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Märkische Blätter. Nr. 21. Hattingen, 13. März 1850.

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Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 21.Hattingen, Mittwoch, den 13. März 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Emil de Girardin.

Emil de Girardin, ehemals zu verschiedenen Zeiten
Deputirter, seit 16 Jahren Journalist, zu allen Zeiten
Speculant, ist ein lebender Beweis, daß in Frankreich
die unsittlichsten Charaktere zu großer Geltung gelangen
können, wenn sie sich an die Macht anklammern, der öf-
fentlichen Meinung durch ein gewisses Talent imponiren
und unter keinen Umständen von dem Terrain fich ver-
drängen lassen, das sie mit Schmutz bedecken. Wenn der
Skandal tödtete, wie von dem Lächerlichen behauptet wird,
so wäre Emil de Girardin längst todt und begraben. Er
hat sich als Betrüger brandmarken lassen müssen, er ist
wiederholt als ehrlos öffentlich ausgerufen, er ist schimpf-
lich aus der Kammer gestoßen worden, und trotzdem ge-
hört er heutzutage zu den einflußreichsten Personen Frank-
reichs. Er ist um das Jahr 1802 wahrscheinlich in Pa-
ris geboren, die Frucht eines doppelten Ehebruchs. Mit
Hülfe einer kleinen Summe erzogen, die seine Mutter für
ihn deponirt hatte, betrat er kaum das öffentliche Leben,
als er das Geheimniß seiner Geburt veröffentlichte und
den Namen seines angeblichen Vaters, des Generallieute-
nants Alexander de Girardin, Hofjägermeisters von Karl
X., annahm. Da dieser ihn wegen dieser Usurpation
vor Gericht zog und Emil de Girardin mit dem Beweis
seiner Abstammung nicht zugelassen werden konnte, so er-
hielt er den Befehl, den fremden Namen abzulegen, woran
er sich aber nicht im Geringsten kehrte. Die Herausgabe
eines kleinen belletristischen Journals brachte ihn mit der
Schriftstellerin Delphine Gay in Verbindung, es entspann
sich eine gegenseitige Neigung, eine Heirath folgte, und
der erste Grund zu seinem Glücke war gelegt. Seine
Gattin, eine gewandte und geistreiche Schriftstellerin, wirkte
nicht blos auf seine Ausbildung ein, sondern unterstützte
ihn auch mit ihrer Feder, was an den Aufsätzen, die er
von da an veröffentlichte, leicht zu bemerken war. Die
Julirevolution, die mehrere seiner Freunde zu hohen
Staatsmännern emporhob, regte ihn an, gleichfalls sein
Glück zu versuchen. Die Emfehlung der Regierung ver-
schaffte ihm in dem kleinen Städtchen Bourganeuf die
Stimmen der Wähler, und so trat er in die Kammer,
wo er sich unter den eifrigsten Freunden des Julikönig-
thums bemerklich machte. Wichtigere Dienste leistete er
gegen die Journale, deren Opposition der Regierung un-
bequem war. Um diese zu stürzen, schlug er den Ministern
die Herausgabe wohlfeilerer Journale vor, die natürlich
[Spaltenumbruch] aus Staatsmitteln unterstützt werden sollten, damit sie
die Concurrenz mit den theureren Journalen aushalten,
und diesen selbst verderblich werden könnten. Er war der
erste, der diesen Plan mit einem Journal " la Presse "
ausführte und zu unbedingter Lobpreisung der Regierung
den Ton angab. Seine gemeinen Angriffe gegen politische
Gegner zogen ihm manche Unannehmlichkeiten zu, einer
der Angegriffenen, der edelste von Allen, war leider schwach
genug, einen solchen Feind mit den Waffen zur Rechen-
schaft zu ziehen. Für Armand Carrel war dieser Zwei-
kampf tödtlich, Emil de Girardin ging daraus mit einer
leichten Verwundung hervor. Durch dieses Duell stieg er
hoch in der Gunst des Hofes, denn Carrel war der Füh-
rer der gemäßigten republikanischen Partei und wegen
