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Mainzer Journal. Nr. 45. Mainz, 30. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 45. Sonntag, den 30. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Gemeindefreiheit als Mittel gegen den
Pauperismus.

# # Jm Parlament hat neulich ein Redner die kühne Be-
hauptung aufgestellt, daß zu allen Zeiten das Uebel des Pau-
perismus bestanden habe. Der Grund aber, weßhalb heutzutage
mehr als in früheren Zeiten darüber geklagt werde, liege nur
darin, daß die Armen vermöge ihrer höheren Bildung ihre Noth
jetzt mehr einsähen und empfänden, und nach Verbesserung ihrer
Lage entschiedener verlangten. Es ist dieses eine von jenen genial
und ungenirt hingeworfenen Unwahrheiten, deren man in diesem
Zeitalter des geistreichen Geschwätzes so viele hören muß. Arme
hat es allerdings immer gegeben und wird es immer geben; allein
etwas ganz Anderes ist die stets steigende Verarmung.
So hat es auch immer Kranke gegeben und wird Kranke geben;
etwas ganz Anderes aber ist es, wenn ein ganzes Volk einem
stetig um sich greifenden Siechthum anheimfällt. So hat es
immer sittenlose Menschen gegeben und wird deren immer geben,
aber etwas ganz Anderes ist eine allgemeine Entsittlichung.

Diese Verarmung der Massen, dieses Ueberhandnehmen eines
wilden Proletariats ist der Schlund, der nach einer, vielleicht
nur noch ganz kurzen Gnadenfrist die moderne Welt mit all ihrem
Hochmuth und all ihrer Ueppigkeit verschlingen wird, wenn wir
nicht ganz entschieden zu naturgemäßeren Verhältnissen zurück-
kehren und dadurch die Quellen des Pauperismus verstopfen.
Dieser Quellen sind aber vorzüglich drei: die Entsittlichung
der Familien,
-- die schrankenlose, jeder Ord-
nung und alles Maßes entbundene Gewerbsfrei-
heit
-- und der Untergang der freien Gemeinde-
verfassung.
Dem ersten Uebel kann nach unserer innigsten
Ueberzeugung nur die Religion; dem zweiten nur eine auf
ein gesundes Jnnungswesen gegründete Gewerbe-
ordnung;
dem dritten Uebel nur die Herstellung der
freien deutschen Gemeindeverfassung
steuern und
abhelfen. Wir ergreifen heute auf's Neue die Gelegenheit, um
der letzteren das Wort zu reden und etwas dazu beizutragen, das
durch Wortgeklingel seit Jahren so schmählich in die Jrre ge-
führte Volk über seine wahren Jnteressen aufzuklären.

Welches sind die wesentlichen Rechte, welche jede Gemeinde
haben muß, um eine Gemeinde, nicht aber blos ein auf einem
Ort beisammen wohnender Haufen zu seyn? -- Jede Gemeinde
ist eine große Familie, die Stadt oder das Dorf ist das Haus
dieser Familie, und in diesem ihrem Hause muß die Gemeinde
das Hausrecht haben. Von einem solchen Hausrecht kann
aber nicht einmal die Rede seyn, wenn es der Gemeinde nicht
einmal zusteht über die Aufnahme in dieses Haus-
recht zu bestimmen.
Wenn den deutschen Gemeinden nicht
das Recht gegeben wird, über die Ertheilung des Ortsbürger-
rechtes frei zu beschließen, so möge man nur immerhin das Wort
Gemeindefreiheit aus der deutschen Sprache und aus dem Ge-
dächtnisse ausstreichen. Dieses wesentlichste Gemeinderecht
war bisher schon durch die Anmaßungen der Staatsgewalt und
durch Beamtenwillkühr wesentlich beeinträchtigt und in so weit es
noch bestand, vielfach von den durch zeitgeistige Afterweisheit ver-
blendeten Gemeindevorständen zum größten Nachtheil der Gemeinde
mißbraucht. Es ist noch nicht lange her, daß viele Städte die dumme
Eitelkeit hatten, in kürzester Frist recht groß und volkreich zu werden,
und so nahm man ortsfremde, vornehme und geringe Lumpen
und Abentheurer in hellen Schaaren auf, -- und nun verwun-
dert man sich hintennach darüber, daß das Gewerbe und die
Geschäfte verdorben sind, und die Stadt mit Proletariern und
unruhigen Köpfen angefüllt worden ist!

