Mainzer Journal. Nr. 86. Mainz, 14. September 1848.[Beginn Spaltensatz]
über die Raitzen bei Perlaß scheinen nicht so bedeutend und am Frankreich. * * * Paris 12. September. Der Vorschlag des Herrn Jn Algier sollen nun Ackerbaucolonien in großartigem General Cavaignac sagte dieser Tage einer ihn becomplimen- Die Lyoner Nationalwerkstätten haben die Stadt 1,650,000 Emile von Girardin erklärt heute sehr pathetisch, daß er in Jn Paris ist die Cholera ausgebrochen. Börse vom 11. September. Das Geschäft an der heutigen Großbritannien. London 9. September. Lord Palmerston ist gestern auf seinen Rußland und Polen. Von der polnischen Gränze 9. September. ( B. H. ) Nach Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg. [Beginn Spaltensatz]
über die Raitzen bei Perlaß scheinen nicht so bedeutend und am Frankreich. * * * Paris 12. September. Der Vorschlag des Herrn Jn Algier sollen nun Ackerbaucolonien in großartigem General Cavaignac sagte dieser Tage einer ihn becomplimen- Die Lyoner Nationalwerkstätten haben die Stadt 1,650,000 Emile von Girardin erklärt heute sehr pathetisch, daß er in Jn Paris ist die Cholera ausgebrochen. Börse vom 11. September. Das Geschäft an der heutigen Großbritannien. London 9. September. Lord Palmerston ist gestern auf seinen Rußland und Polen. Von der polnischen Gränze 9. September. ( B. H. ) Nach Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <p><pb facs="#f0004"/><cb type="start"/> über die Raitzen <hi rendition="#g">bei Perlaß</hi> scheinen nicht so bedeutend und am<lb/> wenigsten so entscheidend zu seyn, wie man dieß uns glauben ma-<lb/> chen wollte. Uebrigens macht das Ministerium die Siege der un-<lb/> garischen Waffen mittelst Placate an den Straßenecken <hi rendition="#g">blos in<lb/> ungarischer Sprache</hi> bekannt. Wenigstens zwei Drittheile<lb/> der Bevölkerung ( Deutsche ) hält man also nicht würdig an die-<lb/> sen Nachrichten theilzunehmen. Auf diese und ähnliche Weise fährt<lb/> man hier fort allen anderen Nationalitäten mit Nichtachtung zu be-<lb/> gegnen. Kein Wunder, wenn der intolerante Magyarismus auf<lb/> so wenige Sympathien stößt. Während der Abwesenheit der gro-<lb/> ßen Reichstagsdeputation werden hier keine Sitzungen gehalten.<lb/> Graf Stephan Szechenyi, Minister der Communicationen, un-<lb/> streitig einer der größten und verdienstvollsten Männer Ungarns,<lb/> hat ( man sagt in Folge eines heftigen Streites mit Kossuth )<lb/> Spuren von Geisteszerrüttung gezeigt, und soll bei Gran versucht<lb/> haben durch einen Sprung in die Donau sich zu entleiben. —<lb/> Fürst Bibesco und alle die anderen vornehmen Walachen, welche<lb/> in Kronstadt in Siebenbürgen Zuflucht genommen, haben vom<lb/> ungarischen Ministerium Befehl erhalten diese Stadt binnen drei<lb/> Tagen zu verlassen.</p> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#g">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p><hi rendition="#sup">* * *</hi> Paris 12. September. 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Sie<lb/> sehen, unsere Gesetzgeber sind in den Belagerungszustand wahr-<lb/> haft verliebt und gehen sorgfältig allen Fragen aus dem Wege,<lb/> welche denselben auch nur entfernt beeinträchtigen könnten! —<lb/> Die Kammer ging darauf, obgleich es schon ziemlich spät war,<lb/> zur Debatte über die neue Verfassung über und genehmigte zuerst<lb/> die Art. <hi rendition="#aq">IV</hi>. und <hi rendition="#aq">VI</hi>. der Einleitung, die in Folge mehrerer Amen-<lb/> dements etwas abgeändert und an die Commission zurückgeschickt<lb/> worden waren, ohne weitere Berathung. 