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Mährisches Tagblatt. Nr. 167, Olmütz, 24.07.1889.

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Das
"Mährische Tagblatt"
mit der illustr. alle 14 Tage
1 Bogen stark erscheinende
"Illustrirt. Sonntagsbeil."
erscheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittags
im Administrations-Locale
Riederring Nr. 41 neu
ober den Fleischbänken.

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lich 10 Kreuzer.

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Mährisches
Tagblatt.

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Insertionsgebühren:
nach aufliegendem Tarif.




Außerhalb Olmütz überneh[-]
men Inse#ons-Aufträge[:]
Heinrich Schalek, Annon-
cen Exped. in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler
in Wien, Prag, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.
Hamburg, Basel und Leipzig
Alois Opellik, in Wien, Rud.
Mosse
in Wien, München u.
Berlin M. Dukes, Wien I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube
u. Co.
Frankfurt a. M.
Adolf Steiner's Annoncen
bureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertions Bu-
reaus des In- u. Auslandes.




Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.




Nr. 167. Olmütz, Mittwoch, den 24. Juli 1889. 10. Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Hinter Klostermauern.

(Orig.-Corr.)

)-( Die Wiener "Montags-Revue" erzählt
folgende Geschichte:

"Am 9. Feber 1888 verschwand plötzlich
die 18jährige Tochter Anna des in Hernals
bei Wien wohnhaften Schneidermeisters Stiersa
aus der elterlichen Wohnung, ohne daß
irgendwelche Ursache des Verschwindens vor-
handen gewesen wäre. Die sorgfältigsten
Recherchen der Polizei blieben resultatlos.
Diesen Montag erschien in der Wohnung der
Eltern ein Mann, welcher dieselben auffor-
derte, die Kleider ihrer Tochter im Kloster "zum
guten Hirten", Margarethen, Siebenbrunn-
gasse abzuholen, da die Verschwundene dort
verstorben und auch bereits begraben ist. Wei-
tere Auskünfte hat der Mann den Eltern
nicht ertheilt."

So lautet die Nachricht des genannten Wie-
ner Blattes.

Welch' ein Lärm wäre zu anderen Zeiten
über einen Fall entstanden, wie er sich mit der
Tochter des Schneidermeisters in Hernals ereig-
nete, welche bei der Congregation der Kloster-
frauen
"vom guten Hirten" lebte und starb,
ohne daß ihre Eltern etwas davon wußten, nach-
dem sie das Mädchen vergeblich gesucht hatten.
Anderthalb Jahre war das Mädchen inner-
halb der Klostermauern, ohne daß sie ihren Eltern
[Spaltenumbruch] in derselben Stadt auch nur ein einziges Mal
geschrieben hätte, denn ein Mädchen, das im
Kloster Aufnahme gefunden, darf keine Briefe
schreiben. Als schließlich das sterbende Mädchen
nach ihren Verwandten verlangte -- so sagt die
Oberin -- habe man die Adresse der Eitern
nicht auffinden können. Das Mädchen, welches
an Schwindsucht starb, hatte doch wohl nicht die
Sprache verloren? Da sie, wie mit Wohlgefallen
bemerkt wird, vor dem Tode noch gebeichtet
hat, so konnte sie doch wohl auch die Adresse
ihrer Eltern angeben.

Wie ein Blitzstrahl erhellt die kleine trau-
rige Geschichte den ganzen Mißstand des Kloster-
wesens, wie es in Oesterreich seit einem Jahr-
zehnt sich bis zur Ungeheuerlichkeit ausbildet. Der
Mensch ist innerhalb der Mauern eines Klosters
begraben -- der Willkür eines Vorgesetzten mit
Leib und Seele überliefert. Und trotzdem wird
ein Fall, wie der Vorerzählte als etwas Selbst-
verständliches hingenommen und die öffentlichen
Blätter wissen darüber nichts Anderes zu sagen
als: "Dergleichen darf nicht wieder vorkommen;
die Meldungsvorschriften sollten in den Klöstern
besser gehandhabt werden!" Diese Gleichgiltigkeit
ist ein bedenkliches Zeichen des Niederganges der
öffentlichen Meinung. Man geht über die verletzte
persönliche Freiheit schon mit eben solchem Gleich-
muthe hinweg, wie über die Rückwärtserei auf
öffentlichem und politischem Gebiete.

