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Mainzer Journal. Nr. 50. Mainz, 4. August 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.

Nro 50. Freitag, den 4. August. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

Frankfurt 3. August. ( 54. Sitzung der deutschen National-
versammlung. ) Jn der heutigen Sitzung wurde von Widenmann
Namens des für die Wahl ( Heckers ) in Thiengen ( Baden )
niedergesetzten Ausschusses Bericht erstattet. Der Antrag des
Ausschusses geht darauf, die Wahl für ungültig zu erklä-
ren,
und die badische Regierung zur Veranstaltung einer neuen
Wahl zu veranlassen. Es wurde sodann die Verhandlung über
§. 7. der Grundrechte begonnen, welche morgen fortgesetzt wird.

sqrt Wien 30. Juli. Die Lage der Dinge in Wien ist höchst
bedenklich, nicht für Oesterreich, das auch ohne Wien fortbestehen
wird, sondern für die Hauptstadt selbst. Der gute Kaiser ist
krank, er will nicht nach Wien zurück und er hat Recht, denn mit
Leuten, wie sie dort eben im Sicherheitsausschusse regieren, mit
dieser Blüthe und Schöpfung des Wiener Pöbels, ist keine Ge-
meinschaft möglich. Der Sicherheitsausschuß dagegen, der den
Widerwillen des Kaisers wohl kennt, und dem es an und für sich
ziemlich gleichgültig ist, ob der Kaiser in Wien oder in Jnnsbruck
residirt, beutet diesen Umstand aus, um eine provisorische Re-
gierung zu proclamiren! Es wäre das der höchste, allein bei
dem an Verrücktheit gränzenden Fanatismus dieser Leute immer
mögliche Unsinn, denn auf die erste Kunde davon würden sich
sämmtliche Provinzen des Reiches erheben und den verwöhn-
ten und versunkenen Wienern eine Lection geben, von der
ihrer Kinder und Kindeskinder noch erzählen würden. So ste-
hen also die Dinge: auf der einen Seite frecher Dema-
gogenübermuth, auf der andern das Gefühl persönlicher
Würde und hoher Rechtlichkeit, die dem Volke zwar alle ver-
heißenen und verbrieften Rechte gewähren, allein sich nicht zum
Bedienten eines eben nur sich selbst und den dienstbaren Pöbel
repräsentirenden Clubs machen will. Jn der heutigen Sitzung des
Reichstages wurde nun, nachdem gestern mehrere andere Entwürfe
gescheitert waren, die nachfolgende Adresse an den Kaiser ange-
nommen: "Ew. Majestät! Der von Ew. Maj. zur Constituirung des
Vaterlandes berufene Reichstag hat, im Vorschritt zu seinen näch-
sten Aufgaben begriffen, durch das Ministerium die höchst betrü-
bende Mittheilung empfangen, daß Ew. Maj. Jhre oder die Ge-
genwart eines Stellvertreters in Wien nicht für nothwendig er-
achten, insolange nicht der Reichstag seine Gesetze festgestellt habe,
und daß Sie vor allem die Ueberzeugung von der Sicherung des
freien Handelns der gesetzgebenden Versammlung zu gewinnen
wünschten, weil Ew. Maj. diesen Beweis väterlicher Vorsorge
und Liebe ihren Völkern schuldig zu seyn glauben. -- Eine solche
Darlegung aus dem Munde des constitutionellen Monarchen in
dem Augenblicke, da alle Augen der österreichischen Völker in
ernster Erwartung hierher gerichtet sind, muß die Vertreter Oe-
sterreichs mit den bangsten Besorgnissen für das Wohl, ja für
den Bestand des Kaiserstaates erfüllen und sie fühlen sich in der
Ausübung ihrer unverbrüchlichen Pflicht, wenn sie Ew. Maj.
die Ueberzeugung aussprechen, daß die geheiligte Person des
Staatsoberhauptes nicht länger mehr im Schwerpunkte der
constitutionellen Monarchie, am Sitze der Reichsversamm-
lung, an der Spitze der Staatsgeschäfte entbehrt werden kann.