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Um alle diese<lb/> Pflichten zu erfüllen und alle diese Rechte zu wahren, decretirt<lb/> die Nationalversammlung die Verfassung der Republik wie folgt<lb/> u. s. w.“ Herr <hi rendition="#g">Mathieu</hi> de la Drome hatte dazu das folgende<lb/> Amendement vorgeschlagen: „Die Republik muß den Bürger in<lb/> seiner Person, seiner Familie, seiner Religion und seinem Eigen-<lb/> thume beschützen: <hi rendition="#g">sie anerkennt das Recht</hi> aller Bürger auf<lb/> Unterricht, <hi rendition="#g">auf Arbeit</hi> und Unterstützung,“ und begründete<lb/> dasselbe in einer längeren Rede. Die Verfassungscommission will<lb/> jedoch kein <hi rendition="#g">Recht zur Arbeit,</hi> das sie für ein gefährliches<lb/> Princip hält, sondern nur eine <hi rendition="#g">Pflicht zur Arbeit</hi> zugestehen<lb/> und es ist zu erwarten, daß die Erörterung dieses Artikels sehr<lb/> heftige Debatten hervorrufen wird. Bis jetzt haben sich schon<lb/> zweiunddreißig Redner darüber gemeldet.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Jn Algier sollen nun Ackerbaucolonien in großartigem<lb/> Maasstabe angelegt werden. Der Kriegsminister General<lb/> Lamorici<hi rendition="#aq">è</hi>re hat seinen deßfallsigen Plan der Nationalversamm-<lb/> lung bereits vorgelegt und verlangt dafür 50 Millionen Francs,<lb/> die auf das Budget von 1848—1851 vertheilt werden sollen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>General Cavaignac sagte dieser Tage einer ihn becomplimen-<lb/> tirenden Deputation von Julidecorirten unter Anderem Folgen-<lb/> des: Jch hoffe, daß wir nie mehr wie in den Junitagen<lb/> kämpfen, ich möchte Euch fast sagen, daß wir nie mehr kämpfen<lb/> werden. Die Vermittelung Frankreichs ist von Oesterreich ange-<lb/> nommen und zwar deßhalb angenommen worden, weil wir gemä-<lb/> ßigt gewesen sind. Wir können also versichert seyn, daß der Friede<lb/> aufrecht erhalten bleibt. Jch weiß zwar nicht, was die Zukunft<lb/> uns noch bringen wird, allein ich für meinen Theil werde Alles<lb/> aufbieten, um den Frieden zu erhalten, denn durch ihn werden<lb/> wir unsere Jnstitutionen befestigen und die materiellen und geisti-<lb/> gen Reichthümer Frankreichs entwickeln.</p> </div><lb/> <cb n="2"/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Die Lyoner Nationalwerkstätten haben die Stadt 1,650,000<lb/> Francs gekostet, gearbeitet haben sie während der ganzen Zeit<lb/> ihres Bestehens für 30,000 Francs!</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Emile von Girardin erklärt heute sehr pathetisch, daß er in<lb/> Folge des oben erwähnten Votums der Nationalversammlung<lb/> von der Leitung der „Presse“ sich auf so lange zurückziehe, als<lb/> der Belagerungszustand noch dauere, zugleich bittet er die Pa-<lb/> riser, ihn doch als Abgeordneten in die Nationalversammlung zu<lb/> schicken. Die Sache würde einen größeren Eindruck machen,<lb/> wenn man nicht wüßte, unter welchen Einflüssen dieser Ko-<lb/> mödiant der Freiheit schreibt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Jn Paris ist die <hi rendition="#g">Cholera</hi> ausgebrochen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p><hi rendition="#g">Börse vom</hi> 11. <hi rendition="#g">September.</hi> Das Geschäft an der heutigen<lb/> Börse war von keinem Belang. Die Curse blieben zwar wenig verän-<lb/> dert, doch war die Stimmung auf die neuesten Nachrichten von Wien<lb/> und Berlin hin matter. 3% Fr. 45. 25. — 5% Fr. 70. 75. neue<lb/> Fr. 73. 25. — Bankactien 1650. Orleans 672. 50. Rouen 435. —<lb/> Bordeaux 386. 25. Orleans=Vierzon 262. 50. — Havre 200. Mar-<lb/> seille=Avignon 203. 75. Strasburg=Basel 87. 50. Nordbahn 381.<lb/> 25. Lyon 368. 75. Paris=Strasburg 348. 