[Spaltenumbruch]

Allein damit nicht zufrieden, strebt eine große Partei -- eben
jene, die der größten Freiheitsliebe und Volksfreundlichkeit sich
rühmt -- dahin, auch die letzten noch bestehenden Schranken zu
vernichten und es sogar bei dem Parlamente durchzusetzen, daß
durch ein allgemeines Gesetz jedem Staatsbürger das Recht ge-
geben werde, ohne Weiteres an jedem Orte sich niederzulassen,
daselbst das Ortsbürgerrecht auszuüben und Gewerbe zu treiben!
Das, ruft man aus, ist ein Urrecht des freien Deutschen, -- das
ganze Vaterland muß ihm offen stehen, -- wo es ihm beliebt,
muß er wohnen und den Grundsatz: ubi bene, ibi patria! ( wo
mir's gut geht, da ist mein Vaterland! ) praktisch ausüben kön-
nen. Mögen darüber Städte und Dörfer zu Grunde gehen, ver-
armen, entsittlicht werden -- es lebe die deutsche Freiheit und
der Fortschritt! Zwar hätte in den alten Zeiten keine Gemeinde
sich so etwas gefallen lassen und der Kaiser und das Reich hät-
ten es nicht wagen dürfen, einer Stadt gegen ihren Willen
auch nur Einen Bürger aufzunöthigen. Aber das waren
finstere Zeiten, -- wir sind aufgeklärt und fortgeschritten!
Steht es nicht in den Zeitungen, daß jeder Lump, wenn er
nur ein freier Deutscher ist, ein Urrecht habe, sich nieder-
zulassen wo er will, -- und was in den Zeitungen steht muß wahr
und trefflich seyn, -- und dasselbe sagen auch unsere Volksmän-
ner, und es ist bekannt, daß Alles, was diese sagen, unfehlbar
ist und keines Beweises bedarf!

Den einfältigen Schreiber dieses aber sollte es gar nicht
wundern, wenn folgerichtig nach denselben Grundsätzen es nächstens
als ein Urrecht jedes freien Deutschen ausgerufen würde, daß
er ohne Weiteres in jedes Haus eintreten und vom Hausvater
Gemeinschaft von Tisch und Bett für sich in Anspruch nehmen
könne. Oder unterscheidet sich etwa jener Gemeindecommu-
nismus der Wesenheit nach von dem noch zur Zeit vielverhaß-
ten Communismus des Privateigenthums? -- Wenn eine Ge-
meinde reich, wohlhabend, wohlgelegen ist, hat da die Bürger-
schaft nicht das Recht, in ihrem von Gott und Rechtswegen ihr
zustehenden Glück= und Wohlstande sich zu behaupten? Wie aber
kann sie das, wenn es Jedem freisteht, in die Gemeinde sich ein-
zudrängen, an all' ihren Vortheilen und ihrem ganzen Wohlstand,
der doch ein rechtmäßiges Erbe von den Urvätern her ist, Antheil
zu nehmen, den altangesessenen Bürgern, so viel an ihm ist, das
Gewerbe zu verderben und entweder auf ihre Kosten sich zu be-
reichern, oder umgekehrt der Gemeinde mit Familie und Nach-
kommenschaft zur Last zu fallen? Laßt nur einmal diese unbe-
schränkte Freiheit zur Ansässigmachung eine Generation lang be-
stehen, und ihr werdet nachgerade den Kern und das Mark der
deutschen Städte aufgerieben haben. Wo Aas ist, sammeln sich
die Adler! Wo immer Wohlstand und reiche Gewerbsquellen sich
finden, werden dann unaufhaltsam aus der Nähe und der Ferne
Gewinnlustige herbeiströmen und dieser Zufluß wird nicht eher
nachlassen, bis jener Wohlstand ruinirt und diese Quellen durch
eine ungemessene Uebersetzung aller Geschäfte erschöpft seyn
werden.

Dieser Gräuel ist zu offenbar, als daß er nicht von Allen er-
kannt würde, denen verschrobene Freiheitstheorien und politischer
Fanatismus auch nur noch ein Fünklein gesunden Menschenver-
standes übrig gelassen haben. Daher zählt denn eine vermittelnde
Ansicht zahlreiche Anhänger, daß man nämlich freie Ansässig-
machung zugestehen, aber zum Vortheil der Gemeinden an ge-
wisse Bedingungen knüpfen solle, z. B. daß Der, welcher in einer
Gemeinde sich niederlassen will, beweisen müsse, daß er im Stande
sey sich zu ernähren, daß er ein gewisses Vermögen besitze, daß
er etwa auch die Theilnahme an dem Gemeindevermögen und den
Gemeindevortheilen durch ein Einzugsgeld sich erkaufen müsse u.
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 45. Sonntag, den 30. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Gemeindefreiheit als Mittel gegen den
Pauperismus.

