Das Heller-Blatt. Nr. 12. Breslau, 22. März 1834.Das Heller=Blatt. [Beginn Spaltensatz]
St. Markusplatz und Kirche zu Venedig. Eine der merkwürdigsten Städte, nicht blos Jta- "Man mag in Jtalien eintreten, wo man will, "Straßenbuben, die uns gefolgt waren, nahmen Das Heller=Blatt. [Beginn Spaltensatz]
St. Markusplatz und Kirche zu Venedig. Eine der merkwürdigsten Städte, nicht blos Jta- „Man mag in Jtalien eintreten, wo man will, „Straßenbuben, die uns gefolgt waren, nahmen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="90"/> <fw type="header" place="top"> <hi rendition="#g">Das Heller=Blatt.</hi> </fw> <cb type="start"/> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">St. Markusplatz und Kirche zu<lb/> Venedig</hi>.</hi> </head><lb/> <p>Eine der merkwürdigsten Städte, nicht blos Jta-<lb/> liens, sondern der Welt, ist wohl Venedig. Auf 70<lb/> Jnseln des adriatischen Meeres erbaut, zählt sie noch<lb/> jetzt, nach dem Untergange ihrer Republick, über 100,000<lb/> Bewohner, die in 16,000, auf Pfählen erbauten, Häu-<lb/> sern wohnen. Ueber 400 Kanäle und 500 größere und<lb/> kleinere Brücken, dienen zur Communikation. Vene-<lb/> dig hat außer der Patriarchal=Kirche noch 71 Pfarrkir-<lb/> chen, 12 Abteien, 30 Mönchs= und 29 Nonnenklöster,<lb/> 23 Hospitäler, 18 Bethäuser, 40 geistliche Brüder-<lb/> schaften mit ihren Kapellen, 58 öffentliche Plätze, 165<lb/> marmorne und 23 metallne Bildsäulen, 7 Schauspiel-<lb/> häuser, und wird in 6 Quartiere getheilt. Jn keiner<lb/> Stadt giebt es so viel Findelhäuser und Hospitäler<lb/> für arme Mädchen, um ihre Sittlichkeit zu bewahren,<lb/> und dennoch wimmelt die Stadt von schamlosen Dirnen.<lb/> Den unerträglichsten Anblick auf den Straßen und Pläz-<lb/> zen dieser prächtigen, mit den zahlreichsten Pallästen<lb/> gezierten Stadt, gewährt die ungeheure Menge von<lb/> Müssiggängern und eckelhaften Bettlern, welche alle<lb/> Straßen, Kirchen, Brücken und Kaffeehäuser belagern.<lb/> Viele stehen in zerlumpten Mänteln, Rosenkränze in<lb/> den Händen und Masken vor dem Gesichte, auf wel-<lb/> chen die Geschichte ihres Elends abgemalt ist, an den<lb/> Kirchen, und betteln so, ohne ihre Lungen anzustren-<lb/> gen. <hi rendition="#g">Kephalides,</hi> im Leben Professor der Universi-<lb/> tät zu Breslau, schildert Venedig sehr treffend, wenn<lb/> er sagt:</p><lb/> <p>„Man mag in Jtalien eintreten, wo man will,<lb/> nirgends wird Auge und Phantasie durch neue Eindrücke<lb/> und alte Erinnerungen so mächtig ergriffen, als hier<lb/> in dieser außerordentlichen Stadt. Sie gleicht, im<lb/> Profil gesehn, einem unermeßlichen Linienschiffe mit<lb/> zahllosen Masten; durch die Straßen ergießen sich die<lb/> grünlich=blauen Fluthen, und bisweilen schlägt die oran-<lb/> dende Woge in die Thore der Palläste hinein. Hier<lb/> herrscht der eigenthümliche Volkscharakter Jtaliens;<lb/> denn trotz des Unterganges des unglücklichen Staates<lb/> herrscht unbesiegbares Leben in seinen Einwohnern.