Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 458, Czernowitz, 12.07.1905.[Spaltenumbruch]
Redaktion: Rathausstraße 16. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz Für Deutschland: Für Rumänien und den Balkan: Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. [Spaltenumbruch] Czernowitzer Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] Ankündigungen: Einzelexemplare Nr. 458. Czernowitz, Mittwoch, den 12. Juli 1905. [Spaltenumbruch] Uebersicht. Die Vorgänge in Rußland. 5000 Orthodoxe und Uniierte sind zum Katholizismus Letzte Telegramme. England verstärkt das Landheer. -- Ueber Tiflis wurde Die Ausbreitung der russischen Revolution. Czernowitz, 11. Juli 1905. Aus Petersburg wird geschrieben: Die Revolu- Im einzelnen betrachtet, sind die Zentren der In den Städten ruht die Leitung der Revo- Nebenher arbeiten die Terroristen mit den furcht- Die nächste Zukunft Rußlands liegt in Moskau. [Spaltenumbruch] Feuilleton. Ueber das Sterben. (Schluß) So lange die große Triebmaschine, das Herz, fähig ist, Doch übergenug jetzt dieser Erörterungen, die ins unab- Nicht will ich hier sprechen von der seelischen Angst, der Doch läßt sich überhaupt irgend etwas aussagen über Mit derselben ist dem Arzte eine heilige Pflicht aufer- Wer die Vorgänge in der Natur sinnend und prüfend [Spaltenumbruch]
Redaktion: Rathausſtraße 16. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz Für Deutſchland: Für Rumänien und den Balkan: Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. [Spaltenumbruch] Czernowitzer Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] Ankündigungen: Einzelexemplare Nr. 458. Czernowitz, Mittwoch, den 12. Juli 1905. [Spaltenumbruch] Ueberſicht. Die Vorgänge in Rußland. 5000 Orthodoxe und Uniierte ſind zum Katholizismus Letzte Telegramme. England verſtärkt das Landheer. — Ueber Tiflis wurde Die Ausbreitung der ruſſiſchen Revolution. Czernowitz, 11. Juli 1905. Aus Petersburg wird geſchrieben: Die Revolu- Im einzelnen betrachtet, ſind die Zentren der In den Städten ruht die Leitung der Revo- Nebenher arbeiten die Terroriſten mit den furcht- Die nächſte Zukunft Rußlands liegt in Moskau. [Spaltenumbruch] Feuilleton. Ueber das Sterben. (Schluß) So lange die große Triebmaſchine, das Herz, fähig iſt, Doch übergenug jetzt dieſer Erörterungen, die ins unab- Nicht will ich hier ſprechen von der ſeeliſchen Angſt, der Doch läßt ſich überhaupt irgend etwas ausſagen über Mit derſelben iſt dem Arzte eine heilige Pflicht aufer- Wer die Vorgänge in der Natur ſinnend und prüfend <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <cb/> <div type="jEditorialStaff"> <p> <hi rendition="#b">Redaktion: Rathausſtraße 16.<lb/> Adminiſtration: Tempelg. 8.</hi> </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p> <hi rendition="#b">Telephon-Nummer 161.</hi> </p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jExpedition"> <head> <hi rendition="#b">Abonnementsbedingungen:</hi> </head><lb/> <p>Für Czernowitz<lb/> (mit Zuſtellung ins Haus):<lb/> monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80,<lb/> halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20.<lb/> (mit täglicher Poſtverſendung)<lb/> monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,<lb/> halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60</p><lb/> <p>Für Deutſchland:<lb/> vierteljährig ..... 7 Mark.</p><lb/> <p>Für Rumänien und den Balkan:<lb/> vierteljährig .... 9 Franks.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p> <hi rendition="#b">Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.