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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 21. Burg/Berlin, 1836.

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[Beginn Spaltensatz] Cyrill in Zukunft mit diesem ehrenvollen Titel beehrt zu
werden verdiene. *)



Napoleon im Felde.

Von einem Pagen des kaiserlichen Palastes.
(Fortsetzung.)

Hielt Napoleon an, so that das ganze Gefolge das-
selbe und stieg ab, ausgenommen die Jäger der Eskorte,
die im Sattel blieben. Stieg Napoleon aus dem Wagen,
so saßen vier Guides ab, pflanzten das Bayonnet auf das
Ende des Karabiners, präsentirten das Gewehr und stell-
ten sich mit dem Rücken einander gegenüber um ihn her;
aber keiner von den Offizieren des Gefolges saß ab, wenn
es der Kaiser nicht erlaubte, indem er sagte: "Abgesessen
meine Herren!" Er stieg aus dem Wagen, wenn er frische
Luft athmen oder eine Anhöhe zu Fuß hinaufgehen wollte.
Wollte er den Feind mit seinem Fernglase beobachten,
so wurde die Anzahl der Jäger, welche zu Mahlzeichen dien-
ten, verdoppelt, das Viereck, in welchem sich Napoleon be-
fand, erweiterte sich ebenso, und ging, in Folge seiner Be-
wegungen mit ihm weiter, immer aber in einer Entfernung
von fünfundzwanzig oder dreißig Schritten. Waren die Ge-
genstände, die er recognosziren wollte, in zu großer Ferne,
so reichte ihm der den Dienst versehende Page das Fern-
rohr auf sein Verlangen; der Kaiser legte es auf die Schul-
ter des letztern, und machte so seine Beobachtungen. Diese
neue Art von Statio erhielt sich nicht immer in der ge-
wünschten Unbeweglichkeit, dann sagte der Kaiser wohl zu
dem Pagen, in heiterem Tone, dem aber doch ein wenig
Ungeduld beigemischt war: "Steh' doch stille, rühre dich
doch nicht..... Nun, mein Herr, wollen Sie mir wohl
die Freundschaft erweisen, sich einen Augenblick ruhig zu
halten, wenn es möglich ist." Und war er es dann über-
drüssig, seinen Pagen kerzengerade stehen zu lassen, oder
müde zu sehen, weil meistens nichts zu sehen war, so stellte
er dem Pagen das Fernrohr wieder zu, und gab ihm mit
der verkehrten Hand einen Schlag auf die Backe, gleichsam
zum Dank für seinen Gehorsam, vielleicht auch wohl für
seine bewiesene Geduld.

"Mein Herr," sagte er zu dem Pagen, der am näch-
sten bei ihm war, "geben Sie dem Pferde beide Sporen,
und sehen Sie was das ist, das ich dort unten sehe, und
kommen Sie schnell zurück, ich erwarte Sie hier."

Sofort wirft sich der Page auf sein Pferd und jagt
dermaßen, daß Reiter und Pferd bald der eine über das
andere rollen. Es war im Anfang Aprils, es hatte Tags
vorher stark geregnet, der Boden war schlüpfrig. Der Kai-
ser spricht ein ah! hervorgerufen durch die Furcht, daß der
Page todt sein möchte; da er ihn aber sofort wieder zu
Pferde steigen und im Gallop fortjagen sieht, ruft er:
"Der kleine Teufel, ein Anderer hätte Arm und Bein ge-
brochen; er aber, bah! er ist eine elastische Kugel."

[Spaltenumbruch]

Man muß wissen, daß die vom Kaiser in jedem Ge-
spräch angebrachte Sylbe ah! in seinem Munde eine Menge
von Bedeutungen hatte. Er hatte sich diesen Ausruf an-
gewöhnt, und wußte ihn auf eine so verschiedene Weise zu
moduliren, daß man aus dem Accente, womit er von ihm
ausgesprochen wurde, erkennen konnte, ob dasjenige, was
unter seinen Augen vorging, ihm Freude oder Mißfallen
verursachte; ob die erhaltene Nachricht gut oder schlecht
war; er begriff ebenso den Sinn und den Geist der Rede
in sich, die an ihn gehalten worden, indem er abermals
durch ein sehr bedeutsames ah! seine Zufriedenheit oder sein
Mißvergnügen zu erkennen gab.

