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Märkische Blätter. Nr. 45. Hattingen, 5. Juni 1850.

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Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 45.Hattingen, Mittwoch, den 5. Juni 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Wie's in den Wald schallt, so schallt's
heraus.

Eine Geschichte von W. O. v. Horn.
( Fortsetzung. )

Der wichtige Abschnitt in Ludwig's Leben, die erste
Prüfung ging vorüber, und mit dem besten Zeugnisse,
das lange Zeit ertheilt worden war, kehrte er nach Bonn
zurück, um hier noch längere Zeit sich dem Unterrichte zu
widmen und nicht seinen armen Eltern zur Last zu fallen.

Das Erste, was ihm sein Hausherr sagte, als er zu-
rückkam, war das, es sei ein Herr dagewesen, der nach
ihm gefragt habe. Es blieb kein Zweifel, daß dies Mal-
chens Vater gewesen. Er war indessen wieder schnell ab-
gereist. Bis zu seinem zweiten Examen blieb er in Bonn
und schlug sich kümmerlich durch. Als auch dies mit Ehren
hinter ihm lag, eilte er in das stille Dorf der Heimath,
um einige Zeit bei seinen guten Eltern zu verweilen, und
sich dann in einem kleinen Städtchen am Niederrheine,
das ihm empfohlen worden war, einzumiethen und seine
Kräfte der Jugendbildung zu widmen, bis ihm ein Beruf
als Prediger des Evangeliums zu Theil würde.

Er hatte sich nach der Beschreibung eines wohlwol-
lenden Mannes in dem Städtchen ein anständiges Auskom-
men versprochen. Leider täuschte er sich darin. Nur wenig Ge-
legenheit, Unterricht zu ertheilen, zeigte sich ihm hier, und
es blieb ihm keine Wahl, als er mußte sich mit Abschrei-
ben sein kärgliches Brod zu verdienen suchen.

Seinen Eltern verschwieg er diese Lage. Er wollte
sie nicht mit Bekümmerniß kränken; aber nie hatte er
mehr mit Sorgen gerungen, als hier.

Eines Tages saß er recht kummervoll in seinem Dach-
stübchen, als seine Hauswirthin, eine betagte Wittwe,
hereintrat und sagte: "Herr Candidat, es ist heute schon
zweimal ein Jude dagewesen, der nach Jhnen gefragt hat.
Mir wollte er nicht sagen, was er bei Jhnen wolle. Sind
Sie um vier Uhr zu Hause, so kommt er wieder."

Vielleicht, dachte Ludwig, hat er mir Verdienst zu
bringen, den ich so nöthig brauche! Er blieb zu Hause.
Um vier Uhr stieg Jemand die Stiege herauf. "Darf
ich?" fragte ein Jude, den Kopf zur Thüre hereinstre-
ckend. Auf den ersten Blick erkannte Ludwig den armen
Schmuel, der einst so lange krank in seinem Vaterhause
gelegen hatte.

"Schmuel!" rief er, "seid mir willkommen!"

"Gott behüt'!" rief mit Rührung der Jude aus, "der
[Spaltenumbruch] junge Herr kennt den alten, armen Schmuel noch, dem
er Gutes thun half. Gott vergelt's, junger Herr! Zufäl-
lig hab' ich erfahren, daß Sie seit Kurzem hier wohnen,
und da komm' ich, zu fragen, wie's geht?" --

Er sah sich in dem Stübchen um, wo aus jeder Ecke
die Lage des armen Bewohners eine so deutliche, wenn
auch stumme Sprache redete, daß man sie augenblicklich
verstehen mußte.

"Gott! was seh' ich!" rief der Jude aus. "Sie le-
ben auch nicht wie der Vogel im Hanfsamen! Leiden
vielleicht Noth? Soll mir der Herr gnädig sein, das
ging mir an's Herz. Ach Herr seien sie aufrichtig! Dem
alten Schmuel dürfen Sie nichts verschweigen'"

Ludwig konnte nicht leugnen, daß es ihm übel gehe.