</hi> </p> </div><lb/> <cb/> <titlePage xml:id="title1" type="heading" next="#title2"> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Czernowitzer<lb/> Allgemeine Zeitung</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p><hi rendition="#b">Ankündigungen:</hi><lb/> Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-<lb/> ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene<lb/> Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei<lb/> mehrmaliger Einſchaltung, für Re-<lb/> klame 40 h die Petitzeile. Inſerate<lb/> nehmen alle in- und ausländiſchen<lb/> Inſeratenbureaux ſowie die Ad-<lb/> miniſtration entgegen. — Einzel-<lb/> exemplare ſind in allen Zeitungs-<lb/> verſchleißen, Trafiken, der k. k. 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Auf den Straßen<lb/> Petersburgs führen Bombenwerfer ihren Ausrottungs-<lb/> kampf gegen die Polizei. Ein jüngſt veröffentlichter<lb/> Befehl des Hafenkommandanten von Kronſtadt, der<lb/> das Verhalten der Offiziere ſcharf kritiſiert, läßt<lb/> darauf ſchließen, wie weit auch dort ſchon die Zer-<lb/> ſetzung um ſich gegriffen hat. Die geſtern endlich<lb/> erſchienenen amtlichen Mitteilungen über die Vor-<lb/> gänge in Odeſſa ſind geeignet, den Zerſetzungsprozeß<lb/> weiter zu fördern. Das war nun für die nach-<lb/> mittags erſcheinenden Blätter ein goldener Tag. Zu<lb/> Hunderten kauften Soldaten die Zeitungen und laſen<lb/> ſie und ſprachen darüber miteinander in den Gärten<lb/> — aber von Abſcheu und Entſetzen habe ich bei<lb/> ſolchen Gruppen nur ſelten etwas geſehen. Viel eher<lb/> ſtand auf den Geſichtern zu leſen, „was die konnten,<lb/> können wir auch.“</p><lb/> <p>Die nächſte Zukunft Rußlands liegt in Moskau.<lb/> In der zweiten Hälfte des Juli werden dort gegen<lb/> tauſend Vertreter der Geſellſchaft zuſammenkommen.<lb/> Die Behörden haben bereits erklärt, ſie würden die<lb/> Zuſammenkunft verhindern — das Organiſations-<lb/> bureau läßt dagegen durch „Ruſſkija Wjed.“ ver-<lb/> breiten, die Verſammlung werde unter allen Um-<lb/> ſtänden ſtattfinden. Falls es den Veranſtaltern, wie<lb/> beabſichtigt, gelingen ſollte, die Mehrzahl der Mos-<lb/> kauer Offizierskorps für ſich zu gewinnen, ſo erſcheint<lb/> es nicht ausgeſchloſſen, daß die Verſammlung eine<lb/> konſtituierende iſt. Somit iſt der letzte Angenblick<lb/> für den Zaren gekommen. 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Wir können<lb/> ſagen, der Menſch ſtirbt faſt immer vom Herzen aus. So<lb/> lange dieſes in der Bruſt ſich zuſammenzieht, und ſei es<lb/> noch ſo ſchwach, noch ſo mühſam, ſolange lebt der Menſch<lb/> — der letzte Herzſchlag und dann iſt erſt alles unwiderruflich<lb/> zu Ende.</p><lb/> <p>Doch übergenug jetzt dieſer Erörterungen, die ins unab-<lb/> ſehbare vermehrt werden könnten, würden wir in Einzelheiten<lb/> eingehen. Nur rühren wollten wir an dem Schleier, deſſen<lb/> Heben das Auge allerdings auch immer noch nicht bis in<lb/> das letzte Heiligtum des Lebens eindringen, aber doch ſchon<lb/> eine wunderbare Fülle überraſchender Bilder erblicken läßt.<lb/> Kehren wir zurück von dem Ende des Pfades, wo wir<lb/> ſoeben geweilt und der für uns an der ewig verſchloſſenen<lb/> Pforte des Todes aufhört, begleiten wir vielmehr jetzt noch<lb/> den Todeswanderer auf der letzten Wegſtrecke bis zu derſelben<lb/> hin. Was empfindet er während des Sterbens, was duldet<lb/> und leidet er in den Tagen, Stunden, Augenblicken, die wir<lb/> als ſeine letzten bezeichnen?