# # Jm Parlament hat neulich ein Redner die kühne Be-
hauptung aufgestellt, daß zu allen Zeiten das Uebel des Pau-
perismus bestanden habe. Der Grund aber, weßhalb heutzutage
mehr als in früheren Zeiten darüber geklagt werde, liege nur
darin, daß die Armen vermöge ihrer höheren Bildung ihre Noth
jetzt mehr einsähen und empfänden, und nach Verbesserung ihrer
Lage entschiedener verlangten. Es ist dieses eine von jenen genial
und ungenirt hingeworfenen Unwahrheiten, deren man in diesem
Zeitalter des geistreichen Geschwätzes so viele hören muß. Arme
hat es allerdings immer gegeben und wird es immer geben; allein
etwas ganz Anderes ist die stets steigende Verarmung.
So hat es auch immer Kranke gegeben und wird Kranke geben;
etwas ganz Anderes aber ist es, wenn ein ganzes Volk einem
stetig um sich greifenden Siechthum anheimfällt. So hat es
immer sittenlose Menschen gegeben und wird deren immer geben,
aber etwas ganz Anderes ist eine allgemeine Entsittlichung.

Diese Verarmung der Massen, dieses Ueberhandnehmen eines
wilden Proletariats ist der Schlund, der nach einer, vielleicht
nur noch ganz kurzen Gnadenfrist die moderne Welt mit all ihrem
Hochmuth und all ihrer Ueppigkeit verschlingen wird, wenn wir
nicht ganz entschieden zu naturgemäßeren Verhältnissen zurück-
kehren und dadurch die Quellen des Pauperismus verstopfen.
Dieser Quellen sind aber vorzüglich drei: die Entsittlichung
der Familien,
die schrankenlose, jeder Ord-
nung und alles Maßes entbundene Gewerbsfrei-
heit
und der Untergang der freien Gemeinde-
verfassung.
Dem ersten Uebel kann nach unserer innigsten
Ueberzeugung nur die Religion; dem zweiten nur eine auf
ein gesundes Jnnungswesen gegründete Gewerbe-
ordnung;
dem dritten Uebel nur die Herstellung der
freien deutschen Gemeindeverfassung
steuern und
abhelfen. Wir ergreifen heute auf's Neue die Gelegenheit, um
der letzteren das Wort zu reden und etwas dazu beizutragen, das
durch Wortgeklingel seit Jahren so schmählich in die Jrre ge-
führte Volk über seine wahren Jnteressen aufzuklären.

Welches sind die wesentlichen Rechte, welche jede Gemeinde
haben muß, um eine Gemeinde, nicht aber blos ein auf einem
Ort beisammen wohnender Haufen zu seyn? — Jede Gemeinde
ist eine große Familie, die Stadt oder das Dorf ist das Haus
dieser Familie, und in diesem ihrem Hause muß die Gemeinde
das Hausrecht haben. Von einem solchen Hausrecht kann
aber nicht einmal die Rede seyn, wenn es der Gemeinde nicht
einmal zusteht über die Aufnahme in dieses Haus-
recht zu bestimmen.
Wenn den deutschen Gemeinden nicht
das Recht gegeben wird, über die Ertheilung des Ortsbürger-
rechtes frei zu beschließen, so möge man nur immerhin das Wort
Gemeindefreiheit aus der deutschen Sprache und aus dem Ge-
dächtnisse ausstreichen. Dieses wesentlichste Gemeinderecht
war bisher schon durch die Anmaßungen der Staatsgewalt und
durch Beamtenwillkühr wesentlich beeinträchtigt und in so weit es
noch bestand, vielfach von den durch zeitgeistige Afterweisheit ver-
blendeten Gemeindevorständen zum größten Nachtheil der Gemeinde
mißbraucht. Es ist noch nicht lange her, daß viele Städte die dumme
Eitelkeit hatten, in kürzester Frist recht groß und volkreich zu werden,
und so nahm man ortsfremde, vornehme und geringe Lumpen
und Abentheurer in hellen Schaaren auf, — und nun verwun-
dert man sich hintennach darüber, daß das Gewerbe und die
Geschäfte verdorben sind, und die Stadt mit Proletariern und
unruhigen Köpfen angefüllt worden ist!

