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Mainzer Journal. Nr. 15. Mainz, 30. Juni 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 15. Freitag, den 30. Juni. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Der deutsche Reichsverweser.

H Mainz 28. Juni. Jn denselben Tagen, wo Paris
gerade vier Monate nach der Februarrevolution die Schrecken
eines neuen weit blutigeren Aufstandes verkosten mußte, und die
Republik "der honetten Leute" nur mit Mühe durch die solda-
tische Energie Cavaignac's den Sieg über die Communisten da-
von trug, hat die deutsche Nationalversammlung ihre erste
große, entscheidende That vollbracht. Sie hat der deutschen
Nation ein, wenn auch provisorisches Oberhaupt gegeben, ein ur-
altes Recht der deutschen Nation auf's Neue ausübend. Diese Wahl
des Reichsverwesers hat aller Voraussicht nach über das künf-
tige Schicksal Deutschlands entschieden. Von diesem Tage an ist
das Schiff des deutschen Reiches aus den Sandbänken und Klip-
pen, zwischen welche es gerathen war, und an denen es zu
stranden drohte, hoffentlich heraus gelangt in das offene Fahr-
wasser der Geschichte, und hat sich zum erstenmal in den dichten
Nebeln, die uns bisher umgaben, eine freie Aussicht aufgethan
und ein Weg gezeigt, auf welchem Deutschland gerettet und neu-
gestaltet werden kann.

Nachdem die ewige Gerechtigkeit in der Geschichte über die
bisherige Verfassung des deutschen Bundes, dieser Ausgeburt
der Selbstsucht und der Schwäche, ihr nnwiderrufliches Ver-
werfungsurtheil ausgesprochen, lag nur Eine Wahl für die
Nationalversammlung vor: entweder mit der tausendjährigen
Vergangenheit des deutschen Volkes und mit allen bestehenden
Verhältnissen gänzlich brechend, die Republik und sich selbst als
die einzige Jnhaberin und Vollstreckerin aller Gewalt nach dem
Vorbild des französischen Nationalconventes von 1793 zu pro-
clamiren; -- oder aber in verjüngter Gestalt das deutsche Reich
wiederherzustellen und demgemäß vor Allem einen Reichsver-
weser zu erwählen, der in Einheit mit der Nationalversammlung
und gestützt auf sie die Zügel des jämmerlich zerspaltenen und
bisher hauptlosen Deutschlands in die Hand nehme und mit star-
kem Arm den Rechten der Nation nach Jnnen und Außen Gel-
tung verschaffe. Die Wahl zwischen diesen beiden Wegen konnte
keinem erleuchteten und redlichen deutschen Patrioten zweifelhaft seyn.
Auf dem ersteren Weg lagen Bürgerkrieg, innere Zerspaltung,
endlose Umwälzungen und Parteikämpfe, Terrorismus, allge-
meiner Ruin. Auf dem letzteren die Möglichkeit, Deutschlands
Einheit und Freiheit auf unblutigem Wege rasch und glücklich
zu verwirklichen. Denn mitten in der Verwirrung aller Ver-
hältnisse ist dennoch Alles wiederum so gefügt, daß wenn
der Reichsverweser und das Parlament gerecht, verständig,
einig und energisch handeln, Alles sich zum Besten wenden
muß.

