Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.Dr. A. Kalthoff: Der Intellekt in der Religion. nalen Theologie, so daß es eine Unmöglichkeit wird, hinter sie zurückzugehen.Jeder Versuch, mit der Absurdität des Kirchenglaubens wieder von vorn zu beginnen, um das schöpferische Element der Religion zu retten, würde nur den schon einmal durchlebten Kreislauf von vorn beginnen und die Notwendigkeit einer rationalistischen Zersetzungsarbeit von neuem herausfordern. Ueberblicken wir nun diese ganze kirchliche Theologie, von ihren ersten, Dann greift der erstarkende Jntellekt ordnend und gestaltend in diese Die katholische Kirche hat das ekstatische Element der Religion keines- Dr. A. Kalthoff: Der Intellekt in der Religion. nalen Theologie, so daß es eine Unmöglichkeit wird, hinter sie zurückzugehen.Jeder Versuch, mit der Absurdität des Kirchenglaubens wieder von vorn zu beginnen, um das schöpferische Element der Religion zu retten, würde nur den schon einmal durchlebten Kreislauf von vorn beginnen und die Notwendigkeit einer rationalistischen Zersetzungsarbeit von neuem herausfordern. Ueberblicken wir nun diese ganze kirchliche Theologie, von ihren ersten, Dann greift der erstarkende Jntellekt ordnend und gestaltend in diese Die katholische Kirche hat das ekstatische Element der Religion keines- <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="356"/><fw type="header" place="top">Dr. A. Kalthoff: Der Intellekt in der Religion.</fw><lb/> nalen Theologie, so daß es eine Unmöglichkeit wird, hinter sie zurückzugehen.<lb/> Jeder Versuch, mit der Absurdität des Kirchenglaubens wieder von vorn zu<lb/> beginnen, um das schöpferische Element der Religion zu retten, würde nur den<lb/> schon einmal durchlebten Kreislauf von vorn beginnen und die Notwendigkeit<lb/> einer rationalistischen Zersetzungsarbeit von neuem herausfordern.</p><lb/> <p>Ueberblicken wir nun diese ganze kirchliche Theologie, von ihren ersten,<lb/> irrationalsten Glaubenssätzen, von ihrer scharfen, bewußten Antithese gegen das<lb/> ganze menschliche Vernunftleben bis zu den Versuchen, sie völlig dem Jntellekt<lb/> zu unterwerfen und in die Formen des logischen Denkens zu bannen, so er-<lb/> scheint sie zugleich als der relative Abschluß einer viel älteren Entwicklungs-<lb/> reihe, die mit ihren Ursprüngen in die ältesten Zeiten der Religion zurückreicht.<lb/> — Wir finden in den Ursprüngen aller ausgeprägten Religionen das Element<lb/> der Ekstase, ja die Religion selbst erscheint als ein Mittel, ekstatische Zustände<lb/> zu schaffen. Jn der Ekstase empfindet der Mensch ein gesteigertes Leben und<lb/> das gesteigerte Leben erscheint einem primitiven Jntellekt als ein zweites, höheres,<lb/> in das eigene, niedere hineingegossene Leben. So wird nun das Opfermahl<lb/> ein Mitel, um in der künstlichen Ekstase, dem Rausche, sich dieses zweiten Lebens<lb/> teilhaftig zu machen. Bei den Jndern ist es Gott Soma, dem im Somatrank<lb/> die Rauschopfer dargebracht werden. Bei den Griechen ist Dionysos der Rausch-<lb/> gott, dessen Kultus verzückte Scharen im heiligen Bachanal begehen. Aber auch<lb/> bei den alten Hebräern findet sich die orgiastische Feier, das auf den Höhen<lb/> gehaltene Opfermahl, von dem die Beteiligten mit Musik und Tanz heim-<lb/> kehren, mit ihrer lauten Schwärmerei jeden, der in ihren Bannkreis gerät,<lb/> ansteckend.</p><lb/> <p>Dann greift der erstarkende Jntellekt ordnend und gestaltend in diese<lb/> zu künstlichem Wahnsinn gesteigerte Erregung des Gemüts, mit Nietzsche zu<lb/> reden: der Traumgott verbrüdert sich dem Rauschgott, apollinische Gestaltungs-<lb/> kraft bildet und verklärt dionysisches Leben. Bei den Griechen ist es der philo-<lb/> sophische, bei den Hebräern der ethische Jntellekt, dem schließlich die wilde<lb/> Ekstase sich unterordnen muß. Was die Vernunft und Natur im Menschen-<lb/> leben in sich aufnimmt, was sie davon begreift und ergreift als ihre natürliche<lb/> und sittliche Welt, das bringt in das überschäumende Gähren des gesteigerten<lb/> Lebensdranges Maß und Ziel, es macht aus den Einen Künstler, Philosophen,<lb/> Staatsmänner, aus den Andern Propheten, visionäre Prediger einer sittlichen,<lb/> einer sozialen und menschheitlichen Kultur. So wird das Jrrationale der Religion<lb/> durch den Jntellekt vergeistigt, versittlicht, bis es zuletzt der Kirche gelingt,<lb/> die Ekstase zu organisieren, ihr in dem kirchlichen Glauben eine überirdische,<lb/> jenseitige Richtung zu geben, sie damit für die Erde unschädlich, aber auch un-<lb/> wirksam zu machen.</p><lb/> <p>Die katholische Kirche hat das ekstatische Element der Religion keines-<lb/> wegs völlig ausgeschieden. Sie hat es nur unter ihre bewußte oberhirtliche<lb/> Leitung genommen und dadurch auf das Ziel ihrer eigenen Göttlichkeit und<lb/> Absolutheit abgestellt. Der kirchliche Kultus mit seinen den eleusinischen<lb/> Mysterien entnommenen Lebensfeiern ist ja durchaus auf die innere Verzückung<lb/> der Seele abgelegt, wogegen im kirchlichen Dogma die prophetische Ekstase, die<lb/> noch im Zeitalter des Neuen Testaments in den christlichen Gemeinden weit<lb/> verbreitet war, rationalisiert und durch das kirchliche Jenseitigkeitslicht ge-<lb/> dämpft erscheint.</p> </div> </body> </text> </TEI> [356/0020]
Dr. A. Kalthoff: Der Intellekt in der Religion.