Nach Napoleons Lieblingsausruf war kaum eine Vier-
telstunde verflossen, als der Page zurück war, allein sein
Gesicht, Brust und Arme waren dermaßen mit Koth be-
deckt, daß er und seine Uniform unkenntlich waren. Er
gab Bescheid von seiner Sendung; was Napoleon in der
Ferne für ein rastendes Kosakenpulk gehalten hatte, war
nichts Anderes, als ein Büschel vom Winde sanft gewieg-
tes Strauchwerk. Etwas verlegen über den Jrrthum, ver-
änderte er sofort das Gespräch:

"Jn welchem Zustande, mein Herr, kommen Sie zu
mir?" sagt Napoleon, indem er das Lächeln nicht merken
zu lassen sucht, welches das Aussehen seines Pagen auf seine
Lippen hervorruft.

"Sire," antwortet der von seinem Sturz ganz ge-
quetschte junge Mann, "um die Befehle Ew. Majestät
besser zu vollziehen, wollte ich mein Pferd ein wenig an-
treiben, es glitt mit den Vorderbeinen aus, und....

"Und Patatras! " rief Napoleon, "Sie fielen
wie ein Ungeschickter herab; ich wette, das Pferd war auch
daran Schuld."

"Sire, ich kann Ew. Majestät versichern, daß eben
jetzt es meine Schuld nicht war."

"Das dachte ich!... Ja, mein Herr, Sie sind Schuld
daran, weil ich Jhnen diesesmal nicht gesagt hatte, in ge-
strecktem Gallop zu jagen."

Sodann seiner Heiterkeit freien Lauf lassend, fügte
er in einem Tone des Bedauerns und zugleich von Wohl-
wollen hinzu: "Nun! es wird ja nichts zu bedeuten haben,
und morgen wollen wir, weder der Eine noch der Andere
daran denken...."

Der Page ging, um dem erhaltenen Rathe zufolge
sich pflegen zu lassen, und mußte mehre Tage das Bette hü-
ten, so sehr hatte er sich bei seinem Sturze gequetscht; und
wie der Kaiser ihn nun weggehen sah, zuckte er die Schul-
tern und sagte zu dem Fürsten von Neufchatel in fast gerühr-
tem Tone: "Sehen Sie doch, Berthier, wie das arme Kind so
wunderlich gekleidet ist! Gefahr laufen, sich zu tödten, um
meine Befehle besser zu vollziehen! Alle sind aber so! Es
ist gleichviel, ich habe wohlgethan, daß ich nicht merken
ließ, daß ich gerührt war; man muß die kleinen Schelme
nicht verderben." Dann wiederholte er neuerdings: "Arme
Kinder!" und jetzt hatte er gleichsam Thränen in seinen
Augen.

    (Fortsetzung folgt.)



[Ende Spaltensatz]
*) Wir entnehmen dieses slavonische Mährchen dem Taschen-
buche für 1837, Frauenlob, das von Joh. N. Vogel
herausgegeben und in Wien auf Kosten des Herausgebers
der Vesta erschienen ist, und sich durch werthvolle Kupfer-
stiche und interessante literarische Aufsätze vor den meisten
diesjährigen Taschenbüchern sehr vortheilhaft auszeichnet.
    D. R.

327 Conversations=Blatt. 328
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Napoleon im Felde.

Von einem Pagen des kaiserlichen Palastes.
(Fortsetzung.)

Hielt Napoleon an, so that das ganze Gefolge das-
selbe und stieg ab, ausgenommen die Jäger der Eskorte,
die im Sattel blieben. Stieg Napoleon aus dem Wagen,
so saßen vier Guides ab, pflanzten das Bayonnet auf das
Ende des Karabiners, präsentirten das Gewehr und stell-
ten sich mit dem Rücken einander gegenüber um ihn her;
aber keiner von den Offizieren des Gefolges saß ab, wenn
es der Kaiser nicht erlaubte, indem er sagte: „Abgesessen
meine Herren!“ Er stieg aus dem Wagen, wenn er frische
Luft athmen oder eine Anhöhe zu Fuß hinaufgehen wollte.
Wollte er den Feind mit seinem Fernglase beobachten,
so wurde die Anzahl der Jäger, welche zu Mahlzeichen dien-
ten, verdoppelt, das Viereck, in welchem sich Napoleon be-
fand, erweiterte sich ebenso, und ging, in Folge seiner Be-
wegungen mit ihm weiter, immer aber in einer Entfernung
von fünfundzwanzig oder dreißig Schritten. Waren die Ge-
genstände, die er recognosziren wollte, in zu großer Ferne,
so reichte ihm der den Dienst versehende Page das Fern-
rohr auf sein Verlangen; der Kaiser legte es auf die Schul-
ter des letztern, und machte so seine Beobachtungen. Diese
neue Art von Statio erhielt sich nicht immer in der ge-
wünschten Unbeweglichkeit, dann sagte der Kaiser wohl zu
dem Pagen, in heiterem Tone, dem aber doch ein wenig
Ungeduld beigemischt war: „Steh' doch stille, rühre dich
doch nicht..... Nun, mein Herr, wollen Sie mir wohl
die Freundschaft erweisen, sich einen Augenblick ruhig zu
halten, wenn es möglich ist.“ Und war er es dann über-
drüssig, seinen Pagen kerzengerade stehen zu lassen, oder
müde zu sehen, weil meistens nichts zu sehen war, so stellte
er dem Pagen das Fernrohr wieder zu, und gab ihm mit
der verkehrten Hand einen Schlag auf die Backe, gleichsam
zum Dank für seinen Gehorsam, vielleicht auch wohl für
seine bewiesene Geduld.