seines edlen Charakters ein furchtbarer Gegner. Girardin
brauchte diese Gunst, es erwartete ihn ein Prozeß wegen
Betrugs. Schon 1832 hatte er ein Musee des Familles
auf Aktien gegründet. Da 18 Prozent Dividende gezahlt
wurden, so galt dieses Unternehmen für sehr gut, als der
Kassirer der Gesellschaft, Girardins Banquier und Freund
Cleemann den Betheiligten plötzlich die Anzeige machte,
daß für das Jahr 1837 nur 5 Prozent Zinsen und keine
Dividende gezahlt werden könnten. Die Gesellschaft stellte
nähere Erörterungen an, und es zeigte sich, daß das
Unternehmen nie einen Reinertrag gehabt hatte, die 18
Prozent vielmehr von den eingelegten Kapitalien bezahlt
worden waren. Einer der Theilnehmer, der einen starken
Verlust gehabt hatte, verlangte von der Abgeordnetenkam-
mer Ermächtigung, Emil de Girardin gerichtlich verfol-
gen zu dürfen. Die Abgeordnetenkammer verweigerte diese
Erlaubniß, doch nun stellte sich Girardin selbst, indem er
zugleich sein Mandat als Abgeordneter niederlegte. Sein
Banquier Cleemann hatte ihm versprochen, die ganze Sa-
che auf sich nehmen zu wollen. Der Proceß war reich
an Skandal. Alle Einzelnheiten der Schwindelei kamen
klar zu Tage. Emil de Girardin und Genossen hatten
alle Vortheile des Geschäftes gezogen und die Aktionäre
so lange von deren eigenem Gelde bezahlt, als dieses
reichte. Jm Laufe der Verhandlungen kam auch ein ge-
fälschter Rechenschaftsbericht zu Tage, durch den die miß-
trauisch gewordenen Aktieninhaber nochmals getäuscht
worden waren. Girardin stand zu seinem Glücke nicht vor
Geschworenen, sondern vor dem Polizeigericht, das den
Winken des Hofes zugänglich war. So klar seine Schuld
auch vorlag, dennoch wurde er freigesprochen, nur hielt
das Gericht für nöthig zu erklären, es sei seine Pflicht,
eine Handlungsweise wie die seinige, streng zu tadeln.
[Ende Spaltensatz]

Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 21.Hattingen, Mittwoch, den 13. März 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Emil de Girardin.

Emil de Girardin, ehemals zu verschiedenen Zeiten
Deputirter, seit 16 Jahren Journalist, zu allen Zeiten
Speculant, ist ein lebender Beweis, daß in Frankreich
die unsittlichsten Charaktere zu großer Geltung gelangen
können, wenn sie sich an die Macht anklammern, der öf-
fentlichen Meinung durch ein gewisses Talent imponiren
und unter keinen Umständen von dem Terrain fich ver-
drängen lassen, das sie mit Schmutz bedecken. Wenn der
Skandal tödtete, wie von dem Lächerlichen behauptet wird,
so wäre Emil de Girardin längst todt und begraben. Er
hat sich als Betrüger brandmarken lassen müssen, er ist
wiederholt als ehrlos öffentlich ausgerufen, er ist schimpf-
lich aus der Kammer gestoßen worden, und trotzdem ge-
hört er heutzutage zu den einflußreichsten Personen Frank-
reichs. Er ist um das Jahr 1802 wahrscheinlich in Pa-
ris geboren, die Frucht eines doppelten Ehebruchs. Mit
Hülfe einer kleinen Summe erzogen, die seine Mutter für
ihn deponirt hatte, betrat er kaum das öffentliche Leben,
als er das Geheimniß seiner Geburt veröffentlichte und
den Namen seines angeblichen Vaters, des Generallieute-
nants Alexander de Girardin, Hofjägermeisters von Karl
X., annahm. Da dieser ihn wegen dieser Usurpation
vor Gericht zog und Emil de Girardin mit dem Beweis
seiner Abstammung nicht zugelassen werden konnte, so er-
hielt er den Befehl, den fremden Namen abzulegen, woran
er sich aber nicht im Geringsten kehrte. Die Herausgabe
eines kleinen belletristischen Journals brachte ihn mit der
