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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 3502, Czernowitz, 22.07.1914.

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22. Juli 1914. "Czernowitzer Allgemeine Zeitung"

[Spaltenumbruch]
Das Kriegsgericht von Smyrna,

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Das Kriegsgericht von Smyrna ver-
urteilte drei Muselmanen zum Tode, darunter einen in
contumaciam wegen Ermordung eines Griechen und
dessen Schwägerin sowie wegen Verletzung von dessen Frau
und Tochter in einer in der Ortschaft Fitrek bei Smyrna
gelegenen Mühle. Auch der Grieche, welcher den Bürger-
meister von Seidiköj ermordet hatte, wurde zum
Tode verurteilt.




Bunte Chronik.


Das Attentat auf den "Heiligen"
Rasputin.
Steckbrief auf Iliodor.

Der ehemalige Mönch Iliodor,
der erbittertste Feind Rasputins, ist aus Maria Kanitzi
am Don geflohen. Seine Flucht soll mit dem Attentat auf
Rasputin im Zusammenhang stehen. Iliodor wurde in der
letzten Woche scharf beobachtet. Der Flüchtling wird steck-
brieflich verfolgt.

Gleich nach dem Attentate auf Rasputin fiel der erste
Verdacht der Urheberschaft auf den ehemaligen Mönch
Iliodor, der die Gussewa angestiftet haben soll, seinen
heftigsten Gegner aus dem Wege zu räumen.

Russischer Kommentar zur Rasputin-Verehrung.

Zum Attentat auf den "Starez" Grischa Rasputin
liegt in dem Moskauer Blatte Utro Rassii ein beachtens-
werter Artikel vor, in dem die Empörung über die scham-
lose Art, in der dieser Mädchenverführer gefeiert und ver-
herrlicht wird, in kraftvoller Weise zum Ausdruck kommt.
Treffend weist das Blatt darauf hin, daß, wenn dieser
"Vergewaltiger und Mädchenverführer" nicht der in der
ganzen Welt bekannte "Starez" wäre, die Kunde von dem
Attentat auf ihn nicht über die Grenze seines Heimat-
dorfes gelangt wäre. Der Mordversuch an dem Pokrow-
skischen Bauern wäre ein rein lokaler Gesprächsstoff ge-
blieben.

"Aber Grigori Rasputin -- so sagt die Utro Rossii --
ist der berühmte Held unserer Zeit des Niederganges. Er
ist derselbe machtvolle und einflußreiche "Starez", mit dem
mitunter selbst Minister rechnen müssen, in dessen Pe-
tersburger Empfangszimmer kriecherisch, wie in der guten
alten Zeit vor den allgewaltigen Günstlingen, liebediene-
rische Scharen von Würdenträgern und Damen der haute
volee, die Sucher einflußreicher Protektionen und Lieb-
haberinnen starker Eindrücke dujourieren, derselbe, von
dem von der Parlamentstribüne gesprochen wird. Der-
selbe, über den Artikel und Nachrichten regelmäßig in den
Spalten ausländischer Blätter erscheinen und vor die
Augen des russischen Lesers erst sorgfältig mit der un-
durchdringlichen Schwärze des Zensors bedeckt gelangen.
Und das Gerücht von dem Mordversuch auf diesen Mann
durcheilt blitzartig ganz Rußland. Und die Tat einer
sexuell Kranken wächst zu einer allrussischen brennenden
Tagesfrage heran."

Das Moskauer Blatt weist dann auf das unwürdige
Gebaren der russischen haute volee nach Bekanntwerden
des Mordanschlages hin. So sei, wie der Pet. Kurjer be-
richtete, nach Eintreffen einer Eildepesche über den Mord-
anschlag auf Rasputin eine seiner Verehrerinnen aus der
vornehmen Welt, das Hoffräulein Ihrer Majestät Wyru-
bowa, sofort nach Tjumen abgereist in Begleitung "vieler
hochgestellter Personen" und des bekannten Chirurgen
Prof. Fedorow. Das ganze vornehme Petersburg belagere
den Telegraph, die sibirische Magistrallinie sei überlastet
und die Telegramme über den Gesundheitszustand des
"hochverehrten Starez" träfen mit 24stündigen Verspä-
tungen ein. Tjumen liege in Asien, jenseits des Ural, und
etwas Asiatisches habe dieser vierzigjährige "Starez" an
sich, der von einer ganzen Armee von hysterischen Ver-
chrerinnen umgeben sei, die ihre Väter und Männer ver-
ließen und dem "verhimmelten Abgott" folgten. Die vor-
nehmen Damen und Würdenträger, die sich einen Abgott
aus dem ungebildeten, aber listigen sibirischen Bauern
gemacht hätten und ihn als einen Mann eines "heiligen
Lebens" bezeichneten, sollten sich schämen, denn die, wel-
chen die Kehrseite seines "heiligen Lebens" bekannt sei,
bezeichneten ihn als "Vergewaltiger und Verführer von
Mädchen".

"Die Worte "Verehrerin Rasputins" haben gegen-
wärtig eine so klar die Frau beschimpfende Bedeutung
erhalten, daß man faktisch nicht begreifen kann, wie sich
noch Liebhaberinnen finden, öffentlich ein derartiges be-
schimpfendes Brandmal auf sich zu nehmen wie den Ruf-
namen "Verehrerin Rasputins" ... Schmerz und Ent-
setzen packt einen um diese Gesellschaft, die die führende
Rolle in den Geschicken des Landes spielt, und um diese
schlechte, gemeine Zeit, die wir alle notgedrungen durch-
leben müssen. Schmerz, Entsetzen und das Gefühl der
Schmach erfüllt das russische Herz. Es ist eine Schande
für Rußland, für dies große Land, daß es an der Wende
des 20. Jahrhunderts stillschweigend Zeuge eines die
Seele empörenden Kults sein muß, der Errichtung eines
schamlosen Götzen durch die Spitzen der Gesellschaft, eines
Götzen in der Gestalt eines politischen Hochstaplers und
eines ekelhaften Wüstlings."




[Spaltenumbruch]
Die Streikbewegung in Petersburg.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Die Streikbewegung trat heute in besonderer
Stärke auf, es streiken über 75.000 Mann. Mehrere De-
monstrationsversuche wurden von der Polizei unterdrückt.
An einem Punkte der Stadt wurde die Polizei mit Stei-
nen beworfen.