Aus welchen Beweggründen auch sich Ew. Maj. zu der Entfer-
nung aus Jhrer Residenz bestimmt haben mögen, jetzt ist der
Zeitpunkt gekommen, wo alle Jnteressen des Reiches und der
Krone in der einen Nothwendigkeit Jhrer Rückkehr zusammen-
fließen, -- Jhrer Rückkehr an den Ort, wo die von Ew. Maje-
stät selbst berufenen Vertreter des einigen Volkes in dem Aufbau
des neuen constitutionellen österreichischen Kaiserstaates begriffen
sind, -- an den Ort, wo die einzigen gesetzlichen Rathgeber Ew.
Majestät, die verantwortlichen Minister diesen Aufbau mitwirkend
fördern. Jm Angesichte Oesterreichs, im Angesichte Deutschlands, ja
im Angesichte Europa's spricht es die Reichsversammlung einhellig
aus, daß sie in vollem Bewußtseyn der Freiheit die Constituirung
des Vaterlandes berathe. Die Männer Oesterreichs, die das Ver-
trauen des Volkes hierher gesendet hat -- sie würden es als einen
Verrath an den Rechten desselben ansehen, wenn sie an einem
Orte verblieben, wo sie nicht der vollsten Freiheit der Berathung
und des Handelns gewiß wären. Daß aber die Reichsversamm-
[Spaltenumbruch] lung tagt, und aus ihrer Mitte Abgeordnete aller Ländergebiete
an Ew. Majestät zu dem Ende sendet, daß der constitutionelle
Kaiser dem ruhmvoll begonnenen Verfassungswerke jene Weihe
gebe, die des Volkes treue Pietät aus seiner unmittelbaren Gegen-
wart abzuleiten bereit ist, -- dies, Ew. Majestät, ist der sicherste
Beweis, die unbestreitbare Garantie, daß das freie Handeln der
gesetzgebenden Versammlung in jeder Hinsicht gesichert ist. Den
Dank hierfür zuerkennt die Reichsversammlung vor allem der be-
wundernswerthen Mäßigung, Ordnungsliebe und Loyalität der Be-
völkerung Wiens sowie der aufopfernden Hingebung der Natio-
nalgarde. Unter diesen sichersten aller Garantien fordern die
Völker Oesterreichs durch ihre in Wien versammelten Vertreter
als den von Ew. Majestät zugesicherten Beweis väterlicher Vor-
sorge und Liebe die ungesäumte Rückkehr Ew. Majestät in Jhre
treue Residenz, indem sie nunmehr der bestimmten endlichen Er-
füllung der bei so vielfachen Anlässen wiederholten Versprechun-
gen zuversichtlich entgegensehen. Denn nur dadurch, daß sich Ew.
Majestät persönlich an den Sitz des Reichstages und in die Mitte
Jhres verantwortlichen Ministeriums begeben, kann jenen Ge-
fahren des Mißtrauens, der Verführung und Anarchie vorge-
beugt werden, welche die Krone und die Dynastie Ew. Majestät
zu bedrohen vermöchten -- nur dadurch können die Segnungen,
welche das Vaterland Ew. Majestät zu danken hat, im Strahle
des Friedens und der Freiheit zur Reife kommen. -- Wir be-
schwören Ew. Majestät, hören Sie nicht den Rath falscher Rath-
geber, hören Sie die Stimme der Forderungen Jhrer treuen
Völker." ( Folgen die Unterschriften. ) So eben vernehme ich
noch, daß der präsumtive Thronerbe Erzherzog Joseph, ein
sehr geistreicher junger Prinz, vom Kaiser zu seinem Stellvertre-
ter ernannt worden seyn soll. Ob unsere Verhältnisse dadurch
besser, würdiger und ruhiger werden, weiß ich nicht: so viel
steht bei allen Einsichtigen fest, daß über Oesterreichs Zukunft eben
nicht in Wien, sondern in Jtalien und Croatien entschieden wird.

Berlin 31. Juli. ( W. Z. ) Gestern fielen keine Ruhestörun-
gen vor, man sah aber auch nirgends die schwarz=weiße Fahne.