[Spaltenumbruch]

Allein damit nicht zufrieden, strebt eine große Partei — eben
jene, die der größten Freiheitsliebe und Volksfreundlichkeit sich
rühmt — dahin, auch die letzten noch bestehenden Schranken zu
vernichten und es sogar bei dem Parlamente durchzusetzen, daß
durch ein allgemeines Gesetz jedem Staatsbürger das Recht ge-
geben werde, ohne Weiteres an jedem Orte sich niederzulassen,
daselbst das Ortsbürgerrecht auszuüben und Gewerbe zu treiben!
Das, ruft man aus, ist ein Urrecht des freien Deutschen, — das
ganze Vaterland muß ihm offen stehen, — wo es ihm beliebt,
muß er wohnen und den Grundsatz: ubi bene, ibi patria! ( wo
mir's gut geht, da ist mein Vaterland! ) praktisch ausüben kön-
nen. Mögen darüber Städte und Dörfer zu Grunde gehen, ver-
armen, entsittlicht werden — es lebe die deutsche Freiheit und
der Fortschritt! Zwar hätte in den alten Zeiten keine Gemeinde
sich so etwas gefallen lassen und der Kaiser und das Reich hät-
ten es nicht wagen dürfen, einer Stadt gegen ihren Willen
auch nur Einen Bürger aufzunöthigen. Aber das waren
finstere Zeiten, — wir sind aufgeklärt und fortgeschritten!
Steht es nicht in den Zeitungen, daß jeder Lump, wenn er
nur ein freier Deutscher ist, ein Urrecht habe, sich nieder-
zulassen wo er will, — und was in den Zeitungen steht muß wahr
und trefflich seyn, — und dasselbe sagen auch unsere Volksmän-
ner, und es ist bekannt, daß Alles, was diese sagen, unfehlbar
ist und keines Beweises bedarf!

Den einfältigen Schreiber dieses aber sollte es gar nicht
wundern, wenn folgerichtig nach denselben Grundsätzen es nächstens
als ein Urrecht jedes freien Deutschen ausgerufen würde, daß
er ohne Weiteres in jedes Haus eintreten und vom Hausvater
Gemeinschaft von Tisch und Bett für sich in Anspruch nehmen
könne. Oder unterscheidet sich etwa jener Gemeindecommu-
nismus der Wesenheit nach von dem noch zur Zeit vielverhaß-
ten Communismus des Privateigenthums? — Wenn eine Ge-
meinde reich, wohlhabend, wohlgelegen ist, hat da die Bürger-
schaft nicht das Recht, in ihrem von Gott und Rechtswegen ihr
zustehenden Glück= und Wohlstande sich zu behaupten? Wie aber
kann sie das, wenn es Jedem freisteht, in die Gemeinde sich ein-
zudrängen, an all' ihren Vortheilen und ihrem ganzen Wohlstand,
der doch ein rechtmäßiges Erbe von den Urvätern her ist, Antheil
zu nehmen, den altangesessenen Bürgern, so viel an ihm ist, das
Gewerbe zu verderben und entweder auf ihre Kosten sich zu be-
reichern, oder umgekehrt der Gemeinde mit Familie und Nach-
kommenschaft zur Last zu fallen? Laßt nur einmal diese unbe-
schränkte Freiheit zur Ansässigmachung eine Generation lang be-
stehen, und ihr werdet nachgerade den Kern und das Mark der
deutschen Städte aufgerieben haben. Wo Aas ist, sammeln sich
die Adler! Wo immer Wohlstand und reiche Gewerbsquellen sich
finden, werden dann unaufhaltsam aus der Nähe und der Ferne
Gewinnlustige herbeiströmen und dieser Zufluß wird nicht eher
nachlassen, bis jener Wohlstand ruinirt und diese Quellen durch
eine ungemessene Uebersetzung aller Geschäfte erschöpft seyn
werden.