Es wird als etwas ganz Selbstverständliches
betrachtet, daß in den Städten in jeder Gasse,
[Spaltenumbruch] auf dem Lande in jedem Neste ober doch in jedem
Thale ein Kloster sich festsetzt, mit hohen Mauern,
stets verschlossenen Thüren und verstrichenen, ver-
gitterten Fenstern von der übrigen Welt sich ab-
schließt wie ein Gefängniß, und daß man
sich kaum darum kümmert, was hinter
jenen Mauern sich abspielt, ob die Gefangenen
freiwillig darin verharren, oder ob sie einem
moralischen oder körperlichen Zwange unterliegen.
Warum scheuen jene Anstalten das volle Licht der
Oeffentlichkeit? Das allein müßte schon Verdacht
und Mißtrauen erwecken! Nach den Gesetzen hat
die Staatsgewalt das volle Recht, sich um
die Klöster zu kümmern und sie zu überwachen,
daß in denselben kein Unfug geschehe. Aber die
Staatsgewalt ist bei der Fülle dieser Anstalten
bereits außer Stande, dieselben wirksam zu über-
wachen. Wenn sich fünf Personen an einem Wirths-
haustische zusammensetzen, so nimmt ein Vertreter
des Staates unter ihnen Platz. Die Klöster sind
thatsächlich der weltlichen Ueberwachung bereits
völlig entzogen. Und diese Anstalten sind doch
Vereinigungen für das ganze Leben, zugleich
"Erwerbs"-Genossenschaften -- deren "Erwerb"
mitunter vom Himmel zu kommen scheint, so rasch
wächst er, so geheim sind seine irdischen Quellen.
Arme bethörte Menschenkinder gerathen in Klöster
und können dort wider ihren Willen festgehalten
werden -- das Kloster muß bevölkert sein. Reiche
Erben und Erbinnen werden aufgenommen, weil
man ihre weltlichen Güter gewinnen will. Reue
ist vergeblich, Rücktritt wird unmöglich gemacht.




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der Schwärzer.
(Erzählung.)

-- In der Kreuzung der Völkerschaften liegt
das Geheimniß der Schönheit, sagte Bogumil
Goltz. Ich brach in ein lautes Gelächter aus,
dann, mich mit Gewalt bezwingend, bemerkte ich:
Verzeihung, verehrter Freund! Da schoß mir eine
Erinnerung durch das Hirn. In Hamburg er-
klärte mir nämlich ein Gourmand bei der aus-
gezeichneten Wirthstafel: "Nirgends ißt man bes-
ser, als wo sich die Küchen der Nationen mischen."
Die Verbindung dieses und Ihres Satzes kam
mir so ungemein komisch vor, daß ich mich zu
der Unart fortreißen ließ.

-- Es ist ein eigen Ding um die Ideenver-
bindung, redete Bogumil Goltz, dessen hohe Stirn
sich nach meinen Worten wieder geglättet hatte,
und fuhr, den Gedanken ergreifend, in seiner
Weise fort, als ob er zu einer Versammlung
spräche. Ich war jedoch heute nicht in der Lage,
ihm zuzuhorchen; da hatte der Dämon der Un-
aufmerksamkeit mir zwei Menschen vorgeführt,
auf denen meine Augen, meine Gedanken hafte-
ten. Ich blieb stehen und schaute ihnen nach.

-- Was haben Sie? fragte Bogumil Goltz.

-- Ich fragte mich, lautete die Antwort, ob
jenes Mädchen, das an der Seite des kräftigen,
kecken Burschen über den Damm geht, einer Kreu-
zung der deutschen und slavischen Rasse sein Da-
sein verdankt.


