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Märkische Blätter. Jahrgang 3, Nr. 100. Hattingen, 13. Dezember 1851.

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[Beginn Spaltensatz] Barrikaden weggeräumt und das Pflaster geordnet. Die Consigne
der Truppen ist aufgehoben, die Museen nnd Bibliotheken sind wie-
der geöffnet. Die Wagen circuliren, nur die Hauptpunkte der Jn-
surrection sind noch besetzt. Die Soldaten promeniren einzeln ganz
ruhig in allen Theilen der Stadt und Paris nimmt seine gewöhn-
liche Physiognomie an, als ob gar nichts geschehen wäre.

-- Die "Patrie" meldet, daß gestern General Magnan alle
Spitäler besucht und die blessirten Soldaten beschenkt und persönlich
getröstet hat.

Straßburg, 6. Dez. Mittags 2 Uhr. Beträchtliche Zu-
sammenrottungen bildeten sich heute gegen Mittag, und ein großer
Volkszug, der sich auf Tausende belief, bewegte sich nach den Kaser-
nen der Pontonniers und des 12. Artillerieregiments mit einer Fahne,
auf welcher der Name "Constitution" angebracht war. Man suchte
das Militär für die Kundgebung zu Gunsten der Verfassung zu ge-
winnen. Militärisches Einschreiten war nöthig, um den immer grö-
ßer werdenden Strom zu zerstreuen, was endlich gelang. Es sind
in allen Straßen auf allen Brücken starke Truppenabtheilungen auf-
gestellt, um die Ruhe zu sichern.

-- Die Aufregung hat sich gelegt. Alles ist zur Ruhe zurück-
gekehrt und die musterhafteste Ordnung herrscht in allen Theilen der
Stadt. Der Belagerungszustand hält die unberufenen Schreier im
Zaume und bringt durchaus keine Störung in den gewöhnlichen
Gang der Verhältnisse.

Rußland.

Kalisch, 3. Dec. Aufsehen erregend sind gegenwärtig die
in Polen bei der russischen Armee sehr zahlreich vorkommenden Avance-
ments, Ordensverleihungen und Versetzungen. Alle Grade und
Stellen bei der Armee, welche unbesetzt gewesen, sind neuerlich mit
tauglichen Offizieren besetzt worden. Die kommandirenden Generale
haben zum großen Theile neue Adjutanten erhalten, wogegen die
bisherigen Adjutanten im Dienste der aktiven Armee befördert worden
sind. Der Regimentsstab wird bei allen Regimentern completirt und
mehrere Obersten sind zu Generalen befördert worden.



Napoleon Louis Bonaparte. *)

Von allen Napoleoniden hat Prinz Napoleon Louis Bonaparte
zumeist die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich gelenkt, da er zur
Verwirklichung weit aussehender Pläne mit großen Ansprüchen und
keckem Wagniß hervortrat. Der Erbe eines großen Namens, welcher
diesen politisch geltend zu machen sucht, wird stets nach dem Jnteresse
der Parteien, die sich ihm anschließen oder denen er feindselig entge-
gentritt, theils übermäßig erhoben, theils ungebürlich erniedrigt werden.
Auch Napoleon hatte Gelegenheit von Beidem Erfahrungen zu ma-
chen. Fassen wir nun in kurzer unpartheiischer Darstellung den hi-
storischen Boden ins Auge, worauf seine Stellung und seine Forder-
ungen fußen, sowie sein Leben und Thun, um darnach zu ermessen,
wie weit er sich dieser Stellung gewachsen gezeigt, welche Erwartun-
gen er rechtfertigen, welche Besorgnisse er wecken mag und wie weit
seine Hoffnungen auf Erfüllung Anspruch haben oder als eitele
Selbsttäuschungen erscheinen.