Was vorerst die einzelnen deutschen Staaten und ihre Fürsten
betrifft, so ist vor allen Dingen nothwendig, daß dieselben, ihre
unumschränkte Souverainetät aufgebend, der Einheit und Ge-
sammtheit des Reiches sich unterordnen, wie es auch ursprüng-
lich gewesen. Denn bekanntlich waren die deutschen Fürsten An-
fangs nichts anderes, als die höchsten Beamten des Reiches in
den einzelnen deutschen Stammeslanden, einerseits dem Kaiser
und Reich unterthan und andererseits beschränkt durch ihre Land-
stände. Und das ganze Unheil Deutschlands ist daraus hervor-
gegangen, daß die Fürsten aus Reichsbeamten souveraine Lan-
desfürsten wurden, indem sie nach oben hin von Kaiser und
Reich sich unabhängig machten und letztere nur als ein Schatten-
bild bestehen ließen, nach unten hin aber, die Despotie der fran-
zösischen Könige nachahmend, die Volksfreiheiten vernichteten
und die Deutschen aus freien Reichsgenossen in Territorial-
unterthanen verwandelten. Als nun im Jahre 1814 alle patrio-
[Spaltenumbruch] tischen Männer, welche die Geschichte und Natur und Bedürfniß
ihrer Nation kannten, laut forderten: Stellet wieder her das
Kaiserthum und Reich in seiner alten Kraft, damit Deutschland
seine Einheit wieder gewinne, und gebet dem Volke seine
Rechte zurück, damit im Bunde mit der Einheit die alte deutsche
Freiheit wieder in den Stämmen und Gemeinden blühe, da fand
solches Wort bei den herz= und ideenlosen Diplomaten und
Bureaukraten, welche damals die Gewalt über Völker und
Fürsten in Händen trugen, keine Stätte: sie schmiedeten zur
Verewigung -- wie sie meinten -- der separatistischen und abso-
lutistischen Souverainetät der einzelnen deutschen Regierungen
jenen deutschen Bund, der jetzt so jammervoll geendigt hat. Heute
ist nun jene Macht, die zur Zeit des Wiener Congresses die Wie-
derherstellung der deutschen Einheit und Freiheit verhindert hat,
durch die letzten Ereignisse gebrochen, und was damals für den
letzten Kaiser unmöglich war, ist heute einem mit der National-
versammlung Hand in Hand gehenden und von dem Vertrauen
und dem Willen der Nation getragenen Reichsverweser möglich
und verhältnißmäßig leicht geworden. Es handelt sich jetzt selbst
für die mächtigsten Fürsten Deutschlands lediglich darum, ob sie
der Majestät des durch das Parlament und den Reichsverweser
repräsentirten deutschen Reiches bereitwillig sich unterordnen,
oder ob sie gänzlich von ihren Thronen steigen und flüchti-
gen Fußes, auch ihres rechtmäßigen Besitzes beraubt, dem
Gerichte der socialistischen Republik entrinnen wollen. Noch weit
weniger kann aber bei den kleinen Fürsten eine Rede von Wider-
stand seyn, wenn ihre oft rein willkührlich zusammengewürfelten
Territorien größeren Herzogthümern einverleibt werden müssen.

Sobald auf diese Weise in dem Reichsverweser eine kräftige
und einheitliche Regierung über ganz Deutschland befestigt ist,
kann nach Außen die Sicherheit und Jntegrität des Reiches auf-
recht erhalten und nach Jnnen Gesetz und Gerechtigkeit gehand-
habt werden. Das einige deutsche Reich hat weder Frankreich
noch Rußland zu befürchten. Gegenüber Jtalien und den slavi-
schen Völkern aber wird der Reichsverweser der geborene Ver-
mittler seyn. Jndem Oesterreich in Jtalien eine Herrschaft aufgibt,
die es nie hätte auf sich nehmen sollen, muß Jtalien zugleich im
deutschen Reich seinen natürlichen Bundesgenossen und Schützer
gegen mächtigere Feinde erblicken. Die in deutschen Marken an-
sässigen und seit vielen Jahrhunderten Deutschland und Oester-
reich einverleibten Slaven aber werden sich bemüßigt sehen, auch
fortan die deutsche Oberhoheit anzuerkennen, während das Reich
denselben seinerseits die Aufrechthaltung ihrer nationalen Eigen-
thümlichkeit gewährleistet. Was endlich Polen anbelangt, so
werden weder französische Declamationen noch panslavistische
Verschwörungen, sondern nur die Gerechtigkeit eines einigen
und starken deutschen Reiches dasselbe herzustellen vermögen, um
es als treuen und freien Bundesgenossen sich zuzugesellen.

Wie aber die Kraft Deutschlands nach Außen dadurch bedingt
ist, daß in seinem Jnnern Friede, Ordnung und Wohlstand
herrschen, so können letztere ebenfalls nur durch eine kräftige
Centralgewalt wieder hergestellt und aufrecht erhalten werden.
Ein starker Arm muß seyn, der das Schwert der Gerechtigkeit
nicht umsonst trägt, und der, hoch über den Parteien stehend,
keine andere Richtschnur seines Handelns kennt als Gerechtigkeit
und Billigkeit; aber nicht blos ein starker Obmann muß
seyn, sondern auch ein versöhnender Vermittler zwischen
dem Volk und den Fürsten, zwischen dem Reich und den einzel-
nen deutschen Ländern. Ein solcher Schirmer des Reiches nach
Außen, ein solcher Handhaber des Rechtes und Vermittler zwi-
schen widerstreitenden Jnteressen im Jnnern kann aber in dieser
Uebergangsperiode nur ein Reichsverweser seyn, wie wir ihn
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 15. Freitag, den 30. Juni. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Der deutsche Reichsverweser.