Der Tagesbefehl Sr. Majestät an die Truppen, welcher mit den
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deutsche Sache einzutreten und nach Meinem Befehle Sr. kaiserl.
königl. Hoheit dem Reichsverweser sich unterzuordnen haben,
werdet ihr den Ruhm preußischer Tapferkeit und Disciplin treu
bewahren, siegreich bewähren!" schließt, befriedigt nur einen
sehr kleinen Theil; im Allgemeinen stößt man sich an den Worten
"nach Meinem Befehl" und sieht in diesen Worten eine Nichtan-
erkennung der Souveränetät des Reichsverwesers. Die Berliner
Studentenschaft erläßt heut einen Aufruf an "das Volk von Ber-
lin," in welchem sie u. A. dem Volke zuruft: "daß wie Deutsch-
lands Einheit ohne Preußens Anschluß ein Unding ist, dieses für
immer als Staat der Jntelligenz seine Größe verscherzt hat,
wenn es zu sehr trotzend auf die eigene Kraft, die schon zur Eini-
gung gebotene Hand wortbrüchig zurückzieht, ohne Acht, daß
nicht von unnatürlichen Aufopferungen, sondern von nothwendi-
ger Hingebung an den Gesammtwillen die Rede seyn kann." Die
Stadtverordneten haben heute den Beschluß gefaßt, keine Schritte
bei der Nationalversammlung betreffs der Preußen in Deutsch-
land zu bewahrenden Selbstständigkeit zu thun.

Hannover 31. Juli. ( W. Z. ) Die hiesigen Buchdrucker-
gehülfen haben ihren resp. Prinzipalen erklärt, daß sie die ange-
drohete Arbeitsverweigerung vorläufig zurückzunehmen ent-
schlossen seyen.

Leipzig 30. Juli. ( K. Z. ) Aus Gera sind wieder mehrere
Flüchtlinge hier angekommen, darunter auch einige Familienväter
mit Weib und Kind. Nach den mündlichen Mittheilungen der-
selben befindet sich die Stadt in der traurigsten Lage. Es herrscht
vollständiger Terrorismus. Die siegestrunkene "Volksmenge"
befiehlt, und die Regierung, zu schwach oder schüchtern, um zu
widerstehen, hat sich ihr angeschlossen und thut, was sie will.
Der im Kampfe mit den Turnern gebliebene Schneidergesell ist
mit größtem Pomp beerdigt worden. Alle Behörden mußten
dem Leichenbegängnisse beiwohnen. Nicht das Volk, wie wir
letzthin erwähnten, sondern die Regierung, ohne Zweifel vom
Volke dazu gezwungen, hat die Turner aus der Bürgerwehr aus-
gestoßen. Vom Pöbel sollen mehrere Personen, die sich verhaßt
gemacht hatten, auf offener Straße erschlagen worden seyn. Die
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Beilage zum Mainzer Journal.

Nro 50. Freitag, den 4. August. 1848.


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Deutschland.
Reichstag.

Frankfurt 3. August. ( 54. Sitzung der deutschen National-
versammlung. ) Jn der heutigen Sitzung wurde von Widenmann
Namens des für die Wahl ( Heckers ) in Thiengen ( Baden )
niedergesetzten Ausschusses Bericht erstattet. Der Antrag des
Ausschusses geht darauf, die Wahl für ungültig zu erklä-
ren,
und die badische Regierung zur Veranstaltung einer neuen
Wahl zu veranlassen. Es wurde sodann die Verhandlung über
§. 7. der Grundrechte begonnen, welche morgen fortgesetzt wird.

