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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

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R. Calwer: Das Versprechen der Regierung an die Bergarbeiter.
den Arbeitgebern. Wenn trotzdem das Abgeordnetenhaus die Regierungsvorlage
zu Ungunsten der Arbeiter abändert, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder
die Aenderung ist vorläufig, um der Regierung aus den schon erwähnten Grün-
den eine Warnung zu erteilen, oder aber das Abgeordnetenhaus wünscht einen
Konflikt mit der Regierung herbei, durch den die Schwäche und Ohnmacht der
Regierung dem Dreiklassenparlament gegenüber dargetan werden soll. Ob der
erste Fall zutrifft, werden ja schon die nächsten Tage lehren. Träfe aber wider
Erwarten der zweite ein, dann würde die Affäre einen hochpolitischen Anstrich
erhalten.

Die Regierung stünde als Herkules am Scheideweg: entweder dem Land-
tage nachgeben, den letzten Rest des Vertrauens, das noch in einem Teile der
Arbeiterschaft für sie steckte, preisgeben, oder aber dem Landtage den Krieg
erklären und im Reichstage durchsetzen, was im Landtage nicht zu erreichen war.
Die Zentrumspresse droht schon jetzt mit dieser Eventualität, und es ist nötig,
sie bei Zeiten darauf festzunageln. Denn wenn, wie zu erwarten ist, die
Regierung zögern und Ausflüchte suchen sollte, um nicht die Reichsgesetzgebung
gegen das halsstarrige Parlament in Preußen ausspielen zu müssen, dann hat
ja das Zentrum die Macht, einen derartigen Druck auf sie auszuüben, daß nicht
nur der Mund gespitzt, sondern auch gepfiffen werden muß. Darum nehme
man das Zentrum beim Wort. Die "Germania" schreibt:

"Wir vom Zentrum werden, wie bisher, unsere Schuldigkeit tun
und die Vorlage der Regierung wenigstens als Minimum akzeptieren,
wenn absolut nicht mehr erreicht werden kann. Sollte man aber auf
seiten der Konservativen auf dem bis jetzt eingenommenen Standpunkt
beharren, dann wird allerdings aus der Regierungsvorlage nichts
werden, denn mit einer verstümmelten Vorlage ist der Regierung, den
Bergarbeitern und auch uns nicht gedient. Die Staatsregierung wird
dann ihr Wort in anderer Weise einzulösen und an den Reichstag
heranzutreten verpflichtet sein."


Und ebenso drückt sich die "Köln. Volks=Ztg." aus:

"Was die Novelle bietet, ist wahrlich nicht zu viel; wenn es nicht
gelingt, ein Mehreres zu erreichen, so sollte wenigstens eine Ver-
schlechterung mit äußerster Energie bekämpft werden. Und das Mittel
dazu hat die Regierung in der Hand: sie braucht nur durch unbeug-
same Entschlossenheit zu zeigen, im Falle einer solchen Verschlechterung
ein Haus weiter -- an den Reichstag zu gehen."


Nun mögen die Konservativen, das Zentrum und die Regierung die ein-
gerührte Suppe auslöffeln. Wollen die Konservativen nicht nachgeben, so müssen
Zentrum und Regierung den Kampf in den Reichstag verlegen. Und sollte die
Regierung dabei schwach werden, dann müßte eben das Zentrum den Beweis
erbringen, daß es die regierende Partei nicht nur in Militär=, Marine= und
Steuerfragen, sondern auch in der Sozialpolitik ist. Sollte aber auch diese
Partei klein beigeben, so hätten die Gegner der Sozialdemokratie wieder einmal
alle Register spielen lassen, um dieser Partei einen totalen Riesenerfolg zu ver-
schaffen, ohne daß die Sozialdemokratie sich dabei irgendwie hätte bemühen
brauchen: Sie lebt zuzeiten wirklich schon im Gegenwartsstaat wie in
Schlaraffien: die gebratenen Tauben fliegen ihr nur so in den Mund.



