenten des
Reichstages: Franz Smolka. “ — Mittlerweile stand in
Wien das Proletariat in vollen Waffen, denn es hatte im Zeug-
hauh allein gegen 80,000 Gewehre erbeutet. Kudlich war unter
denen, die sich auf das Ehrenwort des Pöbels verließen, daß
nichts weggenommen werden solle! Viele Waffen wurden natür-
lich zerstört; das meiste wird für immer verloren seyn. Eben
erhalten wir noch einen Brief aus Wien, der bestätigt, der Kaiser
habe die Richtung von St. Pölten eingeschlagen. Die Zahl der
Todten und Verwundeten wird — wie immer wohl höchst über-
trieben — auf 1000, ja auf 2000 angegeben. Die morgige Post
wird diese Angabe gewiß sehr reduciren.

Wien 7. October. ( A. Z. ) Nachdem der Muth durch den
schrecklichen Tod des Ministers Latour gekühlt war — es war ein
grausenerregennder Anblick den Leichnam am Pfahle hangen, den
Pöbel mit demselben Scherz treiben und das Militär gleichgültig
gegenüber die Pfeife schmauchen zu sehen — nachdem das kaiser-
liche Zeughaus genommen und jeder wer da will, sich mit Waffen
versehen, ist die Ruhe wiederhergestellt. Alles durchwogt schein-
bar ruhig die Straßen. Die Läden bis auf jene der Victualien-
händler sind geschlossen, und ein Fremder, der zufällig herkommt
ohne die Ereignisse zu kennen, würde glauben es sey Festtag. —
Die Proclamationen des Reichstags haben gut gewirkt. Wir
werden nun sehen, welches volkshümliche Ministerium Hornbostl
und Doblhoff zusammenbringen werden. Auf Schwarzer wurde
gefahndet, und so eben höre ich seine Gefangennehmung in Ma-
riahilf.

Wien 7. October. 4 Uhr Nachmittags. ( A. Z. ) Die Ruhe
ward nicht im geringsten gestört und wird hoffentlich aufrechter-
halten bleiben. Wenigstens in der Stadt ist nichts zu befürchten.
Man besorgt aber, daß das Militär sich sammle und mit Macht
über die Stadt einbreche. Dann sey der Himmel Wien gnädig,
denn dann kommt es zu einem mörderischen Kampfe; die Wiener
scheinen entschlossen sich bis auf das äußerste zu vertheidigen. Die
herrschende Stimmung nach den gestrigen Ereignissen ist erstau-
nenswerth. Auf allen Gesichtern der vielen Tausende, welche die
[Spaltenumbruch] Stadt durchziehen, liest man Zufriedenheit, und es ist fast als ob
gar nichts vorgefallen wäre. Die Barricaden stehen noch. Auch
sind die Schlünde der Gewehre von den mit Steinen belegten
Fenstern auf die Straßen gerichtet und alles hat noch ein kriege-
risches Ansehen; aber hoffentlich ist für jetzt alles glücklich über-
standen. Gebe der Himmel, daß es also sey!

Das heute morgen schon erwähnte kaiserliche Manifest lautet
beiläufig folgendermaßen: „Alles, was ein Herrscher an Liebe
und Güte für sein Volk thun kann, habe ich mit Freuden erschöpft,
habe mich meiner ererbten absoluten Macht begeben, um durch die
Constitution der Selbstthätigkeit Spielraum zu gewähren, um
durch dieselbe die Kraft und das Selbstgefühl meiner Völker zu
erhöhen. Und wenn die Gewaltthat des 15. Mai mich aus der
Burg meiner Väter vertrieben hat, so ward ich doch nicht müde
zu geben und zu gewähren. Auf der breitesten Grundlage des
Wahlrechts ward ein Reichstag berufen, um in Uebereinstimmung
mit mir die Constitution zu berathen. Hierauf kehrte ich in meine
Hauptstadt zurück, ohne für meine persönliche Sicherheit eine an-
dere Bürgschaft zu verlangen als das Rechtsgefühl und die Dank-
barkeit meiner Völker. Allein eine geringe Anzahl Jrregeführ-
ter bedroht die Hoffnungen jedes Vaterlandsfreundes mit Vernich-
tung, die Anarchie hat ihr Aeußerstes vollbracht. Wien ist mit
Brand und Mord erfüllt, mein Kriegsminister, den schon sein
Greisenalter hätte schirmen sollen, hat unter den Händen meuchel-
mörderischer Rotten geendet. Jch vertraue auf Gott und
mein Recht, verlasse die Nähe meiner Hauptstadt,
um Mittel zu finden dem unterjochten Volke Hülfe
zu bringen. Wer Oesterreich, wer die Freiheit
liebt, schaare sich um seinen Kaiser.
