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[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.

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Mylord Bingley einst in obbeschriebener Gestalt vor seinem geliebten Bild-
niß sitzend antraf. Wie lange Mylord, war seine Anrede, soll euer
Trauern währen? Eure verblichene
Amariane liebt euch viel zu-
sehr, als daß sie nach ihrem Tode euch durch Wehmuth selbst
zu verzehren, zugeben solte. Mein Trauren ist rechtmäßig,
ver-
setzte Bingley, und mein Verlust so groß, als daß ich in dem Stan-
de wär, ihn so bald zu vergessen. Euer Zureden,
Mylord, er-
wecket nur noch mehr die Betrübniß, und ihr reisset mir die
Wunde dadurch wider auf, die ohne dem noch mehr als zu frisch
ist. Jch weiß es allzuwohl, werthester Freund,
war des Childron
Gegenrede, daß eure Thränen nicht um eines schlechten Verlusts
willen vergossen werden, aber die Zeit ist schon zu lange, und die
Art ist zu hefftig, welcher ihr noch immer mit Traurigkeit nach-
hänget. Folget,
Mylord, meinem aufrichtigen Vorschlag, den
ich euch thue. Der Ort ist euch zu betrübt, und dieses Bildniß
allzugefährlich, dahero fasset eine benöthigte Entschliessung,
wo ihr nicht selbst euer Leben in Gefahr setzen wollet. Verän-
dert diese unglückliche Gegend mit einer entfernten, und verwech-
selt das Land mit einem solchen, welches mit eurem Betrübniß
keine Gemeinschafft har. Reiset ein oder etliche Jahr in fremde
Reiche, und bemühet euch, durch ein solches Mittel die entzo-
gene Ruhe wider herzustellen. Nach der Freundschafft, die ich
mit euch von Jugend auf unterhalten, erbiete ich mich euch an
alle Orte und Enden hinzubegleiten, wohin es euch gefällig seyn
wird. Ach
Mylord, antwortete Bingley, so verhast mir auch die
Stelle ist, wo ich meine
Amariane eingebüsset, so schwer würde
es mir demnach fallen, mich von derselbigen zu entfernen, und
das thränende Opfer ihrem Andencken zu entziehen.
Dieser treue
Freund war mit dieser Antwort so wenig zu frieden, daß er vielmehr zu weiteren
Ermahnungen angetrieben wurde, und dem trostlosen Bingley mit seinen Ein-
würfen so hefftig zusetzte, daß er sich endlich, wiewohl mit noch ziemlich zwei-
felhafftem Gemüthe, dessem Willen gemäß erklärte. Childron nahm die-
ses Versprechen mit einer solchen Freudigkeit auf, als ein aufrichtiges Hertze
wegen seines Freundes zu thun pflegt. Er unterhielt ihn noch eine Zeitlang
mit verschiedenen Gesprächen von ihrer vorhabenden Reise, und brachte es
so weit, daß der Schluß gefasset wurde, binnen dreyen Tagen nach Holland
zuseglen, und so lange als es ihnen gefällig wäre, mit der Fortsetzung ihrer
Reise auch in fremde Länder fortzufahren. Childron nahm dasjenige zu-

besorgen

Mylord Bingley einſt in obbeſchriebener Geſtalt vor ſeinem geliebten Bild-
niß ſitzend antraf. Wie lange Mylord, war ſeine Anrede, ſoll euer
Trauern waͤhren? Eure verblichene
Amariane liebt euch viel zu-
ſehr, als daß ſie nach ihrem Tode euch durch Wehmuth ſelbſt
zu verzehren, zugeben ſolte. Mein Trauren iſt rechtmaͤßig,
ver-
ſetzte Bingley, und mein Verluſt ſo groß, als daß ich in dem Stan-
de waͤr, ihn ſo bald zu vergeſſen. Euer Zureden,
Mylord, er-
wecket nur noch mehr die Betruͤbniß, und ihr reiſſet mir die
Wunde dadurch wider auf, die ohne dem noch mehr als zu friſch
iſt. Jch weiß es allzuwohl, wertheſter Freund,
war des Childron
Gegenrede, daß eure Thraͤnen nicht um eines ſchlechten Verluſts
willen vergoſſen werden, aber die Zeit iſt ſchon zu lange, und die
Art iſt zu hefftig, welcher ihr noch immer mit Traurigkeit nach-
haͤnget. Folget,
Mylord, meinem aufrichtigen Vorſchlag, den
ich euch thue. Der Ort iſt euch zu betruͤbt, und dieſes Bildniß
allzugefaͤhrlich, dahero faſſet eine benoͤthigte Entſchlieſſung,
wo ihr nicht ſelbſt euer Leben in Gefahr ſetzen wollet. Veraͤn-
dert dieſe ungluͤckliche Gegend mit einer entfernten, und verwech-
ſelt das Land mit einem ſolchen, welches mit eurem Betruͤbniß
keine Gemeinſchafft har. Reiſet ein oder etliche Jahr in fremde
Reiche, und bemuͤhet euch, durch ein ſolches Mittel die entzo-
gene Ruhe wider herzuſtellen. Nach der Freundſchafft, die ich
mit euch von Jugend auf unterhalten, erbiete ich mich euch an
alle Orte und Enden hinzubegleiten, wohin es euch gefaͤllig ſeyn
wird. Ach
Mylord, antwortete Bingley, ſo verhaſt mir auch die
Stelle iſt, wo ich meine
Amariane eingebuͤſſet, ſo ſchwer wuͤrde
es mir demnach fallen, mich von derſelbigen zu entfernen, und
das thraͤnende Opfer ihrem Andencken zu entziehen.
Dieſer treue
Freund war mit dieſer Antwort ſo wenig zu frieden, daß er vielmehr zu weiteren
Ermahnungen angetrieben wurde, und dem troſtloſen Bingley mit ſeinen Ein-
wuͤrfen ſo hefftig zuſetzte, daß er ſich endlich, wiewohl mit noch ziemlich zwei-
felhafftem Gemuͤthe, deſſem Willen gemaͤß erklaͤrte. Childron nahm die-
ſes Verſprechen mit einer ſolchen Freudigkeit auf, als ein aufrichtiges Hertze
wegen ſeines Freundes zu thun pflegt. Er unterhielt ihn noch eine Zeitlang
mit verſchiedenen Geſpraͤchen von ihrer vorhabenden Reiſe, und brachte es
ſo weit, daß der Schluß gefaſſet wurde, binnen dreyen Tagen nach Holland
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Reiſe auch in fremde Laͤnder fortzufahren. Childron nahm dasjenige zu-

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Zitationshilfe: [N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734/12>, abgerufen am 28.03.2024.