Der Beschluß des französischen Volks vom J. XII. ( 1804 )
hatte die Erblichkeit der kaiserlichen Würde in der geraden Linie der
leiblich ehelichen und der adoptirten männlichen Nachkommen des Kaisers,
sowie in den leiblichen und ehelich männlichen Descendenz seiner bei-
den Brüder Joseph und Louis, festgesetzt. Joseph blieb ohne männ-
liche Nachkommenschaft. Von den zwei ältern Brüdern des Prinzen
Napoleon starb der eine, fünf Jahre alt, im Jahre 1807 und der
andere, früher Großherzog von Berg, im Jahre 1831. Nach einem
Senatusconsult vom 28. Floreal XII. ist nun der Prinz Ludwig Bo-
naparte der älteste Sohn in der kaiserlichen Familie, und da dieser
einem Beschlusse des Kaisers gemäß, den Namen Napoleon führen
soll, so nahm er ihn nach dem Tode seines ältern Bruders an, der
denselben Namen seit 1807 gleichfalls geführt hatte.

Napoleon, der dritte Sohn des frühern Königs von Holland
und der Königin Hortensie, Neffe Napoleon's und des Prinzen Eugen
Enkel der Kaiserin Josephine, wurde am 20. April 1808 zu Paris
geboren. Er und der König von Rom waren die beiden einzigen
Prinzen, die unter der Herrschaft des Kaiserthums zur Welt kamen,
und die beiden einzigen, die bei ihrer Geburt militairische Ehrenbe-
zeigungen und die Huldigungen des Volkes empfingen. Sie wurde
[Spaltenumbruch] durch Geschützsalven auf der ganzen Linie der großen Armee, in den
weiten Räumen des Kaiserreichs und des Königreichs Holland, der
[unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]Naten verkündet. Noch war damals der Plan des Kaisers zur
Scheidung von seiner Gemahlin Josephine nicht zur Reife gediehen
und für den Fall, daß er ohne männliche Nachkommen blieb, glaube
er in den Söhnen seines Bruders Louis die Erben seiner Macht und
die Vollstrecker seiner weit reichenden Pläne zu sehen. Erst am 4.
Nov. 1810 wurde der Prinz Napoleon zu Fontainebleau vom Car-
dinal Fesch getauft. Seine Taufpathen waren der Kaiser und die
Kaiserin Marie Louise. An demselben Tage hoben Beide den Sohn
des Marschalls Lannes, denselben Herzog von Montebello aus der
Taufe, der eine Zeit lang eifriger Carbonaro war und im J. 1836,
als Gesandter Ludwig Philipp's in der Schweiz, zur Vertreibung
einiger politischen Verbannten und seines Taufbruders eine besondere
Thätigkeit entwickelte. Sowohl für Napoleon als für dessen ältern
Bruder hatte der Kaiser viel Zuneigung, die durch die Geburt des
Königs von Rom im Jahre 1811 nicht geschwächt wurde. Nach
der Rückkehr Napoleon's von Elba stand der junge Prinz diesem auf
dem Maifelde zur Seite und wurde den Deputationen des Volls und
des Heers vorgestellt. Wohl mochte diese feierliche Scene einen tie-
fen Eindruck im Herzen des siebenjährigen Knaben zurücklassen. Als
ihn Napoleon zum letzten Male umarmte, war er höchst erschüttert;
er wollte seinem Oheime folgen und seine Mutter konnte den Knaben
nur mit Mühe beruhigen.