R. Calwer: Das Versprechen der Regierung an die Bergarbeiter.
den Arbeitgebern. Wenn trotzdem das Abgeordnetenhaus die Regierungsvorlage
zu Ungunsten der Arbeiter abändert, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder
die Aenderung ist vorläufig, um der Regierung aus den schon erwähnten Grün-
den eine Warnung zu erteilen, oder aber das Abgeordnetenhaus wünscht einen
Konflikt mit der Regierung herbei, durch den die Schwäche und Ohnmacht der
Regierung dem Dreiklassenparlament gegenüber dargetan werden soll. Ob der
erste Fall zutrifft, werden ja schon die nächsten Tage lehren. Träfe aber wider
Erwarten der zweite ein, dann würde die Affäre einen hochpolitischen Anstrich
erhalten.

Die Regierung stünde als Herkules am Scheideweg: entweder dem Land-
tage nachgeben, den letzten Rest des Vertrauens, das noch in einem Teile der
Arbeiterschaft für sie steckte, preisgeben, oder aber dem Landtage den Krieg
erklären und im Reichstage durchsetzen, was im Landtage nicht zu erreichen war.
Die Zentrumspresse droht schon jetzt mit dieser Eventualität, und es ist nötig,
sie bei Zeiten darauf festzunageln. Denn wenn, wie zu erwarten ist, die
Regierung zögern und Ausflüchte suchen sollte, um nicht die Reichsgesetzgebung
gegen das halsstarrige Parlament in Preußen ausspielen zu müssen, dann hat
ja das Zentrum die Macht, einen derartigen Druck auf sie auszuüben, daß nicht
nur der Mund gespitzt, sondern auch gepfiffen werden muß. Darum nehme
man das Zentrum beim Wort. Die „Germania“ schreibt:

„Wir vom Zentrum werden, wie bisher, unsere Schuldigkeit tun
und die Vorlage der Regierung wenigstens als Minimum akzeptieren,
wenn absolut nicht mehr erreicht werden kann. Sollte man aber auf
seiten der Konservativen auf dem bis jetzt eingenommenen Standpunkt
beharren, dann wird allerdings aus der Regierungsvorlage nichts
werden, denn mit einer verstümmelten Vorlage ist der Regierung, den
Bergarbeitern und auch uns nicht gedient. Die Staatsregierung wird
dann ihr Wort in anderer Weise einzulösen und an den Reichstag
heranzutreten verpflichtet sein.“


Und ebenso drückt sich die „Köln. Volks=Ztg.“ aus:

„Was die Novelle bietet, ist wahrlich nicht zu viel; wenn es nicht
gelingt, ein Mehreres zu erreichen, so sollte wenigstens eine Ver-
schlechterung mit äußerster Energie bekämpft werden. Und das Mittel
dazu hat die Regierung in der Hand: sie braucht nur durch unbeug-
same Entschlossenheit zu zeigen, im Falle einer solchen Verschlechterung
ein Haus weiter — an den Reichstag zu gehen.“


Nun mögen die Konservativen, das Zentrum und die Regierung die ein-
gerührte Suppe auslöffeln. Wollen die Konservativen nicht nachgeben, so müssen
Zentrum und Regierung den Kampf in den Reichstag verlegen. Und sollte die
Regierung dabei schwach werden, dann müßte eben das Zentrum den Beweis
erbringen, daß es die regierende Partei nicht nur in Militär=, Marine= und
Steuerfragen, sondern auch in der Sozialpolitik ist. Sollte aber auch diese
Partei klein beigeben, so hätten die Gegner der Sozialdemokratie wieder einmal
alle Register spielen lassen, um dieser Partei einen totalen Riesenerfolg zu ver-
schaffen, ohne daß die Sozialdemokratie sich dabei irgendwie hätte bemühen
brauchen: Sie lebt zuzeiten wirklich schon im Gegenwartsstaat wie in
Schlaraffien: die gebratenen Tauben fliegen ihr nur so in den Mund.



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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/16>, abgerufen am 23.11.2024.