Spionage.

Wiederum wurde ein Russe unter
Spionageverdacht verhaftet, diesmal auf dem von Truppen
besetzten Truppenübungsplatz in Friedrichsfelde, wo der
Russe sich an einen Unteroffizier heranmachte, um Auf-
schluß über gewisse militärische Fragen zu erhalten. Der
Unteroffizier benachrichtigte den Wachtmeister, der den
Verdächtigen festnehmen und ins Gefängnis abführen
ließ.

Die in Kronstadt erschei-
nende "Gazeta Transylvaniei" schreibt" Die Kronstädter
Polizei hat, wahrscheinlich auf höheren Befehl, seit einigen
Tagen begonnen, die Stadt von den rumänischen und ser-
bischen Deserteuren zu säubern, die sich in den letzten Jah-
ren in Kronstadt niedergelassen haben. Die Zahl dieser
Deserteure, die sich insbesondere in der rumänischen Vor-
stadt niedergelassen haben, wo sie sich auch verheiratet
haben, beträgt ungefähr 250. In einigen Tagen werden
sie Kronstadt verlassen und sich in magyarischen Gegenden
niederlassen müssen. Im Gegenfalle werden sie aus dem
Lande ausgewiesen werden. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß diese Maßregel mit der angeblichen Spionage Rumä-
niens und Serbiens in Ungarn in Verbindung steht.




Der Weltfriedenskongreß.

In den Tagen vom 15. bis 19. Sep-
tember findet in Wien der XXI. Weltfriedenkongreß statt.
Die Stadt Wien wird in dieser Zeit ein großes inter-
nationales Publikum zu Gast empfangen. Delegierte aus
allen fünf Erdteilen werden am Kongreß teilnehmen. Da
das Programm der Tagung durch die Publikationen in
den Tageszeitungen hinlänglich bekannt ist, erübrigt sich
bloß die Hervorhebung der Tatsache, daß eine Deputation
des Kongresses dem Kaiser eine Adresse überreichen wird.
Der Empfang beim Kaiser mag den Pazifisten der gan-
zen Welt neuerdings für einen Beweis der zunehmenden
Anerkennung und des steigenden Einflusses des Welt-
friedensgedankens gelten.




Furchtbares Gewitter über Konstan-
tinopel.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Gestern ist hier ein Gewitter niedergegangen.
Die Moschee in Stambul wurde durch einen Blitz
teilweise zerstört.
Die Telephonanlagen
der Pforte sind zerstört.




Selbstmord eines Bankdirektors.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Der Generaldirektor der innerstädtischen Volks-
bank, Groß, verübte infolge finanzieller Schwierig-
keiten Selbstmord.




Große Malversationen in einer Raiff-
eisenkasse.

"Lidove Noviny" melden aus Bos-
kowitz: In der Raiffeisenkasse in Kunstadt wurden große
Malversationen entdeckt. Gleich in den ersten Tagen der
Revision wurde festgestellt, daß in dem Institute 44.000
Kronen unterschlagen wurden. Die Malversationen ver-
übte der Kassier Polak, der sich durch seine luxuriöse
Lebensweise verdächtig machte. Polak wurde verhaftet.




Fünf Personen an Pilzvergiftung
gestorben.

Die vier Kinder des Fleischer-
meisters Bertzik, die zum Sommeraufenthalt mit ihrer
Erzieherin in Karlsruhe in Oberschlesien weilten, er-
krankten nach dem Genusse von Pilzen, die sie im Walde
gefunden hatten, und starben bald darauf an den Folgen
der Pilzvergiftung.




Behördliche Schließung des Badener
Spielkasinos.

Im Auftrage der hiesigen Bezirks-
hauptmannschaft wurde der Badener Spielkasinoklub
unter Gendarmerieassistenz geschlossen. An die Türen wur-
den die Amtssiegel angebracht und das gesamte Klubper-
sonal mußte das Kasinogebäude sofort verlassen.

Ursache der Schließung dürfte der negative Erfolg
einer Beschwerde des Kasinoklubs an das Ministerium des
Innern gegen einen Statthaltereierlaß sein, nach welchem
dem Klub eine Reihe von Spielen verboten wurde.




Der Thronfolgerwechsel in Oesterreich-Ungarn

bildet
den Gegenstand des dieswöchentlichen Titelbildes von V.
Chiavacci's "Wiener Bilder", auf dem man das Porträt
des jugendlichen Erzherzog-Thronfolgers Karl Franz
[Spaltenumbruch] Josef nach der letzten, erst vor einigen Tagen erfolgten
photographischen Aufnahme sieht. Im Innern dieses reich-
illustrierten Familienblattes findet man, nebst einer
überaus gelungenen Aufnahme der Erzherzogin, sämtliche
Ereignisse der letzten Woche in Wort und Bild getreulich
wiedergegeben, so: die große Touristenkatastrophe auf dem
Großvenediger, der Raubmord an der 73jährigen Bettle-
rin Schmerz, die Vorgänge in Belgrad, die Gesandten v.
Hartwig und Baron Giesl, Ministeraudienzen in Bad
Ischl, Admiral Ripper, die neugewählten Rektoren der
Wiener Hochschulen, der neue Präsident der Statistischen
Zentralkommission, ein neuer Weltrekord im Dauerflug,
die Vorgänge in Albanien, ein goldenes Priesterjubiläum,
Fahnenweihe des Turnvereines in Traiskirchen, vierzig-
jähriges Gründungsfest des Militär-Veteranen-Vereines
Neutitschein, ein neues Kaiserstandbild in Debreczin, das
Rolletmuseum in Baden, das Turnerbundfest in Lemberg,
Inspizierungsreise des Erzherzogs Leopold Salvator, die
neue Lupusheilstätte in Wien, der neue Rektor der Uni-
versität Czernowitz, Bilder von der Akademieausstellung
in Wien, Infanterietelegraphenkurs in Tulln, das
Schwimmen "Quer durch Wien", vierzigjähriges Meister-
jubiläum des Genossenschaftsvorstehers der Friseure, der
Jungwiener Dichter Oskar Pöffel, die Eröffnung des Pa-
namakanals, zahlreiche Sportbilder, Theaterbilder usw.