√ Wien 30. Juli. Die Lage der Dinge in Wien ist höchst
bedenklich, nicht für Oesterreich, das auch ohne Wien fortbestehen
wird, sondern für die Hauptstadt selbst. Der gute Kaiser ist
krank, er will nicht nach Wien zurück und er hat Recht, denn mit
Leuten, wie sie dort eben im Sicherheitsausschusse regieren, mit
dieser Blüthe und Schöpfung des Wiener Pöbels, ist keine Ge-
meinschaft möglich. Der Sicherheitsausschuß dagegen, der den
Widerwillen des Kaisers wohl kennt, und dem es an und für sich
ziemlich gleichgültig ist, ob der Kaiser in Wien oder in Jnnsbruck
residirt, beutet diesen Umstand aus, um eine provisorische Re-
gierung zu proclamiren! Es wäre das der höchste, allein bei
dem an Verrücktheit gränzenden Fanatismus dieser Leute immer
mögliche Unsinn, denn auf die erste Kunde davon würden sich
sämmtliche Provinzen des Reiches erheben und den verwöhn-
ten und versunkenen Wienern eine Lection geben, von der
ihrer Kinder und Kindeskinder noch erzählen würden. So ste-
hen also die Dinge: auf der einen Seite frecher Dema-
gogenübermuth, auf der andern das Gefühl persönlicher
Würde und hoher Rechtlichkeit, die dem Volke zwar alle ver-
heißenen und verbrieften Rechte gewähren, allein sich nicht zum
Bedienten eines eben nur sich selbst und den dienstbaren Pöbel
repräsentirenden Clubs machen will. Jn der heutigen Sitzung des
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gescheitert waren, die nachfolgende Adresse an den Kaiser ange-
nommen: „Ew. Majestät! Der von Ew. Maj. zur Constituirung des
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sten Aufgaben begriffen, durch das Ministerium die höchst betrü-
bende Mittheilung empfangen, daß Ew. Maj. Jhre oder die Ge-
genwart eines Stellvertreters in Wien nicht für nothwendig er-
achten, insolange nicht der Reichstag seine Gesetze festgestellt habe,
und daß Sie vor allem die Ueberzeugung von der Sicherung des
freien Handelns der gesetzgebenden Versammlung zu gewinnen
wünschten, weil Ew. Maj. diesen Beweis väterlicher Vorsorge
und Liebe ihren Völkern schuldig zu seyn glauben. — Eine solche
Darlegung aus dem Munde des constitutionellen Monarchen in
dem Augenblicke, da alle Augen der österreichischen Völker in
ernster Erwartung hierher gerichtet sind, muß die Vertreter Oe-
sterreichs mit den bangsten Besorgnissen für das Wohl, ja für
den Bestand des Kaiserstaates erfüllen und sie fühlen sich in der
Ausübung ihrer unverbrüchlichen Pflicht, wenn sie Ew. Maj.
die Ueberzeugung aussprechen, daß die geheiligte Person des
Staatsoberhauptes nicht länger mehr im Schwerpunkte der
constitutionellen Monarchie, am Sitze der Reichsversamm-
lung, an der Spitze der Staatsgeschäfte entbehrt werden kann.
Aus welchen Beweggründen auch sich Ew. Maj. zu der Entfer-
nung aus Jhrer Residenz bestimmt haben mögen, jetzt ist der
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Krone in der einen Nothwendigkeit Jhrer Rückkehr zusammen-
fließen, — Jhrer Rückkehr an den Ort, wo die von Ew. Maje-
stät selbst berufenen Vertreter des einigen Volkes in dem Aufbau
des neuen constitutionellen österreichischen Kaiserstaates begriffen
sind, — an den Ort, wo die einzigen gesetzlichen Rathgeber Ew.
