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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 8. Burg/Berlin, 1836.

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125 Conversations=Blatt. 126
[Beginn Spaltensatz] konnte; und am Eingange zu diesem Pfade war es,
wo die zuerst gegen Herrmann ausgesandten Soldaten
durch den Einfall der Schneemauer verschüttet wurden.

Als der Gouverneur die Lage der Feste besehen
und sich überzeugt hatte, daß man auf keinem anderen
Wege, als dem Wendelpfade vorn, hineingelangen
könne, that er seine Ankunft den Belagerten durch
eine Salve von Flinten= und Artillerie=Schüssen kund.
Die Kugeln rissen einige Splitter vom Felsen ab, allein
keine einzige erreichte die Burg, die, wie erwähnt,
an dieser Stelle von den Jngenieuren nicht gesehen
werden konnte. Auf allen benachbarten Höhen wurden
Wachposten ausgestellt; die Waldungen in der Nähe
wurden ohne Erfolg in allen Richtungen durchsucht,
um gewiß zu werden, ob nicht noch ein anderer Pfad,
als der beschriebene, zur Burg führe, und da dieser
einzige Weg durch Eis und Schnee völlig verstopft
war, und unter solchen Umständen ein einziger Mann
das Vordringen eines ganzen Heeres an dessen schmalen
und geschlängelten Engwegen gleich hätte aufhalten
können, so hielt es der Gouverneur für rathsam, die
Belagerung in eine Blokade zu verwandeln, und zu
versuchen, die Burg, welche die Natur durch solch
eine außerordentliche Lage zu vertheidigen gesucht hatte,
durch Hunger zu erobern.

Es war gegen Ende Dezembers; die Kälte war
durchdringend, und die Zelte der Belagerer schützten
nicht gehörig vor derselben. Jhre aus beträchtlicher
Entfernung bezogenen Provisionen litten meist unterwegs
durch Frost. Zu gleicher Zeit deutete der dicke Rauch,
der aus der Burg in die Höhe stieg, an, daß deren
Bewohner mit allen Erfordernissen versehen wären, um
sich gegen die strenge Jahrszeit zu schützen. Auf das
Hinaufrufen von Drohungen erwiederten sie nur höh-
nenden Spotten. Jeden Abend hallten die Echo's von
einem Falkonetschuß, der von den Belagerern gethan
wurde, um die Aufmerksamkeit ihrer Außenposten zu
wecken, im Thale wieder, und er ward beständig
durch einen gleichen Schuß von der Burg beantwortet,
wonach die Soldaten meinten, sie könnten manchmal
die Schildwachen auf der Alpen=Bettung über ihnen
ablösen hören.

Jn diesem Zustande verblieb es bis gegen Anfang
des März, und der Gouverneur hielt sich überzeugt,
daß die Belagerten sich nicht wohl länger halten könn-
ten, denn er hatte vernommen, daß die Burg zur
Zeit ihrer Berennung nur schwach verproviantirt gewe-
sen sei, und Herrmann kaum Zeit oder Gelegenheit
gehabt habe, Vorräthe hineinzubringen. Seine Ver-
muthungen schienen in Erfüllung zu gehen, als er
eines Morgens, nach einer länger als vierzig Tage
fortgesetzten Belagerung, eine weiße Flagge auf dem
Gipfel des Pfades, der zur Burg führte, ausgesteckt
und zwei oder drei Unbewaffnete Tücher über die
Brustwehr der Bettung schwingen sah. Ueberzeugt,
daß die Belagerten Signale zur Uebergabe machten,
sandte er zwei Offiziere ihrer Parlamentär=Flagge ent-
gegen, um die Führer derselben in's Lager zu füh-
ren. Zu gleicher Zeit sah er auf dem sich windenden
[Spaltenumbruch] Pfade einen Oberaufseher und vier Mann herabstei-
gen, die große Körbe auf ihren Schultern trugen,
welche sie zuletzt am Fuße des Felsens niedersetzten.
Jhr Anführer übergab für den Gouverneur zu gleicher
Zeit eine Depesche, worauf er mit seinen Begleitern
sofort die jähe Anhöhe wieder zu erklimmen begann.

Die Körbe und die Depesche wurden in's Lager
gebracht. Die letztere war ein Schreiben Herrmanns
an den Gouverneur, worin er diesem rieth, seine nutz-
lose Unternehmung aufzugeben und sich und seine Sol-
daten dem Erfrieren bei der Blokade einer Feste nicht
länger auszusetzen, die durch eine mächtigere Macht
vertheidigt würde, als der Souverän besitze, der ihn
gesandt habe. Er bedauerte ihn wegen der zahllosen
Entbehrungen, denen er bei der Erfüllung seiner
schweren Pflicht unterworfen gewesen sei; und da er
wisse, hieß es in dem Schreiben, wie sehr der Gou-
verneur in dieser kalten Jahrszeit an Lebensmitteln
Mangel leide, so bitte der Schreiber, er möchte bei-
kommendes kleines Geschenk gütigst von ihm annehmen
- und werde er es während der Dauer der ungün-
stigen Witterung so oft wiederholen, als der Gouver-
neur ihm die Ehre erzeigen werde, es anzunehmen. -

    (Fortsetzung folgt.)



Miscellen.
Die Ratten (Ratzen) .

Der Baron Nienland, ein Edelmann ans Gel-
dern und Kommandeur eines Kriegsschiffes der Gene-
ralstaaten, ein unterrichteter und wahrheitsliebender
Mann, erzählt Folgendes in Bezug auf diese Thiere,
deren übrige Naturgeschichte zu bekannt ist, um hier
erwähnt zu werden.

