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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Vereitelter Landarbeitertrutz in Preussen.
Von Max Schippel, M. d. R., Berlin.

Der preußische Gesetzentwurf gegen die Landarbeiter hat ein wenig ruhm-
volles Ende gefunden. Sang= und klanglos ist er in einer Kommission stecken
geblieben. Die Regierung -- die preußische Regierung -- will auf ihn erst
nach weiteren Erwägungen und Untersuchungen zurückkommen. Wir werden
seinesgleichen wohl nicht wiedersehn....

Denn als Monstrum kam er schon zur Welt. "Er ist schwer zu ver-
stehen ", meinte kopfschüttelnd der oberste Hüter der Reichsjustiz, Dr. Nieberding,
als eine sozialdemokratische Jnterpellation die schreiende Mißgeburt vor das
Forum des Reichstages brachte. Entschuldigend jedoch fügte der Staatssekretär
hinzu, daß ein Kind immer nur in Zusammenhang mit den Absichten der Väter
zu bewerten sei, ferner auf Grund der Reden, die seine Geburt begleiten; und
nach diesen Absichten sowie Reden erscheine allerdings manches Unbegreifliche
verständlich: wenn der Entwurf "noch einer Umarbeitung" unterzogen werde,
so könne man nicht sagen, daß "die Grenzen zwischen dem Reichsrecht und
dem Landesrecht, zwischen der Kompetenz der Reichsgesetzgebung und der Landes-
gesetzgebnng " verletzt sei. Als ob dieser salomonischen Sprechweisheit ein all-
gemeines hem! hem!, halb spöttisch, halb ärgerlich, durch den Saal ging, wieder-
holte der Vertreter der Reichsregierung nochmals mit unerschüttertem Ernste:
"Es gelingt ja auch uns manchmal der eine Gesetzentwurf weniger gut als
der andere; man ist dann bereit, wenn man das einsieht, zu ändern, und ich
sehe nicht ein, warum es bei Jhnen Verwunderung erregt, wenn ich das in
einem Einzelfalle konstatiere."

Jn der Tat, der Entwurf konnte schlechter kaum sein, so kurz er auch
war. Er bedrohte nämlich mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft:

1. wer Dienstboten ( Gesinde ) oder landwirtschaftliche Arbeiter, von denen
er weiß oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen
muß,
daß sie einem anderen Arbeitgeber zur landwirtschaftlichen
Arbeit oder zum Gesindedienst noch verpflichtet sind, in Dienst
nimmt,

2. wer in gewinnsüchtiger Absicht für die unter 1 bezeichneten Arbeit-
nehmer ein neues Dienstverhältnis vermittelt, obwohl er weiß oder
bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen muß, daß sie einem
anderen Arbeitgeber zur landwirtschaftlichen Arbeit oder zum Gesinde-
dienst noch verpflichtet sind,

3. wer die unter 1 bezeichneten Arbeitnehmer verleitet oder zu verleiten
unternimmt, widerrechtlich den Dienst nicht anzutreten oder zu verlassen.

Das klingt wie ein allgemeines Einschreiten gegen jedes vorzeitige Ver-
lassen der ländlichen Arbeit -- wobei zunächst statt des Lasttieres immer der


[Abbildung]
Vereitelter Landarbeitertrutz in Preussen.
Von Max Schippel, M. d. R., Berlin.

Der preußische Gesetzentwurf gegen die Landarbeiter hat ein wenig ruhm-
volles Ende gefunden. Sang= und klanglos ist er in einer Kommission stecken
geblieben. Die Regierung — die preußische Regierung — will auf ihn erst
nach weiteren Erwägungen und Untersuchungen zurückkommen. Wir werden
seinesgleichen wohl nicht wiedersehn....

Denn als Monstrum kam er schon zur Welt. „Er ist schwer zu ver-
stehen “, meinte kopfschüttelnd der oberste Hüter der Reichsjustiz, Dr. Nieberding,
als eine sozialdemokratische Jnterpellation die schreiende Mißgeburt vor das
Forum des Reichstages brachte. Entschuldigend jedoch fügte der Staatssekretär
hinzu, daß ein Kind immer nur in Zusammenhang mit den Absichten der Väter
zu bewerten sei, ferner auf Grund der Reden, die seine Geburt begleiten; und
nach diesen Absichten sowie Reden erscheine allerdings manches Unbegreifliche
verständlich: wenn der Entwurf „noch einer Umarbeitung“ unterzogen werde,
so könne man nicht sagen, daß „die Grenzen zwischen dem Reichsrecht und
dem Landesrecht, zwischen der Kompetenz der Reichsgesetzgebung und der Landes-
gesetzgebnng “ verletzt sei. Als ob dieser salomonischen Sprechweisheit ein all-
gemeines hem! hem!, halb spöttisch, halb ärgerlich, durch den Saal ging, wieder-
holte der Vertreter der Reichsregierung nochmals mit unerschüttertem Ernste:
„Es gelingt ja auch uns manchmal der eine Gesetzentwurf weniger gut als
der andere; man ist dann bereit, wenn man das einsieht, zu ändern, und ich
sehe nicht ein, warum es bei Jhnen Verwunderung erregt, wenn ich das in
einem Einzelfalle konstatiere.“