[Bei Neigung zu Schlaganfällen] muß
gewissenhaft auf die Erzielung ausgiebigen Stuhlganges
ohne Anstrengung der Bauchpresse hingearbeitet werden.
Auf 1 Glas natürliches "Franz Josef"-Bitterwasser, täg-
lich früh nüchtern genossen, erfolgt beschwerdelose und ge-
nügende Darmentleerung, an die sich ein behagliches Ge-
fühl der Erleichterung anzuschließen pflegt. Professor
v. Dusch hat in der Heidelberger Universitäts-Poliklinik
festgestellt, daß das Franz Josefs-Bitterwasser, ohne un-
angenehme Nebenerscheinungen hervorzurufen, mit gro-
ßer Sicherheit wirkt. Es ist in Apotheken, Drogerien und
Mineralwasser-Handlungen erhältlich.




[ - 1 Zeile fehlt]


Galizische Chronik.


Fluchtversuch des Postoffizials
Wilezek.

Die hiesige Gefangenhausverwal-
tung kam dank der Anzeige mehrerer Zellengenossen des
verbrecherischen Postoffizials Wilczek einem Flucht-
plane desselben auf die Spur und ordnete dessen strengste
Ueberwachung an.




Jagdunfall.

Der Abiturient des hiesigen
zweiten Staatsgymnasiums, J. Nikiel wurde bei einem
Jagdausfluge nach Kropiwniki von einem seiner an der
Jagd teilnehmenden Kollegen infolge eines beklagenswer-
ten Irrtums erschossen.




Erzherzog Leopold Salva-
tor
traf gestern in Begleitung zweier Offiziere hier ein
und besichtigte die hiesige Badeanstalt, woselbst er auch ein
Bad nahm.




Erzherzog Karl Albrecht
traf hier aus Wien ein.




Czernowitzer Angelegenheiten.


Gemeinderat.
(Sitzung vom 18. Juli.)

(Fortsetzung des Berichtes.)

GR. Fleminger führt aus, daß die Majoritäts-
parteien des Gemeinderates die Bevölkerung mehr in
Schutz nehmen als die Opposition. Es sei ein billiges Mit-
tel der Minorität, Anträge zu stellen und sodann von der
Majorität die Beschaffung der nötigen Summen zu ver-
langen. Die Ausgestaltung des Schulwesens, die Ver-
besserung der Lage der städt. Beamten- und Lehrerschaft
haben große Mehrauslagen erfordert. Letztere müssen
natürlich bedeckt werden. Es sei unrichtig, wenn man be-
hauptet, daß durch die Erhöhung des Zinshellers der
Hausbesitz entwertet werde, tatsächlich trete dies ein,
wenn die Stadtgemeinde durch Anwachsen des Defizites
jeden Kredit einbüße. Es sei das Grundprinzip einer
jeden guten Verwaltung, daß im Haushalte ein Einklang
zwischen Einnahmen und Ausgaben erzielt wird. Aus-
fälle müssen ehestens gedeckt werden. (GR. Dr. Mayer
Ebner: "Die Tragfähigkeit der Bevölkerung muß nicht
geprüft werden?") Redner erklärt schließlich für die gegen-
wärtige Zinshellervorlage zu stimmen.

Nach einigen tatsächlichen Berichtigungen der GR.
Oehlgießer, Wender und Dr. Straucher wird
zur Abstimmung über die bezüglich des Zinshellergesetzes
eingebrachten Anträge geschritten. Es gelangten die An-

22. Juli 1914. „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“

[Spaltenumbruch]
Das Kriegsgericht von Smyrna,

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Das Kriegsgericht von Smyrna ver-
urteilte drei Muſelmanen zum Tode, darunter einen in
contumaciam wegen Ermordung eines Griechen und
deſſen Schwägerin ſowie wegen Verletzung von deſſen Frau
und Tochter in einer in der Ortſchaft Fitrek bei Smyrna
gelegenen Mühle. Auch der Grieche, welcher den Bürger-
meiſter von Seidiköj ermordet hatte, wurde zum
Tode verurteilt.




Bunte Chronik.


Das Attentat auf den „Heiligen“
Raſputin.
Steckbrief auf Iliodor.

Der ehemalige Mönch Iliodor,
der erbittertſte Feind Raſputins, iſt aus Maria Kanitzi
am Don geflohen. Seine Flucht ſoll mit dem Attentat auf
Raſputin im Zuſammenhang ſtehen. Iliodor wurde in der
letzten Woche ſcharf beobachtet. Der Flüchtling wird ſteck-
brieflich verfolgt.

Gleich nach dem Attentate auf Raſputin fiel der erſte
Verdacht der Urheberſchaft auf den ehemaligen Mönch
Iliodor, der die Guſſewa angeſtiftet haben ſoll, ſeinen
heftigſten Gegner aus dem Wege zu räumen.

Ruſſiſcher Kommentar zur Raſputin-Verehrung.

Zum Attentat auf den „Starez“ Griſcha Raſputin
liegt in dem Moskauer Blatte Utro Raſſii ein beachtens-
werter Artikel vor, in dem die Empörung über die ſcham-
loſe Art, in der dieſer Mädchenverführer gefeiert und ver-
herrlicht wird, in kraftvoller Weiſe zum Ausdruck kommt.
Treffend weiſt das Blatt darauf hin, daß, wenn dieſer
„Vergewaltiger und Mädchenverführer“ nicht der in der
ganzen Welt bekannte „Starez“ wäre, die Kunde von dem
Attentat auf ihn nicht über die Grenze ſeines Heimat-
dorfes gelangt wäre. Der Mordverſuch an dem Pokrow-
skiſchen Bauern wäre ein rein lokaler Geſprächsſtoff ge-
blieben.