H Mainz 28. Juni. Jn denselben Tagen, wo Paris
gerade vier Monate nach der Februarrevolution die Schrecken
eines neuen weit blutigeren Aufstandes verkosten mußte, und die
Republik „der honetten Leute“ nur mit Mühe durch die solda-
tische Energie Cavaignac's den Sieg über die Communisten da-
von trug, hat die deutsche Nationalversammlung ihre erste
große, entscheidende That vollbracht. Sie hat der deutschen
Nation ein, wenn auch provisorisches Oberhaupt gegeben, ein ur-
altes Recht der deutschen Nation auf's Neue ausübend. Diese Wahl
des Reichsverwesers hat aller Voraussicht nach über das künf-
tige Schicksal Deutschlands entschieden. Von diesem Tage an ist
das Schiff des deutschen Reiches aus den Sandbänken und Klip-
pen, zwischen welche es gerathen war, und an denen es zu
stranden drohte, hoffentlich heraus gelangt in das offene Fahr-
wasser der Geschichte, und hat sich zum erstenmal in den dichten
Nebeln, die uns bisher umgaben, eine freie Aussicht aufgethan
und ein Weg gezeigt, auf welchem Deutschland gerettet und neu-
gestaltet werden kann.

Nachdem die ewige Gerechtigkeit in der Geschichte über die
bisherige Verfassung des deutschen Bundes, dieser Ausgeburt
der Selbstsucht und der Schwäche, ihr nnwiderrufliches Ver-
werfungsurtheil ausgesprochen, lag nur Eine Wahl für die
Nationalversammlung vor: entweder mit der tausendjährigen
Vergangenheit des deutschen Volkes und mit allen bestehenden
Verhältnissen gänzlich brechend, die Republik und sich selbst als
die einzige Jnhaberin und Vollstreckerin aller Gewalt nach dem
Vorbild des französischen Nationalconventes von 1793 zu pro-
clamiren; — oder aber in verjüngter Gestalt das deutsche Reich
wiederherzustellen und demgemäß vor Allem einen Reichsver-
weser zu erwählen, der in Einheit mit der Nationalversammlung
und gestützt auf sie die Zügel des jämmerlich zerspaltenen und
bisher hauptlosen Deutschlands in die Hand nehme und mit star-
kem Arm den Rechten der Nation nach Jnnen und Außen Gel-
tung verschaffe. Die Wahl zwischen diesen beiden Wegen konnte
keinem erleuchteten und redlichen deutschen Patrioten zweifelhaft seyn.
Auf dem ersteren Weg lagen Bürgerkrieg, innere Zerspaltung,
endlose Umwälzungen und Parteikämpfe, Terrorismus, allge-
meiner Ruin. Auf dem letzteren die Möglichkeit, Deutschlands
Einheit und Freiheit auf unblutigem Wege rasch und glücklich
zu verwirklichen. Denn mitten in der Verwirrung aller Ver-
hältnisse ist dennoch Alles wiederum so gefügt, daß wenn
der Reichsverweser und das Parlament gerecht, verständig,
einig und energisch handeln, Alles sich zum Besten wenden
muß.