<lb/> Die Matrosen, Mackler, Fischer, Verkäufer, Käufer,<lb/> Bettler, toben auf der Riva der Sclavonier ärger,<lb/> als die daneben brausenden Wellen des Meers. Dazu<lb/> kommt die Erinnerung an die Kraft vergangener, ruhm-<lb/> würdiger Jahrhunderte, deren keine Republick mehr<lb/> gezählt hat, als diese. Ueberzeugen uns hiervon noch<lb/> nicht die ehernen Palläste des Markus, Procuratien,<lb/> Wunder der Baukunst, die Palläste, worin alle die<lb/> Helden und Stützen der Republick lebten, so werden<lb/> es die ungeheuern, ins Meer geworfenen, Dämme,<lb/> die bald meilenweit von der Stadt die Wuth des Ele-<lb/> ments abwehren, bald die einzelnen Jnseln der Stadt<lb/> mit einem unverwüstlichen Saume einschließen. Der<lb/><cb n="2"/> prachtvolle Markusplatz ist so reinlich und zierlich, da<lb/> ihn weder Roß, noch Wagen betritt, daß er einem<lb/> großen Saale gleicht. Ob er gleich aufgehört hat, der<lb/> Mittelpunkt der Republick zu seyn, so ist er dessen un-<lb/> geachtet noch der des städtischen Lebens und Getümmels.<lb/> Am Eingange findet man Leute, die für eine Kleinig-<lb/> keit bereit sind, Briefe in allen Verhältnissen zu schrei-<lb/> ben. Kaum waren wir eingetreten, als auch sogleich<lb/> ein zerlumpter hungriger Cicerone, das Bild des Elends<lb/> und seines Vaterlandes, ohne unsere Aufforderung auf-<lb/> sprang, seinen Mantel, der die glanzvollen Zeiten Ve-<lb/> nedigs zu kennen schien, stolz über die linke Achsel<lb/> warf, nach nord=italienischer Sitte, und sich mit un-<lb/> endlicher Behendigkeit über die königliche Treppe schob,<lb/> um uns im Dogenpallast in die Säle zu bringen, welche<lb/> einst die Seele der Republick einschlossen. Er war Thür-<lb/> steher des letzten Dogen gewesen, und der Sturz des<lb/> vierzehnhundertjährigen Reichs, hatte auch auf ihn sei-<lb/> nen traurigen Einfluß gehabt. Er führte uns in den<lb/> großen Versammlungssaal, schwang sich mit unglaub-<lb/> licher Schnelligkeit auf den erhabensten Sitz und rief:<lb/> „„Hier saß der Doge.““</p><lb/> <p>„Straßenbuben, die uns gefolgt waren, nahmen<lb/> den Sitz der Nobili ein. Schon ziemlich gegen Abend<lb/> traten wir in den Dom, der ehrwürdigen Markuskirche,<lb/> ein; seine Kuppeln, wenn auch nicht überraschend durch<lb/> ungewöhnliche Größe, erschüttern doch durch die graue<lb/> Majestät, und wir hörten zugleich die Heiligen=Litaney<lb/> so schön singen, daß wir uns kaum von dem ahnungs-<lb/> vollen Dunkel zu trennen vermochten. Die Markus-<lb/> kirche ist eine große Steinmasse des zehnten Jahrhun-<lb/> derts, die mit den Marmorgemälden, musivischen Ar-<lb/> beiten, Golde und Silber reichlich versehen ist; auch<lb/> verwahrt man darin ein Pergament, worauf der hei-<lb/> lige Marsus eigenhändig sein Evangelium geschrieben<lb/> haben soll. Das Jnnere der Kirche wird von 500 Säu-<lb/> len getragen, die Wände, die Decke und der Fußboden<lb/> sind kostbar verziert. Außer vielen Statuen, bewun-<lb/> dert man über dem Haupteingange der Kirche, die vier<lb/> aus korinthischen Erz gegossenen Pferde, eines der<lb/> größten Meisterstücke des Alterthums, welche Lysippus,<lb/> ein Zeitgenosse Alexander des Großen, verfertigt haben<lb/> soll. Früher zierten diese Pferde hinter einander die<lb/> Triumphbogen der Kaiser Nero und Trajan in Rom.<lb/> Kostantin der Große hatte sie nach Byzanz geschafft,<lb/> von wo sie der Doge Dandolo, als er im 13ten Jahr-<lb/> hunderte Konstantinopel eroberte, nach Venedig brin-<lb/> gen ließ. Napoleon versetzte sie nach Paris, wo sie den<lb/> von ihm errichteten Triumphbogen, auf dem Carous-<lb/> selplatze zierten, im Jahr 1815 aber nach Venedig zu-<lb/> rückgeschafft wurden. Vor der Markuskirche befinden<lb/> sich die drei, auf hohen, von Fußgestellen aus Erz ge-<lb/> tragenen, Mastbäumen aufgestellten Standarten, die<lb/> Trophäen der drei, von den Venetianern eroberten, Kö-<lb/> nigreiche: Kandia, Cypern und Morea.“</p><lb/> <cb type="end"/> </div> </body> </text> </TEI> [90/0002]
Das Heller=Blatt.