Von da begann des Prinzen Verbannung. Die erste Zeit
brachte er in Augsburg zu, wo er mit der deutschen Sprache ver-
traut wurde. Lebas, der Sohn eines frühern Conventmitgliedes, und
der Hellenist Hage sorgten für seinen Unterricht. Sodann zog er
mit seiner Mutter in den Thurgau, wo er später das Bürgerrecht
erhielt und seiner Neigung für militärische Studien folgte. Er wohnte
den Uebungen der badischen Garnison in Konstanz bei und studirte
in der Folge auf der Militairschule zu Thun unter dem General
Dufour, der früher Oberst in der großen Armee war und sich im
J. 1838, da es sich um des Prinzen Vertreibung aus der Schweiz
handelte, als dessen eifriger Anhänger zeigte. Nach einem Briefe an
seine Mutter vom 2. Sept. 1830 befand sich Napoleon gerade auf
einer militairischen Recognoscirung in den Gebirgen, die er, den Tor-
nister auf dem Rücken, durchwanderte, als er in Mitte dieser Ausflüge
die Kunde vom Ausbruche der Julirevolution erhielt. Sein älterer
Bruder hatte sich seither mit industriellen Speculationen befaßt. Die
Nachricht vom plötzlichen Umschwunge der Dinge erfüllte Beide mit
dem höchsten Enthusiasmus, der sich nicht verminderte, als sie die
Thronbesteigung Ludwig Philipp's erfuhren. Glaubten sie doch die
Zeit der Verbannung zu Ende! Nach den Mittheilungen der Königin
Hortensie foll L. Philipp schon 1819 wiederholt erklärt haben, seine
nächste Sorge, sollte er je zur Regierung gelangen, werde die Rück-
berufung der kaiserlichen Familie sein. Auch hielten beide Brüder, in
der Voraussetzung, daß man am Princip der Revolution festhalten
wolle, den Krieg für unvermeidlich und Frankreich aller seiner Söhne
bedürftig. Darum schrieb Napoleon an den neuen König der Fran-
zosen und bat um die Erlaubniß, als gemeiner Soldat im französi-
schen Heere zu dienen. Die französische Regierung antwortete auf
dieses Anerbieten mit der Erneuerung der Verbannungsacte. Jn sei-
nen Erwartungen getäuscht und zum zweiten Male aus seinem Vater-
lande verbannt, mochte Napoleon fortan die Hoffnung auf eine aber-
malige Umwälzung in Frankreich nähren. Doch waren damals sein
älterer Bruder und der Hrrzog von Reichstadt noch am Leben, und
der Plan, mit persönlich ehrgeiziger Absicht dem jüngern Zweige der
Bourbon'schen Dynastie als Prätendent entgegenzutreten, konnte schwer-
lich schon im Geiste des zweiundzwanzgjährigen Mannes zum Be-
wußtsein reifen.

Beide Brüder verließen im Anfange des Jahres 1831 die
Schweiz und ließen sich in Toscana nieder. Der Aufstand in der
Romagna rief sie in die Reihen der italienischen Jnsurgenten. Der
ältere Bruder starb zu Forli am 17. März 1831. Den jüngern
führte eine gefahrvolle Flucht durch Jtalien und Frankreich nach
England und von da, nach kurzem Aufenthalte, auf das Schloß Are-
nenberg im Thurgau zurück. Auf seiner Durchreise durch Paris hatte
Napoleon dem Könige Ludwig Philipp einen zweiten Brief geschrieben
worin er sein französisches Bürgerrecht in Anspruch nahm, die Er-
laubniß begehrte im Heere zu dienen und die Versicherung gab, daß
er auch in Jtalien seine militairischen Dienste nur im Jnteresse der
[Ende Spaltensatz]

*) Aus dem Conversations=Lexikon der Gegenwart, von Brockhaus.

[Beginn Spaltensatz] Barrikaden weggeräumt und das Pflaster geordnet. Die Consigne
der Truppen ist aufgehoben, die Museen nnd Bibliotheken sind wie-
der geöffnet. Die Wagen circuliren, nur die Hauptpunkte der Jn-
surrection sind noch besetzt. Die Soldaten promeniren einzeln ganz
ruhig in allen Theilen der Stadt und Paris nimmt seine gewöhn-
liche Physiognomie an, als ob gar nichts geschehen wäre.

— Die „Patrie“ meldet, daß gestern General Magnan alle
Spitäler besucht und die blessirten Soldaten beschenkt und persönlich
getröstet hat.

Straßburg, 6. Dez. Mittags 2 Uhr. Beträchtliche Zu-
sammenrottungen bildeten sich heute gegen Mittag, und ein großer
Volkszug, der sich auf Tausende belief, bewegte sich nach den Kaser-
nen der Pontonniers und des 12. Artillerieregiments mit einer Fahne,
auf welcher der Name „Constitution“ angebracht war. Man suchte
das Militär für die Kundgebung zu Gunsten der Verfassung zu ge-
winnen. Militärisches Einschreiten war nöthig, um den immer grö-
ßer werdenden Strom zu zerstreuen, was endlich gelang. Es sind
in allen Straßen auf allen Brücken starke Truppenabtheilungen auf-
gestellt, um die Ruhe zu sichern.