</p><lb/> <p>Nicht will ich hier ſprechen von der ſeeliſchen Angſt, der<lb/> Furcht vor dem Sterben — wie der leidenſchaftliche Trieb<lb/><cb/> zum Leben, wie alles bitterſte Weh des Scheidens von den<lb/> Geliebten, oft Sorge um die Zurückgeblieben, auch freſſende<lb/> Reue, vor allem peinigende Ungewißheit über das, was nach<lb/> dem Sterben ſein wird, ob in dem Schlaf noch Träume<lb/> kommen mögen — wie dieſe ganze wirbelnde Flut in den<lb/> Abgrund des Todesſchreckens hinabzieht. Tauſende von<lb/> Dichtern, Philoſophen, Prieſtern haben dieſe ſeeliſchen Qualen<lb/> des Sterbens erſchütternd geſchildert. Uns beſchäftigt in dieſer<lb/> Stunde anderes; wir wollen wiſſen, ob zu alledem das<lb/> Sterben auch noch phyſiſch ſchmerzhaft und qualvoll iſt. Dies<lb/> ſei die letzte Frage, die wir uns ſtellen.</p><lb/> <p>Doch läßt ſich überhaupt irgend etwas ausſagen über<lb/> ſie? Noch iſt ja niemand, der Kunde brächte, wiedergekehrt<lb/> von jenem fernen Strande, und dennoch vermögen wir uns<lb/> eine Vorſtellung zu machen. Nicht durch genialen Flug dichteriſcher<lb/> Phantaſie, nicht durch philoſophiſche Spekulation, nicht durch die der<lb/> Erde abgewandte Viſion inbrünſtigen Glaubens erreichen wir ſie;<lb/> die Anhaltspunkte liefert uns die ſchlichte, treue Beobachtung der<lb/> Natur. Nur ein mäßiger Bruchteil der Menſchen erliegt<lb/> durch äußere Gewalt; bei der ungeheueren Mehrzahl wird<lb/> das Ende durch Krankheit herbeigeführt. Wie geſtaltet ſich<lb/> das Sterben in dieſen Fällen? Iſt hier der Abſtieg zu den<lb/> dunklen Geſtaden des Todes, der Vorgang des Sterbens von<lb/> körperlichen Qualen und Schmerzen begleitet? Zweifellos iſt,<lb/> daß einzelne Sterbende bis faſt zum Ende dulden müſſen,<lb/> obwohl in den wirklich letzten Augenblicken auch bei ihnen<lb/> zumeiſt das Bewußtſein umnachtet wird. Solche Fälle laſſen<lb/> ſich einige anführen, aber ſie bilden doch die entſchiedene<lb/> Ausnahme. Bei ihrer Beurteilung bezüglich unſerer Frage<lb/> iſt auf das allerſchärfſte eine Tatſache hervorzuheben: dieſe<lb/> Schmerzen und Qualen treten nicht während des Sterbens<lb/> auf, ſind nicht durch dies bedingt, beſtanden vielmehr ſchon<lb/> vorher und gehören dem Krankheitsprozeß an. Nicht das<lb/> Sterben, ſondern die Krankheit iſt alſo hier qualvoll. Hier in<lb/> dieſen Fällen tritt eine hohe Aufgabe an den Arzt heran,<lb/><cb/> durch deren Erfüllung er zu einem wirklichen Wohltäter<lb/> werden, linde Labſale über unnennbare Pein ausgießen kann.<lb/> Sie wird mit dem Worte „Euthanaſie“ belegt und bezeichnet<lb/> die Kunſt, das Lebensende, das Sterben ſanft zu geſtalten.</p><lb/> <p>Mit derſelben iſt dem Arzte eine heilige Pflicht aufer-<lb/> legt. Wenn das höchſte ethiſche Ziel darin gelegen iſt, dem<lb/> andern wohlzutun, ſo iſt es gewiß für den Arzt in der Aus-<lb/> übung ſeiner Kunſt ein großes und hohes Ziel, dem<lb/> Scheidenden de<supplied>n</supplied> Abſchied zu erleichtern. Wie dieſe Aufgabe<lb/> zu löſen ſei, <supplied>daſ</supplied> im einzelnen zu erörtern, iſt in dieſem<lb/> Augenblicke hier unmöglich. Nur darüber iſt kein Wort zu<lb/> verlieren, daß dieſelbe jemals Gegenſtand einer juridiſchen<lb/> Erörterung werden könne oder dürfe. Geſchieht dies dennoch,<lb/> ſo liegt offenbar ein Mißverſtändnis zugrunde. Euthanaſie<lb/> heißt, wörtlich überſetzt, die Kunſt, ſanft ſterben zu laſſen.<lb/> Das bedeute aber keinesfalls, das Leben abkürzen. Daß dem<lb/> Arzte nie und nimmer das Recht zuſteht, das Leben des<lb/> andern, und ſei dasſelbe den fürchterlichſten Qualen aus-<lb/> geſetzt, auch nur um eine Stunde abzukürzen, bedarf für<lb/> einen korrekt Denkenden nicht eines einzigen Wortes der Be-<lb/> gründung; ebenſowenig jedoch, daß es ſeine Pflicht iſt, Qualen<lb/> zu lindern — und das letztere nur auf Koſten der Lebens-<lb/> dauer geſchehen könne, das wäre eine Behauptung, die nur<lb/> ein Laie ausſprechen könnte.