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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Prof. Ludwig Gumplowicz: Adolf Bastian.
welchem unvergänglich nur ein Gedanke lebt: der "Menschheitsgedanke",
der höchste und der einzige, der unserer Betrachtung wert ist. Diesen Ge-
danken wies er nach in den sozialen Jnstitutionen aller Völker und Stämme
der Erde. Den Aeußerungen desselben in all seinen Verzweigungen und
Verästelungen galt sein unermüdliches Forschen seit mehr als einem halben
Jahrhundert, wenn wir auch nur die Zeit seit 1851 zählen wollen, als der
junge damals 25jährige Schiffsarzt seine erste überseeische Reise ( nach
Australien ) antrat. Seither hat er die "Menschheit", die wirkliche und kon-
krete, in all ihren Siedlungen und Schlupfwinkeln aufgesucht; ging von
Australien nach Peru, Westindien, Mexiko und Kalifornien; dann wieder nach
Asien ( China und Ostindien ) ; durchwanderte die Ruinenstätten Babylons
und Ninivehs; besuchte Syrien, Palästina und Ägypten, dann wieder das
Kapland und Westafrika. -- Was trieb er da allerwegen? Er sagt es uns
selbst im Vorwort seines ersten großen Werkes "Der Mensch in der Geschichte",
das er zwei Jahre nach der Rückkehr von seiner ersten Weltreise ( 1860 ) ver-
öffentlichte: "Fern von Europa und lange Zeit beschränkt im sprachlichen
Verkehr, keimten die hier niedergelegten Jdeen unter Anschauung der mannig-
faltigen Verhältnisse, in welchen die Völker auf dem Erdball zusammenleben.
Jn der Stille der Wüsten, auf einsamen Bergen, in Zügen über weite Meere,
in der erhabenen Natur des Südens reiften sie im Laufe der Jahre empor und
schlossen sich zusammen in ein harmonisches Bild." Dieses Bild, das er in der
weiten Welt draußen erschaute, als er Leben und Treiben der mannigfachsten
Völker beobachtete und das ihm seither immer vor Augen schwebte, das ist: der
"Völkergedanke", der "Menschheitsgedanke". Darunter versteht er die eine,
einheitliche, sich immer wesensgleiche Jdee, die allen sozialen Gestaltungen
aller Zeiten und Zonen zugrunde liegt, was nachzuweisen die Aufgabe seines
Lebens wurde und welchen Nachweis er in einer langen Reihe von Werken
durchführte.

Jmmer wieder aber, um frisches Material zu sammeln, um für seine
Jdeen neue Belege und Begründungen zu finden, um seine Wißbegierde zu
befriedigen, seinen Heißhunger nach "Menschheit" zu stillen, trieb es ihn
hinaus in unbekannte Weltteile, um da die Völker und immer neue Völker in
ihren entlegensten und dunkelsten Wohnsitzen aufzuspüren und zu belauschen.
Kaum hatte er 1860 das oben erwähnte dreibändige Werk herausgegeben,
schiffte er sich wieder ein, nach Hinterindien, von wo er nach Japan und China
ging, um über die Wüste Gobi und den Ural nach Europa zurückzukehren.
Hier ( in Berlin ) begann er nun seine akademische Laufbahn und zugleich seine
organisatorische Tätigkeit behufs Gründung der Anthropologischen Gesellschaft,
sodann der Afrikanischen Gesellschaft, was in weiterer Folge zur Gründung
des Museums für Völkerkunde führte. Mittlerweile besuchte er aber in den
70er Jahren noch Afrika ( Loangoküste ) , Südamerika und nach einem Abstecher
nach Persien und Jndien bereiste er dann nochmals Australien, Neuseeland und
kehrte über Kalifornien und Yucatan nach Europa zurück. 1889--1891
unternahm er eine größere Reise nach Kaukasien, Turkestan, Armenien, Vorder-
indien, Polynesien und noch einmal nach Australien und Tasmanien. Weih-
nachten 1903 zog der damals 77jährige zu seiner letzten Forschungsreise aus,
auf der ihn jüngst in Westindien der Tod abrief.