— Die Aufregung hat sich gelegt. Alles ist zur Ruhe zurück-
gekehrt und die musterhafteste Ordnung herrscht in allen Theilen der
Stadt. Der Belagerungszustand hält die unberufenen Schreier im
Zaume und bringt durchaus keine Störung in den gewöhnlichen
Gang der Verhältnisse.

Rußland.

Kalisch, 3. Dec. Aufsehen erregend sind gegenwärtig die
in Polen bei der russischen Armee sehr zahlreich vorkommenden Avance-
ments, Ordensverleihungen und Versetzungen. Alle Grade und
Stellen bei der Armee, welche unbesetzt gewesen, sind neuerlich mit
tauglichen Offizieren besetzt worden. Die kommandirenden Generale
haben zum großen Theile neue Adjutanten erhalten, wogegen die
bisherigen Adjutanten im Dienste der aktiven Armee befördert worden
sind. Der Regimentsstab wird bei allen Regimentern completirt und
mehrere Obersten sind zu Generalen befördert worden.



Napoleon Louis Bonaparte. *)

Von allen Napoleoniden hat Prinz Napoleon Louis Bonaparte
zumeist die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich gelenkt, da er zur
Verwirklichung weit aussehender Pläne mit großen Ansprüchen und
keckem Wagniß hervortrat. Der Erbe eines großen Namens, welcher
diesen politisch geltend zu machen sucht, wird stets nach dem Jnteresse
der Parteien, die sich ihm anschließen oder denen er feindselig entge-
gentritt, theils übermäßig erhoben, theils ungebürlich erniedrigt werden.
Auch Napoleon hatte Gelegenheit von Beidem Erfahrungen zu ma-
chen. Fassen wir nun in kurzer unpartheiischer Darstellung den hi-
storischen Boden ins Auge, worauf seine Stellung und seine Forder-
ungen fußen, sowie sein Leben und Thun, um darnach zu ermessen,
wie weit er sich dieser Stellung gewachsen gezeigt, welche Erwartun-
gen er rechtfertigen, welche Besorgnisse er wecken mag und wie weit
seine Hoffnungen auf Erfüllung Anspruch haben oder als eitele
Selbsttäuschungen erscheinen.

Der Beschluß des französischen Volks vom J. XII. ( 1804 )
hatte die Erblichkeit der kaiserlichen Würde in der geraden Linie der
leiblich ehelichen und der adoptirten männlichen Nachkommen des Kaisers,
sowie in den leiblichen und ehelich männlichen Descendenz seiner bei-
den Brüder Joseph und Louis, festgesetzt. Joseph blieb ohne männ-
liche Nachkommenschaft. Von den zwei ältern Brüdern des Prinzen
Napoleon starb der eine, fünf Jahre alt, im Jahre 1807 und der
andere, früher Großherzog von Berg, im Jahre 1831. Nach einem
Senatusconsult vom 28. Floreal XII. ist nun der Prinz Ludwig Bo-
naparte der älteste Sohn in der kaiserlichen Familie, und da dieser
einem Beschlusse des Kaisers gemäß, den Namen Napoleon führen
soll, so nahm er ihn nach dem Tode seines ältern Bruders an, der
denselben Namen seit 1807 gleichfalls geführt hatte.