</p><lb/> <p>Wer die Vorgänge in der Natur ſinnend und prüfend<lb/> beobachtet, wird bald zu der Erkenntnis einer Erſcheinung<lb/> kommen, die man als das Geſetz von den Ausgleichungen<lb/> bezeichnen kann. An zahlreichſten Stellen des phyſiologiſchen<lb/> und pathologiſchen Geſchehens, im umſchriebenſten Punkte wie<lb/> im allumfaſſenden Kreiſe offenbart ſich dasſelbe; und ſelbſt für<lb/> das pſychiſche Leben hat es Giltigkeit. Wohl hat ſie ſchwere,<lb/> eherne Hände, die fromme Natur, aber ſie ehrt auch züchtig<lb/> ihr altes Geſetz — und an dem herrlichen, idealen, götter-<lb/> gleichen Dichter, der dieſe Worte gebraucht, hat ſie es auch<lb/> geehrt. Und wenn er auch ſelbſt geſorochen: „lieblich ſieht er</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
Redaktion: Rathausſtraße 16.
Adminiſtration: Tempelg. 8.
Telephon-Nummer 161.
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halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20.
(mit täglicher Poſtverſendung)
monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60
Für Deutſchland:
vierteljährig ..... 7 Mark.
Für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig .... 9 Franks.
Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung
Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Tem-
pelgaſſe 8) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldſchmidt,
Wollzeile 11.
Einzelexemplare
8 Heller für Czernowitz.
Nr. 458. Czernowitz, Mittwoch, den 12. Juli 1905.
Ueberſicht.
Die Vorgänge in Rußland.
5000 Orthodoxe und Uniierte ſind zum Katholizismus
übergetreten. — Die Zeitungen in Tiflis ſtellten ihr Erſcheinen
ein. — In Kowno finden Straßenunruhen ſtatt. — Die Be-
völkerung Iwanowos verläßt den Ort.
Letzte Telegramme.
England verſtärkt das Landheer. — Ueber Tiflis wurde
der Kriegszuſtand verhängt. — Auf den Stadthauptmann von
Moskau wurde ein Attentat verübt. — An verſchiedenen Orten
Rußlands ſind Soldatenmeutereien ausgebrochen.
Die Ausbreitung der
ruſſiſchen Revolution.
Czernowitz, 11. Juli 1905.
Aus Petersburg wird geſchrieben: Die Revolu-
tion und Gegenrevolution in Rußland iſt da. Wenn-
gleich ſchon die verſchiedenen Unruhen im März und
April revolutionären Charakter trugen, die wirkliche
Revolution iſt erſt in den letzten zwei bis drei Wochen
zum Ausbruch gekommen. Die wichtigſten Anſätze
dazu in den Städten kann man allerdings ſchon in
die letzten Tage des Januar verlegen, als nämlich
die ſozialrevolutionäre Partei der Letten und Eſthen
und der jüdiſche ſozialdemokratiſche „Bund“ im An-
ſchluß an die Ereigniſſe in Petersburg die Revolution
proklamierten. Auf das flache Land kam die Revo-
lution aber erſt in den letzten Wochen. Während
nun die Revolution in den Städten und die Meuterei
in Heer und Flotte von den Führern der radikalen
Fortſchrittspartei geſchürt und organiſiert wird, iſt
ihr Ausbruch auf dem platten Lande in erſter Linie
ein Werk derjenigen Leute, die unter der Flagge
der „Monarchiſtiſchen Partei“ dem Zaren die Rettung
der Selbſtherrſchaft verſprechen. An ihrer Spitze
marſchieren die Redaktion der „Moskowskija Wjed.“
und der Privatdozent Mikolski. Der „Gelehrte“ hat
dem Zaren den Rat erteilt, er ſolle die ruſſiſche
Geſellſchaft nur mit ſchönen Reden hinhalten, bis
ſich die ſtaatserhaltenten Elemente organiſiert hätten,
und die Redaktion am Straſtuej Boulevard in
Moskau iſt der Hexenkeſſel, in dem all’ die
Hetzartikel entſtehen, die als Aufrufe gegen
alle nicht Rechtgläubigen auf den Dörfern mit
Hilfe der örtlichen Behörden verteilt werden. Die
Drachenſaat dieſer Proklamationen, die in ihrer per-
fiden Ausnutzung der niedrigſten Inſtinkte der un-
gebildeten Maſſen im Zuſammenhang mit religiöſen
Vorſtellungen an die Zeit der Bauernkriege gemahnt,
iſt aufgegangen. In der ganzen ſüdlichen Hälfte
Rußlands von der Wolga bis an die Weſtgrenze
des Reichs beginnen die Bauern, das bischen Kultur
auszurotten und den Staat zu zertrümmern.