Was vorerst die einzelnen deutschen Staaten und ihre Fürsten
betrifft, so ist vor allen Dingen nothwendig, daß dieselben, ihre
unumschränkte Souverainetät aufgebend, der Einheit und Ge-
sammtheit des Reiches sich unterordnen, wie es auch ursprüng-
lich gewesen. Denn bekanntlich waren die deutschen Fürsten An-
fangs nichts anderes, als die höchsten Beamten des Reiches in
den einzelnen deutschen Stammeslanden, einerseits dem Kaiser
und Reich unterthan und andererseits beschränkt durch ihre Land-
stände. Und das ganze Unheil Deutschlands ist daraus hervor-
gegangen, daß die Fürsten aus Reichsbeamten souveraine Lan-
desfürsten wurden, indem sie nach oben hin von Kaiser und
Reich sich unabhängig machten und letztere nur als ein Schatten-
bild bestehen ließen, nach unten hin aber, die Despotie der fran-
zösischen Könige nachahmend, die Volksfreiheiten vernichteten
und die Deutschen aus freien Reichsgenossen in Territorial-
unterthanen verwandelten. Als nun im Jahre 1814 alle patrio-
[Spaltenumbruch] tischen Männer, welche die Geschichte und Natur und Bedürfniß
ihrer Nation kannten, laut forderten: Stellet wieder her das
Kaiserthum und Reich in seiner alten Kraft, damit Deutschland
seine Einheit wieder gewinne, und gebet dem Volke seine
Rechte zurück, damit im Bunde mit der Einheit die alte deutsche
Freiheit wieder in den Stämmen und Gemeinden blühe, da fand
solches Wort bei den herz= und ideenlosen Diplomaten und
Bureaukraten, welche damals die Gewalt über Völker und
Fürsten in Händen trugen, keine Stätte: sie schmiedeten zur
Verewigung — wie sie meinten — der separatistischen und abso-
lutistischen Souverainetät der einzelnen deutschen Regierungen
jenen deutschen Bund, der jetzt so jammervoll geendigt hat. Heute
ist nun jene Macht, die zur Zeit des Wiener Congresses die Wie-
derherstellung der deutschen Einheit und Freiheit verhindert hat,
durch die letzten Ereignisse gebrochen, und was damals für den
letzten Kaiser unmöglich war, ist heute einem mit der National-
versammlung Hand in Hand gehenden und von dem Vertrauen
und dem Willen der Nation getragenen Reichsverweser möglich
und verhältnißmäßig leicht geworden. Es handelt sich jetzt selbst
für die mächtigsten Fürsten Deutschlands lediglich darum, ob sie
der Majestät des durch das Parlament und den Reichsverweser
repräsentirten deutschen Reiches bereitwillig sich unterordnen,
oder ob sie gänzlich von ihren Thronen steigen und flüchti-
gen Fußes, auch ihres rechtmäßigen Besitzes beraubt, dem
Gerichte der socialistischen Republik entrinnen wollen. Noch weit
weniger kann aber bei den kleinen Fürsten eine Rede von Wider-
stand seyn, wenn ihre oft rein willkührlich zusammengewürfelten
Territorien größeren Herzogthümern einverleibt werden müssen.

Sobald auf diese Weise in dem Reichsverweser eine kräftige
und einheitliche Regierung über ganz Deutschland befestigt ist,
kann nach Außen die Sicherheit und Jntegrität des Reiches auf-
recht erhalten und nach Jnnen Gesetz und Gerechtigkeit gehand-
habt werden. Das einige deutsche Reich hat weder Frankreich
noch Rußland zu befürchten. Gegenüber Jtalien und den slavi-
schen Völkern aber wird der Reichsverweser der geborene Ver-
mittler seyn. Jndem Oesterreich in Jtalien eine Herrschaft aufgibt,
die es nie hätte auf sich nehmen sollen, muß Jtalien zugleich im
deutschen Reich seinen natürlichen Bundesgenossen und Schützer
gegen mächtigere Feinde erblicken. Die in deutschen Marken an-
sässigen und seit vielen Jahrhunderten Deutschland und Oester-
reich einverleibten Slaven aber werden sich bemüßigt sehen, auch
fortan die deutsche Oberhoheit anzuerkennen, während das Reich
denselben seinerseits die Aufrechthaltung ihrer nationalen Eigen-
thümlichkeit gewährleistet. Was endlich Polen anbelangt, so
werden weder französische Declamationen noch panslavistische
Verschwörungen, sondern nur die Gerechtigkeit eines einigen
und starken deutschen Reiches dasselbe herzustellen vermögen, um
es als treuen und freien Bundesgenossen sich zuzugesellen.

Wie aber die Kraft Deutschlands nach Außen dadurch bedingt
ist, daß in seinem Jnnern Friede, Ordnung und Wohlstand
herrschen, so können letztere ebenfalls nur durch eine kräftige
Centralgewalt wieder hergestellt und aufrecht erhalten werden.
Ein starker Arm muß seyn, der das Schwert der Gerechtigkeit
nicht umsonst trägt, und der, hoch über den Parteien stehend,
keine andere Richtschnur seines Handelns kennt als Gerechtigkeit
und Billigkeit; aber nicht blos ein starker Obmann muß
seyn, sondern auch ein versöhnender Vermittler zwischen
dem Volk und den Fürsten, zwischen dem Reich und den einzel-
nen deutschen Ländern. Ein solcher Schirmer des Reiches nach
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schen widerstreitenden Jnteressen im Jnnern kann aber in dieser
Uebergangsperiode nur ein Reichsverweser seyn, wie wir ihn
[Ende Spaltensatz]