Napoleon, der dritte Sohn des frühern Königs von Holland
und der Königin Hortensie, Neffe Napoleon's und des Prinzen Eugen
Enkel der Kaiserin Josephine, wurde am 20. April 1808 zu Paris
geboren. Er und der König von Rom waren die beiden einzigen
Prinzen, die unter der Herrschaft des Kaiserthums zur Welt kamen,
und die beiden einzigen, die bei ihrer Geburt militairische Ehrenbe-
zeigungen und die Huldigungen des Volkes empfingen. Sie wurde
[Spaltenumbruch] durch Geschützsalven auf der ganzen Linie der großen Armee, in den
weiten Räumen des Kaiserreichs und des Königreichs Holland, der
[unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]Naten verkündet. Noch war damals der Plan des Kaisers zur
Scheidung von seiner Gemahlin Josephine nicht zur Reife gediehen
und für den Fall, daß er ohne männliche Nachkommen blieb, glaube
er in den Söhnen seines Bruders Louis die Erben seiner Macht und
die Vollstrecker seiner weit reichenden Pläne zu sehen. Erst am 4.
Nov. 1810 wurde der Prinz Napoleon zu Fontainebleau vom Car-
dinal Fesch getauft. Seine Taufpathen waren der Kaiser und die
Kaiserin Marie Louise. An demselben Tage hoben Beide den Sohn
des Marschalls Lannes, denselben Herzog von Montebello aus der
Taufe, der eine Zeit lang eifriger Carbonaro war und im J. 1836,
als Gesandter Ludwig Philipp's in der Schweiz, zur Vertreibung
einiger politischen Verbannten und seines Taufbruders eine besondere
Thätigkeit entwickelte. Sowohl für Napoleon als für dessen ältern
Bruder hatte der Kaiser viel Zuneigung, die durch die Geburt des
Königs von Rom im Jahre 1811 nicht geschwächt wurde. Nach
der Rückkehr Napoleon's von Elba stand der junge Prinz diesem auf
dem Maifelde zur Seite und wurde den Deputationen des Volls und
des Heers vorgestellt. Wohl mochte diese feierliche Scene einen tie-
fen Eindruck im Herzen des siebenjährigen Knaben zurücklassen. Als
ihn Napoleon zum letzten Male umarmte, war er höchst erschüttert;
er wollte seinem Oheime folgen und seine Mutter konnte den Knaben
nur mit Mühe beruhigen.

Von da begann des Prinzen Verbannung. Die erste Zeit
brachte er in Augsburg zu, wo er mit der deutschen Sprache ver-
traut wurde. Lebas, der Sohn eines frühern Conventmitgliedes, und
der Hellenist Hage sorgten für seinen Unterricht. Sodann zog er
mit seiner Mutter in den Thurgau, wo er später das Bürgerrecht
erhielt und seiner Neigung für militärische Studien folgte. Er wohnte
den Uebungen der badischen Garnison in Konstanz bei und studirte
in der Folge auf der Militairschule zu Thun unter dem General
Dufour, der früher Oberst in der großen Armee war und sich im
J. 1838, da es sich um des Prinzen Vertreibung aus der Schweiz
handelte, als dessen eifriger Anhänger zeigte. Nach einem Briefe an
seine Mutter vom 2. Sept. 1830 befand sich Napoleon gerade auf
einer militairischen Recognoscirung in den Gebirgen, die er, den Tor-
nister auf dem Rücken, durchwanderte, als er in Mitte dieser Ausflüge
die Kunde vom Ausbruche der Julirevolution erhielt. Sein älterer
Bruder hatte sich seither mit industriellen Speculationen befaßt. Die
Nachricht vom plötzlichen Umschwunge der Dinge erfüllte Beide mit
dem höchsten Enthusiasmus, der sich nicht verminderte, als sie die
Thronbesteigung Ludwig Philipp's erfuhren. Glaubten sie doch die
Zeit der Verbannung zu Ende! Nach den Mittheilungen der Königin
Hortensie foll L. Philipp schon 1819 wiederholt erklärt haben, seine
nächste Sorge, sollte er je zur Regierung gelangen, werde die Rück-
berufung der kaiserlichen Familie sein. Auch hielten beide Brüder, in
der Voraussetzung, daß man am Princip der Revolution festhalten
wolle, den Krieg für unvermeidlich und Frankreich aller seiner Söhne
bedürftig. Darum schrieb Napoleon an den neuen König der Fran-
zosen und bat um die Erlaubniß, als gemeiner Soldat im französi-
schen Heere zu dienen. Die französische Regierung antwortete auf
dieses Anerbieten mit der Erneuerung der Verbannungsacte. Jn sei-
nen Erwartungen getäuscht und zum zweiten Male aus seinem Vater-
lande verbannt, mochte Napoleon fortan die Hoffnung auf eine aber-
malige Umwälzung in Frankreich nähren. Doch waren damals sein
älterer Bruder und der Hrrzog von Reichstadt noch am Leben, und
der Plan, mit persönlich ehrgeiziger Absicht dem jüngern Zweige der
Bourbon'schen Dynastie als Prätendent entgegenzutreten, konnte schwer-
lich schon im Geiste des zweiundzwanzgjährigen Mannes zum Be-
wußtsein reifen.