„Aber Grigori Raſputin — ſo ſagt die Utro Roſſii —
iſt der berühmte Held unſerer Zeit des Niederganges. Er
iſt derſelbe machtvolle und einflußreiche „Starez“, mit dem
mitunter ſelbſt Miniſter rechnen müſſen, in deſſen Pe-
tersburger Empfangszimmer kriecheriſch, wie in der guten
alten Zeit vor den allgewaltigen Günſtlingen, liebediene-
riſche Scharen von Würdenträgern und Damen der haute
volee, die Sucher einflußreicher Protektionen und Lieb-
haberinnen ſtarker Eindrücke dujourieren, derſelbe, von
dem von der Parlamentstribüne geſprochen wird. Der-
ſelbe, über den Artikel und Nachrichten regelmäßig in den
Spalten ausländiſcher Blätter erſcheinen und vor die
Augen des ruſſiſchen Leſers erſt ſorgfältig mit der un-
durchdringlichen Schwärze des Zenſors bedeckt gelangen.
Und das Gerücht von dem Mordverſuch auf dieſen Mann
durcheilt blitzartig ganz Rußland. Und die Tat einer
ſexuell Kranken wächſt zu einer allruſſiſchen brennenden
Tagesfrage heran.“

Das Moskauer Blatt weiſt dann auf das unwürdige
Gebaren der ruſſiſchen haute volee nach Bekanntwerden
des Mordanſchlages hin. So ſei, wie der Pet. Kurjer be-
richtete, nach Eintreffen einer Eildepeſche über den Mord-
anſchlag auf Raſputin eine ſeiner Verehrerinnen aus der
vornehmen Welt, das Hoffräulein Ihrer Majeſtät Wyru-
bowa, ſofort nach Tjumen abgereiſt in Begleitung „vieler
hochgeſtellter Perſonen“ und des bekannten Chirurgen
Prof. Fedorow. Das ganze vornehme Petersburg belagere
den Telegraph, die ſibiriſche Magiſtrallinie ſei überlaſtet
und die Telegramme über den Geſundheitszuſtand des
„hochverehrten Starez“ träfen mit 24ſtündigen Verſpä-
tungen ein. Tjumen liege in Aſien, jenſeits des Ural, und
etwas Aſiatiſches habe dieſer vierzigjährige „Starez“ an
ſich, der von einer ganzen Armee von hyſteriſchen Ver-
chrerinnen umgeben ſei, die ihre Väter und Männer ver-
ließen und dem „verhimmelten Abgott“ folgten. Die vor-
nehmen Damen und Würdenträger, die ſich einen Abgott
aus dem ungebildeten, aber liſtigen ſibiriſchen Bauern
gemacht hätten und ihn als einen Mann eines „heiligen
Lebens“ bezeichneten, ſollten ſich ſchämen, denn die, wel-
chen die Kehrſeite ſeines „heiligen Lebens“ bekannt ſei,
bezeichneten ihn als „Vergewaltiger und Verführer von
Mädchen“.

„Die Worte „Verehrerin Raſputins“ haben gegen-
wärtig eine ſo klar die Frau beſchimpfende Bedeutung
erhalten, daß man faktiſch nicht begreifen kann, wie ſich
noch Liebhaberinnen finden, öffentlich ein derartiges be-
ſchimpfendes Brandmal auf ſich zu nehmen wie den Ruf-
namen „Verehrerin Raſputins“ ... Schmerz und Ent-
ſetzen packt einen um dieſe Geſellſchaft, die die führende
Rolle in den Geſchicken des Landes ſpielt, und um dieſe
ſchlechte, gemeine Zeit, die wir alle notgedrungen durch-
leben müſſen. Schmerz, Entſetzen und das Gefühl der
Schmach erfüllt das ruſſiſche Herz. Es iſt eine Schande
für Rußland, für dies große Land, daß es an der Wende
des 20. Jahrhunderts ſtillſchweigend Zeuge eines die
Seele empörenden Kults ſein muß, der Errichtung eines
ſchamloſen Götzen durch die Spitzen der Geſellſchaft, eines
Götzen in der Geſtalt eines politiſchen Hochſtaplers und
eines ekelhaften Wüſtlings.“




[Spaltenumbruch]
Die Streikbewegung in Petersburg.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Die Streikbewegung trat heute in beſonderer
Stärke auf, es ſtreiken über 75.000 Mann. Mehrere De-
monſtrationsverſuche wurden von der Polizei unterdrückt.
An einem Punkte der Stadt wurde die Polizei mit Stei-
nen beworfen.




Spionage.

Wiederum wurde ein Ruſſe unter
Spionageverdacht verhaftet, diesmal auf dem von Truppen
beſetzten Truppenübungsplatz in Friedrichsfelde, wo der
Ruſſe ſich an einen Unteroffizier heranmachte, um Auf-
ſchluß über gewiſſe militäriſche Fragen zu erhalten. Der
Unteroffizier benachrichtigte den Wachtmeiſter, der den
Verdächtigen feſtnehmen und ins Gefängnis abführen
ließ.

Die in Kronſtadt erſchei-
nende „Gazeta Tranſylvaniei“ ſchreibt“ Die Kronſtädter
Polizei hat, wahrſcheinlich auf höheren Befehl, ſeit einigen
Tagen begonnen, die Stadt von den rumäniſchen und ſer-
biſchen Deſerteuren zu ſäubern, die ſich in den letzten Jah-
ren in Kronſtadt niedergelaſſen haben. Die Zahl dieſer
Deſerteure, die ſich insbeſondere in der rumäniſchen Vor-
ſtadt niedergelaſſen haben, wo ſie ſich auch verheiratet
haben, beträgt ungefähr 250. In einigen Tagen werden
ſie Kronſtadt verlaſſen und ſich in magyariſchen Gegenden
niederlaſſen müſſen. Im Gegenfalle werden ſie aus dem
Lande ausgewieſen werden. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß dieſe Maßregel mit der angeblichen Spionage Rumä-
niens und Serbiens in Ungarn in Verbindung ſteht.




Der Weltfriedenskongreß.

In den Tagen vom 15. bis 19. Sep-
tember findet in Wien der XXI. Weltfriedenkongreß ſtatt.
Die Stadt Wien wird in dieſer Zeit ein großes inter-
nationales Publikum zu Gaſt empfangen. Delegierte aus
allen fünf Erdteilen werden am Kongreß teilnehmen. Da
das Programm der Tagung durch die Publikationen in
den Tageszeitungen hinlänglich bekannt iſt, erübrigt ſich
bloß die Hervorhebung der Tatſache, daß eine Deputation
des Kongreſſes dem Kaiſer eine Adreſſe überreichen wird.
Der Empfang beim Kaiſer mag den Pazifiſten der gan-
zen Welt neuerdings für einen Beweis der zunehmenden
Anerkennung und des ſteigenden Einfluſſes des Welt-
friedensgedankens gelten.