St. Markusplatz und Kirche zu
Venedig.
Eine der merkwürdigsten Städte, nicht blos Jta-
liens, sondern der Welt, ist wohl Venedig. Auf 70
Jnseln des adriatischen Meeres erbaut, zählt sie noch
jetzt, nach dem Untergange ihrer Republick, über 100,000
Bewohner, die in 16,000, auf Pfählen erbauten, Häu-
sern wohnen. Ueber 400 Kanäle und 500 größere und
kleinere Brücken, dienen zur Communikation. Vene-
dig hat außer der Patriarchal=Kirche noch 71 Pfarrkir-
chen, 12 Abteien, 30 Mönchs= und 29 Nonnenklöster,
23 Hospitäler, 18 Bethäuser, 40 geistliche Brüder-
schaften mit ihren Kapellen, 58 öffentliche Plätze, 165
marmorne und 23 metallne Bildsäulen, 7 Schauspiel-
häuser, und wird in 6 Quartiere getheilt. Jn keiner
Stadt giebt es so viel Findelhäuser und Hospitäler
für arme Mädchen, um ihre Sittlichkeit zu bewahren,
und dennoch wimmelt die Stadt von schamlosen Dirnen.
Den unerträglichsten Anblick auf den Straßen und Pläz-
zen dieser prächtigen, mit den zahlreichsten Pallästen
gezierten Stadt, gewährt die ungeheure Menge von
Müssiggängern und eckelhaften Bettlern, welche alle
Straßen, Kirchen, Brücken und Kaffeehäuser belagern.
Viele stehen in zerlumpten Mänteln, Rosenkränze in
den Händen und Masken vor dem Gesichte, auf wel-
chen die Geschichte ihres Elends abgemalt ist, an den
Kirchen, und betteln so, ohne ihre Lungen anzustren-
gen. Kephalides, im Leben Professor der Universi-
tät zu Breslau, schildert Venedig sehr treffend, wenn
er sagt:
„Man mag in Jtalien eintreten, wo man will,
nirgends wird Auge und Phantasie durch neue Eindrücke
und alte Erinnerungen so mächtig ergriffen, als hier
in dieser außerordentlichen Stadt. Sie gleicht, im
Profil gesehn, einem unermeßlichen Linienschiffe mit
zahllosen Masten; durch die Straßen ergießen sich die
grünlich=blauen Fluthen, und bisweilen schlägt die oran-
dende Woge in die Thore der Palläste hinein. Hier
herrscht der eigenthümliche Volkscharakter Jtaliens;
denn trotz des Unterganges des unglücklichen Staates
herrscht unbesiegbares Leben in seinen Einwohnern.