[Spaltenumbruch]

Diesmal war der Kleinstädter, wie sich der
Dichter des Buches der Kindheit selbst genannt
hat, über mich wirklich unwillig. Was kümmert
uns das Mädchen! rief er. Dies unbedeutende
Di[n]g!

-- Bitte um Verzeihung, erwiderte ich. Das
Mädchen ist eine Schönheit ersten Ranges, wie
ich sie selbst hier in Thorn, wo es nicht an hüb-
schen Weibern fehlt, noch nicht gesehen habe.

Bogumil Goltz schüttelte das characteristische
etwas kahle Haupt, und der Ton kündete Ge-
reiztheit, indem er sagte: Jenes Mädchen wäre
thatsächlich eine Schönheit, über die man Alles
vergessen könnte.

-- Sie wissen, daß Helena selbst die troja-
nischen Greise die Gefahr ihrer Stadt vergessen
ließ, versetzte ich.

-- Da bin ich doch neugierig, diese Helena
zu sehen, meinte Goltz. Die beiden gehen ziem-
lich langsam, so eifrig der Bursche redet. Wir
werden sie bald einholen. Das war auch in we-
nigen Secunden der Fall. Die Beiden waren
in ein so eifriges Gespräch versunken, daß sie
auf uns nicht Acht hatten. Echt polnisches Blut
fuhr Bogumil fort, aber in der That hübsch,
ganz außerordentlich hübsch; er deutsch, rein
deutsch.

Als wir vorübergingen, vernahm ich aus
ihrem Munde die deutschen Worte, als wollten
sie meines Freundes Worte widerlegen: "Meine
Eltern haben das so gewollt, Stefan; ich soll
keinen Schwärzer heirathen; aber ich bleibe Dir
treu -- ich schwör's!" -- "Das schwört sich
leicht, und wenn es darauf ankommt, ist es aus",
versetzte der fünfundzwanzigjährige Mann in
litauischem Dialect. "In Thorn gibt es junge
[Spaltenumbruch] Leute genug, die nach jungen Mädchen sehen;
aber Magda, ich will nicht Stefan Petrowski
heißen, wenn ich das dulde. Ja, ich bin ein
Schwärzer und scheue nichts. Merke es dir,
Magda. Höre ich, Du seift mir untreu, Dir
wäre besser, nie geboren zu sein."

-- So kommen Sie doch, bemerkte Bogu-
mil Goltz zu mir. Sie werden auffallen. Was
können Sie an dem albernen Gerede für einen
Gefallen finden? Ich werde Ihnen in wenigen
Worten erzählen, was die Beiden sich heute wäh-
rend des ganzen Abends mittheilen.

Obgleich ich ihn in das Pfefferland wünschte,
folgte ich ihm. Ich kann nicht sagen, daß er an
diesem Abend einen aufmerksamen Zuhörer an
mir fand.

So kurze Zeit ich Magda's Züge auch be-
trachtet hatte, so tief hatten sie sich mir einge-
prägt, ja, sie erschienen mir im Traume wieder.
Derselbe zeigte mir das schöne Mädchen in einer
glänzenden Gesellschaft als Braut eines polni-
schen Edelmanns. Wie da Alles so herrlich
strahlte! Ich konnte aber trotzdem zu keinem
rechten Genuß kommen; denn Bogumil Goltz stand
zur Seite und behandelte das Thema: In der Kreu-
zung der Nationen beruht die Schönheit des Men-
schengeschlechts. Plötzlich stürmte Stefan Petrowski
in den glänzenden Saal, unter seinen Messer-
stichen sanken Magda und ihr Bräutigam. Bo-
gumil Goltz flüsterte mir bei der schrecklichen
Scene zu: "Das ist die Folge der Leidenschaft
und der schlechten Erziehung."

Ich erwachte aus dem wüsten Traum, um
gleich darauf in einen anderen ähnlichen zu sin-
ken. In ihm wurde der Mörder ergriffen und
beschuldigte mich sein Spießgeselle zu sein.


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
mit der illuſtr. alle 14 Tage
1 Bogen ſtark erſcheinende
„Illuſtrirt. Sonntagsbeil.“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittags
im Adminiſtrations-Locale
Riederring Nr. 41 neu
ober den Fleiſchbänken.