Im einzelnen betrachtet, ſind die Zentren der
Bauernaufſtände folgende: 1. Wolhynien und die
polniſchen Gouvernements Lublin und Sjedletz. Anlaß:
Aufhetzung der orthodoxen Bauern gegen die katho-
liſchen Großgrundbeſitzer. 2. Das Gouvernement
Taurien. Anlaß: Aufhetzung der orthodoxen Land-
arbeiter gegen die deutſchen Koloniſten. Desgleichen
an der Wolga. 3. Gouvernement Tula. Anlaß: Auf-
hetzung der Bauern gegen die Führer der demokra-
tiſchen Semſtwogruppe Fürſt Lwow und Graf Bob-
rinski. 4. Gouvernement Moskau. Anlaß: Aufhetzung
der Bauern gegen die Semſtwo und deren Wohlfahrts-
einrichtungen. 5. Oſtſeeprovinzen. Anlaß: Verhetzung
der Letten und Eſthen gegen das deutſche Element.
Es iſt klar, daß eine ſolche Bewegung unmöglich
von den Leuten, die ſie ins Leben gerufen haben,
in der Hand gehalten werden kann; einmal entfeſſelt,
ſtürzt ſie ſich auf alles, was die Habgier einer halb-
wilden Bevölkerung reizen könnte. Damit iſt aber
alles bedroht, was in Rußland Anſpruch auf die
Bezeichnung Kultur erhebt.
In den Städten ruht die Leitung der Revo-
lution noch in den Händen einzelner kleiner, wohl-
organiſierter Gruppen, die, obwohl über das rieſige
Reich verſtreut, in dauernder Verbindung miteinander
ſtehen. Die Seele und die Triebfedern der Bewegung
ſind die Juden, ihre tüchtigſten Mitkämpfer Letten,
Eſthen und Polen. Unter den ruſſiſchen Arbeitern
ſind es vorwiegend die des Nordoſtgebietes, die ener-
giſch für die Durchführung der von ihnen geforderten
Reformen eintreten. Die Arbeiter in Moskau und
Petersburg, auf die es am meiſten ankommt, ſind
noch nicht ſoweit, daß ſie nach den ſchlechten
Erfahrungen vom Januar als ein geſchloſſenes Ganze
auftreten könnten. Aber auch hier vollzieht ſich eine
Wandlung in dem Maße, wie die Armee und
Marine der Zerſetzung anheimfällt.
Nebenher arbeiten die Terroriſten mit den furcht-
barſten Mitteln. In Petersburg vergeht ſeit drei
Wochen kein Tag, an dem nicht ein größerer Brand
ſtattfindet. Einſtweilen richten die Terroriſten ihr
Augenmerk auf die großen Fabriken, durch deren
Einäſcherung Hunderte von Arbeitern auf die Straße
geſetzt werden. Leute, denen der Verdienſt genommen
iſt, ſind eher zum Aufſtand bereit, als ſolche, die
ihre regelmäßige Arbeit haben. Auf den Straßen
Petersburgs führen Bombenwerfer ihren Ausrottungs-
kampf gegen die Polizei. Ein jüngſt veröffentlichter
Befehl des Hafenkommandanten von Kronſtadt, der
das Verhalten der Offiziere ſcharf kritiſiert, läßt
darauf ſchließen, wie weit auch dort ſchon die Zer-
ſetzung um ſich gegriffen hat. Die geſtern endlich
erſchienenen amtlichen Mitteilungen über die Vor-
gänge in Odeſſa ſind geeignet, den Zerſetzungsprozeß
weiter zu fördern. Das war nun für die nach-
mittags erſcheinenden Blätter ein goldener Tag. Zu
Hunderten kauften Soldaten die Zeitungen und laſen
ſie und ſprachen darüber miteinander in den Gärten
— aber von Abſcheu und Entſetzen habe ich bei
ſolchen Gruppen nur ſelten etwas geſehen. Viel eher
ſtand auf den Geſichtern zu leſen, „was die konnten,
können wir auch.“
Die nächſte Zukunft Rußlands liegt in Moskau.