Das waren die Werke, die er zumeist studierte; das waren die Biblio-

Prof. Ludwig Gumplowicz: Adolf Bastian.
welchem unvergänglich nur ein Gedanke lebt: der „Menschheitsgedanke“,
der höchste und der einzige, der unserer Betrachtung wert ist. Diesen Ge-
danken wies er nach in den sozialen Jnstitutionen aller Völker und Stämme
der Erde. Den Aeußerungen desselben in all seinen Verzweigungen und
Verästelungen galt sein unermüdliches Forschen seit mehr als einem halben
Jahrhundert, wenn wir auch nur die Zeit seit 1851 zählen wollen, als der
junge damals 25jährige Schiffsarzt seine erste überseeische Reise ( nach
Australien ) antrat. Seither hat er die „Menschheit“, die wirkliche und kon-
krete, in all ihren Siedlungen und Schlupfwinkeln aufgesucht; ging von
Australien nach Peru, Westindien, Mexiko und Kalifornien; dann wieder nach
Asien ( China und Ostindien ) ; durchwanderte die Ruinenstätten Babylons
und Ninivehs; besuchte Syrien, Palästina und Ägypten, dann wieder das
Kapland und Westafrika. — Was trieb er da allerwegen? Er sagt es uns
selbst im Vorwort seines ersten großen Werkes „Der Mensch in der Geschichte“,
das er zwei Jahre nach der Rückkehr von seiner ersten Weltreise ( 1860 ) ver-
öffentlichte: „Fern von Europa und lange Zeit beschränkt im sprachlichen
Verkehr, keimten die hier niedergelegten Jdeen unter Anschauung der mannig-
faltigen Verhältnisse, in welchen die Völker auf dem Erdball zusammenleben.
Jn der Stille der Wüsten, auf einsamen Bergen, in Zügen über weite Meere,
in der erhabenen Natur des Südens reiften sie im Laufe der Jahre empor und
schlossen sich zusammen in ein harmonisches Bild.“ Dieses Bild, das er in der
weiten Welt draußen erschaute, als er Leben und Treiben der mannigfachsten
Völker beobachtete und das ihm seither immer vor Augen schwebte, das ist: der
„Völkergedanke“, der „Menschheitsgedanke“. Darunter versteht er die eine,
einheitliche, sich immer wesensgleiche Jdee, die allen sozialen Gestaltungen
aller Zeiten und Zonen zugrunde liegt, was nachzuweisen die Aufgabe seines
Lebens wurde und welchen Nachweis er in einer langen Reihe von Werken
durchführte.

Jmmer wieder aber, um frisches Material zu sammeln, um für seine
Jdeen neue Belege und Begründungen zu finden, um seine Wißbegierde zu
befriedigen, seinen Heißhunger nach „Menschheit“ zu stillen, trieb es ihn
hinaus in unbekannte Weltteile, um da die Völker und immer neue Völker in
ihren entlegensten und dunkelsten Wohnsitzen aufzuspüren und zu belauschen.
Kaum hatte er 1860 das oben erwähnte dreibändige Werk herausgegeben,
schiffte er sich wieder ein, nach Hinterindien, von wo er nach Japan und China
ging, um über die Wüste Gobi und den Ural nach Europa zurückzukehren.
Hier ( in Berlin ) begann er nun seine akademische Laufbahn und zugleich seine
organisatorische Tätigkeit behufs Gründung der Anthropologischen Gesellschaft,
sodann der Afrikanischen Gesellschaft, was in weiterer Folge zur Gründung
des Museums für Völkerkunde führte. Mittlerweile besuchte er aber in den
70er Jahren noch Afrika ( Loangoküste ) , Südamerika und nach einem Abstecher
nach Persien und Jndien bereiste er dann nochmals Australien, Neuseeland und
kehrte über Kalifornien und Yucatan nach Europa zurück. 1889—1891
unternahm er eine größere Reise nach Kaukasien, Turkestan, Armenien, Vorder-
indien, Polynesien und noch einmal nach Australien und Tasmanien. Weih-
nachten 1903 zog der damals 77jährige zu seiner letzten Forschungsreise aus,
auf der ihn jüngst in Westindien der Tod abrief.