Abonnement für Olmütz:
Ganzjährig fl. 10.—
Halbjährig fl. 5.
Vierteljährig fl. 2 50
Monatlich fl. —.90

Zuſtellung ins Haus monat-
lich 10 Kreuzer.

Auswärts durch die Poſt:
Ganzjährig fl. 14.—
Halbjährig „ 7.—
Vierteljährig „ 3.50

Einzelne Nummer 5 Kreuzer


[Spaltenumbruch]
Mähriſches
Tagblatt.

[Spaltenumbruch]

Inſertionsgebühren:
nach aufliegendem Tarif.




Außerhalb Olmütz überneh[-]
men Inſe#ons-Aufträge[:]
Heinrich Schalek, Annon-
cen Exped. in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler
in Wien, Prag, Buda-
peſt, Berlin, Frankfurt a. M.
Hamburg, Baſel und Leipzig
Alois Opellik, in Wien, Rud.
Mosse
in Wien, München u.
Berlin M. Dukes, Wien I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube
u. Co.
Frankfurt a. M.
Adolf Steiner’s Annoncen
bureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertions Bu-
reaus des In- u. Auslandes.




Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.




Nr. 167. Olmütz, Mittwoch, den 24. Juli 1889. 10. Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Hinter Kloſtermauern.

(Orig.-Corr.)

)-( Die Wiener „Montags-Revue“ erzählt
folgende Geſchichte:

„Am 9. Feber 1888 verſchwand plötzlich
die 18jährige Tochter Anna des in Hernals
bei Wien wohnhaften Schneidermeiſters Stierſa
aus der elterlichen Wohnung, ohne daß
irgendwelche Urſache des Verſchwindens vor-
handen geweſen wäre. Die ſorgfältigſten
Recherchen der Polizei blieben reſultatlos.
Dieſen Montag erſchien in der Wohnung der
Eltern ein Mann, welcher dieſelben auffor-
derte, die Kleider ihrer Tochter im Kloſter „zum
guten Hirten“, Margarethen, Siebenbrunn-
gaſſe abzuholen, da die Verſchwundene dort
verſtorben und auch bereits begraben iſt. Wei-
tere Auskünfte hat der Mann den Eltern
nicht ertheilt.“

So lautet die Nachricht des genannten Wie-
ner Blattes.

Welch’ ein Lärm wäre zu anderen Zeiten
über einen Fall entſtanden, wie er ſich mit der
Tochter des Schneidermeiſters in Hernals ereig-
nete, welche bei der Congregation der Kloſter-
frauen
„vom guten Hirten“ lebte und ſtarb,
ohne daß ihre Eltern etwas davon wußten, nach-
dem ſie das Mädchen vergeblich geſucht hatten.
Anderthalb Jahre war das Mädchen inner-
halb der Kloſtermauern, ohne daß ſie ihren Eltern
[Spaltenumbruch] in derſelben Stadt auch nur ein einziges Mal
geſchrieben hätte, denn ein Mädchen, das im
Kloſter Aufnahme gefunden, darf keine Briefe
ſchreiben. Als ſchließlich das ſterbende Mädchen
nach ihren Verwandten verlangte — ſo ſagt die
Oberin — habe man die Adreſſe der Eitern
nicht auffinden können. Das Mädchen, welches
an Schwindſucht ſtarb, hatte doch wohl nicht die
Sprache verloren? Da ſie, wie mit Wohlgefallen
bemerkt wird, vor dem Tode noch gebeichtet
hat, ſo konnte ſie doch wohl auch die Adreſſe
ihrer Eltern angeben.

