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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Prof. Ludwig Gumplowicz: Adolf Bastian.
wortung widmen konnte, das verdankt sie Adolf Bastian. Darin liegt seine
bahnbrechende Bedeutung auch für die Soziologie, wie das auch der unlängst
verstorbene österreichische Soziologe Gustav Ratzenhofer in seinen Werken
vielfach anerkannt hat.

Das Phänomenale aber an Bastian ist neben riesiger Büchergelehrsamkeit
die kolossale Fülle von Tatsachen der Ethnologie, die er uns vermittelt, und
die er wie eine nie enden wollende Perlenschnur auf einen Faden, den " Mensch-
heitsgedanken ", aufreiht und in Verbindung bringt; dabei ist er von einer noch
nie dagewesenen wissenschaftlichen Vielseitigkeit, welche es ihm, dem Arzt
und Ethnologen, ermöglicht, in seinem Werke: "Die Rechtsverhältnisse bei
verschiedenen Völkern der Erde" ( 1872 ) -- den Juristen aller Zeiten eine
Fundgrube zur Kenntnis ihres Wissensgebietes zu schaffen. Was Bastian
auf diesen verschiedenen Gebieten geleistet hat, das liegt wohl in zahlreichen
Büchern und Zeitschriften vor uns, aber das kennen wir noch nicht; das wird
in seinem ganzen Umfange und in seiner Tiefe erst erschlossen werden müssen.

Als ich vor 22 Jahren in meinem "Rassenkampf" die Behauptung auf-
stellte, daß der menschliche Jntellekt in historischen Zeiten qualitativ sich
gleich blieb und keine merkliche Vervollkommnung aufweise, da der Urmensch,
der die erste Schleuder erfand, ganz ebenso ein Genie war, wie ein moderner
Edison, nur daß jenem die unzähligen seither gemachten Erfindungen un-
bekannt waren, er also nicht auf den Schultern unzähliger Vorgänger stand:
begegnete diese Behauptung vielseitiger Anfechtung. Die Gegengründe nun,
die man mir gegenüber anführte, haben mich von meinem Unrecht nicht über-
zeugen können. Aber, daß ich es nur gestehe: ein einziger störte meine Kreise
und machte mich an der Richtigkeit meiner Behauptung irre, und das war
Bastian; er selbst, sein Gehirn, schien mir das wichtigste Argument gegen
meine Behauptung. Denn das mußte ich mir doch sagen, daß ein Gehirn
mit einem solchen geistigen Fassungsraum, welches eine solche kolossale Fülle
von Wissen festhalten konnte, noch nie existiert hat. Und da kam mir im
stillen Kämmerlein oft der Gedanke, ob da nicht der Natur das erste Mal ein
Meisterstück gelungen ist, das sie vielleicht in der Zukunft öfters zu wieder-
holen versucht sein wird, bis nach Jahrmillionen die menschlichen Gehirne
diesem Vorbild näher kommen werden; ob Bastian nicht vielleicht ein Vorläufer
eines künftigen vollkommenen Menschentypus sei? wo dann meine leicht-
fertige Behauptung widerlegt wäre? Nun, ich will diesen Gedanken nicht ab-
weisen, weil er gar zu schön und erhebend ist.

Man denke nur an die Vielsprachigkeit Bastians und an die Leichtigkeit,
mit der er sich mit den verschiedensten Naturvölkern aller Weltteile verstän-
digte! Wenn nur der minimalste Teil dieser Sprachfähigkeit den öster-
reichischen Staatsbürgern einst zuteil würde: dann gäbe es in Österreich keine
Sprachenfrage und keinen Nationalitätenhader. Jst es nicht ein verlockender
Gedanke, Bastian auch in dieser Beziehung als Vorbild eines künftigen Men-
schentypus zu feiern? Er selbst mit seiner, über alle nationale Beschränkung
hoch erhabenen Vorurteilslosigkeit, hätte gewiß nichts dagegen. --



Prof. Ludwig Gumplowicz: Adolf Bastian.
wortung widmen konnte, das verdankt sie Adolf Bastian. Darin liegt seine
bahnbrechende Bedeutung auch für die Soziologie, wie das auch der unlängst
verstorbene österreichische Soziologe Gustav Ratzenhofer in seinen Werken
vielfach anerkannt hat.