75.</p> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <p>London 9. September. Lord Palmerston ist gestern auf seinen<lb/> Landsitz abgereist; fast sämmtliche Minister haben die Hauptstadt<lb/> verlassen. — Die Ernteberichte lauten, in Folge der guten Wit-<lb/> terung während der letzten 10 Tage, aus allen Theilen des Lan-<lb/> des recht erfreulich. — Obgleich die Einfuhr von lebendem<lb/> Schlachtvieh in den letzten Jahren — sie belief sich im J. 1845<lb/> auf 34,380, im J. 1846 auf 143,523, im J. 1847 auf 216,456<lb/> Stück und wird in diesem Jahre sich. als noch weit beträchtlicher<lb/> herausstellen — sehr bedeutend zugenommen hat, so sind doch die<lb/> Fleischpreise fast dieselben geblieben und Sachkundige behaupten,<lb/> daß nur dann an ein Heruntergehen der Preise zu denken sey,<lb/><hi rendition="#g">wenn die Schlachtvieheinfuhr auf das Doppelte<lb/> oder Dreifache ihres jetzigen Betrages steige.</hi> Da es<lb/> dieser erhöhten Einfuhr jedenfalls nicht an Absatz fehlen wird, so<lb/> hat sich jetzt dahier eine „Londoner Schlachtvieh= und Lebens-<lb/> mitteleinfuhrgesellschaft “ gebildet, die viele Männer vom Fache<lb/> zählt und hauptsächlich die Viehmärkte des Landes zu versorgen<lb/> bezweckt. — Aus Falmouth wird gemeldet, daß am 6. Abends<lb/> und am 7. früh in Folge des Waffenstillstandes 40 preußische<lb/> und deutsche Schiffe, die seit lange im Hafen lagen, nach ihren<lb/> Bestimmungsorten abgesegelt sind. Am nämlichen Tage fuhren<lb/> auch zahlreiche preußische <choice><abbr>ec.</abbr></choice> Schiffe von Plymouth ab.</p> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head>Rußland und Polen.</head><lb/> <p>Von der polnischen Gränze 9. September. ( B. H. ) Nach<lb/> einem uns vorliegenden Brief aus Warschau vom 2. September<lb/> soll der Graf <hi rendition="#g">Nesselrode</hi> in Warschau seyn, und mit dem<lb/> Fürsten Statthalter Paschkiewicz täglich wichtige Conferenzen<lb/> über die inneren und äußeren Angelegenheiten des Reichs abhal-<lb/> ten. Es heißt dort in wohlunterrichteten, mit diplomatischen<lb/> Verhältnissen vertrauten Kreisen, daß der Kaiser Nicolaus ernste<lb/> Absichten hege, das Polenreich in so weit herzustellen, daß es<lb/> als ein Vicekönigthum mit selbstständiger Verfassung, eigenen<lb/> Landestruppen u. s. w. dem großen Czarenreiche einverleibt blei-<lb/> ben solle. Man spricht im Königreich Polen schon sehr viel davon,<lb/> und eine Version bezeichnet Paschkiewicz. die andere den Herzog<lb/> von Leuchtenberg zum künftigen Vicekönig. Ungewöhnlich mild<lb/> wird mit den polnischen politischen Gefangenen in der War-<lb/> schauer Citadelle verfahren und im Ganzen ist das Verfahren<lb/> gegen Polen der Art, daß man, im Verhältniß zur früheren<lb/> menschentwürdigenden brutalen Behandlung derselben, ganz er-<lb/> staunt, und dies nur einem bedeutungsvollen Umschwung der<lb/> Dinge, der nahe bevorstehen soll, zuschreibt. 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über die Raitzen bei Perlaß scheinen nicht so bedeutend und am
wenigsten so entscheidend zu seyn, wie man dieß uns glauben ma-
chen wollte. Uebrigens macht das Ministerium die Siege der un-
garischen Waffen mittelst Placate an den Straßenecken blos in
ungarischer Sprache bekannt. Wenigstens zwei Drittheile
der Bevölkerung ( Deutsche ) hält man also nicht würdig an die-
sen Nachrichten theilzunehmen. Auf diese und ähnliche Weise fährt
man hier fort allen anderen Nationalitäten mit Nichtachtung zu be-
gegnen. Kein Wunder, wenn der intolerante Magyarismus auf
so wenige Sympathien stößt. Während der Abwesenheit der gro-
ßen Reichstagsdeputation werden hier keine Sitzungen gehalten.