Wie ein Blitzſtrahl erhellt die kleine trau-
rige Geſchichte den ganzen Mißſtand des Kloſter-
weſens, wie es in Oeſterreich ſeit einem Jahr-
zehnt ſich bis zur Ungeheuerlichkeit ausbildet. Der
Menſch iſt innerhalb der Mauern eines Kloſters
begraben — der Willkür eines Vorgeſetzten mit
Leib und Seele überliefert. Und trotzdem wird
ein Fall, wie der Vorerzählte als etwas Selbſt-
verſtändliches hingenommen und die öffentlichen
Blätter wiſſen darüber nichts Anderes zu ſagen
als: „Dergleichen darf nicht wieder vorkommen;
die Meldungsvorſchriften ſollten in den Klöſtern
beſſer gehandhabt werden!“ Dieſe Gleichgiltigkeit
iſt ein bedenkliches Zeichen des Niederganges der
öffentlichen Meinung. Man geht über die verletzte
perſönliche Freiheit ſchon mit eben ſolchem Gleich-
muthe hinweg, wie über die Rückwärtſerei auf
öffentlichem und politiſchem Gebiete.

Es wird als etwas ganz Selbſtverſtändliches
betrachtet, daß in den Städten in jeder Gaſſe,
[Spaltenumbruch] auf dem Lande in jedem Neſte ober doch in jedem
Thale ein Kloſter ſich feſtſetzt, mit hohen Mauern,
ſtets verſchloſſenen Thüren und verſtrichenen, ver-
gitterten Fenſtern von der übrigen Welt ſich ab-
ſchließt wie ein Gefängniß, und daß man
ſich kaum darum kümmert, was hinter
jenen Mauern ſich abſpielt, ob die Gefangenen
freiwillig darin verharren, oder ob ſie einem
moraliſchen oder körperlichen Zwange unterliegen.
Warum ſcheuen jene Anſtalten das volle Licht der
Oeffentlichkeit? Das allein müßte ſchon Verdacht
und Mißtrauen erwecken! Nach den Geſetzen hat
die Staatsgewalt das volle Recht, ſich um
die Klöſter zu kümmern und ſie zu überwachen,
daß in denſelben kein Unfug geſchehe. Aber die
Staatsgewalt iſt bei der Fülle dieſer Anſtalten
bereits außer Stande, dieſelben wirkſam zu über-
wachen. Wenn ſich fünf Perſonen an einem Wirths-
haustiſche zuſammenſetzen, ſo nimmt ein Vertreter
des Staates unter ihnen Platz. Die Klöſter ſind
thatſächlich der weltlichen Ueberwachung bereits
völlig entzogen. Und dieſe Anſtalten ſind doch
Vereinigungen für das ganze Leben, zugleich
„Erwerbs“-Genoſſenſchaften — deren „Erwerb“
mitunter vom Himmel zu kommen ſcheint, ſo raſch
wächſt er, ſo geheim ſind ſeine irdiſchen Quellen.
Arme bethörte Menſchenkinder gerathen in Klöſter
und können dort wider ihren Willen feſtgehalten
werden — das Kloſter muß bevölkert ſein. Reiche
Erben und Erbinnen werden aufgenommen, weil
man ihre weltlichen Güter gewinnen will. Reue
iſt vergeblich, Rücktritt wird unmöglich gemacht.




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der Schwärzer.
(Erzählung.)

— In der Kreuzung der Völkerſchaften liegt
das Geheimniß der Schönheit, ſagte Bogumil
Goltz. Ich brach in ein lautes Gelächter aus,
dann, mich mit Gewalt bezwingend, bemerkte ich:
Verzeihung, verehrter Freund! Da ſchoß mir eine
Erinnerung durch das Hirn. In Hamburg er-
klärte mir nämlich ein Gourmand bei der aus-
gezeichneten Wirthstafel: „Nirgends ißt man beſ-
ſer, als wo ſich die Küchen der Nationen miſchen.“
Die Verbindung dieſes und Ihres Satzes kam
mir ſo ungemein komiſch vor, daß ich mich zu
der Unart fortreißen ließ.

— Es iſt ein eigen Ding um die Ideenver-
bindung, redete Bogumil Goltz, deſſen hohe Stirn
ſich nach meinen Worten wieder geglättet hatte,
und fuhr, den Gedanken ergreifend, in ſeiner
Weiſe fort, als ob er zu einer Verſammlung
ſpräche. Ich war jedoch heute nicht in der Lage,
ihm zuzuhorchen; da hatte der Dämon der Un-
aufmerkſamkeit mir zwei Menſchen vorgeführt,
auf denen meine Augen, meine Gedanken hafte-
ten. Ich blieb ſtehen und ſchaute ihnen nach.