Beide Brüder verließen im Anfange des Jahres 1831 die
Schweiz und ließen sich in Toscana nieder. Der Aufstand in der
Romagna rief sie in die Reihen der italienischen Jnsurgenten. Der
ältere Bruder starb zu Forli am 17. März 1831. Den jüngern
führte eine gefahrvolle Flucht durch Jtalien und Frankreich nach
England und von da, nach kurzem Aufenthalte, auf das Schloß Are-
nenberg im Thurgau zurück. Auf seiner Durchreise durch Paris hatte
Napoleon dem Könige Ludwig Philipp einen zweiten Brief geschrieben
worin er sein französisches Bürgerrecht in Anspruch nahm, die Er-
laubniß begehrte im Heere zu dienen und die Versicherung gab, daß
er auch in Jtalien seine militairischen Dienste nur im Jnteresse der
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*) Aus dem Conversations=Lexikon der Gegenwart, von Brockhaus.
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[0002] Barrikaden weggeräumt und das Pflaster geordnet. Die Consigne der Truppen ist aufgehoben, die Museen nnd Bibliotheken sind wie- der geöffnet. Die Wagen circuliren, nur die Hauptpunkte der Jn- surrection sind noch besetzt. Die Soldaten promeniren einzeln ganz ruhig in allen Theilen der Stadt und Paris nimmt seine gewöhn- liche Physiognomie an, als ob gar nichts geschehen wäre. — Die „Patrie“ meldet, daß gestern General Magnan alle Spitäler besucht und die blessirten Soldaten beschenkt und persönlich getröstet hat. Straßburg, 6. Dez. Mittags 2 Uhr. Beträchtliche Zu- sammenrottungen bildeten sich heute gegen Mittag, und ein großer Volkszug, der sich auf Tausende belief, bewegte sich nach den Kaser- nen der Pontonniers und des 12. Artillerieregiments mit einer Fahne, auf welcher der Name „Constitution“ angebracht war. Man suchte das Militär für die Kundgebung zu Gunsten der Verfassung zu ge- winnen. Militärisches Einschreiten war nöthig, um den immer grö- ßer werdenden Strom zu zerstreuen, was endlich gelang. Es sind in allen Straßen auf allen Brücken starke Truppenabtheilungen auf- gestellt, um die Ruhe zu sichern. — Die Aufregung hat sich gelegt. Alles ist zur Ruhe zurück- gekehrt und die musterhafteste Ordnung herrscht in allen Theilen der Stadt. Der Belagerungszustand hält die unberufenen Schreier im Zaume und bringt durchaus keine Störung in den gewöhnlichen Gang der Verhältnisse. Rußland. Kalisch, 3. Dec. Aufsehen erregend sind gegenwärtig die in Polen bei der russischen Armee sehr zahlreich vorkommenden Avance- ments, Ordensverleihungen und Versetzungen. Alle Grade und Stellen bei der Armee, welche unbesetzt gewesen, sind neuerlich mit tauglichen Offizieren besetzt worden. Die kommandirenden Generale haben zum großen Theile neue Adjutanten erhalten, wogegen die bisherigen Adjutanten im Dienste der aktiven Armee befördert worden sind. Der Regimentsstab wird bei allen Regimentern completirt und mehrere Obersten sind zu Generalen befördert worden. Napoleon Louis Bonaparte. *) Von allen Napoleoniden hat Prinz Napoleon Louis Bonaparte zumeist die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich gelenkt, da er zur Verwirklichung weit aussehender Pläne mit großen Ansprüchen und keckem Wagniß hervortrat. Der Erbe eines großen Namens, welcher diesen politisch geltend zu machen sucht, wird stets nach dem Jnteresse der Parteien, die sich ihm anschließen oder denen er feindselig entge- gentritt, theils übermäßig