"Gott sei gelobt," rief Schmuel aus "so ist die
Stunde doch gekommen, daß der alte Schmuel vergelten
kann. Junger Herr, ich bin nicht so arm als sie glau-
ben. Das Geld, was mir Jhr Vater geliehen, war ge-
segnet. Es ist mir zu Glück geschlagen. Hab' viel mit
verdient. Es ist gewesen wie ein Saamen der hundert-
fältig trägt. Brauchen Sie Geld? Machen Sie mich
so glücklich, und sagen Sie mir's!"

Er nahm Ludwig's Hand und sah ihm so bittend
in die Augen, die sich mit Thränen füllten, daß er nicht
zurückhalten konnte. Er erzählte dem ehrlichen Juden
seine Lage in all ihrer Bedrängniß. Ohne ein Wort zu
reden, lief Schmuel fort und kam bald wieder. Er legte
einen Beutel mit Geld auf den Tisch. "Es sind zwan-
zig Thaler," sagte er. "Helfen Sie damit Jhrer ersten
Noth ab. Jn acht Tagen bring' ich mehr." Ludwig
wollte es nicht nehmen, denn als ein ehrliches Dar-
leihen.

"Gut," sagte der Jude. "Behalten Sie es als ein
Darleihen, und wenn Sie einmal können, geben Sie es
mir wieder. Seien Sie ruhig, so braver Eltern Kind
kann es nicht fehlen. Der alte Gott lebt noch! Schmuel
wird sich umthun. Vielleicht findet er Jhnen ein bes-
seres Stellchen!" mit diesen Worten lief er weg.

Die Frucht der Sorge des braven Juden zeigte sich
bald. Mehrere Familien, auch jüdische, baten ihn um
Unterricht für ihre Kinder. Er konnte wieder einer bes-
seren Zukunft entgegensehen; konnte wieder sich ein Kla-
vier miethen, was zu entbehren ihm so schwer geworden
war. Nun schienen seine liebsten Wünsche erfüllt. Wie
innig dankte er dem Juden!

Eines saß er in der Dämmerung bei seinem Jnstru-
mente und spielte wieder einmal so recht aus vollem Her-
[Ende Spaltensatz]

Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 45.Hattingen, Mittwoch, den 5. Juni 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Wie's in den Wald schallt, so schallt's
heraus.

Eine Geschichte von W. O. v. Horn.
( Fortsetzung. )

Der wichtige Abschnitt in Ludwig's Leben, die erste
Prüfung ging vorüber, und mit dem besten Zeugnisse,
das lange Zeit ertheilt worden war, kehrte er nach Bonn
zurück, um hier noch längere Zeit sich dem Unterrichte zu
widmen und nicht seinen armen Eltern zur Last zu fallen.

Das Erste, was ihm sein Hausherr sagte, als er zu-
rückkam, war das, es sei ein Herr dagewesen, der nach
ihm gefragt habe. Es blieb kein Zweifel, daß dies Mal-
chens Vater gewesen. Er war indessen wieder schnell ab-
gereist. Bis zu seinem zweiten Examen blieb er in Bonn
und schlug sich kümmerlich durch. Als auch dies mit Ehren
hinter ihm lag, eilte er in das stille Dorf der Heimath,
um einige Zeit bei seinen guten Eltern zu verweilen, und
sich dann in einem kleinen Städtchen am Niederrheine,
das ihm empfohlen worden war, einzumiethen und seine
Kräfte der Jugendbildung zu widmen, bis ihm ein Beruf
als Prediger des Evangeliums zu Theil würde.

Er hatte sich nach der Beschreibung eines wohlwol-
lenden Mannes in dem Städtchen ein anständiges Auskom-
men versprochen. Leider täuschte er sich darin. Nur wenig Ge-
legenheit, Unterricht zu ertheilen, zeigte sich ihm hier, und
es blieb ihm keine Wahl, als er mußte sich mit Abschrei-
ben sein kärgliches Brod zu verdienen suchen.

Seinen Eltern verschwieg er diese Lage. Er wollte
sie nicht mit Bekümmerniß kränken; aber nie hatte er
mehr mit Sorgen gerungen, als hier.