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Jn denselben Tagen, wo Paris gerade vier Monate nach der Februarrevolution die Schrecken eines neuen weit blutigeren Aufstandes verkosten mußte, und die Republik „der honetten Leute“ nur mit Mühe durch die solda- tische Energie Cavaignac's den Sieg über die Communisten da- von trug, hat die deutsche Nationalversammlung ihre erste große, entscheidende That vollbracht. Sie hat der deutschen Nation ein, wenn auch provisorisches Oberhaupt gegeben, ein ur- altes Recht der deutschen Nation auf's Neue ausübend. Diese Wahl des Reichsverwesers hat aller Voraussicht nach über das künf- tige Schicksal Deutschlands entschieden. Von diesem Tage an ist das Schiff des deutschen Reiches aus den Sandbänken und Klip- pen, zwischen welche es gerathen war, und an denen es zu stranden drohte, hoffentlich heraus gelangt in das offene Fahr- wasser der Geschichte, und hat sich zum erstenmal in den dichten Nebeln, die uns bisher umgaben, eine freie Aussicht aufgethan und ein Weg gezeigt, auf welchem Deutschland gerettet und neu- gestaltet werden kann. Nachdem die ewige Gerechtigkeit in der Geschichte über die bisherige Verfassung des deutschen Bundes, dieser Ausgeburt der Selbstsucht und der Schwäche, ihr nnwiderrufliches Ver- werfungsurtheil ausgesprochen, lag nur Eine Wahl für die Nationalversammlung vor: entweder mit der tausendjährigen Vergangenheit des deutschen Volkes und mit allen bestehenden Verhältnissen gänzlich brechend, die Republik und sich selbst als die einzige Jnhaberin und Vollstreckerin aller Gewalt nach dem Vorbild des französischen Nationalconventes von 1793 zu pro- clamiren; — oder aber in verjüngter Gestalt das deutsche Reich wiederherzustellen und demgemäß vor Allem einen Reichsver- weser zu erwählen, der in Einheit mit der Nationalversammlung und gestützt auf sie die Zügel des jämmerlich zerspaltenen und bisher hauptlosen Deutschlands in die Hand nehme und mit star- kem Arm den Rechten der Nation nach Jnnen und Außen Gel- tung verschaffe. Die Wahl zwischen diesen beiden Wegen konnte keinem erleuchteten und redlichen deutschen Patrioten zweifelhaft seyn. Auf dem ersteren Weg lagen Bürgerkrieg, innere Zerspaltung, endlose Umwälzungen und Parteikämpfe, Terrorismus, allge- meiner Ruin. Auf dem letzteren die Möglichkeit, Deutschlands Einheit und Freiheit auf unblutigem Wege rasch und glücklich zu verwirklichen. Denn mitten in der Verwirrung aller Ver- hältnisse ist dennoch Alles wiederum so gefügt, daß wenn der Reichsverweser und das Parlament gerecht, verständig, einig und energisch handeln, Alles sich zum Besten wenden muß. Was vorerst die einzelnen deutschen Staaten und ihre Fürsten betrifft, so ist vor allen Dingen nothwendig, daß dieselben, ihre unumschränkte Souverainetät aufgebend, der Einheit und Ge- sammtheit des Reiches sich unterordnen, wie es auch ursprüng- lich gewesen. Denn bekanntlich waren die deutschen Fürsten An- fangs nichts anderes, als die höchsten Beamten des Reiches in den einzelnen deutschen Stammeslanden, einerseits dem Kaiser und Reich unterthan und andererseits beschränkt durch ihre Land- stände. Und das ganze Unheil Deutschlands ist daraus hervor- gegangen, daß die Fürsten aus Reichsbeamten souveraine Lan- desfürsten wurden, indem sie nach oben hin von Kaiser und Reich sich unabhängig machten und letztere nur als ein Schatten- bild bestehen ließen, nach unten hin aber, die Despotie der fran- zösischen Könige nachahmend, die Volksfreiheiten vernichteten und die Deutschen aus freien Reichsgenossen in Territorial- unterthanen verwandelten. Als nun im Jahre 1814 alle patrio- tischen Männer, welche die Geschichte und Natur und Bedürfniß ihrer Nation kannten, laut forderten: Stellet wieder her das Kaiserthum und Reich in seiner alten Kraft, damit Deutschland seine Einheit