erhoben, theils ungebürlich erniedrigt werden. Auch Napoleon hatte Gelegenheit von Beidem Erfahrungen zu ma- chen. Fassen wir nun in kurzer unpartheiischer Darstellung den hi- storischen Boden ins Auge, worauf seine Stellung und seine Forder- ungen fußen, sowie sein Leben und Thun, um darnach zu ermessen, wie weit er sich dieser Stellung gewachsen gezeigt, welche Erwartun- gen er rechtfertigen, welche Besorgnisse er wecken mag und wie weit seine Hoffnungen auf Erfüllung Anspruch haben oder als eitele Selbsttäuschungen erscheinen. Der Beschluß des französischen Volks vom J. XII. ( 1804 ) hatte die Erblichkeit der kaiserlichen Würde in der geraden Linie der leiblich ehelichen und der adoptirten männlichen Nachkommen des Kaisers, sowie in den leiblichen und ehelich männlichen Descendenz seiner bei- den Brüder Joseph und Louis, festgesetzt. Joseph blieb ohne männ- liche Nachkommenschaft. Von den zwei ältern Brüdern des Prinzen Napoleon starb der eine, fünf Jahre alt, im Jahre 1807 und der andere, früher Großherzog von Berg, im Jahre 1831. Nach einem Senatusconsult vom 28. Floreal XII. ist nun der Prinz Ludwig Bo- naparte der älteste Sohn in der kaiserlichen Familie, und da dieser einem Beschlusse des Kaisers gemäß, den Namen Napoleon führen soll, so nahm er ihn nach dem Tode seines ältern Bruders an, der denselben Namen seit 1807 gleichfalls geführt hatte. Napoleon, der dritte Sohn des frühern Königs von Holland und der Königin Hortensie, Neffe Napoleon's und des Prinzen Eugen Enkel der Kaiserin Josephine, wurde am 20. April 1808 zu Paris geboren. Er und der König von Rom waren die beiden einzigen Prinzen, die unter der Herrschaft des Kaiserthums zur Welt kamen, und die beiden einzigen, die bei ihrer Geburt militairische Ehrenbe- zeigungen und die Huldigungen des Volkes empfingen. Sie wurde durch Geschützsalven auf der ganzen Linie der großen Armee, in den weiten Räumen des Kaiserreichs und des Königreichs Holland, der _____Naten verkündet. Noch war damals der Plan des Kaisers zur Scheidung von seiner Gemahlin Josephine nicht zur Reife gediehen und für den Fall, daß er ohne männliche Nachkommen blieb, glaube er in den Söhnen seines Bruders Louis die Erben seiner Macht und die Vollstrecker seiner weit reichenden Pläne zu sehen. Erst am 4. Nov. 1810 wurde der Prinz Napoleon zu Fontainebleau vom Car- dinal Fesch getauft. Seine Taufpathen waren der Kaiser und die Kaiserin Marie Louise. An demselben Tage hoben Beide den Sohn des Marschalls Lannes, denselben Herzog von Montebello aus der Taufe, der eine Zeit lang eifriger Carbonaro war und im J. 1836, als Gesandter Ludwig Philipp's in der Schweiz, zur Vertreibung einiger politischen Verbannten und seines Taufbruders eine besondere Thätigkeit entwickelte. Sowohl für Napoleon als für dessen ältern Bruder hatte der Kaiser viel Zuneigung, die durch die Geburt des Königs von Rom im Jahre 1811 nicht geschwächt wurde. Nach der Rückkehr Napoleon's von Elba stand der junge Prinz diesem auf dem Maifelde zur Seite und wurde den Deputationen des Volls und des Heers vorgestellt. Wohl mochte diese feierliche Scene einen tie- fen Eindruck im Herzen des siebenjährigen Knaben zurücklassen. Als ihn Napoleon zum letzten Male umarmte, war er höchst erschüttert; er wollte seinem Oheime folgen und seine Mutter konnte den Knaben nur mit Mühe beruhigen. Von da