Schriftstellerin Delphine Gay in Verbindung, es entspann
sich eine gegenseitige Neigung, eine Heirath folgte, und
der erste Grund zu seinem Glücke war gelegt. Seine
Gattin, eine gewandte und geistreiche Schriftstellerin, wirkte
nicht blos auf seine Ausbildung ein, sondern unterstützte
ihn auch mit ihrer Feder, was an den Aufsätzen, die er
von da an veröffentlichte, leicht zu bemerken war. Die
Julirevolution, die mehrere seiner Freunde zu hohen
Staatsmännern emporhob, regte ihn an, gleichfalls sein
Glück zu versuchen. Die Emfehlung der Regierung ver-
schaffte ihm in dem kleinen Städtchen Bourganeuf die
Stimmen der Wähler, und so trat er in die Kammer,
wo er sich unter den eifrigsten Freunden des Julikönig-
thums bemerklich machte. Wichtigere Dienste leistete er
gegen die Journale, deren Opposition der Regierung un-
bequem war. Um diese zu stürzen, schlug er den Ministern
die Herausgabe wohlfeilerer Journale vor, die natürlich
[Spaltenumbruch] aus Staatsmitteln unterstützt werden sollten, damit sie
die Concurrenz mit den theureren Journalen aushalten,
und diesen selbst verderblich werden könnten. Er war der
erste, der diesen Plan mit einem Journal „ la Presse
ausführte und zu unbedingter Lobpreisung der Regierung
den Ton angab. Seine gemeinen Angriffe gegen politische
Gegner zogen ihm manche Unannehmlichkeiten zu, einer
der Angegriffenen, der edelste von Allen, war leider schwach
genug, einen solchen Feind mit den Waffen zur Rechen-
schaft zu ziehen. Für Armand Carrel war dieser Zwei-
kampf tödtlich, Emil de Girardin ging daraus mit einer
leichten Verwundung hervor. Durch dieses Duell stieg er
hoch in der Gunst des Hofes, denn Carrel war der Füh-
rer der gemäßigten republikanischen Partei und wegen
seines edlen Charakters ein furchtbarer Gegner. Girardin
brauchte diese Gunst, es erwartete ihn ein Prozeß wegen
Betrugs. Schon 1832 hatte er ein Musée des Familles
auf Aktien gegründet. Da 18 Prozent Dividende gezahlt
wurden, so galt dieses Unternehmen für sehr gut, als der
Kassirer der Gesellschaft, Girardins Banquier und Freund
Cleemann den Betheiligten plötzlich die Anzeige machte,
daß für das Jahr 1837 nur 5 Prozent Zinsen und keine
Dividende gezahlt werden könnten. Die Gesellschaft stellte
nähere Erörterungen an, und es zeigte sich, daß das
Unternehmen nie einen Reinertrag gehabt hatte, die 18
Prozent vielmehr von den eingelegten Kapitalien bezahlt
worden waren. Einer der Theilnehmer, der einen starken
Verlust gehabt hatte, verlangte von der Abgeordnetenkam-
mer Ermächtigung, Emil de Girardin gerichtlich verfol-
gen zu dürfen. Die Abgeordnetenkammer verweigerte diese
Erlaubniß, doch nun stellte sich Girardin selbst, indem er
zugleich sein Mandat als Abgeordneter niederlegte. Sein
Banquier Cleemann hatte ihm versprochen, die ganze Sa-
che auf sich nehmen zu wollen. Der Proceß war reich
an Skandal. Alle Einzelnheiten der Schwindelei kamen
klar zu Tage. Emil de Girardin und Genossen hatten
alle Vortheile des Geschäftes gezogen und die Aktionäre
so lange von deren eigenem Gelde bezahlt, als dieses
reichte. Jm Laufe der Verhandlungen kam auch ein ge-
fälschter Rechenschaftsbericht zu Tage, durch den die miß-
trauisch gewordenen Aktieninhaber nochmals getäuscht
worden waren. Girardin stand zu seinem Glücke nicht vor
Geschworenen, sondern vor dem Polizeigericht, das den
Winken des Hofes zugänglich war. So klar seine Schuld
auch vorlag, dennoch wurde er freigesprochen, nur hielt
das Gericht für nöthig zu erklären, es sei seine Pflicht,
eine Handlungsweise wie die seinige, streng zu tadeln.