Majestät, die verantwortlichen Minister diesen Aufbau mitwirkend
fördern. Jm Angesichte Oesterreichs, im Angesichte Deutschlands, ja
im Angesichte Europa's spricht es die Reichsversammlung einhellig
aus, daß sie in vollem Bewußtseyn der Freiheit die Constituirung
des Vaterlandes berathe. Die Männer Oesterreichs, die das Ver-
trauen des Volkes hierher gesendet hat — sie würden es als einen
Verrath an den Rechten desselben ansehen, wenn sie an einem
Orte verblieben, wo sie nicht der vollsten Freiheit der Berathung
und des Handelns gewiß wären. Daß aber die Reichsversamm-
[Spaltenumbruch] lung tagt, und aus ihrer Mitte Abgeordnete aller Ländergebiete
an Ew. Majestät zu dem Ende sendet, daß der constitutionelle
Kaiser dem ruhmvoll begonnenen Verfassungswerke jene Weihe
gebe, die des Volkes treue Pietät aus seiner unmittelbaren Gegen-
wart abzuleiten bereit ist, — dies, Ew. Majestät, ist der sicherste
Beweis, die unbestreitbare Garantie, daß das freie Handeln der
gesetzgebenden Versammlung in jeder Hinsicht gesichert ist. Den
Dank hierfür zuerkennt die Reichsversammlung vor allem der be-
wundernswerthen Mäßigung, Ordnungsliebe und Loyalität der Be-
völkerung Wiens sowie der aufopfernden Hingebung der Natio-
nalgarde. Unter diesen sichersten aller Garantien fordern die
Völker Oesterreichs durch ihre in Wien versammelten Vertreter
als den von Ew. Majestät zugesicherten Beweis väterlicher Vor-
sorge und Liebe die ungesäumte Rückkehr Ew. Majestät in Jhre
treue Residenz, indem sie nunmehr der bestimmten endlichen Er-
füllung der bei so vielfachen Anlässen wiederholten Versprechun-
gen zuversichtlich entgegensehen. Denn nur dadurch, daß sich Ew.
Majestät persönlich an den Sitz des Reichstages und in die Mitte
Jhres verantwortlichen Ministeriums begeben, kann jenen Ge-
fahren des Mißtrauens, der Verführung und Anarchie vorge-
beugt werden, welche die Krone und die Dynastie Ew. Majestät
zu bedrohen vermöchten — nur dadurch können die Segnungen,
welche das Vaterland Ew. Majestät zu danken hat, im Strahle
des Friedens und der Freiheit zur Reife kommen. — Wir be-
schwören Ew. Majestät, hören Sie nicht den Rath falscher Rath-
geber, hören Sie die Stimme der Forderungen Jhrer treuen
Völker.“ ( Folgen die Unterschriften. ) So eben vernehme ich
noch, daß der präsumtive Thronerbe Erzherzog Joseph, ein
sehr geistreicher junger Prinz, vom Kaiser zu seinem Stellvertre-
ter ernannt worden seyn soll. Ob unsere Verhältnisse dadurch
besser, würdiger und ruhiger werden, weiß ich nicht: so viel
steht bei allen Einsichtigen fest, daß über Oesterreichs Zukunft eben
nicht in Wien, sondern in Jtalien und Croatien entschieden wird.

Berlin 31. Juli. ( W. Z. ) Gestern fielen keine Ruhestörun-
gen vor, man sah aber auch nirgends die schwarz=weiße Fahne.
Der Tagesbefehl Sr. Majestät an die Truppen, welcher mit den
Worten: „Soldaten! Ueberall, wo preußische Truppen für die
deutsche Sache einzutreten und nach Meinem Befehle Sr. kaiserl.
königl. Hoheit dem Reichsverweser sich unterzuordnen haben,
werdet ihr den Ruhm preußischer Tapferkeit und Disciplin treu
bewahren, siegreich bewähren!“ schließt, befriedigt nur einen
sehr kleinen Theil; im Allgemeinen stößt man sich an den Worten
„nach Meinem Befehl“ und sieht in diesen Worten eine Nichtan-
erkennung der Souveränetät des Reichsverwesers. Die Berliner
Studentenschaft erläßt heut einen Aufruf an „das Volk von Ber-
lin,“ in welchem sie u. A. dem Volke zuruft: „daß wie Deutsch-
lands Einheit ohne Preußens Anschluß ein Unding ist, dieses für
immer als Staat der Jntelligenz seine Größe verscherzt hat,
wenn es zu sehr trotzend auf die eigene Kraft, die schon zur Eini-
gung gebotene Hand wortbrüchig zurückzieht, ohne Acht, daß
nicht von unnatürlichen Aufopferungen, sondern von nothwendi-
ger Hingebung an den Gesammtwillen die Rede seyn kann.“ Die
Stadtverordneten haben heute den Beschluß gefaßt, keine Schritte
bei der Nationalversammlung betreffs der Preußen in Deutsch-
land zu bewahrenden Selbstständigkeit zu thun.