begann des Prinzen Verbannung. Die erste Zeit brachte er in Augsburg zu, wo er mit der deutschen Sprache ver- traut wurde. Lebas, der Sohn eines frühern Conventmitgliedes, und der Hellenist Hage sorgten für seinen Unterricht. Sodann zog er mit seiner Mutter in den Thurgau, wo er später das Bürgerrecht erhielt und seiner Neigung für militärische Studien folgte. Er wohnte den Uebungen der badischen Garnison in Konstanz bei und studirte in der Folge auf der Militairschule zu Thun unter dem General Dufour, der früher Oberst in der großen Armee war und sich im J. 1838, da es sich um des Prinzen Vertreibung aus der Schweiz handelte, als dessen eifriger Anhänger zeigte. Nach einem Briefe an seine Mutter vom 2. Sept. 1830 befand sich Napoleon gerade auf einer militairischen Recognoscirung in den Gebirgen, die er, den Tor- nister auf dem Rücken, durchwanderte, als er in Mitte dieser Ausflüge die Kunde vom Ausbruche der Julirevolution erhielt. Sein älterer Bruder hatte sich seither mit industriellen Speculationen befaßt. Die Nachricht vom plötzlichen Umschwunge der Dinge erfüllte Beide mit dem höchsten Enthusiasmus, der sich nicht verminderte, als sie die Thronbesteigung Ludwig Philipp's erfuhren. Glaubten sie doch die Zeit der Verbannung zu Ende! Nach den Mittheilungen der Königin Hortensie foll L. Philipp schon 1819 wiederholt erklärt haben, seine nächste Sorge, sollte er je zur Regierung gelangen, werde die Rück- berufung der kaiserlichen Familie sein. Auch hielten beide Brüder, in der Voraussetzung, daß man am Princip der Revolution festhalten wolle, den Krieg für unvermeidlich und Frankreich aller seiner Söhne bedürftig. Darum schrieb Napoleon an den neuen König der Fran- zosen und bat um die Erlaubniß, als gemeiner Soldat im französi- schen Heere zu dienen. Die französische Regierung antwortete auf dieses Anerbieten mit der Erneuerung der Verbannungsacte. Jn sei- nen Erwartungen getäuscht und zum zweiten Male aus seinem Vater- lande verbannt, mochte Napoleon fortan die Hoffnung auf eine aber- malige Umwälzung in Frankreich nähren. Doch waren damals sein älterer Bruder und der Hrrzog von Reichstadt noch am Leben, und der Plan, mit persönlich ehrgeiziger Absicht dem jüngern Zweige der Bourbon'schen Dynastie als Prätendent entgegenzutreten, konnte schwer- lich schon im Geiste des zweiundzwanzgjährigen Mannes zum Be- wußtsein reifen. Beide Brüder verließen im Anfange des Jahres 1831 die Schweiz und ließen sich in Toscana nieder. Der Aufstand in der Romagna rief sie in die Reihen der italienischen Jnsurgenten. Der ältere Bruder starb zu Forli am 17. März 1831. Den jüngern führte eine gefahrvolle Flucht durch Jtalien und Frankreich nach England und von da, nach kurzem Aufenthalte, auf das Schloß Are- nenberg im Thurgau zurück. Auf seiner Durchreise durch Paris hatte Napoleon dem Könige Ludwig Philipp einen zweiten Brief geschrieben worin er sein französisches Bürgerrecht in Anspruch nahm, die Er- laubniß begehrte im Heere zu dienen und die Versicherung gab, daß er auch in Jtalien seine militairischen Dienste nur im Jnteresse der *) Aus dem Conversations=Lexikon der Gegenwart, von Brockhaus.

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Jahrgang 3, Nr. 100. Hattingen, 13. Dezember 1851, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische100_1851/2>, abgerufen am 23.11.2024.