nalen Theologie, so daß es eine Unmöglichkeit wird, hinter sie zurückzugehen.
Jeder Versuch, mit der Absurdität des Kirchenglaubens wieder von vorn zu
beginnen, um das schöpferische Element der Religion zu retten, würde nur den
schon einmal durchlebten Kreislauf von vorn beginnen und die Notwendigkeit
einer rationalistischen Zersetzungsarbeit von neuem herausfordern.
Ueberblicken wir nun diese ganze kirchliche Theologie, von ihren ersten,
irrationalsten Glaubenssätzen, von ihrer scharfen, bewußten Antithese gegen das
ganze menschliche Vernunftleben bis zu den Versuchen, sie völlig dem Jntellekt
zu unterwerfen und in die Formen des logischen Denkens zu bannen, so er-
scheint sie zugleich als der relative Abschluß einer viel älteren Entwicklungs-
reihe, die mit ihren Ursprüngen in die ältesten Zeiten der Religion zurückreicht.
— Wir finden in den Ursprüngen aller ausgeprägten Religionen das Element
der Ekstase, ja die Religion selbst erscheint als ein Mittel, ekstatische Zustände
zu schaffen. Jn der Ekstase empfindet der Mensch ein gesteigertes Leben und
das gesteigerte Leben erscheint einem primitiven Jntellekt als ein zweites, höheres,
in das eigene, niedere hineingegossene Leben. So wird nun das Opfermahl
ein Mitel, um in der künstlichen Ekstase, dem Rausche, sich dieses zweiten Lebens
teilhaftig zu machen. Bei den Jndern ist es Gott Soma, dem im Somatrank
die Rauschopfer dargebracht werden. Bei den Griechen ist Dionysos der Rausch-
gott, dessen Kultus verzückte Scharen im heiligen Bachanal begehen. Aber auch
bei den alten Hebräern findet sich die orgiastische Feier, das auf den Höhen
gehaltene Opfermahl, von dem die Beteiligten mit Musik und Tanz heim-
kehren, mit ihrer lauten Schwärmerei jeden, der in ihren Bannkreis gerät,
ansteckend.
Dann greift der erstarkende Jntellekt ordnend und gestaltend in diese
zu künstlichem Wahnsinn gesteigerte Erregung des Gemüts, mit Nietzsche zu
reden: der Traumgott verbrüdert sich dem Rauschgott, apollinische Gestaltungs-
kraft bildet und verklärt dionysisches Leben. Bei den Griechen ist es der philo-
sophische, bei den Hebräern der ethische Jntellekt, dem schließlich die wilde
Ekstase sich unterordnen muß. Was die Vernunft und Natur im Menschen-
leben in sich aufnimmt, was sie davon begreift und ergreift als ihre natürliche
und sittliche Welt, das bringt in das überschäumende Gähren des gesteigerten
Lebensdranges Maß und Ziel, es macht aus den Einen Künstler, Philosophen,
Staatsmänner, aus den Andern Propheten, visionäre Prediger einer sittlichen,
einer sozialen und menschheitlichen Kultur. So wird das Jrrationale der Religion
durch den Jntellekt vergeistigt, versittlicht, bis es zuletzt der Kirche gelingt,
die Ekstase zu organisieren, ihr in dem kirchlichen Glauben eine überirdische,
jenseitige Richtung zu geben, sie damit für die Erde unschädlich, aber auch un-
wirksam zu machen.
Die katholische Kirche hat das ekstatische Element der Religion keines-
wegs völlig ausgeschieden. Sie hat es nur unter ihre bewußte oberhirtliche
Leitung genommen und dadurch auf das Ziel ihrer eigenen Göttlichkeit und
Absolutheit abgestellt. Der kirchliche Kultus mit seinen den eleusinischen
Mysterien entnommenen Lebensfeiern ist ja durchaus auf die innere Verzückung
der Seele abgelegt, wogegen im kirchlichen Dogma die prophetische Ekstase, die
noch im Zeitalter des Neuen Testaments in den christlichen Gemeinden weit
verbreitet war, rationalisiert und durch das kirchliche Jenseitigkeitslicht ge-
dämpft erscheint.
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Zitationshilfe: | Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/20>, abgerufen am 26.06.2024. |