[Ende Spaltensatz]

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Er ist um das Jahr 1802 wahrscheinlich in Pa- ris geboren, die Frucht eines doppelten Ehebruchs. Mit Hülfe einer kleinen Summe erzogen, die seine Mutter für ihn deponirt hatte, betrat er kaum das öffentliche Leben, als er das Geheimniß seiner Geburt veröffentlichte und den Namen seines angeblichen Vaters, des Generallieute- nants Alexander de Girardin, Hofjägermeisters von Karl X., annahm. Da dieser ihn wegen dieser Usurpation vor Gericht zog und Emil de Girardin mit dem Beweis seiner Abstammung nicht zugelassen werden konnte, so er- hielt er den Befehl, den fremden Namen abzulegen, woran er sich aber nicht im Geringsten kehrte. Die Herausgabe eines kleinen belletristischen Journals brachte ihn mit der Schriftstellerin Delphine Gay in Verbindung, es entspann sich eine gegenseitige Neigung, eine Heirath folgte, und der erste Grund zu seinem Glücke war gelegt. Seine Gattin, eine gewandte und geistreiche Schriftstellerin, wirkte nicht blos auf seine Ausbildung ein, sondern unterstützte ihn auch mit ihrer Feder, was an den Aufsätzen, die er von da an veröffentlichte, leicht zu bemerken war. Die Julirevolution, die mehrere seiner Freunde zu hohen Staatsmännern emporhob, regte ihn an, gleichfalls sein Glück zu versuchen. Die Emfehlung der Regierung ver- schaffte ihm in dem kleinen Städtchen Bourganeuf die Stimmen der Wähler, und so trat er in die Kammer, wo er sich unter den eifrigsten Freunden des Julikönig- thums bemerklich machte. Wichtigere Dienste leistete er gegen die Journale, deren Opposition der Regierung un- bequem war. Um diese zu stürzen, schlug er den Ministern die Herausgabe wohlfeilerer Journale vor, die natürlich aus Staatsmitteln unterstützt werden sollten, damit sie die Concurrenz mit den theureren Journalen aushalten, und diesen selbst verderblich werden könnten. Er war der erste, der diesen Plan mit einem Journal „ la Presse “ ausführte und zu unbedingter Lobpreisung der Regierung den Ton angab. Seine gemeinen Angriffe gegen politische Gegner zogen ihm manche Unannehmlichkeiten zu, einer der Angegriffenen, der edelste von Allen, war leider schwach genug, einen solchen Feind mit den Waffen zur Rechen- schaft zu ziehen. Für Armand Carrel war dieser Zwei- kampf tödtlich, Emil de Girardin ging daraus mit einer leichten Verwundung hervor. Durch dieses Duell stieg er hoch in der Gunst des Hofes, denn Carrel war der Füh- rer der gemäßigten republikanischen Partei und wegen seines edlen Charakters ein furchtbarer Gegner. Girardin brauchte diese Gunst, es erwartete ihn ein Prozeß wegen Betrugs. Schon 1832 hatte er ein Musée des Familles auf Aktien gegründet. Da 18 Prozent Dividende gezahlt wurden, so galt dieses Unternehmen für sehr gut, als der Kassirer der Gesellschaft, Girardins Banquier und Freund Cleemann den Betheiligten plötzlich die Anzeige machte, daß für das Jahr 1837 nur 5 Prozent Zinsen und keine Dividende gezahlt werden könnten. Die Gesellschaft stellte nähere Erörterungen an, und es zeigte sich, daß das Unternehmen nie einen Reinertrag gehabt hatte, die 18 Prozent vielmehr von den eingelegten Kapitalien bezahlt worden waren. Einer der Theilnehmer, der einen starken Verlust gehabt hatte, verlangte von der Abgeordnetenkam- mer Ermächtigung, Emil de Girardin gerichtlich verfol- gen zu dürfen. Die Abgeordnetenkammer verweigerte diese Erlaubniß, doch nun stellte sich Girardin selbst, indem er zugleich sein Mandat als Abgeordneter niederlegte. Sein Banquier Cleemann hatte ihm versprochen, die ganze Sa- che auf sich nehmen zu wollen. Der Proceß war reich an Skandal. Alle Einzelnheiten der Schwindelei kamen klar zu Tage. 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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 21. Hattingen, 13. März 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische021_1850/1>, abgerufen am 21.11.2024.