Hannover 31. Juli. ( W. Z. ) Die hiesigen Buchdrucker-
gehülfen haben ihren resp. Prinzipalen erklärt, daß sie die ange-
drohete Arbeitsverweigerung vorläufig zurückzunehmen ent-
schlossen seyen.

Leipzig 30. Juli. ( K. Z. ) Aus Gera sind wieder mehrere
Flüchtlinge hier angekommen, darunter auch einige Familienväter
mit Weib und Kind. Nach den mündlichen Mittheilungen der-
selben befindet sich die Stadt in der traurigsten Lage. Es herrscht
vollständiger Terrorismus. Die siegestrunkene „Volksmenge“
befiehlt, und die Regierung, zu schwach oder schüchtern, um zu
widerstehen, hat sich ihr angeschlossen und thut, was sie will.
Der im Kampfe mit den Turnern gebliebene Schneidergesell ist
mit größtem Pomp beerdigt worden. Alle Behörden mußten
dem Leichenbegängnisse beiwohnen. Nicht das Volk, wie wir
letzthin erwähnten, sondern die Regierung, ohne Zweifel vom
Volke dazu gezwungen, hat die Turner aus der Bürgerwehr aus-
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[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 50. Freitag, den 4. August. 1848. Deutschland. Reichstag. Frankfurt 3. August. ( 54. Sitzung der deutschen National- versammlung. ) Jn der heutigen Sitzung wurde von Widenmann Namens des für die Wahl ( Heckers ) in Thiengen ( Baden ) niedergesetzten Ausschusses Bericht erstattet. Der Antrag des Ausschusses geht darauf, die Wahl für ungültig zu erklä- ren, und die badische Regierung zur Veranstaltung einer neuen Wahl zu veranlassen. Es wurde sodann die Verhandlung über §. 7. der Grundrechte begonnen, welche morgen fortgesetzt wird. √ Wien 30. Juli. Die Lage der Dinge in Wien ist höchst bedenklich, nicht für Oesterreich, das auch ohne Wien fortbestehen wird, sondern für die Hauptstadt selbst. Der gute Kaiser ist krank, er will nicht nach Wien zurück und er hat Recht, denn mit Leuten, wie sie dort eben im Sicherheitsausschusse regieren, mit dieser Blüthe und Schöpfung des Wiener Pöbels, ist keine Ge- meinschaft möglich. Der Sicherheitsausschuß dagegen, der den Widerwillen des Kaisers wohl kennt, und dem es an und für sich ziemlich gleichgültig ist, ob der Kaiser in Wien oder in Jnnsbruck residirt, beutet diesen Umstand aus, um eine provisorische Re- gierung zu proclamiren! Es wäre das der höchste, allein bei dem an Verrücktheit gränzenden Fanatismus dieser Leute immer mögliche Unsinn, denn auf die erste Kunde davon würden sich sämmtliche Provinzen des Reiches erheben und den verwöhn- ten und versunkenen Wienern eine Lection geben, von der ihrer Kinder und Kindeskinder noch erzählen würden. So ste- hen also die Dinge: auf der einen Seite frecher Dema- gogenübermuth, auf der andern das Gefühl persönlicher Würde und hoher Rechtlichkeit, die dem Volke zwar alle ver- heißenen und verbrieften Rechte gewähren, allein sich nicht zum Bedienten eines eben nur sich selbst und den dienstbaren Pöbel repräsentirenden Clubs machen will. Jn der heutigen Sitzung des Reichstages wurde nun, nachdem gestern mehrere andere Entwürfe gescheitert waren, die nachfolgende Adresse an den Kaiser ange- nommen: „Ew. Majestät! Der von Ew. Maj. zur Constituirung des Vaterlandes berufene Reichstag hat, im Vorschritt zu seinen näch- sten Aufgaben begriffen, durch das Ministerium die höchst betrü- bende Mittheilung empfangen, daß Ew. Maj. Jhre oder die Ge- genwart eines Stellvertreters in