In der zweiten Hälfte des Juli werden dort gegen
tauſend Vertreter der Geſellſchaft zuſammenkommen.
Die Behörden haben bereits erklärt, ſie würden die
Zuſammenkunft verhindern — das Organiſations-
bureau läßt dagegen durch „Ruſſkija Wjed.“ ver-
breiten, die Verſammlung werde unter allen Um-
ſtänden ſtattfinden. Falls es den Veranſtaltern, wie
beabſichtigt, gelingen ſollte, die Mehrzahl der Mos-
kauer Offizierskorps für ſich zu gewinnen, ſo erſcheint
es nicht ausgeſchloſſen, daß die Verſammlung eine
konſtituierende iſt. Somit iſt der letzte Angenblick
für den Zaren gekommen. Die Macht, dem Lande
Feuilleton.
Ueber das Sterben.
Von Hofrat Herman Rothnagel †.
(Schluß)
So lange die große Triebmaſchine, das Herz, fähig iſt,
zu arbeiten, beſteht die Erhaltungsmöglichkeit; erſt mit ſeinem
Exlahmen tritt das Sterben ein. Und ſo verhält es ſich bei
einer faſt endloſen Fülle noch anderer Krankheitsformen. In
der ungeheueren Mehrzahl erfolgt der Tod vom Herzen aus,
ganz gleich, ob die zum Tode führende Krankheit eine akute
oder chroniſche, ob das Herz von Anfang direkt beteiligt oder
erſt ſekundär in Mitleidenſchaft gezogen wird. Wir können
ſagen, der Menſch ſtirbt faſt immer vom Herzen aus. So
lange dieſes in der Bruſt ſich zuſammenzieht, und ſei es
noch ſo ſchwach, noch ſo mühſam, ſolange lebt der Menſch
— der letzte Herzſchlag und dann iſt erſt alles unwiderruflich
zu Ende.
Doch übergenug jetzt dieſer Erörterungen, die ins unab-
ſehbare vermehrt werden könnten, würden wir in Einzelheiten
eingehen. Nur rühren wollten wir an dem Schleier, deſſen
Heben das Auge allerdings auch immer noch nicht bis in
das letzte Heiligtum des Lebens eindringen, aber doch ſchon
eine wunderbare Fülle überraſchender Bilder erblicken läßt.
Kehren wir zurück von dem Ende des Pfades, wo wir
ſoeben geweilt und der für uns an der ewig verſchloſſenen
Pforte des Todes aufhört, begleiten wir vielmehr jetzt noch
den Todeswanderer auf der letzten Wegſtrecke bis zu derſelben
hin. Was empfindet er während des Sterbens, was duldet
und leidet er in den Tagen, Stunden, Augenblicken, die wir
als ſeine letzten bezeichnen?
Nicht will ich hier ſprechen von der ſeeliſchen Angſt, der
Furcht vor dem Sterben — wie der leidenſchaftliche Trieb
zum Leben, wie alles bitterſte Weh des Scheidens von den
Geliebten, oft Sorge um die Zurückgeblieben, auch freſſende
Reue, vor allem peinigende Ungewißheit über das, was nach
dem Sterben ſein wird, ob in dem Schlaf noch Träume
kommen mögen — wie dieſe ganze wirbelnde Flut in den
Abgrund des Todesſchreckens hinabzieht. Tauſende von
Dichtern, Philoſophen, Prieſtern haben dieſe ſeeliſchen Qualen
des Sterbens erſchütternd geſchildert. Uns beſchäftigt in dieſer
Stunde anderes; wir wollen wiſſen, ob zu alledem das
Sterben auch noch phyſiſch ſchmerzhaft und qualvoll iſt. Dies
ſei die letzte Frage, die wir uns ſtellen.