Graf Stephan Szechenyi, Minister der Communicationen, un-
streitig einer der größten und verdienstvollsten Männer Ungarns,
hat ( man sagt in Folge eines heftigen Streites mit Kossuth )
Spuren von Geisteszerrüttung gezeigt, und soll bei Gran versucht
haben durch einen Sprung in die Donau sich zu entleiben. —
Fürst Bibesco und alle die anderen vornehmen Walachen, welche
in Kronstadt in Siebenbürgen Zuflucht genommen, haben vom
ungarischen Ministerium Befehl erhalten diese Stadt binnen drei
Tagen zu verlassen.
Frankreich.
* * * Paris 12. September. Der Vorschlag des Herrn
Crespel de Latouche die Zeitungen für die Dauer des Bela-
gerungszustandes, sobald sie sich eines Preßvergehens schuldig
gemacht, binnen zweimal vierundzwanzig Stunden vor die Assisen
zu verweisen — wodurch dieselben der unbedingten Willkühr eines
Militärdictators entzogen und wenigstens ein Schein von Preß-
freiheit gerettet werden sollte — fiel in der gestrigen Sitzung der
Nationalversammlung mit 515 gegen 238 Stimmen durch. Sie
sehen, unsere Gesetzgeber sind in den Belagerungszustand wahr-
haft verliebt und gehen sorgfältig allen Fragen aus dem Wege,
welche denselben auch nur entfernt beeinträchtigen könnten! —
Die Kammer ging darauf, obgleich es schon ziemlich spät war,
zur Debatte über die neue Verfassung über und genehmigte zuerst
die Art. IV. und VI. der Einleitung, die in Folge mehrerer Amen-
dements etwas abgeändert und an die Commission zurückgeschickt
worden waren, ohne weitere Berathung. Art. IV. lautet jetzt:
„Die Republik hat zur Grundlage die Ordnung, die Arbeit
( neue Einschaltung ) , das Eigenthum, die Familie.“ Art. VI. „Die
Pflichten sind gegenseitig: die Bürger haben Pflichten gegen die
Republik und die Republik hat Pflichten gegen die Bürger.“ Nun
kam Art. VIII. der Einleitung an die Reihe, der in seiner gegen-
wärtigen Fassung also lautet: „Die Republik muß den Bürger
in seiner Person, seiner Familie, seiner Religion, seinem Eigen-
thum, seiner Arbeit schützen und den allen Menschen unentbehr-
lichen Unterricht einem Jeden zugänglich machen. Sie ist den
nothleidenden Bürgern Unterstützung schuldig, indem sie ihnen
innerhalb der Gränzen ihrer Mittel entweder Arbeit verschafft,
oder in Ermangelung der Familie allen Derjenigen, welche außer
Stand sind zu arbeiten, Existenzmittel gewährt. Um alle diese
Pflichten zu erfüllen und alle diese Rechte zu wahren, decretirt
die Nationalversammlung die Verfassung der Republik wie folgt
u. s. w.“ Herr Mathieu de la Drome hatte dazu das folgende
Amendement vorgeschlagen: „Die Republik muß den Bürger in
seiner Person, seiner Familie, seiner Religion und seinem Eigen-
thume beschützen: sie anerkennt das Recht aller Bürger auf
Unterricht, auf Arbeit und Unterstützung,“ und begründete
dasselbe in einer längeren Rede. Die Verfassungscommission will
jedoch kein Recht zur Arbeit, das sie für ein gefährliches
Princip hält, sondern nur eine Pflicht zur Arbeit zugestehen
und es ist zu erwarten, daß die Erörterung dieses Artikels sehr
heftige Debatten hervorrufen wird. Bis jetzt haben sich schon
zweiunddreißig Redner darüber gemeldet.