Die Matrosen, Mackler, Fischer, Verkäufer, Käufer,
Bettler, toben auf der Riva der Sclavonier ärger,
als die daneben brausenden Wellen des Meers. Dazu
kommt die Erinnerung an die Kraft vergangener, ruhm-
würdiger Jahrhunderte, deren keine Republick mehr
gezählt hat, als diese. Ueberzeugen uns hiervon noch
nicht die ehernen Palläste des Markus, Procuratien,
Wunder der Baukunst, die Palläste, worin alle die
Helden und Stützen der Republick lebten, so werden
es die ungeheuern, ins Meer geworfenen, Dämme,
die bald meilenweit von der Stadt die Wuth des Ele-
ments abwehren, bald die einzelnen Jnseln der Stadt
mit einem unverwüstlichen Saume einschließen. Der
prachtvolle Markusplatz ist so reinlich und zierlich, da
ihn weder Roß, noch Wagen betritt, daß er einem
großen Saale gleicht. Ob er gleich aufgehört hat, der
Mittelpunkt der Republick zu seyn, so ist er dessen un-
geachtet noch der des städtischen Lebens und Getümmels.
Am Eingange findet man Leute, die für eine Kleinig-
keit bereit sind, Briefe in allen Verhältnissen zu schrei-
ben. Kaum waren wir eingetreten, als auch sogleich
ein zerlumpter hungriger Cicerone, das Bild des Elends
und seines Vaterlandes, ohne unsere Aufforderung auf-
sprang, seinen Mantel, der die glanzvollen Zeiten Ve-
nedigs zu kennen schien, stolz über die linke Achsel
warf, nach nord=italienischer Sitte, und sich mit un-
endlicher Behendigkeit über die königliche Treppe schob,
um uns im Dogenpallast in die Säle zu bringen, welche
einst die Seele der Republick einschlossen. Er war Thür-
steher des letzten Dogen gewesen, und der Sturz des
vierzehnhundertjährigen Reichs, hatte auch auf ihn sei-
nen traurigen Einfluß gehabt. Er führte uns in den
großen Versammlungssaal, schwang sich mit unglaub-
licher Schnelligkeit auf den erhabensten Sitz und rief:
„„Hier saß der Doge.““
„Straßenbuben, die uns gefolgt waren, nahmen
den Sitz der Nobili ein. Schon ziemlich gegen Abend
traten wir in den Dom, der ehrwürdigen Markuskirche,
ein; seine Kuppeln, wenn auch nicht überraschend durch
ungewöhnliche Größe, erschüttern doch durch die graue
Majestät, und wir hörten zugleich die Heiligen=Litaney
so schön singen, daß wir uns kaum von dem ahnungs-
vollen Dunkel zu trennen vermochten. Die Markus-
kirche ist eine große Steinmasse des zehnten Jahrhun-
derts, die mit den Marmorgemälden, musivischen Ar-
beiten, Golde und Silber reichlich versehen ist; auch
verwahrt man darin ein Pergament, worauf der hei-
lige Marsus eigenhändig sein Evangelium geschrieben
haben soll. Das Jnnere der Kirche wird von 500 Säu-
len getragen, die Wände, die Decke und der Fußboden
sind kostbar verziert. Außer vielen Statuen, bewun-
dert man über dem Haupteingange der Kirche, die vier
aus korinthischen Erz gegossenen Pferde, eines der
größten Meisterstücke des Alterthums, welche Lysippus,
ein Zeitgenosse Alexander des Großen, verfertigt haben
soll. Früher zierten diese Pferde hinter einander die
Triumphbogen der Kaiser Nero und Trajan in Rom.
Kostantin der Große hatte sie nach Byzanz geschafft,
von wo sie der Doge Dandolo, als er im 13ten Jahr-
hunderte Konstantinopel eroberte, nach Venedig brin-
gen ließ. Napoleon versetzte sie nach Paris, wo sie den
von ihm errichteten Triumphbogen, auf dem Carous-
selplatze zierten, im Jahr 1815 aber nach Venedig zu-
rückgeschafft wurden. Vor der Markuskirche befinden
sich die drei, auf hohen, von Fußgestellen aus Erz ge-
tragenen, Mastbäumen aufgestellten Standarten, die
Trophäen der drei, von den Venetianern eroberten, Kö-
nigreiche: Kandia, Cypern und Morea.“
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