Eines Tages saß er recht kummervoll in seinem Dach-
stübchen, als seine Hauswirthin, eine betagte Wittwe,
hereintrat und sagte: „Herr Candidat, es ist heute schon
zweimal ein Jude dagewesen, der nach Jhnen gefragt hat.
Mir wollte er nicht sagen, was er bei Jhnen wolle. Sind
Sie um vier Uhr zu Hause, so kommt er wieder.“

Vielleicht, dachte Ludwig, hat er mir Verdienst zu
bringen, den ich so nöthig brauche! Er blieb zu Hause.
Um vier Uhr stieg Jemand die Stiege herauf. „Darf
ich?“ fragte ein Jude, den Kopf zur Thüre hereinstre-
ckend. Auf den ersten Blick erkannte Ludwig den armen
Schmuel, der einst so lange krank in seinem Vaterhause
gelegen hatte.

„Schmuel!“ rief er, „seid mir willkommen!“

„Gott behüt'!“ rief mit Rührung der Jude aus, „der
[Spaltenumbruch] junge Herr kennt den alten, armen Schmuel noch, dem
er Gutes thun half. Gott vergelt's, junger Herr! Zufäl-
lig hab' ich erfahren, daß Sie seit Kurzem hier wohnen,
und da komm' ich, zu fragen, wie's geht?“ —

Er sah sich in dem Stübchen um, wo aus jeder Ecke
die Lage des armen Bewohners eine so deutliche, wenn
auch stumme Sprache redete, daß man sie augenblicklich
verstehen mußte.

„Gott! was seh' ich!“ rief der Jude aus. „Sie le-
ben auch nicht wie der Vogel im Hanfsamen! Leiden
vielleicht Noth? Soll mir der Herr gnädig sein, das
ging mir an's Herz. Ach Herr seien sie aufrichtig! Dem
alten Schmuel dürfen Sie nichts verschweigen'“

Ludwig konnte nicht leugnen, daß es ihm übel gehe.

„Gott sei gelobt,“ rief Schmuel aus „so ist die
Stunde doch gekommen, daß der alte Schmuel vergelten
kann. Junger Herr, ich bin nicht so arm als sie glau-
ben. Das Geld, was mir Jhr Vater geliehen, war ge-
segnet. Es ist mir zu Glück geschlagen. Hab' viel mit
verdient. Es ist gewesen wie ein Saamen der hundert-
fältig trägt. Brauchen Sie Geld? Machen Sie mich
so glücklich, und sagen Sie mir's!“

Er nahm Ludwig's Hand und sah ihm so bittend
in die Augen, die sich mit Thränen füllten, daß er nicht
zurückhalten konnte. Er erzählte dem ehrlichen Juden
seine Lage in all ihrer Bedrängniß. Ohne ein Wort zu
reden, lief Schmuel fort und kam bald wieder. Er legte
einen Beutel mit Geld auf den Tisch. „Es sind zwan-
zig Thaler,“ sagte er. „Helfen Sie damit Jhrer ersten
Noth ab. Jn acht Tagen bring' ich mehr.“ Ludwig
wollte es nicht nehmen, denn als ein ehrliches Dar-
leihen.

„Gut,“ sagte der Jude. „Behalten Sie es als ein
Darleihen, und wenn Sie einmal können, geben Sie es
mir wieder. Seien Sie ruhig, so braver Eltern Kind
kann es nicht fehlen. Der alte Gott lebt noch! Schmuel
wird sich umthun. Vielleicht findet er Jhnen ein bes-
seres Stellchen!“ mit diesen Worten lief er weg.

Die Frucht der Sorge des braven Juden zeigte sich
bald. Mehrere Familien, auch jüdische, baten ihn um
Unterricht für ihre Kinder. Er konnte wieder einer bes-
seren Zukunft entgegensehen; konnte wieder sich ein Kla-
vier miethen, was zu entbehren ihm so schwer geworden
war. Nun schienen seine liebsten Wünsche erfüllt. Wie
innig dankte er dem Juden!

Eines saß er in der Dämmerung bei seinem Jnstru-
mente und spielte wieder einmal so recht aus vollem Her-
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 45. Hattingen, 5. Juni 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische045_1850/1>, abgerufen am 03.12.2024.