Furchtbares Gewitter über Konſtan-
tinopel.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Geſtern iſt hier ein Gewitter niedergegangen.
Die Moſchee in Stambul wurde durch einen Blitz
teilweiſe zerſtört.
Die Telephonanlagen
der Pforte ſind zerſtört.




Selbſtmord eines Bankdirektors.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Der Generaldirektor der innerſtädtiſchen Volks-
bank, Groß, verübte infolge finanzieller Schwierig-
keiten Selbſtmord.




Große Malverſationen in einer Raiff-
eiſenkaſſe.

„Lidove Noviny“ melden aus Bos-
kowitz: In der Raiffeiſenkaſſe in Kunſtadt wurden große
Malverſationen entdeckt. Gleich in den erſten Tagen der
Reviſion wurde feſtgeſtellt, daß in dem Inſtitute 44.000
Kronen unterſchlagen wurden. Die Malverſationen ver-
übte der Kaſſier Polak, der ſich durch ſeine luxuriöſe
Lebensweiſe verdächtig machte. Polak wurde verhaftet.




Fünf Perſonen an Pilzvergiftung
geſtorben.

Die vier Kinder des Fleiſcher-
meiſters Bertzik, die zum Sommeraufenthalt mit ihrer
Erzieherin in Karlsruhe in Oberſchleſien weilten, er-
krankten nach dem Genuſſe von Pilzen, die ſie im Walde
gefunden hatten, und ſtarben bald darauf an den Folgen
der Pilzvergiftung.




Behördliche Schließung des Badener
Spielkaſinos.

Im Auftrage der hieſigen Bezirks-
hauptmannſchaft wurde der Badener Spielkaſinoklub
unter Gendarmerieaſſiſtenz geſchloſſen. An die Türen wur-
den die Amtsſiegel angebracht und das geſamte Klubper-
ſonal mußte das Kaſinogebäude ſofort verlaſſen.

Urſache der Schließung dürfte der negative Erfolg
einer Beſchwerde des Kaſinoklubs an das Miniſterium des
Innern gegen einen Statthaltereierlaß ſein, nach welchem
dem Klub eine Reihe von Spielen verboten wurde.




Der Thronfolgerwechſel in Oeſterreich-Ungarn

bildet
den Gegenſtand des dieswöchentlichen Titelbildes von V.
Chiavacci’s „Wiener Bilder“, auf dem man das Porträt
des jugendlichen Erzherzog-Thronfolgers Karl Franz
[Spaltenumbruch] Joſef nach der letzten, erſt vor einigen Tagen erfolgten
photographiſchen Aufnahme ſieht. Im Innern dieſes reich-
illuſtrierten Familienblattes findet man, nebſt einer
überaus gelungenen Aufnahme der Erzherzogin, ſämtliche
Ereigniſſe der letzten Woche in Wort und Bild getreulich
wiedergegeben, ſo: die große Touriſtenkataſtrophe auf dem
Großvenediger, der Raubmord an der 73jährigen Bettle-
rin Schmerz, die Vorgänge in Belgrad, die Geſandten v.
Hartwig und Baron Giesl, Miniſteraudienzen in Bad
Iſchl, Admiral Ripper, die neugewählten Rektoren der
Wiener Hochſchulen, der neue Präſident der Statiſtiſchen
Zentralkommiſſion, ein neuer Weltrekord im Dauerflug,
die Vorgänge in Albanien, ein goldenes Prieſterjubiläum,
Fahnenweihe des Turnvereines in Traiskirchen, vierzig-
jähriges Gründungsfeſt des Militär-Veteranen-Vereines
Neutitſchein, ein neues Kaiſerſtandbild in Debreczin, das
Rolletmuſeum in Baden, das Turnerbundfeſt in Lemberg,
Inſpizierungsreiſe des Erzherzogs Leopold Salvator, die
neue Lupusheilſtätte in Wien, der neue Rektor der Uni-
verſität Czernowitz, Bilder von der Akademieausſtellung
in Wien, Infanterietelegraphenkurs in Tulln, das
Schwimmen „Quer durch Wien“, vierzigjähriges Meiſter-
jubiläum des Genoſſenſchaftsvorſtehers der Friſeure, der
Jungwiener Dichter Oskar Pöffel, die Eröffnung des Pa-
namakanals, zahlreiche Sportbilder, Theaterbilder uſw.

[Bei Neigung zu Schlaganfällen] muß
gewiſſenhaft auf die Erzielung ausgiebigen Stuhlganges
ohne Anſtrengung der Bauchpreſſe hingearbeitet werden.
Auf 1 Glas natürliches „Franz Joſef“-Bitterwaſſer, täg-
lich früh nüchtern genoſſen, erfolgt beſchwerdeloſe und ge-
nügende Darmentleerung, an die ſich ein behagliches Ge-
fühl der Erleichterung anzuſchließen pflegt. Profeſſor
v. Duſch hat in der Heidelberger Univerſitäts-Poliklinik
feſtgeſtellt, daß das Franz Joſefs-Bitterwaſſer, ohne un-
angenehme Nebenerſcheinungen hervorzurufen, mit gro-
ßer Sicherheit wirkt. Es iſt in Apotheken, Drogerien und
Mineralwaſſer-Handlungen erhältlich.




[ – 1 Zeile fehlt]


Galiziſche Chronik.


Fluchtverſuch des Poſtoffizials
Wilezek.

Die hieſige Gefangenhausverwal-
tung kam dank der Anzeige mehrerer Zellengenoſſen des
verbrecheriſchen Poſtoffizials Wilczek einem Flucht-
plane desſelben auf die Spur und ordnete deſſen ſtrengſte
Ueberwachung an.




Jagdunfall.

Der Abiturient des hieſigen
zweiten Staatsgymnaſiums, J. Nikiel wurde bei einem
Jagdausfluge nach Kropiwniki von einem ſeiner an der
Jagd teilnehmenden Kollegen infolge eines beklagenswer-
ten Irrtums erſchoſſen.




Erzherzog Leopold Salva-
tor
traf geſtern in Begleitung zweier Offiziere hier ein
und beſichtigte die hieſige Badeanſtalt, woſelbſt er auch ein
Bad nahm.




Erzherzog Karl Albrecht
traf hier aus Wien ein.