wieder gewinne, und gebet dem Volke seine Rechte zurück, damit im Bunde mit der Einheit die alte deutsche Freiheit wieder in den Stämmen und Gemeinden blühe, da fand solches Wort bei den herz= und ideenlosen Diplomaten und Bureaukraten, welche damals die Gewalt über Völker und Fürsten in Händen trugen, keine Stätte: sie schmiedeten zur Verewigung — wie sie meinten — der separatistischen und abso- lutistischen Souverainetät der einzelnen deutschen Regierungen jenen deutschen Bund, der jetzt so jammervoll geendigt hat. Heute ist nun jene Macht, die zur Zeit des Wiener Congresses die Wie- derherstellung der deutschen Einheit und Freiheit verhindert hat, durch die letzten Ereignisse gebrochen, und was damals für den letzten Kaiser unmöglich war, ist heute einem mit der National- versammlung Hand in Hand gehenden und von dem Vertrauen und dem Willen der Nation getragenen Reichsverweser möglich und verhältnißmäßig leicht geworden. Es handelt sich jetzt selbst für die mächtigsten Fürsten Deutschlands lediglich darum, ob sie der Majestät des durch das Parlament und den Reichsverweser repräsentirten deutschen Reiches bereitwillig sich unterordnen, oder ob sie gänzlich von ihren Thronen steigen und flüchti- gen Fußes, auch ihres rechtmäßigen Besitzes beraubt, dem Gerichte der socialistischen Republik entrinnen wollen. Noch weit weniger kann aber bei den kleinen Fürsten eine Rede von Wider- stand seyn, wenn ihre oft rein willkührlich zusammengewürfelten Territorien größeren Herzogthümern einverleibt werden müssen. Sobald auf diese Weise in dem Reichsverweser eine kräftige und einheitliche Regierung über ganz Deutschland befestigt ist, kann nach Außen die Sicherheit und Jntegrität des Reiches auf- recht erhalten und nach Jnnen Gesetz und Gerechtigkeit gehand- habt werden. Das einige deutsche Reich hat weder Frankreich noch Rußland zu befürchten. Gegenüber Jtalien und den slavi- schen Völkern aber wird der Reichsverweser der geborene Ver- mittler seyn. Jndem Oesterreich in Jtalien eine Herrschaft aufgibt, die es nie hätte auf sich nehmen sollen, muß Jtalien zugleich im deutschen Reich seinen natürlichen Bundesgenossen und Schützer gegen mächtigere Feinde erblicken. Die in deutschen Marken an- sässigen und seit vielen Jahrhunderten Deutschland und Oester- reich einverleibten Slaven aber werden sich bemüßigt sehen, auch fortan die deutsche Oberhoheit anzuerkennen, während das Reich denselben seinerseits die Aufrechthaltung ihrer nationalen Eigen- thümlichkeit gewährleistet. Was endlich Polen anbelangt, so werden weder französische Declamationen noch panslavistische Verschwörungen, sondern nur die Gerechtigkeit eines einigen und starken deutschen Reiches dasselbe herzustellen vermögen, um es als treuen und freien Bundesgenossen sich zuzugesellen. Wie aber die Kraft Deutschlands nach Außen dadurch bedingt ist, daß in seinem Jnnern Friede, Ordnung und Wohlstand herrschen, so können letztere ebenfalls nur durch eine kräftige Centralgewalt wieder hergestellt und aufrecht erhalten werden. Ein starker Arm muß seyn, der das Schwert der Gerechtigkeit nicht umsonst trägt, und der, hoch über den Parteien stehend, keine andere Richtschnur seines Handelns kennt als Gerechtigkeit und Billigkeit; aber nicht blos ein starker Obmann muß seyn, sondern auch ein versöhnender Vermittler zwischen dem Volk und den Fürsten, zwischen dem Reich und den einzel- nen deutschen Ländern. Ein solcher Schirmer des Reiches nach Außen, ein solcher Handhaber des Rechtes und Vermittler zwi- schen widerstreitenden Jnteressen im Jnnern kann aber in dieser Uebergangsperiode nur ein Reichsverweser seyn, wie wir ihn

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 15. Mainz, 30. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal015_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.