„Mein Herr,“ sagte er zu dem Pagen, der am näch-
sten bei ihm war, „geben Sie dem Pferde beide Sporen,
und sehen Sie was das ist, das ich dort unten sehe, und
kommen Sie schnell zurück, ich erwarte Sie hier.“

Sofort wirft sich der Page auf sein Pferd und jagt
dermaßen, daß Reiter und Pferd bald der eine über das
andere rollen. Es war im Anfang Aprils, es hatte Tags
vorher stark geregnet, der Boden war schlüpfrig. Der Kai-
ser spricht ein ah! hervorgerufen durch die Furcht, daß der
Page todt sein möchte; da er ihn aber sofort wieder zu
Pferde steigen und im Gallop fortjagen sieht, ruft er:
„Der kleine Teufel, ein Anderer hätte Arm und Bein ge-
brochen; er aber, bah! er ist eine elastische Kugel.“

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Man muß wissen, daß die vom Kaiser in jedem Ge-
spräch angebrachte Sylbe ah! in seinem Munde eine Menge
von Bedeutungen hatte. Er hatte sich diesen Ausruf an-
gewöhnt, und wußte ihn auf eine so verschiedene Weise zu
moduliren, daß man aus dem Accente, womit er von ihm
ausgesprochen wurde, erkennen konnte, ob dasjenige, was
unter seinen Augen vorging, ihm Freude oder Mißfallen
verursachte; ob die erhaltene Nachricht gut oder schlecht
war; er begriff ebenso den Sinn und den Geist der Rede
in sich, die an ihn gehalten worden, indem er abermals
durch ein sehr bedeutsames ah! seine Zufriedenheit oder sein
Mißvergnügen zu erkennen gab.

Nach Napoleons Lieblingsausruf war kaum eine Vier-
telstunde verflossen, als der Page zurück war, allein sein
Gesicht, Brust und Arme waren dermaßen mit Koth be-
deckt, daß er und seine Uniform unkenntlich waren. Er
gab Bescheid von seiner Sendung; was Napoleon in der
Ferne für ein rastendes Kosakenpulk gehalten hatte, war
nichts Anderes, als ein Büschel vom Winde sanft gewieg-
tes Strauchwerk. Etwas verlegen über den Jrrthum, ver-
änderte er sofort das Gespräch:

„Jn welchem Zustande, mein Herr, kommen Sie zu
mir?“ sagt Napoleon, indem er das Lächeln nicht merken
zu lassen sucht, welches das Aussehen seines Pagen auf seine
Lippen hervorruft.

„Sire,“ antwortet der von seinem Sturz ganz ge-
quetschte junge Mann, „um die Befehle Ew. Majestät
besser zu vollziehen, wollte ich mein Pferd ein wenig an-
treiben, es glitt mit den Vorderbeinen aus, und....

„Und Patatras! “ rief Napoleon, „Sie fielen
wie ein Ungeschickter herab; ich wette, das Pferd war auch
daran Schuld.“

„Sire, ich kann Ew. Majestät versichern, daß eben
jetzt es meine Schuld nicht war.“

„Das dachte ich!... Ja, mein Herr, Sie sind Schuld
daran, weil ich Jhnen diesesmal nicht gesagt hatte, in ge-
strecktem Gallop zu jagen.“

Sodann seiner Heiterkeit freien Lauf lassend, fügte
er in einem Tone des Bedauerns und zugleich von Wohl-
wollen hinzu: „Nun! es wird ja nichts zu bedeuten haben,
und morgen wollen wir, weder der Eine noch der Andere
daran denken....“