Wien nicht für nothwendig er- achten, insolange nicht der Reichstag seine Gesetze festgestellt habe, und daß Sie vor allem die Ueberzeugung von der Sicherung des freien Handelns der gesetzgebenden Versammlung zu gewinnen wünschten, weil Ew. Maj. diesen Beweis väterlicher Vorsorge und Liebe ihren Völkern schuldig zu seyn glauben. — Eine solche Darlegung aus dem Munde des constitutionellen Monarchen in dem Augenblicke, da alle Augen der österreichischen Völker in ernster Erwartung hierher gerichtet sind, muß die Vertreter Oe- sterreichs mit den bangsten Besorgnissen für das Wohl, ja für den Bestand des Kaiserstaates erfüllen und sie fühlen sich in der Ausübung ihrer unverbrüchlichen Pflicht, wenn sie Ew. Maj. die Ueberzeugung aussprechen, daß die geheiligte Person des Staatsoberhauptes nicht länger mehr im Schwerpunkte der constitutionellen Monarchie, am Sitze der Reichsversamm- lung, an der Spitze der Staatsgeschäfte entbehrt werden kann. Aus welchen Beweggründen auch sich Ew. Maj. zu der Entfer- nung aus Jhrer Residenz bestimmt haben mögen, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo alle Jnteressen des Reiches und der Krone in der einen Nothwendigkeit Jhrer Rückkehr zusammen- fließen, — Jhrer Rückkehr an den Ort, wo die von Ew. Maje- stät selbst berufenen Vertreter des einigen Volkes in dem Aufbau des neuen constitutionellen österreichischen Kaiserstaates begriffen sind, — an den Ort, wo die einzigen gesetzlichen Rathgeber Ew. Majestät, die verantwortlichen Minister diesen Aufbau mitwirkend fördern. Jm Angesichte Oesterreichs, im Angesichte Deutschlands, ja im Angesichte Europa's spricht es die Reichsversammlung einhellig aus, daß sie in vollem Bewußtseyn der Freiheit die Constituirung des Vaterlandes berathe. Die Männer Oesterreichs, die das Ver- trauen des Volkes hierher gesendet hat — sie würden es als einen Verrath an den Rechten desselben ansehen, wenn sie an einem Orte verblieben, wo sie nicht der vollsten Freiheit der Berathung und des Handelns gewiß wären. Daß aber die Reichsversamm- lung tagt, und aus ihrer Mitte Abgeordnete aller Ländergebiete an Ew. Majestät zu dem Ende sendet, daß der constitutionelle Kaiser dem ruhmvoll begonnenen Verfassungswerke jene Weihe gebe, die des Volkes treue Pietät aus seiner unmittelbaren Gegen- wart abzuleiten bereit ist, — dies, Ew. Majestät, ist der sicherste Beweis, die unbestreitbare Garantie, daß das freie Handeln der gesetzgebenden Versammlung in jeder Hinsicht gesichert ist. Den Dank hierfür zuerkennt die Reichsversammlung vor allem der be- wundernswerthen Mäßigung, Ordnungsliebe und Loyalität der Be- völkerung Wiens sowie der aufopfernden Hingebung der Natio- nalgarde. Unter diesen sichersten aller Garantien fordern die Völker Oesterreichs durch ihre in Wien versammelten Vertreter als den von Ew. Majestät zugesicherten Beweis väterlicher Vor- sorge und Liebe die ungesäumte Rückkehr Ew. Majestät in Jhre treue Residenz, indem sie nunmehr der bestimmten endlichen Er- füllung der bei so vielfachen Anlässen wiederholten Versprechun- gen zuversichtlich entgegensehen. Denn nur dadurch, daß sich Ew. Majestät persönlich an den Sitz des Reichstages und in die Mitte Jhres verantwortlichen Ministeriums begeben, kann jenen Ge- fahren des Mißtrauens, der Verführung und Anarchie vorge- beugt werden, welche die Krone und die Dynastie Ew. Majestät zu bedrohen vermöchten — nur dadurch können die Segnungen, welche das Vaterland Ew. Majestät zu danken hat, im Strahle des Friedens und der Freiheit zur Reife kommen. — Wir be- schwören Ew. Majestät, hören Sie nicht den Rath falscher Rath- geber, hören Sie die Stimme der Forderungen Jhrer treuen Völker.