“ gez. Ferdinand.

Wien 7. October. Abends sechs Uhr. ( Bresl. Z. ) Graf
Auersperg erklärt so eben im Reichstage ( ? ) , daß er Wien
binnen
12 Stunden in Belagerungs zustand versetzen
werde.
Es sind dazu bereits vorgestern die Anstalten getroffen.
[ Nach Privatberichten aus Frankfurt war dort das Gerücht ver-
breitet, Wien sey auf allen Seiten von Militär umstellt und die
Kanonen nach der Stadt gerichtet. Die Hauptfrage ist die: Was
werden die Provinzen dazu sagen? ]

Berlin 9. October. ( Fr. O. P. A. Z. ) Die Ereignisse in Wien,
welche schon am frühen Morgen, obwohl nur als dunkle Gerüchte
bekannt wurden, haben hier eine Erregung hervorgebracht,
welche sich überall, im Hause, in Versammlungen und auf den
Straßen in lebhaften Gruppen kundgibt. Allgemein fühlt man,
daß die Folgen des Ausganges in Wien, er sey welcher er wolle,
zunächst für Preußen unausbleiblich sind. Man kann, wenn man
den heutigen Verhandlungen in der constituirenden Versammlung
aufmerksam gefolgt ist, behaupten, daß bereits jetzt eine Art von
Rückwirkung zu bemerken gewesen, denn es darf zum mindesten
bezweifelt werden, ob das heute beendigte Jagdgesetz unter allen
Umständen in so liberaler Fassung aus der Debatte hervorge-
gangen wäre: hofft man doch sogar, daß nunmehr das mit so
vielem Widerspruch aufgenommene Bürgerwehrgesetz bei der defi-
nitiven Beschlußnahme über dasselbe verworfen werden wird! —
Berlin ist vollkommen ruhig; mit der größten Spannung
sieht man neuen Nachrichten aus Wien entgegen.

Fulda 9. October. Gestern hatten wir hier ein großartiges,
militärisches Schauspiel, indem die gesammte Bürgerwehr nebst
dem Turnercorps von hier und dem benachbarten Horas, so wie
die militärisch=organisirte, meist aus Arbeitern bestehende Frei-
schaar ( Sensenmänner ) ihre Exerzierübungen mit einem großen
Feldmanöuvre beschloß. Die Erstürmung des eine halbe Stunde
vor hiesiger Stadt gelegenen Vorwerkes Kalten herberge bil-
dete das Ziel des Manoeuvres und wir müssen gestehen, daß die
Haltung der gesammten bürgerlichen Wehrmannschaft, die Tüch-
tigkeit, womit dieselbe die schwierigsten militärischen Evolutionen
ausführte und die Schnelligkeit, welche sie beim Feuern zeigte, alle
unsere Erwartungen weit übertroffen hat und wir nicht umhin
können, den guten Geist, welcher unter diesen zur Volksbewaff-
nung gehörenden Corps herrscht, öffentlich anzurühmen. Nach
beendigtem Manoeuvre zog die Mannschaft nach dem Leipziger
Hofe, wo auch diesmal wieder der Gasthaus= und Brauereibe-
sitzer Hr. Hilp sein bayerisches Bier von vorzüglicher Güte den
Gästen spendete, was um so mehr anzuerkennen ist, als man an
anderen Orten bei großem Menschenandrang häufig genug Biere
von sehr leichtem Gehalte und mißlungener Mischung fin-
det. Kein Unfall störte das vom schönsten Spätsommerwetter
begünstigte Fest, dem eine ungetrübte, heitere Stimmung der zahl-
reichen Zuschauer aus Fulda und der ganzen Umgegend den Cha-
rakter eines wahren Volksfestes verlieh. — Gestern Abend traf
hier die Nachricht von der Versetzung unseres allverehrten Stadt-
commandanten, Generalmajors von Stark ein. Dieser wackere
Stabsofficier ( jetzt nach Cassel bestimmt ) hat die Liebe und Hoch-
achtung der hiesigen Bürgerschaft besonders während der so be-