— Was haben Sie? fragte Bogumil Goltz.

— Ich fragte mich, lautete die Antwort, ob
jenes Mädchen, das an der Seite des kräftigen,
kecken Burſchen über den Damm geht, einer Kreu-
zung der deutſchen und ſlaviſchen Raſſe ſein Da-
ſein verdankt.


[Spaltenumbruch]

Diesmal war der Kleinſtädter, wie ſich der
Dichter des Buches der Kindheit ſelbſt genannt
hat, über mich wirklich unwillig. Was kümmert
uns das Mädchen! rief er. Dies unbedeutende
Di[n]g!

— Bitte um Verzeihung, erwiderte ich. Das
Mädchen iſt eine Schönheit erſten Ranges, wie
ich ſie ſelbſt hier in Thorn, wo es nicht an hüb-
ſchen Weibern fehlt, noch nicht geſehen habe.

Bogumil Goltz ſchüttelte das characteriſtiſche
etwas kahle Haupt, und der Ton kündete Ge-
reiztheit, indem er ſagte: Jenes Mädchen wäre
thatſächlich eine Schönheit, über die man Alles
vergeſſen könnte.

— Sie wiſſen, daß Helena ſelbſt die troja-
niſchen Greiſe die Gefahr ihrer Stadt vergeſſen
ließ, verſetzte ich.

— Da bin ich doch neugierig, dieſe Helena
zu ſehen, meinte Goltz. Die beiden gehen ziem-
lich langſam, ſo eifrig der Burſche redet. Wir
werden ſie bald einholen. Das war auch in we-
nigen Secunden der Fall. Die Beiden waren
in ein ſo eifriges Geſpräch verſunken, daß ſie
auf uns nicht Acht hatten. Echt polniſches Blut
fuhr Bogumil fort, aber in der That hübſch,
ganz außerordentlich hübſch; er deutſch, rein
deutſch.

Als wir vorübergingen, vernahm ich aus
ihrem Munde die deutſchen Worte, als wollten
ſie meines Freundes Worte widerlegen: „Meine
Eltern haben das ſo gewollt, Stefan; ich ſoll
keinen Schwärzer heirathen; aber ich bleibe Dir
treu — ich ſchwör’s!“ — „Das ſchwört ſich
leicht, und wenn es darauf ankommt, iſt es aus“,
verſetzte der fünfundzwanzigjährige Mann in
litauiſchem Dialect. „In Thorn gibt es junge
[Spaltenumbruch] Leute genug, die nach jungen Mädchen ſehen;
aber Magda, ich will nicht Stefan Petrowski
heißen, wenn ich das dulde. Ja, ich bin ein
Schwärzer und ſcheue nichts. Merke es dir,
Magda. Höre ich, Du ſeift mir untreu, Dir
wäre beſſer, nie geboren zu ſein.“

— So kommen Sie doch, bemerkte Bogu-
mil Goltz zu mir. Sie werden auffallen. Was
können Sie an dem albernen Gerede für einen
Gefallen finden? Ich werde Ihnen in wenigen
Worten erzählen, was die Beiden ſich heute wäh-
rend des ganzen Abends mittheilen.

Obgleich ich ihn in das Pfefferland wünſchte,
folgte ich ihm. Ich kann nicht ſagen, daß er an
dieſem Abend einen aufmerkſamen Zuhörer an
mir fand.