“ ( Folgen die Unterschriften. ) So eben vernehme ich noch, daß der präsumtive Thronerbe Erzherzog Joseph, ein sehr geistreicher junger Prinz, vom Kaiser zu seinem Stellvertre- ter ernannt worden seyn soll. Ob unsere Verhältnisse dadurch besser, würdiger und ruhiger werden, weiß ich nicht: so viel steht bei allen Einsichtigen fest, daß über Oesterreichs Zukunft eben nicht in Wien, sondern in Jtalien und Croatien entschieden wird. Berlin 31. Juli. ( W. Z. ) Gestern fielen keine Ruhestörun- gen vor, man sah aber auch nirgends die schwarz=weiße Fahne. Der Tagesbefehl Sr. Majestät an die Truppen, welcher mit den Worten: „Soldaten! Ueberall, wo preußische Truppen für die deutsche Sache einzutreten und nach Meinem Befehle Sr. kaiserl. königl. Hoheit dem Reichsverweser sich unterzuordnen haben, werdet ihr den Ruhm preußischer Tapferkeit und Disciplin treu bewahren, siegreich bewähren!“ schließt, befriedigt nur einen sehr kleinen Theil; im Allgemeinen stößt man sich an den Worten „nach Meinem Befehl“ und sieht in diesen Worten eine Nichtan- erkennung der Souveränetät des Reichsverwesers. Die Berliner Studentenschaft erläßt heut einen Aufruf an „das Volk von Ber- lin,“ in welchem sie u. A. dem Volke zuruft: „daß wie Deutsch- lands Einheit ohne Preußens Anschluß ein Unding ist, dieses für immer als Staat der Jntelligenz seine Größe verscherzt hat, wenn es zu sehr trotzend auf die eigene Kraft, die schon zur Eini- gung gebotene Hand wortbrüchig zurückzieht, ohne Acht, daß nicht von unnatürlichen Aufopferungen, sondern von nothwendi- ger Hingebung an den Gesammtwillen die Rede seyn kann.“ Die Stadtverordneten haben heute den Beschluß gefaßt, keine Schritte bei der Nationalversammlung betreffs der Preußen in Deutsch- land zu bewahrenden Selbstständigkeit zu thun. Hannover 31. Juli. ( W. Z. ) Die hiesigen Buchdrucker- gehülfen haben ihren resp. Prinzipalen erklärt, daß sie die ange- drohete Arbeitsverweigerung vorläufig zurückzunehmen ent- schlossen seyen. Leipzig 30. Juli. ( K. Z. ) Aus Gera sind wieder mehrere Flüchtlinge hier angekommen, darunter auch einige Familienväter mit Weib und Kind. Nach den mündlichen Mittheilungen der- selben befindet sich die Stadt in der traurigsten Lage. Es herrscht vollständiger Terrorismus. Die siegestrunkene „Volksmenge“ befiehlt, und die Regierung, zu schwach oder schüchtern, um zu widerstehen, hat sich ihr angeschlossen und thut, was sie will. Der im Kampfe mit den Turnern gebliebene Schneidergesell ist mit größtem Pomp beerdigt worden. Alle Behörden mußten dem Leichenbegängnisse beiwohnen. Nicht das Volk, wie wir letzthin erwähnten, sondern die Regierung, ohne Zweifel vom Volke dazu gezwungen, hat die Turner aus der Bürgerwehr aus- gestoßen. Vom Pöbel sollen mehrere Personen, die sich verhaßt gemacht hatten, auf offener Straße erschlagen worden seyn. Die

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 50. Mainz, 4. August 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal050_1848/5>, abgerufen am 24.11.2024.