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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Dr. Monty Jacobs: Elga.

Der durch die Lektüre meiner Theater=Aufsätze ungeheuer gesteigerte
Scharfsinn der Europa=Leser hat es längst erraten: der Fürst ist kein Fürst,
der Bildhauer kein Bildhauer, das Tonmodell kein Tonmodell. Wir lesen
statt dessen die Namen: Brahm, Hauptmann, Elga. Nur der Ausdruck Fuß-
tritt bleibt noch zu rechtfertigen. Zu diesem Zweck genügt ein Hinweis auf die
Bemerkung, die Gerhart Hauptmann dem Abdruck seiner dramatischen Studie
voranschickt. "Der Autor entschließt sich, sie zu veröffentlichen, weil er irgend
eine Weiterbildung des Vorhandenen nicht beabsichtigt." Deutlicher kann der
skizzenhafte Charakter des Ganzen, wie die geringe Vorliebe des Schöpfers für
diesen Versuch nicht gekennzeichnet werden. Entwürfe aber sind dazu da, ent-
weder durchgefeilt oder aus dem Nachlaß, mit Anmerkungen, herausgegeben zu
werden. Nicht zur Aufführung.

Die Entstehungsgeschichte der "Elga" liegt klar zu Tage. Hauptmann
kehrt nach der jämmerlichen Blamage, die das erste Florian Geyer=Publikum
sich selbst bereitet hat, heim. Jn deprimierter Stimmung scheut er sich, seine
Pläne fortzusetzen. Da treibt ihm der Zufall Grillparzers Erzählung: "Das
Kloster bei Sendomir" in die Hand. Eine Situation reizt ihn zur Drama-
tisierung. Ohne viel davon zu erwarten, geht er der willkommenen Ablenkung
nach. Jn drei Tagen -- er bezeugt es selbst -- entsteht die Traumdichtung
"Elga". Ein Lückenbüßer, nichts anderes.

Für den Philologen bedeutet diese Schöpfung einen wahren Leckerbissen.
Nichts kann ihm amüsanter sein als die Beobachtung, wie sich einem Dramatiker
vom Range Gerhart Hauptmanns ein Stoff unter den Fingern formt. Der
Schleier des Schaffens = Mysteriums lüftet sich. Jn der Novelle haben wir
das Schwungrad leibhaft in Händen, das die gestaltende Phantasie in Bewegung
setzt. Ruck für Ruck verfolgen wir den Werdegang, den uns sonst die letzte
Durcharbeitung behutsam verhüllt. Zunächst hält sich der Bearbeiter im Banne
des Überkommenen. Rede und Gegenrede wird sogar wörtlich beibehalten.
Allmählich aber weicht die Suggestion, das freie Spiel der Phantasie setzt ein,
neue Motive tauchen auf, die alten werden erst zaghaft, dann immer energischer
umgebogen. Grillparzer bietet eine Ehebruchsgeschichte aus polnischer Vorzeit
in grellen Farben und doch -- der köstlichen Spielmannsnovelle keineswegs
ebenbürtig -- in einer fast gesuchten, nüchternen Kälte durchgeführt. Ein un-
heimliches Nocturno, in Hoffmanns Weise, umrahmt das Ganze: ein halbirrer
Mönch ist Erzähler und Hauptgestalt in einer Person. Aus der Rahmen-
erzählung wird, ein allzu bequemer Ausweg, ein Bühnentraum. Auch die
Fabel bleibt so gut wie unverändert: Graf Starschensky wird von seiner ver-
götterten Frau Elga mit ihrem Vetter Oginski betrogen. Die Wachsamkeit
eines getreuen Kastellans und der Zufall verraten dem Arglosen mit über-
rumpelnder Plötzlichkeit sein Geschick. Er lockt den Nebenbuhler aufs Schloß,
nimmt blutige Rache und büßt als Mönch seine Selbsthülfe.

Es ist, für den stillen Leser, eine Freude, zu beobachten, wie im Drama
die unpersönliche Kälte zu weichen beginnt, wie immer neue Säfte quellen,
wie das Tote Leben, das Dunkle Licht gewinnt, wie jeder Auftretende ein
eigenes Gesicht bekommt. Eine neu eingeführte Person, des Grafen Mutter,
bleibt freilich noch im Schatten. Aber Elga selbst wird von neuem Licht er-
hellt. Jhre Herkunft erklärt ihre Art. Die leichtblütige Weise ihres väter-
lichen Geschlechts, "immer bereit, alles aufs Spiel zu setzen", tritt dem schwer-

Dr. Monty Jacobs: Elga.