Das waren die Werke, die er zumeist studierte; das waren die Biblio-

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[344/0008] Prof. Ludwig Gumplowicz: Adolf Bastian. welchem unvergänglich nur ein Gedanke lebt: der „Menschheitsgedanke“, der höchste und der einzige, der unserer Betrachtung wert ist. Diesen Ge- danken wies er nach in den sozialen Jnstitutionen aller Völker und Stämme der Erde. Den Aeußerungen desselben in all seinen Verzweigungen und Verästelungen galt sein unermüdliches Forschen seit mehr als einem halben Jahrhundert, wenn wir auch nur die Zeit seit 1851 zählen wollen, als der junge damals 25jährige Schiffsarzt seine erste überseeische Reise ( nach Australien ) antrat. Seither hat er die „Menschheit“, die wirkliche und kon- krete, in all ihren Siedlungen und Schlupfwinkeln aufgesucht; ging von Australien nach Peru, Westindien, Mexiko und Kalifornien; dann wieder nach Asien ( China und Ostindien ) ; durchwanderte die Ruinenstätten Babylons und Ninivehs; besuchte Syrien, Palästina und Ägypten, dann wieder das Kapland und Westafrika. — Was trieb er da allerwegen? Er sagt es uns selbst im Vorwort seines ersten großen Werkes „Der Mensch in der Geschichte“, das er zwei Jahre nach der Rückkehr von seiner ersten Weltreise ( 1860 ) ver- öffentlichte: „Fern von Europa und lange Zeit beschränkt im sprachlichen Verkehr, keimten die hier niedergelegten Jdeen unter Anschauung der mannig- faltigen Verhältnisse, in welchen die Völker auf dem Erdball zusammenleben. Jn der Stille der Wüsten, auf einsamen Bergen, in Zügen über weite Meere, in der erhabenen Natur des Südens reiften sie im Laufe der Jahre empor und schlossen sich zusammen in ein harmonisches Bild.“ Dieses Bild, das er in der weiten Welt draußen erschaute, als er Leben und Treiben der mannigfachsten Völker beobachtete und das ihm seither immer vor Augen schwebte, das ist: der „Völkergedanke“, der „Menschheitsgedanke“. Darunter versteht er die eine, einheitliche, sich immer wesensgleiche Jdee, die allen sozialen Gestaltungen aller Zeiten und Zonen zugrunde liegt, was nachzuweisen die Aufgabe seines Lebens wurde und welchen Nachweis er in einer langen Reihe von Werken durchführte. Jmmer wieder aber, um frisches Material zu sammeln, um für seine Jdeen neue Belege und Begründungen zu finden, um seine Wißbegierde zu befriedigen, seinen Heißhunger nach „Menschheit“ zu stillen, trieb es ihn hinaus in unbekannte Weltteile, um da die Völker und immer neue Völker in ihren entlegensten und dunkelsten Wohnsitzen aufzuspüren und zu belauschen. Kaum hatte er 1860 das oben erwähnte dreibändige Werk herausgegeben, schiffte er sich wieder ein, nach Hinterindien, von wo er nach Japan und China ging, um über die Wüste Gobi und den Ural nach Europa zurückzukehren. Hier ( in Berlin ) begann er nun seine akademische Laufbahn und zugleich seine organisatorische Tätigkeit behufs Gründung der Anthropologischen Gesellschaft, sodann der Afrikanischen Gesellschaft, was in weiterer Folge zur Gründung des Museums für Völkerkunde führte. Mittlerweile besuchte er aber in den 70er Jahren noch Afrika ( Loangoküste ) , Südamerika und nach einem Abstecher nach Persien und Jndien bereiste er dann nochmals Australien, Neuseeland und kehrte über Kalifornien und Yucatan nach Europa zurück. 1889—1891 unternahm er eine größere Reise nach Kaukasien, Turkestan, Armenien, Vorder- indien, Polynesien und noch einmal nach Australien und Tasmanien. Weih- nachten 1903 zog der damals 77jährige zu seiner letzten Forschungsreise aus, auf der ihn jüngst in Westindien der Tod abrief. Das waren die Werke, die er zumeist studierte; das waren die Biblio-

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/8>, abgerufen am 24.11.2024.