Jn Algier sollen nun Ackerbaucolonien in großartigem
Maasstabe angelegt werden. Der Kriegsminister General
Lamoricière hat seinen deßfallsigen Plan der Nationalversamm-
lung bereits vorgelegt und verlangt dafür 50 Millionen Francs,
die auf das Budget von 1848—1851 vertheilt werden sollen.
General Cavaignac sagte dieser Tage einer ihn becomplimen-
tirenden Deputation von Julidecorirten unter Anderem Folgen-
des: Jch hoffe, daß wir nie mehr wie in den Junitagen
kämpfen, ich möchte Euch fast sagen, daß wir nie mehr kämpfen
werden. Die Vermittelung Frankreichs ist von Oesterreich ange-
nommen und zwar deßhalb angenommen worden, weil wir gemä-
ßigt gewesen sind. Wir können also versichert seyn, daß der Friede
aufrecht erhalten bleibt. Jch weiß zwar nicht, was die Zukunft
uns noch bringen wird, allein ich für meinen Theil werde Alles
aufbieten, um den Frieden zu erhalten, denn durch ihn werden
wir unsere Jnstitutionen befestigen und die materiellen und geisti-
gen Reichthümer Frankreichs entwickeln.
Die Lyoner Nationalwerkstätten haben die Stadt 1,650,000
Francs gekostet, gearbeitet haben sie während der ganzen Zeit
ihres Bestehens für 30,000 Francs!
Emile von Girardin erklärt heute sehr pathetisch, daß er in
Folge des oben erwähnten Votums der Nationalversammlung
von der Leitung der „Presse“ sich auf so lange zurückziehe, als
der Belagerungszustand noch dauere, zugleich bittet er die Pa-
riser, ihn doch als Abgeordneten in die Nationalversammlung zu
schicken. Die Sache würde einen größeren Eindruck machen,
wenn man nicht wüßte, unter welchen Einflüssen dieser Ko-
mödiant der Freiheit schreibt.
Jn Paris ist die Cholera ausgebrochen.
Börse vom 11. September. Das Geschäft an der heutigen
Börse war von keinem Belang. Die Curse blieben zwar wenig verän-
dert, doch war die Stimmung auf die neuesten Nachrichten von Wien
und Berlin hin matter. 3% Fr. 45. 25. — 5% Fr. 70. 75. neue
Fr. 73. 25. — Bankactien 1650. Orleans 672. 50. Rouen 435. —
Bordeaux 386. 25. Orleans=Vierzon 262. 50. — Havre 200. Mar-
seille=Avignon 203. 75. Strasburg=Basel 87. 50. Nordbahn 381.
25. Lyon 368. 75. Paris=Strasburg 348. 75.
Großbritannien.