Das Phänomenale aber an Bastian ist neben riesiger Büchergelehrsamkeit
die kolossale Fülle von Tatsachen der Ethnologie, die er uns vermittelt, und
die er wie eine nie enden wollende Perlenschnur auf einen Faden, den „ Mensch-
heitsgedanken “, aufreiht und in Verbindung bringt; dabei ist er von einer noch
nie dagewesenen wissenschaftlichen Vielseitigkeit, welche es ihm, dem Arzt
und Ethnologen, ermöglicht, in seinem Werke: „Die Rechtsverhältnisse bei
verschiedenen Völkern der Erde“ ( 1872 ) — den Juristen aller Zeiten eine
Fundgrube zur Kenntnis ihres Wissensgebietes zu schaffen. Was Bastian
auf diesen verschiedenen Gebieten geleistet hat, das liegt wohl in zahlreichen
Büchern und Zeitschriften vor uns, aber das kennen wir noch nicht; das wird
in seinem ganzen Umfange und in seiner Tiefe erst erschlossen werden müssen.

Als ich vor 22 Jahren in meinem „Rassenkampf“ die Behauptung auf-
stellte, daß der menschliche Jntellekt in historischen Zeiten qualitativ sich
gleich blieb und keine merkliche Vervollkommnung aufweise, da der Urmensch,
der die erste Schleuder erfand, ganz ebenso ein Genie war, wie ein moderner
Edison, nur daß jenem die unzähligen seither gemachten Erfindungen un-
bekannt waren, er also nicht auf den Schultern unzähliger Vorgänger stand:
begegnete diese Behauptung vielseitiger Anfechtung. Die Gegengründe nun,
die man mir gegenüber anführte, haben mich von meinem Unrecht nicht über-
zeugen können. Aber, daß ich es nur gestehe: ein einziger störte meine Kreise
und machte mich an der Richtigkeit meiner Behauptung irre, und das war
Bastian; er selbst, sein Gehirn, schien mir das wichtigste Argument gegen
meine Behauptung. Denn das mußte ich mir doch sagen, daß ein Gehirn
mit einem solchen geistigen Fassungsraum, welches eine solche kolossale Fülle
von Wissen festhalten konnte, noch nie existiert hat. Und da kam mir im
stillen Kämmerlein oft der Gedanke, ob da nicht der Natur das erste Mal ein
Meisterstück gelungen ist, das sie vielleicht in der Zukunft öfters zu wieder-
holen versucht sein wird, bis nach Jahrmillionen die menschlichen Gehirne
diesem Vorbild näher kommen werden; ob Bastian nicht vielleicht ein Vorläufer
eines künftigen vollkommenen Menschentypus sei? wo dann meine leicht-
fertige Behauptung widerlegt wäre? Nun, ich will diesen Gedanken nicht ab-
weisen, weil er gar zu schön und erhebend ist.

Man denke nur an die Vielsprachigkeit Bastians und an die Leichtigkeit,
mit der er sich mit den verschiedensten Naturvölkern aller Weltteile verstän-
digte! Wenn nur der minimalste Teil dieser Sprachfähigkeit den öster-
reichischen Staatsbürgern einst zuteil würde: dann gäbe es in Österreich keine
Sprachenfrage und keinen Nationalitätenhader. Jst es nicht ein verlockender
Gedanke, Bastian auch in dieser Beziehung als Vorbild eines künftigen Men-
schentypus zu feiern? Er selbst mit seiner, über alle nationale Beschränkung
hoch erhabenen Vorurteilslosigkeit, hätte gewiß nichts dagegen. —



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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/10>, abgerufen am 24.11.2024.