Czernowitzer Angelegenheiten.


Gemeinderat.
(Sitzung vom 18. Juli.)

(Fortſetzung des Berichtes.)

GR. Fleminger führt aus, daß die Majoritäts-
parteien des Gemeinderates die Bevölkerung mehr in
Schutz nehmen als die Oppoſition. Es ſei ein billiges Mit-
tel der Minorität, Anträge zu ſtellen und ſodann von der
Majorität die Beſchaffung der nötigen Summen zu ver-
langen. Die Ausgeſtaltung des Schulweſens, die Ver-
beſſerung der Lage der ſtädt. Beamten- und Lehrerſchaft
haben große Mehrauslagen erfordert. Letztere müſſen
natürlich bedeckt werden. Es ſei unrichtig, wenn man be-
hauptet, daß durch die Erhöhung des Zinshellers der
Hausbeſitz entwertet werde, tatſächlich trete dies ein,
wenn die Stadtgemeinde durch Anwachſen des Defizites
jeden Kredit einbüße. Es ſei das Grundprinzip einer
jeden guten Verwaltung, daß im Haushalte ein Einklang
zwiſchen Einnahmen und Ausgaben erzielt wird. Aus-
fälle müſſen eheſtens gedeckt werden. (GR. Dr. Mayer
Ebner: „Die Tragfähigkeit der Bevölkerung muß nicht
geprüft werden?“) Redner erklärt ſchließlich für die gegen-
wärtige Zinshellervorlage zu ſtimmen.

Nach einigen tatſächlichen Berichtigungen der GR.
Oehlgießer, Wender und Dr. Straucher wird
zur Abſtimmung über die bezüglich des Zinshellergeſetzes
eingebrachten Anträge geſchritten. Es gelangten die An-