Dieser Gräuel ist zu offenbar, als daß er nicht von Allen er-
kannt würde, denen verschrobene Freiheitstheorien und politischer
Fanatismus auch nur noch ein Fünklein gesunden Menschenver-
standes übrig gelassen haben. Daher zählt denn eine vermittelnde
Ansicht zahlreiche Anhänger, daß man nämlich freie Ansässig-
machung zugestehen, aber zum Vortheil der Gemeinden an ge-
wisse Bedingungen knüpfen solle, z. B. daß Der, welcher in einer
Gemeinde sich niederlassen will, beweisen müsse, daß er im Stande
sey sich zu ernähren, daß er ein gewisses Vermögen besitze, daß
er etwa auch die Theilnahme an dem Gemeindevermögen und den
Gemeindevortheilen durch ein Einzugsgeld sich erkaufen müsse u.
[Ende Spaltensatz]

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Der Grund aber, weßhalb heutzutage mehr als in früheren Zeiten darüber geklagt werde, liege nur darin, daß die Armen vermöge ihrer höheren Bildung ihre Noth jetzt mehr einsähen und empfänden, und nach Verbesserung ihrer Lage entschiedener verlangten. Es ist dieses eine von jenen genial und ungenirt hingeworfenen Unwahrheiten, deren man in diesem Zeitalter des geistreichen Geschwätzes so viele hören muß. Arme hat es allerdings immer gegeben und wird es immer geben; allein etwas ganz Anderes ist die stets steigende Verarmung. So hat es auch immer Kranke gegeben und wird Kranke geben; etwas ganz Anderes aber ist es, wenn ein ganzes Volk einem stetig um sich greifenden Siechthum anheimfällt. So hat es immer sittenlose Menschen gegeben und wird deren immer geben, aber etwas ganz Anderes ist eine allgemeine Entsittlichung. Diese Verarmung der Massen, dieses Ueberhandnehmen eines wilden Proletariats ist der Schlund, der nach einer, vielleicht nur noch ganz kurzen Gnadenfrist die moderne Welt mit all ihrem Hochmuth und all ihrer Ueppigkeit verschlingen wird, wenn wir nicht ganz entschieden zu naturgemäßeren Verhältnissen zurück- kehren und dadurch die Quellen des Pauperismus verstopfen. Dieser Quellen sind aber vorzüglich drei: die Entsittlichung der Familien, — die schrankenlose, jeder Ord- nung und alles Maßes entbundene Gewerbsfrei- heit — und der Untergang der freien Gemeinde- verfassung. Dem ersten Uebel kann nach unserer innigsten Ueberzeugung nur die Religion; dem zweiten nur eine auf ein gesundes Jnnungswesen gegründete Gewerbe- ordnung; dem dritten Uebel nur die Herstellung der freien deutschen Gemeindeverfassung steuern und abhelfen. Wir ergreifen heute auf's Neue die Gelegenheit, um der letzteren das Wort zu reden und etwas dazu beizutragen, das durch Wortgeklingel seit Jahren so schmählich in die Jrre ge- führte Volk über seine wahren Jnteressen aufzuklären. Welches sind die wesentlichen Rechte, welche jede Gemeinde haben muß, um eine Gemeinde, nicht aber blos ein auf einem Ort beisammen wohnender Haufen zu seyn? — Jede Gemeinde ist eine große Familie, die Stadt oder das Dorf ist das Haus dieser Familie, und in diesem ihrem Hause muß die Gemeinde das Hausrecht haben. Von einem solchen Hausrecht kann aber nicht einmal die Rede seyn, wenn es der Gemeinde nicht einmal zusteht über die Aufnahme in dieses Haus- recht zu bestimmen. Wenn den deutschen Gemeinden nicht das Recht gegeben wird, über die Ertheilung des Ortsbürger- rechtes frei zu beschließen, so möge man nur immerhin das Wort Gemeindefreiheit aus der deutschen Sprache und aus dem Ge- dächtnisse ausstreichen. Dieses wesentlichste Gemeinderecht war bisher schon durch die Anmaßungen der Staatsgewalt und durch Beamtenwillkühr wesentlich beeinträchtigt und in so weit es noch bestand, vielfach von den durch zeitgeistige Afterweisheit ver- blendeten Gemeindevorständen zum größten Nachtheil der Gemeinde mißbraucht. Es ist noch nicht lange her, daß viele Städte die dumme Eitelkeit hatten, in kürzester Frist recht groß und volkreich zu werden, und so nahm man ortsfremde, vornehme und geringe Lumpen und Abentheurer in hellen Schaaren auf, — und nun verwun- dert man sich hintennach darüber, daß das Gewerbe und die Geschäfte