Jn der Tat, der Entwurf konnte schlechter kaum sein, so kurz er auch
war. Er bedrohte nämlich mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft:

1. wer Dienstboten ( Gesinde ) oder landwirtschaftliche Arbeiter, von denen
er weiß oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen
muß,
daß sie einem anderen Arbeitgeber zur landwirtschaftlichen
Arbeit oder zum Gesindedienst noch verpflichtet sind, in Dienst
nimmt,

2. wer in gewinnsüchtiger Absicht für die unter 1 bezeichneten Arbeit-
nehmer ein neues Dienstverhältnis vermittelt, obwohl er weiß oder
bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen muß, daß sie einem
anderen Arbeitgeber zur landwirtschaftlichen Arbeit oder zum Gesinde-
dienst noch verpflichtet sind,

3. wer die unter 1 bezeichneten Arbeitnehmer verleitet oder zu verleiten
unternimmt, widerrechtlich den Dienst nicht anzutreten oder zu verlassen.

Das klingt wie ein allgemeines Einschreiten gegen jedes vorzeitige Ver-
lassen der ländlichen Arbeit — wobei zunächst statt des Lasttieres immer der

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[258/0018] [Abbildung] Vereitelter Landarbeitertrutz in Preussen. Von Max Schippel, M. d. R., Berlin. Der preußische Gesetzentwurf gegen die Landarbeiter hat ein wenig ruhm- volles Ende gefunden. Sang= und klanglos ist er in einer Kommission stecken geblieben. Die Regierung — die preußische Regierung — will auf ihn erst nach weiteren Erwägungen und Untersuchungen zurückkommen. Wir werden seinesgleichen wohl nicht wiedersehn.... Denn als Monstrum kam er schon zur Welt. „Er ist schwer zu ver- stehen “, meinte kopfschüttelnd der oberste Hüter der Reichsjustiz, Dr. Nieberding, als eine sozialdemokratische Jnterpellation die schreiende Mißgeburt vor das Forum des Reichstages brachte. Entschuldigend jedoch fügte der Staatssekretär hinzu, daß ein Kind immer nur in Zusammenhang mit den Absichten der Väter zu bewerten sei, ferner auf Grund der Reden, die seine Geburt begleiten; und nach diesen Absichten sowie Reden erscheine allerdings manches Unbegreifliche verständlich: wenn der Entwurf „noch einer Umarbeitung“ unterzogen werde, so könne man nicht sagen, daß „die Grenzen zwischen dem Reichsrecht und dem Landesrecht, zwischen der Kompetenz der Reichsgesetzgebung und der Landes- gesetzgebnng “ verletzt sei. Als ob dieser salomonischen Sprechweisheit ein all- gemeines hem! hem!, halb spöttisch, halb ärgerlich, durch den Saal ging, wieder- holte der Vertreter der Reichsregierung nochmals mit unerschüttertem Ernste: „Es gelingt ja auch uns manchmal der eine Gesetzentwurf weniger gut als der andere; man ist dann bereit, wenn man das einsieht, zu ändern, und ich sehe nicht ein, warum es bei Jhnen Verwunderung erregt, wenn ich das in einem Einzelfalle konstatiere.“ Jn der Tat, der Entwurf konnte schlechter kaum sein, so kurz er auch war. Er bedrohte nämlich mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft: 1. wer Dienstboten ( Gesinde ) oder landwirtschaftliche Arbeiter, von denen er weiß oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen muß, daß sie einem anderen Arbeitgeber zur landwirtschaftlichen Arbeit oder zum Gesindedienst noch verpflichtet sind, in Dienst nimmt, 2. wer in gewinnsüchtiger Absicht für die unter 1 bezeichneten Arbeit- nehmer ein neues Dienstverhältnis vermittelt, obwohl er weiß oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen muß, daß sie einem anderen Arbeitgeber zur landwirtschaftlichen Arbeit oder zum Gesinde- dienst noch verpflichtet sind, 3. wer die unter 1 bezeichneten Arbeitnehmer verleitet oder zu verleiten unternimmt, widerrechtlich den Dienst nicht anzutreten oder zu verlassen. Das klingt wie ein allgemeines Einschreiten gegen jedes vorzeitige Ver- lassen der ländlichen Arbeit — wobei zunächst statt des Lasttieres immer der

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/18>, abgerufen am 22.11.2024.