London 9. September. Lord Palmerston ist gestern auf seinen
Landsitz abgereist; fast sämmtliche Minister haben die Hauptstadt
verlassen. — Die Ernteberichte lauten, in Folge der guten Wit-
terung während der letzten 10 Tage, aus allen Theilen des Lan-
des recht erfreulich. — Obgleich die Einfuhr von lebendem
Schlachtvieh in den letzten Jahren — sie belief sich im J. 1845
auf 34,380, im J. 1846 auf 143,523, im J. 1847 auf 216,456
Stück und wird in diesem Jahre sich. als noch weit beträchtlicher
herausstellen — sehr bedeutend zugenommen hat, so sind doch die
Fleischpreise fast dieselben geblieben und Sachkundige behaupten,
daß nur dann an ein Heruntergehen der Preise zu denken sey,
wenn die Schlachtvieheinfuhr auf das Doppelte
oder Dreifache ihres jetzigen Betrages steige. Da es
dieser erhöhten Einfuhr jedenfalls nicht an Absatz fehlen wird, so
hat sich jetzt dahier eine „Londoner Schlachtvieh= und Lebens-
mitteleinfuhrgesellschaft “ gebildet, die viele Männer vom Fache
zählt und hauptsächlich die Viehmärkte des Landes zu versorgen
bezweckt. — Aus Falmouth wird gemeldet, daß am 6. Abends
und am 7. früh in Folge des Waffenstillstandes 40 preußische
und deutsche Schiffe, die seit lange im Hafen lagen, nach ihren
Bestimmungsorten abgesegelt sind. Am nämlichen Tage fuhren
auch zahlreiche preußische Schiffe von Plymouth ab.
Rußland und Polen.
Von der polnischen Gränze 9. September. ( B. H. ) Nach
einem uns vorliegenden Brief aus Warschau vom 2. September
soll der Graf Nesselrode in Warschau seyn, und mit dem
Fürsten Statthalter Paschkiewicz täglich wichtige Conferenzen
über die inneren und äußeren Angelegenheiten des Reichs abhal-
ten. Es heißt dort in wohlunterrichteten, mit diplomatischen
Verhältnissen vertrauten Kreisen, daß der Kaiser Nicolaus ernste
Absichten hege, das Polenreich in so weit herzustellen, daß es
als ein Vicekönigthum mit selbstständiger Verfassung, eigenen
Landestruppen u. s. w. dem großen Czarenreiche einverleibt blei-
ben solle. Man spricht im Königreich Polen schon sehr viel davon,
und eine Version bezeichnet Paschkiewicz. die andere den Herzog
von Leuchtenberg zum künftigen Vicekönig. Ungewöhnlich mild
wird mit den polnischen politischen Gefangenen in der War-
schauer Citadelle verfahren und im Ganzen ist das Verfahren
gegen Polen der Art, daß man, im Verhältniß zur früheren
menschentwürdigenden brutalen Behandlung derselben, ganz er-
staunt, und dies nur einem bedeutungsvollen Umschwung der
Dinge, der nahe bevorstehen soll, zuschreibt. Man spricht viel
von einem geheimen Schreiben des Kaisers an den Dictator Ca-
vaignac, worin derselbe um ein festes Zusammenhalten mit Ruß-
land angegangen wird, weil man der zerfahrnen Politik Deutsch-
lands gegenüber eine ernste Stellung einnehmen müsse. Cavaignac
soll zweideutige Pläne gegen Deutschland haben, und es wird in
Polen in den höheren Kreisen stark gesprochen von einer freund-
schaftlichen Allianz mit Frankreich sowohl, als auch mit den skan-
dinavischen Mächten. Der Courirwechsel zwischen Kopenhagen,
Stockholm und St. Petersburg ist jetzt lebhafter als je, und
Schweden soll sich jetzt auffallenderweise sehr hingebend für Ruß-
land zeigen. Wie es scheint, will man die Polen als die Enfans
perdus zu künftigen Machinationen gegen Deutschland gebrau-
chen, weil sonst die jetzige Krokodillenfreundlichkeit gegen die Po-
len etwas wunderlich ist. Wir glauben aber, daß die Polen noch
nicht vergessen haben, was der schlaue Czar ihnen immer verspro-
chen, aber niemals gehalten. Noch sind die Wunden nicht ver-
narbt, welche die russische Barbarei dem edlen Polenvolke seit
lange geschlagen. Es wird auch in entscheidender Krise wissen,
wen es zu seinem wahren Bundesgenossen halten kann und soll.
Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
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