verdorben sind, und die Stadt mit Proletariern und unruhigen Köpfen angefüllt worden ist! Allein damit nicht zufrieden, strebt eine große Partei — eben jene, die der größten Freiheitsliebe und Volksfreundlichkeit sich rühmt — dahin, auch die letzten noch bestehenden Schranken zu vernichten und es sogar bei dem Parlamente durchzusetzen, daß durch ein allgemeines Gesetz jedem Staatsbürger das Recht ge- geben werde, ohne Weiteres an jedem Orte sich niederzulassen, daselbst das Ortsbürgerrecht auszuüben und Gewerbe zu treiben! Das, ruft man aus, ist ein Urrecht des freien Deutschen, — das ganze Vaterland muß ihm offen stehen, — wo es ihm beliebt, muß er wohnen und den Grundsatz: ubi bene, ibi patria! ( wo mir's gut geht, da ist mein Vaterland! ) praktisch ausüben kön- nen. Mögen darüber Städte und Dörfer zu Grunde gehen, ver- armen, entsittlicht werden — es lebe die deutsche Freiheit und der Fortschritt! Zwar hätte in den alten Zeiten keine Gemeinde sich so etwas gefallen lassen und der Kaiser und das Reich hät- ten es nicht wagen dürfen, einer Stadt gegen ihren Willen auch nur Einen Bürger aufzunöthigen. Aber das waren finstere Zeiten, — wir sind aufgeklärt und fortgeschritten! Steht es nicht in den Zeitungen, daß jeder Lump, wenn er nur ein freier Deutscher ist, ein Urrecht habe, sich nieder- zulassen wo er will, — und was in den Zeitungen steht muß wahr und trefflich seyn, — und dasselbe sagen auch unsere Volksmän- ner, und es ist bekannt, daß Alles, was diese sagen, unfehlbar ist und keines Beweises bedarf! Den einfältigen Schreiber dieses aber sollte es gar nicht wundern, wenn folgerichtig nach denselben Grundsätzen es nächstens als ein Urrecht jedes freien Deutschen ausgerufen würde, daß er ohne Weiteres in jedes Haus eintreten und vom Hausvater Gemeinschaft von Tisch und Bett für sich in Anspruch nehmen könne. Oder unterscheidet sich etwa jener Gemeindecommu- nismus der Wesenheit nach von dem noch zur Zeit vielverhaß- ten Communismus des Privateigenthums? — Wenn eine Ge- meinde reich, wohlhabend, wohlgelegen ist, hat da die Bürger- schaft nicht das Recht, in ihrem von Gott und Rechtswegen ihr zustehenden Glück= und Wohlstande sich zu behaupten? Wie aber kann sie das, wenn es Jedem freisteht, in die Gemeinde sich ein- zudrängen, an all' ihren Vortheilen und ihrem ganzen Wohlstand, der doch ein rechtmäßiges Erbe von den Urvätern her ist, Antheil zu nehmen, den altangesessenen Bürgern, so viel an ihm ist, das Gewerbe zu verderben und entweder auf ihre Kosten sich zu be- reichern, oder umgekehrt der Gemeinde mit Familie und Nach- kommenschaft zur Last zu fallen? Laßt nur einmal diese unbe- schränkte Freiheit zur Ansässigmachung eine Generation lang be- stehen, und ihr werdet nachgerade den Kern und das Mark der deutschen Städte aufgerieben haben. Wo Aas ist, sammeln sich die Adler! Wo immer Wohlstand und reiche Gewerbsquellen sich finden, werden dann unaufhaltsam aus der Nähe und der Ferne Gewinnlustige herbeiströmen und dieser Zufluß wird nicht eher nachlassen, bis jener Wohlstand ruinirt und diese Quellen durch eine ungemessene Uebersetzung aller Geschäfte erschöpft seyn werden. Dieser Gräuel ist zu offenbar, als daß er nicht von Allen er- kannt würde, denen verschrobene Freiheitstheorien und politischer Fanatismus auch nur noch ein Fünklein gesunden Menschenver- standes übrig gelassen haben. Daher zählt denn eine vermittelnde Ansicht zahlreiche Anhänger, daß man nämlich freie Ansässig- machung zugestehen, aber zum Vortheil der Gemeinden an ge- wisse Bedingungen knüpfen solle, z. B. daß Der, welcher in einer Gemeinde sich niederlassen will, beweisen müsse, daß er im Stande sey sich zu ernähren, daß er ein gewisses Vermögen besitze, daß er etwa auch die Theilnahme an dem Gemeindevermögen und den Gemeindevortheilen durch ein Einzugsgeld sich erkaufen müsse u.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 45. Mainz, 30. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal045_1848/1>, abgerufen am 17.05.2024.