So kurze Zeit ich Magda’s Züge auch be-
trachtet hatte, ſo tief hatten ſie ſich mir einge-
prägt, ja, ſie erſchienen mir im Traume wieder.
Derſelbe zeigte mir das ſchöne Mädchen in einer
glänzenden Geſellſchaft als Braut eines polni-
ſchen Edelmanns. Wie da Alles ſo herrlich
ſtrahlte! Ich konnte aber trotzdem zu keinem
rechten Genuß kommen; denn Bogumil Goltz ſtand
zur Seite und behandelte das Thema: In der Kreu-
zung der Nationen beruht die Schönheit des Men-
ſchengeſchlechts. Plötzlich ſtürmte Stefan Petrowski
in den glänzenden Saal, unter ſeinen Meſſer-
ſtichen ſanken Magda und ihr Bräutigam. Bo-
gumil Goltz flüſterte mir bei der ſchrecklichen
Scene zu: „Das iſt die Folge der Leidenſchaft
und der ſchlechten Erziehung.“

Ich erwachte aus dem wüſten Traum, um
gleich darauf in einen anderen ähnlichen zu ſin-
ken. In ihm wurde der Mörder ergriffen und
beſchuldigte mich ſein Spießgeſelle zu ſein.


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ mit der illuſtr. alle 14 Tage 1 Bogen ſtark erſcheinende „Illuſtrirt. Sonntagsbeil.“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittags im Adminiſtrations-Locale Riederring Nr. 41 neu ober den Fleiſchbänken. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig fl. 5. Vierteljährig fl. 2 50 Monatlich fl. —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 Kreuzer. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummer 5 Kreuzer Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren: nach aufliegendem Tarif. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſe#ons-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen Exped. in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler in Wien, Prag, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M. Hamburg, Baſel und Leipzig Alois Opellik, in Wien, Rud. Mosse in Wien, München u. Berlin M. Dukes, Wien I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube u. Co. Frankfurt a. M. Adolf Steiner’s Annoncen bureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertions Bu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Nr. 167. Olmütz, Mittwoch, den 24. Juli 1889. 10. Jahrgang. Hinter Kloſtermauern. Wien, 23. Juli. (Orig.-Corr.) )-( Die Wiener „Montags-Revue“ erzählt folgende Geſchichte: „Am 9. Feber 1888 verſchwand plötzlich die 18jährige Tochter Anna des in Hernals bei Wien wohnhaften Schneidermeiſters Stierſa aus der elterlichen Wohnung, ohne daß irgendwelche Urſache des Verſchwindens vor- handen geweſen wäre. Die ſorgfältigſten Recherchen der Polizei blieben reſultatlos. Dieſen Montag erſchien in der Wohnung der Eltern ein Mann, welcher dieſelben auffor- derte, die Kleider ihrer Tochter im Kloſter „zum guten Hirten“, Margarethen, Siebenbrunn- gaſſe abzuholen, da die Verſchwundene dort verſtorben und auch bereits begraben iſt. Wei- tere Auskünfte hat der Mann den Eltern nicht ertheilt.“ So lautet die Nachricht des genannten Wie- ner Blattes. 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Es wird als etwas ganz Selbſtverſtändliches betrachtet, daß in den Städten in jeder Gaſſe, auf dem Lande in jedem Neſte ober doch in jedem Thale ein Kloſter ſich feſtſetzt, mit hohen Mauern, ſtets verſchloſſenen Thüren und verſtrichenen, ver- gitterten Fenſtern von der übrigen Welt ſich ab- ſchließt wie ein Gefängniß, und daß man ſich kaum darum kümmert, was hinter jenen Mauern ſich abſpielt, ob die Gefangenen freiwillig darin verharren, oder ob ſie einem moraliſchen oder körperlichen Zwange unterliegen. Warum ſcheuen jene Anſtalten das volle Licht der Oeffentlichkeit? Das allein müßte ſchon Verdacht und Mißtrauen erwecken! Nach den Geſetzen hat die Staatsgewalt das volle Recht, ſich um die Klöſter zu kümmern und ſie zu überwachen, daß in denſelben kein Unfug geſchehe. Aber die Staatsgewalt iſt bei der Fülle dieſer Anſtalten bereits außer Stande, dieſelben wirkſam zu über- wachen. 