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[0003] ziehen sehen, als am Main. Ob dort die Appellation an die bru- tale Gewalt andere Früchte trägt, als sie hier und noch überall, wo man zu ihr griff, getragen hat, wird die nahe Zukunft lehren. Einstweilen hat der Kaiser Schönbrunn mit der Erklärung ver- lassen, daß er Alles gethan, Alles gewährt habe, was man ge- wollt, daß er aber der Allianz von Aufruhr und Mord sich nicht unterwerfen könne. Wohin er sich gewendet, ist unbekannt; in- dessen soll er die Straße nach Hütteldorf eingeschlagen, also nicht die, welche ihn zu Jellachich geführt hätte, unter dessen Schutz sich in diesem Augenblick zu stellen, auch wohl in keiner Hinsicht räthlich gewesen wäre. Die drei Minister Kraus, Hornbostl und Doblhoff scheinen einstweilen alle Geschäfte übernommen zu haben. Der Justizminister Bach, einst der Held der Radicalen und der Liebling der Massen, jetzt von ihnen mit dem Tode bedroht, weil er auf dem Reichstag an Recht und Gesetz appellirt hatte, hatte sich unter den Schutz der akademischen Legion gestellt. Diese Legion hatte wieder vorangestanden in diesem Kampf; sie soll mit Tapferkeit sich geschlagen haben, und ihr Losungswort war wieder: die deutschen Jnteressen. Möglich, ja wahrschein- lich, daß Viele von den besten Absichten geleitet wurden; aber wir fürchten, sie haben diesen deutschen Jnteressen — die auch wir zum Wahlspruch des deutschen Oesterreichs er- hoben wünschten — dießmal so wenig genützt als früher. Zwar hoffen wir, vertrauend auf die große Sache des gemeinsamen Vaterlandes, daß auch aus der gräuelhaften Erschütterung der zwei größten deutschen Hauptstädte der Einheit ein Gewinn er- wachse, aber die mit muthwilligem Mord befleckte Hand darf da- bei keinen Anspruch auf irgendein Verdienst machen. Das Vater- land wird gerettet werden trotz ihnen! — — Jndem wir unsere Briefe noch einmal durchfliegen, finden wir, daß ein Bruder des in Frankfurt gemeuchelten Fürsten Lichnowsky bei diesem Wiener Aufstande erschossen wurde. Er soll sich als Zuschauer unter denen, die das Zeughaus umtobten, befunden haben, und von einer Kugel durch die Stirn getroffen worden seyn. Jm Reichs- tage lief folgende nicht amtliche Ministerliste um: Doblhoff, Ministerpräsident; General Hauslab für das Aeußere; Bor- rosch, das Jnnere; Brauner, Justiz; Brestl, Unterricht; Hornbostel, Handel; Kraus, Finanzen; Stobnizky, Krieg; Pretis, öffentliche Arbeiten; Löhner, Unterstaatssecretär im Ministerium des Jnnern. Ein nach einzelnen Namen unbegreif- liches, hoffentlich unmögliches Ministerium. Der Reichstag hatte — wir ersehen nicht zu welcher Stunde, aber wohlbemerkt schon am 6. folgende Kundmachung erlassen: „Der Reichstag beschließt der Direction der Nordbahn zu befehlen, daß dafür zu sorgen sey, daß kein Militär auf der Nordbahn hieher geführt werde. Die betreffende Weisung ist nach Olmütz und Brünn zu geben. Wien am 6. October 1848. Vom ersten Vicepräsidenten des Reichstages: Franz Smolka. “ — Mittlerweile stand in Wien das Proletariat in vollen Waffen, denn es hatte im Zeug- hauh allein gegen 80,000 Gewehre erbeutet. Kudlich war unter denen, die sich auf das Ehrenwort des Pöbels verließen, daß nichts weggenommen werden solle! Viele Waffen wurden natür- lich zerstört; das meiste wird für immer verloren seyn. Eben erhalten wir noch einen Brief aus Wien, der bestätigt, der Kaiser habe die Richtung von St. Pölten eingeschlagen. Die Zahl der Todten und Verwundeten wird — wie immer wohl höchst über- trieben — auf 1000, ja auf 2000 angegeben. Die morgige Post wird diese Angabe gewiß sehr reduciren. Wien 7. October. ( A. Z. ) Nachdem der Muth durch den schrecklichen Tod des Ministers Latour gekühlt war — es war ein grausenerregennder Anblick den Leichnam am Pfahle hangen, den Pöbel mit demselben Scherz treiben und das Militär gleichgültig gegenüber die Pfeife schmauchen zu sehen — nachdem das kaiser- liche Zeughaus genommen und jeder wer da will, sich mit Waffen versehen, ist die Ruhe wiederhergestellt. Alles durchwogt schein- bar ruhig die Straßen. Die Läden bis auf jene der Victualien- händler sind geschlossen, und ein Fremder, der zufällig herkommt ohne die Ereignisse zu kennen, würde glauben es sey Festtag. — Die Proclamationen des Reichstags haben gut gewirkt. Wir werden nun sehen, welches volkshümliche Ministerium Hornbostl und Doblhoff zusammenbringen werden. Auf Schwarzer wurde gefahndet, und so eben höre ich seine Gefangennehmung in Ma- riahilf. Wien 7. October. 4 Uhr Nachmittags. ( A. Z. ) Die Ruhe ward nicht im geringsten gestört und wird hoffentlich aufrechter- halten bleiben. Wenigstens in der Stadt ist nichts zu befürchten. Man besorgt aber, daß das Militär sich sammle und mit Macht über die Stadt einbreche. Dann sey der Himmel Wien gnädig, denn dann kommt es zu einem mörderischen Kampfe; die Wiener scheinen entschlossen sich bis auf das äußerste zu vertheidigen. Die herrschende Stimmung nach den gestrigen Ereignissen ist erstau- nenswerth. Auf allen Gesichtern der vielen Tausende, welche die Stadt durchziehen, liest man Zufriedenheit, und es ist fast als ob gar nichts vorgefallen wäre. Die Barricaden stehen noch. Auch sind die Schlünde der Gewehre von den mit Steinen belegten Fenstern auf die Straßen gerichtet und alles hat noch ein kriege- risches Ansehen; aber hoffentlich ist für jetzt alles glücklich über- standen. Gebe der Himmel, daß es also sey! Das heute morgen schon erwähnte kaiserliche Manifest lautet beiläufig folgendermaßen: „Alles, was ein Herrscher an Liebe und Güte für sein Volk thun kann, habe ich mit Freuden erschöpft, habe mich meiner ererbten absoluten Macht begeben, um durch die Constitution der Selbstthätigkeit Spielraum zu gewähren, um durch dieselbe die Kraft und das Selbstgefühl meiner Völker zu erhöhen. Und wenn die Gewaltthat des 15. Mai mich aus der Burg meiner Väter vertrieben hat, so ward ich doch nicht müde zu geben und zu gewähren. Auf der breitesten Grundlage des Wahlrechts ward ein Reichstag berufen, um in Uebereinstimmung mit mir die Constitution zu berathen. Hierauf kehrte ich in meine Hauptstadt zurück, ohne für meine persönliche Sicherheit eine an- dere Bürgschaft zu verlangen als das Rechtsgefühl und die Dank- barkeit meiner Völker. Allein eine geringe Anzahl Jrregeführ- ter bedroht die Hoffnungen jedes Vaterlandsfreundes mit Vernich- tung, die Anarchie hat ihr Aeußerstes vollbracht. Wien ist mit Brand und Mord erfüllt, mein Kriegsminister, den schon sein Greisenalter hätte schirmen sollen, hat unter den Händen meuchel- mörderischer Rotten geendet. Jch vertraue auf Gott und mein Recht, verlasse die Nähe meiner Hauptstadt, um Mittel zu finden dem unterjochten Volke Hülfe zu bringen. Wer Oesterreich, wer die Freiheit liebt, schaare sich um seinen Kaiser. “ gez. Ferdinand. Wien 7. October. Abends sechs