Der Page ging, um dem erhaltenen Rathe zufolge
sich pflegen zu lassen, und mußte mehre Tage das Bette hü-
ten, so sehr hatte er sich bei seinem Sturze gequetscht; und
wie der Kaiser ihn nun weggehen sah, zuckte er die Schul-
tern und sagte zu dem Fürsten von Neufchatel in fast gerühr-
tem Tone: „Sehen Sie doch, Berthier, wie das arme Kind so
wunderlich gekleidet ist! Gefahr laufen, sich zu tödten, um
meine Befehle besser zu vollziehen! Alle sind aber so! Es
ist gleichviel, ich habe wohlgethan, daß ich nicht merken
ließ, daß ich gerührt war; man muß die kleinen Schelme
nicht verderben.“ Dann wiederholte er neuerdings: „Arme
Kinder!“ und jetzt hatte er gleichsam Thränen in seinen
Augen.

    (Fortsetzung folgt.)



[Ende Spaltensatz]
*) Wir entnehmen dieses slavonische Mährchen dem Taschen-
buche für 1837, Frauenlob, das von Joh. N. Vogel
herausgegeben und in Wien auf Kosten des Herausgebers
der Vesta erschienen ist, und sich durch werthvolle Kupfer-
stiche und interessante literarische Aufsätze vor den meisten
diesjährigen Taschenbüchern sehr vortheilhaft auszeichnet.
    D. R.
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Der Kai- ser spricht ein ah! hervorgerufen durch die Furcht, daß der Page todt sein möchte; da er ihn aber sofort wieder zu Pferde steigen und im Gallop fortjagen sieht, ruft er: „Der kleine Teufel, ein Anderer hätte Arm und Bein ge- brochen; er aber, bah! er ist eine elastische Kugel.“ Man muß wissen, daß die vom Kaiser in jedem Ge- spräch angebrachte Sylbe ah! in seinem Munde eine Menge von Bedeutungen hatte. Er hatte sich diesen Ausruf an- gewöhnt, und wußte ihn auf eine so verschiedene Weise zu moduliren, daß man aus dem Accente, womit er von ihm ausgesprochen wurde, erkennen konnte, ob dasjenige, was unter seinen Augen vorging, ihm Freude oder Mißfallen verursachte; ob die erhaltene Nachricht gut oder schlecht war; er begriff ebenso den Sinn und den Geist der Rede in sich, die an ihn gehalten worden, indem er abermals durch ein sehr bedeutsames ah! seine Zufriedenheit oder sein Mißvergnügen zu erkennen gab. Nach Napoleons Lieblingsausruf war kaum eine Vier- telstunde verflossen, als der Page zurück war, allein sein Gesicht, Brust und Arme waren dermaßen mit Koth be- deckt, daß er und seine Uniform unkenntlich waren. Er gab Bescheid von seiner Sendung; was Napoleon in der Ferne für ein rastendes Kosakenpulk gehalten hatte, war nichts Anderes, als ein Büschel vom Winde sanft gewieg- tes Strauchwerk. Etwas verlegen über den Jrrthum, ver- änderte er sofort das Gespräch: „Jn welchem Zustande, mein Herr, kommen Sie zu mir?“ sagt Napoleon, indem er das Lächeln nicht merken zu lassen sucht, welches das Aussehen seines Pagen auf seine Lippen hervorruft. „Sire,“ antwortet der von seinem Sturz ganz ge- quetschte junge Mann, „um die Befehle Ew. Majestät besser zu vollziehen, wollte ich mein Pferd ein wenig an- treiben, es glitt mit den Vorderbeinen aus, und.... „Und Patatras! “ rief Napoleon, „Sie fielen wie ein Ungeschickter herab; ich wette, das Pferd war auch daran Schuld.“ „Sire, ich kann Ew. 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Es ist gleichviel, ich habe wohlgethan, daß ich nicht merken ließ, daß ich gerührt war; man muß die kleinen Schelme nicht verderben.“ Dann wiederholte er neuerdings: „Arme Kinder!“ und jetzt hatte er gleichsam Thränen in seinen Augen. (Fortsetzung folgt.) *) Wir entnehmen dieses slavonische Mährchen dem Taschen- buche für 1837, Frauenlob, das von Joh. N. Vogel herausgegeben und in Wien auf Kosten des Herausgebers der Vesta erschienen ist, und sich durch werthvolle Kupfer- stiche und interessante literarische Aufsätze vor den meisten diesjährigen Taschenbüchern sehr vortheilhaft auszeichnet. D. R.

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 21. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt21_1836/4>, abgerufen am 06.06.2024.