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[3/0003] 22. Juli 1914. „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“ Das Kriegsgericht von Smyrna, KB. Konſtantinopel, 20. Juli. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Das Kriegsgericht von Smyrna ver- urteilte drei Muſelmanen zum Tode, darunter einen in contumaciam wegen Ermordung eines Griechen und deſſen Schwägerin ſowie wegen Verletzung von deſſen Frau und Tochter in einer in der Ortſchaft Fitrek bei Smyrna gelegenen Mühle. Auch der Grieche, welcher den Bürger- meiſter von Seidiköj ermordet hatte, wurde zum Tode verurteilt. Bunte Chronik. Czernowitz, 21. Juli. Das Attentat auf den „Heiligen“ Raſputin. Steckbrief auf Iliodor. Petersburg, 20. Juli. Der ehemalige Mönch Iliodor, der erbittertſte Feind Raſputins, iſt aus Maria Kanitzi am Don geflohen. Seine Flucht ſoll mit dem Attentat auf Raſputin im Zuſammenhang ſtehen. Iliodor wurde in der letzten Woche ſcharf beobachtet. Der Flüchtling wird ſteck- brieflich verfolgt. Gleich nach dem Attentate auf Raſputin fiel der erſte Verdacht der Urheberſchaft auf den ehemaligen Mönch Iliodor, der die Guſſewa angeſtiftet haben ſoll, ſeinen heftigſten Gegner aus dem Wege zu räumen. Ruſſiſcher Kommentar zur Raſputin-Verehrung. Zum Attentat auf den „Starez“ Griſcha Raſputin liegt in dem Moskauer Blatte Utro Raſſii ein beachtens- werter Artikel vor, in dem die Empörung über die ſcham- loſe Art, in der dieſer Mädchenverführer gefeiert und ver- herrlicht wird, in kraftvoller Weiſe zum Ausdruck kommt. Treffend weiſt das Blatt darauf hin, daß, wenn dieſer „Vergewaltiger und Mädchenverführer“ nicht der in der ganzen Welt bekannte „Starez“ wäre, die Kunde von dem Attentat auf ihn nicht über die Grenze ſeines Heimat- dorfes gelangt wäre. Der Mordverſuch an dem Pokrow- skiſchen Bauern wäre ein rein lokaler Geſprächsſtoff ge- blieben. „Aber Grigori Raſputin — ſo ſagt die Utro Roſſii — iſt der berühmte Held unſerer Zeit des Niederganges. Er iſt derſelbe machtvolle und einflußreiche „Starez“, mit dem mitunter ſelbſt Miniſter rechnen müſſen, in deſſen Pe- tersburger Empfangszimmer kriecheriſch, wie in der guten alten Zeit vor den allgewaltigen Günſtlingen, liebediene- riſche Scharen von Würdenträgern und Damen der haute volee, die Sucher einflußreicher Protektionen und Lieb- haberinnen ſtarker Eindrücke dujourieren, derſelbe, von dem von der Parlamentstribüne geſprochen wird. Der- ſelbe, über den Artikel und Nachrichten regelmäßig in den Spalten ausländiſcher Blätter erſcheinen und vor die Augen des ruſſiſchen Leſers erſt ſorgfältig mit der un- durchdringlichen Schwärze des Zenſors bedeckt gelangen. Und das Gerücht von dem Mordverſuch auf dieſen Mann durcheilt blitzartig ganz Rußland. Und die Tat einer ſexuell Kranken wächſt zu einer allruſſiſchen brennenden Tagesfrage heran.“ Das Moskauer Blatt weiſt dann auf das unwürdige Gebaren der ruſſiſchen haute volee nach Bekanntwerden des Mordanſchlages hin. So ſei, wie der Pet. Kurjer be- richtete, nach Eintreffen einer Eildepeſche über den Mord- anſchlag auf Raſputin eine ſeiner Verehrerinnen aus der vornehmen Welt, das Hoffräulein Ihrer Majeſtät Wyru- bowa, ſofort nach Tjumen abgereiſt in Begleitung „vieler hochgeſtellter Perſonen“ und des bekannten Chirurgen Prof. Fedorow. Das ganze vornehme Petersburg belagere den Telegraph, die ſibiriſche Magiſtrallinie ſei überlaſtet und die Telegramme über den Geſundheitszuſtand des „hochverehrten Starez“ träfen mit 24ſtündigen Verſpä- tungen ein. Tjumen liege in Aſien, jenſeits des Ural, und etwas Aſiatiſches habe dieſer vierzigjährige „Starez“ an ſich, der von einer ganzen Armee von hyſteriſchen Ver- chrerinnen umgeben ſei, die ihre Väter und Männer ver- ließen und dem „verhimmelten Abgott“ folgten. Die vor- nehmen Damen und Würdenträger, die ſich einen Abgott aus dem ungebildeten, aber liſtigen ſibiriſchen Bauern gemacht hätten und ihn als einen Mann eines „heiligen Lebens“ bezeichneten, ſollten ſich ſchämen, denn die, wel- chen die Kehrſeite ſeines „heiligen Lebens“ bekannt ſei, bezeichneten ihn als „Vergewaltiger und Verführer von Mädchen“. „Die Worte „Verehrerin Raſputins“ haben gegen- wärtig eine ſo klar die Frau beſchimpfende Bedeutung erhalten, daß man faktiſch nicht begreifen kann, wie ſich noch Liebhaberinnen finden, öffentlich ein derartiges be- ſchimpfendes Brandmal auf ſich zu nehmen wie den Ruf- namen „Verehrerin Raſputins“ ... Schmerz und Ent- ſetzen packt einen um dieſe Geſellſchaft, die die führende Rolle in den Geſchicken des Landes ſpielt, und um dieſe ſchlechte, gemeine Zeit, die wir alle notgedrungen durch- leben müſſen. Schmerz, Entſetzen und das Gefühl der Schmach erfüllt das ruſſiſche Herz. Es iſt eine Schande für Rußland, für dies große Land, daß es an der Wende des 20. Jahrhunderts ſtillſchweigend Zeuge eines die Seele empörenden Kults ſein muß, der Errichtung eines ſchamloſen Götzen durch die Spitzen der Geſellſchaft, eines Götzen in der Geſtalt eines politiſchen Hochſtaplers und eines ekelhaften Wüſtlings.“ Die Streikbewegung in Petersburg. KB. Petersburg, 20. Juli. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die Streikbewegung trat heute in beſonderer Stärke auf, es ſtreiken über 75.000 Mann. Mehrere De- monſtrationsverſuche wurden von der Polizei unterdrückt. An einem Punkte der Stadt wurde die Polizei mit Stei- nen beworfen. Spionage. Köln, 20. Juli. Wiederum wurde ein Ruſſe unter Spionageverdacht verhaftet, diesmal auf dem von Truppen beſetzten Truppenübungsplatz in Friedrichsfelde, wo der Ruſſe ſich an einen Unteroffizier heranmachte, um Auf- ſchluß über gewiſſe militäriſche Fragen zu erhalten. Der Unteroffizier benachrichtigte den Wachtmeiſter, der den Verdächtigen feſtnehmen und ins Gefängnis abführen ließ. Budapeſt, 20. Juli. Die in Kronſtadt erſchei- nende „Gazeta Tranſylvaniei“ ſchreibt“ Die Kronſtädter Polizei hat, wahrſcheinlich auf höheren Befehl, ſeit einigen Tagen begonnen, die Stadt von den rumäniſchen und ſer- biſchen Deſerteuren zu ſäubern, die ſich in den letzten Jah- ren in Kronſtadt niedergelaſſen haben. Die Zahl dieſer Deſerteure, die ſich insbeſondere in der rumäniſchen Vor- ſtadt niedergelaſſen haben, wo ſie ſich auch verheiratet haben, beträgt ungefähr 250. In einigen Tagen werden ſie Kronſtadt verlaſſen und ſich in magyariſchen Gegenden niederlaſſen müſſen. Im Gegenfalle werden ſie aus dem Lande ausgewieſen werden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieſe Maßregel mit der angeblichen Spionage Rumä- niens und Serbiens in Ungarn in Verbindung ſteht. Der Weltfriedenskongreß. Wien, 20. Juli. In den Tagen vom 15. bis 19. Sep- tember findet in Wien der XXI. Weltfriedenkongreß ſtatt. Die Stadt Wien wird in dieſer Zeit ein großes inter- nationales Publikum zu Gaſt empfangen. Delegierte aus allen fünf Erdteilen werden am Kongreß teilnehmen. Da das Programm der Tagung durch die Publikationen in den Tageszeitungen hinlänglich bekannt iſt, erübrigt ſich bloß die Hervorhebung der Tatſache, daß eine Deputation des Kongreſſes dem Kaiſer eine Adreſſe überreichen wird. Der Empfang beim Kaiſer mag den Pazifiſten der gan- zen Welt neuerdings für einen Beweis der zunehmenden Anerkennung und des ſteigenden Einfluſſes des Welt- friedensgedankens gelten. Furchtbares Gewitter über Konſtan- tinopel. KB. Konſtautinopel, 20. Juli. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Geſtern iſt hier ein Gewitter niedergegangen. Die Moſchee in Stambul wurde durch einen Blitz teilweiſe zerſtört. Die Telephonanlagen der Pforte ſind zerſtört. Selbſtmord eines Bankdirektors. KB. Großwardein, 20. Juli. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der Generaldirektor der innerſtädtiſchen Volks- bank, Groß, verübte infolge finanzieller Schwierig- keiten Selbſtmord. Große Malverſationen in einer Raiff- eiſenkaſſe. Brünn, 20. Juli. „Lidove Noviny“ melden aus Bos- kowitz: In der Raiffeiſenkaſſe in Kunſtadt wurden große Malverſationen entdeckt. Gleich in den erſten Tagen der Reviſion wurde feſtgeſtellt, daß in dem Inſtitute 44.000 Kronen unterſchlagen wurden. Die Malverſationen ver- übte der Kaſſier Polak, der ſich durch ſeine luxuriöſe Lebensweiſe verdächtig machte. Polak wurde verhaftet. Fünf Perſonen an Pilzvergiftung geſtorben. Oppelin, 20. Juli. Die vier Kinder des Fleiſcher- meiſters Bertzik, die zum Sommeraufenthalt mit ihrer Erzieherin in Karlsruhe in Oberſchleſien weilten, er- krankten nach dem Genuſſe von Pilzen, die ſie im Walde gefunden hatten, und ſtarben bald darauf an den Folgen der Pilzvergiftung. Behördliche Schließung des Badener Spielkaſinos. Baden, 20. Juli. Im Auftrage der hieſigen Bezirks- hauptmannſchaft wurde der Badener Spielkaſinoklub unter Gendarmerieaſſiſtenz geſchloſſen. An die Türen wur- den die Amtsſiegel angebracht und das geſamte Klubper- ſonal mußte das Kaſinogebäude ſofort verlaſſen. Urſache der Schließung dürfte der negative Erfolg einer Beſchwerde des Kaſinoklubs an das Miniſterium des Innern gegen einen Statthaltereierlaß ſein, nach welchem dem Klub eine Reihe von Spielen verboten wurde. Der Thronfolgerwechſel in Oeſterreich-Ungarn bildet den Gegenſtand des dieswöchentlichen Titelbildes von V. Chiavacci’s „Wiener Bilder“, auf dem man das Porträt des jugendlichen Erzherzog-Thronfolgers Karl Franz Joſef nach der letzten, erſt vor einigen Tagen erfolgten photographiſchen Aufnahme ſieht. Im Innern dieſes reich- illuſtrierten Familienblattes findet man, nebſt einer überaus gelungenen Aufnahme der Erzherzogin, ſämtliche Ereigniſſe der letzten Woche in Wort und Bild getreulich wiedergegeben, ſo: die große Touriſtenkataſtrophe auf dem Großvenediger, der Raubmord an der 73jährigen Bettle- rin Schmerz, die Vorgänge in Belgrad, die Geſandten v. Hartwig und Baron Giesl, Miniſteraudienzen in Bad Iſchl, Admiral Ripper, die neugewählten Rektoren der Wiener Hochſchulen, der neue Präſident der Statiſtiſchen Zentralkommiſſion, ein neuer Weltrekord im Dauerflug, die Vorgänge in Albanien, ein goldenes Prieſterjubiläum, Fahnenweihe des Turnvereines in Traiskirchen, vierzig- jähriges Gründungsfeſt des Militär-Veteranen-Vereines Neutitſchein, ein neues Kaiſerſtandbild in Debreczin, das Rolletmuſeum in Baden, das Turnerbundfeſt in Lemberg, Inſpizierungsreiſe des Erzherzogs Leopold Salvator, die neue Lupusheilſtätte in Wien, der neue Rektor der Uni- verſität Czernowitz, Bilder von der Akademieausſtellung in Wien, Infanterietelegraphenkurs in Tulln, das Schwimmen „Quer durch Wien“, vierzigjähriges Meiſter- jubiläum des Genoſſenſchaftsvorſtehers der Friſeure, der Jungwiener Dichter Oskar Pöffel, die Eröffnung des Pa- namakanals, zahlreiche Sportbilder, Theaterbilder uſw. [Bei Neigung zu Schlaganfällen] muß gewiſſenhaft auf die Erzielung ausgiebigen Stuhlganges ohne Anſtrengung der Bauchpreſſe hingearbeitet werden. Auf 1 Glas natürliches „Franz Joſef“-Bitterwaſſer, täg- lich früh nüchtern genoſſen, erfolgt beſchwerdeloſe und ge- nügende Darmentleerung, an die ſich ein behagliches Ge- fühl der Erleichterung anzuſchließen pflegt. Profeſſor v. Duſch hat in der Heidelberger Univerſitäts-Poliklinik feſtgeſtellt, daß das Franz Joſefs-Bitterwaſſer, ohne un- angenehme Nebenerſcheinungen hervorzurufen, mit gro- ßer Sicherheit wirkt. Es iſt in Apotheken, Drogerien und Mineralwaſſer-Handlungen erhältlich. _ Galiziſche Chronik. Czernowitz, 21. Juli. Fluchtverſuch des Poſtoffizials Wilezek. Krakau, 20. Juli. Die hieſige Gefangenhausverwal- tung kam dank der Anzeige mehrerer Zellengenoſſen des verbrecheriſchen Poſtoffizials Wilczek einem Flucht- plane desſelben auf die Spur und ordnete deſſen ſtrengſte Ueberwachung an. Jagdunfall. Tarnopol, 20. Juli. Der Abiturient des hieſigen zweiten Staatsgymnaſiums, J. Nikiel wurde bei einem Jagdausfluge nach Kropiwniki von einem ſeiner an der Jagd teilnehmenden Kollegen infolge eines beklagenswer- ten Irrtums erſchoſſen. Lubien, 20. Juli. Erzherzog Leopold Salva- tor traf geſtern in Begleitung zweier Offiziere hier ein und beſichtigte die hieſige Badeanſtalt, woſelbſt er auch ein Bad nahm. Saybuſch, 20. Juli. Erzherzog Karl Albrecht traf hier aus Wien ein. Czernowitzer Angelegenheiten. Czernowitz, 21. Juli. Gemeinderat. (Sitzung vom 18. Juli.) (Fortſetzung des Berichtes.) GR. Fleminger führt aus, daß die Majoritäts- parteien des Gemeinderates die Bevölkerung mehr in Schutz nehmen als die Oppoſition. Es ſei ein billiges Mit- tel der Minorität, Anträge zu ſtellen und ſodann von der Majorität die Beſchaffung der nötigen Summen zu ver- langen. Die Ausgeſtaltung des Schulweſens, die Ver- beſſerung der Lage der ſtädt. Beamten- und Lehrerſchaft haben große Mehrauslagen erfordert. Letztere müſſen natürlich bedeckt werden. Es ſei unrichtig, wenn man be- hauptet, daß durch die Erhöhung des Zinshellers der Hausbeſitz entwertet werde, tatſächlich trete dies ein, wenn die Stadtgemeinde durch Anwachſen des Defizites jeden Kredit einbüße. Es ſei das Grundprinzip einer jeden guten Verwaltung, daß im Haushalte ein Einklang zwiſchen Einnahmen und Ausgaben erzielt wird. Aus- fälle müſſen eheſtens gedeckt werden. (GR. Dr. Mayer Ebner: „Die Tragfähigkeit der Bevölkerung muß nicht geprüft werden?“) Redner erklärt ſchließlich für die gegen- wärtige Zinshellervorlage zu ſtimmen. Nach einigen tatſächlichen Berichtigungen der GR. Oehlgießer, Wender und Dr. Straucher wird zur Abſtimmung über die bezüglich des Zinshellergeſetzes eingebrachten Anträge geſchritten. Es gelangten die An-

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 3502, Czernowitz, 22.07.1914, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer3502_1914/3>, abgerufen am 25.11.2024.