Uhr. ( Bresl. Z. ) Graf Auersperg erklärt so eben im Reichstage ( ? ) , daß er Wien binnen 12 Stunden in Belagerungs zustand versetzen werde. Es sind dazu bereits vorgestern die Anstalten getroffen. [ Nach Privatberichten aus Frankfurt war dort das Gerücht ver- breitet, Wien sey auf allen Seiten von Militär umstellt und die Kanonen nach der Stadt gerichtet. Die Hauptfrage ist die: Was werden die Provinzen dazu sagen? ] Berlin 9. October. ( Fr. O. P. A. Z. ) Die Ereignisse in Wien, welche schon am frühen Morgen, obwohl nur als dunkle Gerüchte bekannt wurden, haben hier eine Erregung hervorgebracht, welche sich überall, im Hause, in Versammlungen und auf den Straßen in lebhaften Gruppen kundgibt. Allgemein fühlt man, daß die Folgen des Ausganges in Wien, er sey welcher er wolle, zunächst für Preußen unausbleiblich sind. Man kann, wenn man den heutigen Verhandlungen in der constituirenden Versammlung aufmerksam gefolgt ist, behaupten, daß bereits jetzt eine Art von Rückwirkung zu bemerken gewesen, denn es darf zum mindesten bezweifelt werden, ob das heute beendigte Jagdgesetz unter allen Umständen in so liberaler Fassung aus der Debatte hervorge- gangen wäre: hofft man doch sogar, daß nunmehr das mit so vielem Widerspruch aufgenommene Bürgerwehrgesetz bei der defi- nitiven Beschlußnahme über dasselbe verworfen werden wird! — Berlin ist vollkommen ruhig; mit der größten Spannung sieht man neuen Nachrichten aus Wien entgegen. Fulda 9. October. Gestern hatten wir hier ein großartiges, militärisches Schauspiel, indem die gesammte Bürgerwehr nebst dem Turnercorps von hier und dem benachbarten Horas, so wie die militärisch=organisirte, meist aus Arbeitern bestehende Frei- schaar ( Sensenmänner ) ihre Exerzierübungen mit einem großen Feldmanöuvre beschloß. Die Erstürmung des eine halbe Stunde vor hiesiger Stadt gelegenen Vorwerkes Kalten herberge bil- dete das Ziel des Manoeuvres und wir müssen gestehen, daß die Haltung der gesammten bürgerlichen Wehrmannschaft, die Tüch- tigkeit, womit dieselbe die schwierigsten militärischen Evolutionen ausführte und die Schnelligkeit, welche sie beim Feuern zeigte, alle unsere Erwartungen weit übertroffen hat und wir nicht umhin können, den guten Geist, welcher unter diesen zur Volksbewaff- nung gehörenden Corps herrscht, öffentlich anzurühmen. Nach beendigtem Manoeuvre zog die Mannschaft nach dem Leipziger Hofe, wo auch diesmal wieder der Gasthaus= und Brauereibe- sitzer Hr. Hilp sein bayerisches Bier von vorzüglicher Güte den Gästen spendete, was um so mehr anzuerkennen ist, als man an anderen Orten bei großem Menschenandrang häufig genug Biere von sehr leichtem Gehalte und mißlungener Mischung fin- det. Kein Unfall störte das vom schönsten Spätsommerwetter begünstigte Fest, dem eine ungetrübte, heitere Stimmung der zahl- reichen Zuschauer aus Fulda und der ganzen Umgegend den Cha- rakter eines wahren Volksfestes verlieh. — Gestern Abend traf hier die Nachricht von der Versetzung unseres allverehrten Stadt- commandanten, Generalmajors von Stark ein. Dieser wackere Stabsofficier ( jetzt nach Cassel bestimmt ) hat die Liebe und Hoch- achtung der hiesigen Bürgerschaft besonders während der so be-

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 110. Mainz, 12. Oktober 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal110_1848/3>, abgerufen am 17.06.2024.