Der durch die Lektüre meiner Theater=Aufsätze ungeheuer gesteigerte
Scharfsinn der Europa=Leser hat es längst erraten: der Fürst ist kein Fürst,
der Bildhauer kein Bildhauer, das Tonmodell kein Tonmodell. Wir lesen
statt dessen die Namen: Brahm, Hauptmann, Elga. Nur der Ausdruck Fuß-
tritt bleibt noch zu rechtfertigen. Zu diesem Zweck genügt ein Hinweis auf die
Bemerkung, die Gerhart Hauptmann dem Abdruck seiner dramatischen Studie
voranschickt. „Der Autor entschließt sich, sie zu veröffentlichen, weil er irgend
eine Weiterbildung des Vorhandenen nicht beabsichtigt.“ Deutlicher kann der
skizzenhafte Charakter des Ganzen, wie die geringe Vorliebe des Schöpfers für
diesen Versuch nicht gekennzeichnet werden. Entwürfe aber sind dazu da, ent-
weder durchgefeilt oder aus dem Nachlaß, mit Anmerkungen, herausgegeben zu
werden. Nicht zur Aufführung.

Die Entstehungsgeschichte der „Elga“ liegt klar zu Tage. Hauptmann
kehrt nach der jämmerlichen Blamage, die das erste Florian Geyer=Publikum
sich selbst bereitet hat, heim. Jn deprimierter Stimmung scheut er sich, seine
Pläne fortzusetzen. Da treibt ihm der Zufall Grillparzers Erzählung: „Das
Kloster bei Sendomir“ in die Hand. Eine Situation reizt ihn zur Drama-
tisierung. Ohne viel davon zu erwarten, geht er der willkommenen Ablenkung
nach. Jn drei Tagen — er bezeugt es selbst — entsteht die Traumdichtung
„Elga“. Ein Lückenbüßer, nichts anderes.

Für den Philologen bedeutet diese Schöpfung einen wahren Leckerbissen.
Nichts kann ihm amüsanter sein als die Beobachtung, wie sich einem Dramatiker
vom Range Gerhart Hauptmanns ein Stoff unter den Fingern formt. Der
Schleier des Schaffens = Mysteriums lüftet sich. Jn der Novelle haben wir
das Schwungrad leibhaft in Händen, das die gestaltende Phantasie in Bewegung
setzt. Ruck für Ruck verfolgen wir den Werdegang, den uns sonst die letzte
Durcharbeitung behutsam verhüllt. Zunächst hält sich der Bearbeiter im Banne
des Überkommenen. Rede und Gegenrede wird sogar wörtlich beibehalten.
Allmählich aber weicht die Suggestion, das freie Spiel der Phantasie setzt ein,
neue Motive tauchen auf, die alten werden erst zaghaft, dann immer energischer
umgebogen. Grillparzer bietet eine Ehebruchsgeschichte aus polnischer Vorzeit
in grellen Farben und doch — der köstlichen Spielmannsnovelle keineswegs
ebenbürtig — in einer fast gesuchten, nüchternen Kälte durchgeführt. Ein un-
heimliches Nocturno, in Hoffmanns Weise, umrahmt das Ganze: ein halbirrer
Mönch ist Erzähler und Hauptgestalt in einer Person. Aus der Rahmen-
erzählung wird, ein allzu bequemer Ausweg, ein Bühnentraum. Auch die
Fabel bleibt so gut wie unverändert: Graf Starschensky wird von seiner ver-
götterten Frau Elga mit ihrem Vetter Oginski betrogen. Die Wachsamkeit
eines getreuen Kastellans und der Zufall verraten dem Arglosen mit über-
rumpelnder Plötzlichkeit sein Geschick. Er lockt den Nebenbuhler aufs Schloß,
nimmt blutige Rache und büßt als Mönch seine Selbsthülfe.