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Da ſchoß mir eine Erinnerung durch das Hirn. In Hamburg er- klärte mir nämlich ein Gourmand bei der aus- gezeichneten Wirthstafel: „Nirgends ißt man beſ- ſer, als wo ſich die Küchen der Nationen miſchen.“ Die Verbindung dieſes und Ihres Satzes kam mir ſo ungemein komiſch vor, daß ich mich zu der Unart fortreißen ließ. — Es iſt ein eigen Ding um die Ideenver- bindung, redete Bogumil Goltz, deſſen hohe Stirn ſich nach meinen Worten wieder geglättet hatte, und fuhr, den Gedanken ergreifend, in ſeiner Weiſe fort, als ob er zu einer Verſammlung ſpräche. Ich war jedoch heute nicht in der Lage, ihm zuzuhorchen; da hatte der Dämon der Un- aufmerkſamkeit mir zwei Menſchen vorgeführt, auf denen meine Augen, meine Gedanken hafte- ten. Ich blieb ſtehen und ſchaute ihnen nach. — Was haben Sie? fragte Bogumil Goltz. — Ich fragte mich, lautete die Antwort, ob jenes Mädchen, das an der Seite des kräftigen, kecken Burſchen über den Damm geht, einer Kreu- zung der deutſchen und ſlaviſchen Raſſe ſein Da- ſein verdankt. Diesmal war der Kleinſtädter, wie ſich der Dichter des Buches der Kindheit ſelbſt genannt hat, über mich wirklich unwillig. Was kümmert uns das Mädchen! rief er. Dies unbedeutende Ding! — Bitte um Verzeihung, erwiderte ich. Das Mädchen iſt eine Schönheit erſten Ranges, wie ich ſie ſelbſt hier in Thorn, wo es nicht an hüb- ſchen Weibern fehlt, noch nicht geſehen habe. Bogumil Goltz ſchüttelte das characteriſtiſche etwas kahle Haupt, und der Ton kündete Ge- reiztheit, indem er ſagte: Jenes Mädchen wäre thatſächlich eine Schönheit, über die man Alles vergeſſen könnte. — Sie wiſſen, daß Helena ſelbſt die troja- niſchen Greiſe die Gefahr ihrer Stadt vergeſſen ließ, verſetzte ich. — Da bin ich doch neugierig, dieſe Helena zu ſehen, meinte Goltz. Die beiden gehen ziem- lich langſam, ſo eifrig der Burſche redet. Wir werden ſie bald einholen. Das war auch in we- nigen Secunden der Fall. Die Beiden waren in ein ſo eifriges Geſpräch verſunken, daß ſie auf uns nicht Acht hatten. Echt polniſches Blut fuhr Bogumil fort, aber in der That hübſch, ganz außerordentlich hübſch; er deutſch, rein deutſch. Als wir vorübergingen, vernahm ich aus ihrem Munde die deutſchen Worte, als wollten ſie meines Freundes Worte widerlegen: „Meine Eltern haben das ſo gewollt, Stefan; ich ſoll keinen Schwärzer heirathen; aber ich bleibe Dir treu — ich ſchwör’s!“ — „Das ſchwört ſich leicht, und wenn es darauf ankommt, iſt es aus“, verſetzte der fünfundzwanzigjährige Mann in litauiſchem Dialect. „In Thorn gibt es junge Leute genug, die nach jungen Mädchen ſehen; aber Magda, ich will nicht Stefan Petrowski heißen, wenn ich das dulde. Ja, ich bin ein Schwärzer und ſcheue nichts. Merke es dir, Magda. Höre ich, Du ſeift mir untreu, Dir wäre beſſer, nie geboren zu ſein.“ — So kommen Sie doch, bemerkte Bogu- mil Goltz zu mir. Sie werden auffallen. Was können Sie an dem albernen Gerede für einen Gefallen finden? Ich werde Ihnen in wenigen Worten erzählen, was die Beiden ſich heute wäh- rend des ganzen Abends mittheilen. Obgleich ich ihn in das Pfefferland wünſchte, folgte ich ihm. 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Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T15:49:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 167, Olmütz, 24.07.1889, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches167_1889/1>, abgerufen am 21.11.2024.