Doch läßt ſich überhaupt irgend etwas ausſagen über
ſie? Noch iſt ja niemand, der Kunde brächte, wiedergekehrt
von jenem fernen Strande, und dennoch vermögen wir uns
eine Vorſtellung zu machen. Nicht durch genialen Flug dichteriſcher
Phantaſie, nicht durch philoſophiſche Spekulation, nicht durch die der
Erde abgewandte Viſion inbrünſtigen Glaubens erreichen wir ſie;
die Anhaltspunkte liefert uns die ſchlichte, treue Beobachtung der
Natur. Nur ein mäßiger Bruchteil der Menſchen erliegt
durch äußere Gewalt; bei der ungeheueren Mehrzahl wird
das Ende durch Krankheit herbeigeführt. Wie geſtaltet ſich
das Sterben in dieſen Fällen? Iſt hier der Abſtieg zu den
dunklen Geſtaden des Todes, der Vorgang des Sterbens von
körperlichen Qualen und Schmerzen begleitet? Zweifellos iſt,
daß einzelne Sterbende bis faſt zum Ende dulden müſſen,
obwohl in den wirklich letzten Augenblicken auch bei ihnen
zumeiſt das Bewußtſein umnachtet wird. Solche Fälle laſſen
ſich einige anführen, aber ſie bilden doch die entſchiedene
Ausnahme. Bei ihrer Beurteilung bezüglich unſerer Frage
iſt auf das allerſchärfſte eine Tatſache hervorzuheben: dieſe
Schmerzen und Qualen treten nicht während des Sterbens
auf, ſind nicht durch dies bedingt, beſtanden vielmehr ſchon
vorher und gehören dem Krankheitsprozeß an. Nicht das
Sterben, ſondern die Krankheit iſt alſo hier qualvoll. Hier in
dieſen Fällen tritt eine hohe Aufgabe an den Arzt heran,
durch deren Erfüllung er zu einem wirklichen Wohltäter
werden, linde Labſale über unnennbare Pein ausgießen kann.
Sie wird mit dem Worte „Euthanaſie“ belegt und bezeichnet
die Kunſt, das Lebensende, das Sterben ſanft zu geſtalten.
Mit derſelben iſt dem Arzte eine heilige Pflicht aufer-
legt. Wenn das höchſte ethiſche Ziel darin gelegen iſt, dem
andern wohlzutun, ſo iſt es gewiß für den Arzt in der Aus-
übung ſeiner Kunſt ein großes und hohes Ziel, dem
Scheidenden den Abſchied zu erleichtern. Wie dieſe Aufgabe
zu löſen ſei, daſ im einzelnen zu erörtern, iſt in dieſem
Augenblicke hier unmöglich. Nur darüber iſt kein Wort zu
verlieren, daß dieſelbe jemals Gegenſtand einer juridiſchen
Erörterung werden könne oder dürfe. Geſchieht dies dennoch,
ſo liegt offenbar ein Mißverſtändnis zugrunde. Euthanaſie
heißt, wörtlich überſetzt, die Kunſt, ſanft ſterben zu laſſen.
Das bedeute aber keinesfalls, das Leben abkürzen. Daß dem
Arzte nie und nimmer das Recht zuſteht, das Leben des
andern, und ſei dasſelbe den fürchterlichſten Qualen aus-
geſetzt, auch nur um eine Stunde abzukürzen, bedarf für
einen korrekt Denkenden nicht eines einzigen Wortes der Be-
gründung; ebenſowenig jedoch, daß es ſeine Pflicht iſt, Qualen
zu lindern — und das letztere nur auf Koſten der Lebens-
dauer geſchehen könne, das wäre eine Behauptung, die nur
ein Laie ausſprechen könnte.
Wer die Vorgänge in der Natur ſinnend und prüfend
beobachtet, wird bald zu der Erkenntnis einer Erſcheinung
kommen, die man als das Geſetz von den Ausgleichungen
bezeichnen kann. An zahlreichſten Stellen des phyſiologiſchen
und pathologiſchen Geſchehens, im umſchriebenſten Punkte wie
im allumfaſſenden Kreiſe offenbart ſich dasſelbe; und ſelbſt für
das pſychiſche Leben hat es Giltigkeit. Wohl hat ſie ſchwere,
eherne Hände, die fromme Natur, aber ſie ehrt auch züchtig
ihr altes Geſetz — und an dem herrlichen, idealen, götter-
gleichen Dichter, der dieſe Worte gebraucht, hat ſie es auch
geehrt. Und wenn er auch ſelbſt geſorochen: „lieblich ſieht er
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