Es ist, für den stillen Leser, eine Freude, zu beobachten, wie im Drama
die unpersönliche Kälte zu weichen beginnt, wie immer neue Säfte quellen,
wie das Tote Leben, das Dunkle Licht gewinnt, wie jeder Auftretende ein
eigenes Gesicht bekommt. Eine neu eingeführte Person, des Grafen Mutter,
bleibt freilich noch im Schatten. Aber Elga selbst wird von neuem Licht er-
hellt. Jhre Herkunft erklärt ihre Art. Die leichtblütige Weise ihres väter-
lichen Geschlechts, „immer bereit, alles aufs Spiel zu setzen“, tritt dem schwer-

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[379/0043] Dr. Monty Jacobs: Elga. Der durch die Lektüre meiner Theater=Aufsätze ungeheuer gesteigerte Scharfsinn der Europa=Leser hat es längst erraten: der Fürst ist kein Fürst, der Bildhauer kein Bildhauer, das Tonmodell kein Tonmodell. Wir lesen statt dessen die Namen: Brahm, Hauptmann, Elga. Nur der Ausdruck Fuß- tritt bleibt noch zu rechtfertigen. Zu diesem Zweck genügt ein Hinweis auf die Bemerkung, die Gerhart Hauptmann dem Abdruck seiner dramatischen Studie voranschickt. „Der Autor entschließt sich, sie zu veröffentlichen, weil er irgend eine Weiterbildung des Vorhandenen nicht beabsichtigt.“ Deutlicher kann der skizzenhafte Charakter des Ganzen, wie die geringe Vorliebe des Schöpfers für diesen Versuch nicht gekennzeichnet werden. Entwürfe aber sind dazu da, ent- weder durchgefeilt oder aus dem Nachlaß, mit Anmerkungen, herausgegeben zu werden. Nicht zur Aufführung. Die Entstehungsgeschichte der „Elga“ liegt klar zu Tage. Hauptmann kehrt nach der jämmerlichen Blamage, die das erste Florian Geyer=Publikum sich selbst bereitet hat, heim. Jn deprimierter Stimmung scheut er sich, seine Pläne fortzusetzen. Da treibt ihm der Zufall Grillparzers Erzählung: „Das Kloster bei Sendomir“ in die Hand. Eine Situation reizt ihn zur Drama- tisierung. Ohne viel davon zu erwarten, geht er der willkommenen Ablenkung nach. Jn drei Tagen — er bezeugt es selbst — entsteht die Traumdichtung „Elga“. Ein Lückenbüßer, nichts anderes. Für den Philologen bedeutet diese Schöpfung einen wahren Leckerbissen. Nichts kann ihm amüsanter sein als die Beobachtung, wie sich einem Dramatiker vom Range Gerhart Hauptmanns ein Stoff unter den Fingern formt. Der Schleier des Schaffens = Mysteriums lüftet sich. Jn der Novelle haben wir das Schwungrad leibhaft in Händen, das die gestaltende Phantasie in Bewegung setzt. Ruck für Ruck verfolgen wir den Werdegang, den uns sonst die letzte Durcharbeitung behutsam verhüllt. Zunächst hält sich der Bearbeiter im Banne des Überkommenen. Rede und Gegenrede wird sogar wörtlich beibehalten. Allmählich aber weicht die Suggestion, das freie Spiel der Phantasie setzt ein, neue Motive tauchen auf, die alten werden erst zaghaft, dann immer energischer umgebogen. Grillparzer bietet eine Ehebruchsgeschichte aus polnischer Vorzeit in grellen Farben und doch — der köstlichen Spielmannsnovelle keineswegs ebenbürtig — in einer fast gesuchten, nüchternen Kälte durchgeführt. Ein un- heimliches Nocturno, in Hoffmanns Weise, umrahmt das Ganze: ein halbirrer Mönch ist Erzähler und Hauptgestalt in einer Person. Aus der Rahmen- erzählung wird, ein allzu bequemer Ausweg, ein Bühnentraum. Auch die Fabel bleibt so gut wie unverändert: Graf Starschensky wird von seiner ver- götterten Frau Elga mit ihrem Vetter Oginski betrogen. Die Wachsamkeit eines getreuen Kastellans und der Zufall verraten dem Arglosen mit über- rumpelnder Plötzlichkeit sein Geschick. Er lockt den Nebenbuhler aufs Schloß, nimmt blutige Rache und büßt als Mönch seine Selbsthülfe. Es ist, für den stillen Leser, eine Freude, zu beobachten, wie im Drama die unpersönliche Kälte zu weichen beginnt, wie immer neue Säfte quellen, wie das Tote Leben, das Dunkle Licht gewinnt, wie jeder Auftretende ein eigenes Gesicht bekommt. Eine neu eingeführte Person, des Grafen Mutter, bleibt freilich noch im Schatten. Aber Elga selbst wird von neuem Licht er- hellt. Jhre Herkunft erklärt ihre Art. Die leichtblütige Weise ihres väter- lichen Geschlechts, „immer bereit, alles aufs Spiel zu setzen“, tritt dem schwer-

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/43>, abgerufen am 24.11.2024.