"Als ich einst eine Kauffahrtei=Flotte nach Spa-
nien begleitete, klagte mir mein Schiffswundarzt, daß
es ihm nicht helfe, wenn er gleich alle Morgen die
Eier zähle, welche für die Kranken sorgfältig verschlos-
sen würden, indem täglich mehre davon fehlten. Er
hatte seine Bedienten in dem Verdacht, daß sie Nach-
schlüssel hätten, und schlug sogar einen derselben, der
ihm auf seine Nachfrage deshalb eine unbescheidene
Antwort gab. Dieser Mensch, der dergleichen Be-
handlung nicht gewohnt war, nahm sich vor, den
Dieb zu entdecken, und dieses gelang ihm auch sehr
bald. Als er seinem Herren diese Entdeckung hinter-
brachte, wollte ihm dieser nicht glauben und drohete
ihm von neuem mit Schlägen. Der Bediente kam
klagend zu mir, fand mich aber eben so ungläubig,
als seinen Herrn. Nun ließ ich jedoch die hölzernen
Wände der Kammer, wo die Eier verwahrt lagen,
an verschiedenen Stellen durchbohren, und stellte mich
gegen Mitternacht mit noch einigen Andern davor.
Bald erschienen drei große Ratten, die sogleich auf
ein halbleeres Eierfäßchen losgingen. Eine derselben
stieg in das Fäßchen hinein, eine andere stellte sich

[Ende Spaltensatz]

125 Conversations=Blatt. 126
[Beginn Spaltensatz] konnte; und am Eingange zu diesem Pfade war es,
wo die zuerst gegen Herrmann ausgesandten Soldaten
durch den Einfall der Schneemauer verschüttet wurden.

Als der Gouverneur die Lage der Feste besehen
und sich überzeugt hatte, daß man auf keinem anderen
Wege, als dem Wendelpfade vorn, hineingelangen
könne, that er seine Ankunft den Belagerten durch
eine Salve von Flinten= und Artillerie=Schüssen kund.
Die Kugeln rissen einige Splitter vom Felsen ab, allein
keine einzige erreichte die Burg, die, wie erwähnt,
an dieser Stelle von den Jngenieuren nicht gesehen
werden konnte. Auf allen benachbarten Höhen wurden
Wachposten ausgestellt; die Waldungen in der Nähe
wurden ohne Erfolg in allen Richtungen durchsucht,
um gewiß zu werden, ob nicht noch ein anderer Pfad,
als der beschriebene, zur Burg führe, und da dieser
einzige Weg durch Eis und Schnee völlig verstopft
war, und unter solchen Umständen ein einziger Mann
das Vordringen eines ganzen Heeres an dessen schmalen
und geschlängelten Engwegen gleich hätte aufhalten
können, so hielt es der Gouverneur für rathsam, die
Belagerung in eine Blokade zu verwandeln, und zu
versuchen, die Burg, welche die Natur durch solch
eine außerordentliche Lage zu vertheidigen gesucht hatte,
durch Hunger zu erobern.

Es war gegen Ende Dezembers; die Kälte war
durchdringend, und die Zelte der Belagerer schützten
nicht gehörig vor derselben. Jhre aus beträchtlicher
Entfernung bezogenen Provisionen litten meist unterwegs
durch Frost. Zu gleicher Zeit deutete der dicke Rauch,
der aus der Burg in die Höhe stieg, an, daß deren
Bewohner mit allen Erfordernissen versehen wären, um
sich gegen die strenge Jahrszeit zu schützen. Auf das
Hinaufrufen von Drohungen erwiederten sie nur höh-
nenden Spotten. Jeden Abend hallten die Echo's von
einem Falkonetschuß, der von den Belagerern gethan
wurde, um die Aufmerksamkeit ihrer Außenposten zu
wecken, im Thale wieder, und er ward beständig
durch einen gleichen Schuß von der Burg beantwortet,
wonach die Soldaten meinten, sie könnten manchmal
die Schildwachen auf der Alpen=Bettung über ihnen
ablösen hören.

Jn diesem Zustande verblieb es bis gegen Anfang
des März, und der Gouverneur hielt sich überzeugt,
daß die Belagerten sich nicht wohl länger halten könn-
ten, denn er hatte vernommen, daß die Burg zur
Zeit ihrer Berennung nur schwach verproviantirt gewe-
sen sei, und Herrmann kaum Zeit oder Gelegenheit
gehabt habe, Vorräthe hineinzubringen. Seine Ver-
muthungen schienen in Erfüllung zu gehen, als er
eines Morgens, nach einer länger als vierzig Tage
fortgesetzten Belagerung, eine weiße Flagge auf dem
Gipfel des Pfades, der zur Burg führte, ausgesteckt
und zwei oder drei Unbewaffnete Tücher über die
Brustwehr der Bettung schwingen sah. Ueberzeugt,
daß die Belagerten Signale zur Uebergabe machten,
sandte er zwei Offiziere ihrer Parlamentär=Flagge ent-
gegen, um die Führer derselben in's Lager zu füh-
ren. Zu gleicher Zeit sah er auf dem sich windenden
[Spaltenumbruch] Pfade einen Oberaufseher und vier Mann herabstei-
gen, die große Körbe auf ihren Schultern trugen,
welche sie zuletzt am Fuße des Felsens niedersetzten.
Jhr Anführer übergab für den Gouverneur zu gleicher
Zeit eine Depesche, worauf er mit seinen Begleitern
sofort die jähe Anhöhe wieder zu erklimmen begann.

Die Körbe und die Depesche wurden in's Lager
gebracht. Die letztere war ein Schreiben Herrmanns
an den Gouverneur, worin er diesem rieth, seine nutz-
lose Unternehmung aufzugeben und sich und seine Sol-
daten dem Erfrieren bei der Blokade einer Feste nicht
länger auszusetzen, die durch eine mächtigere Macht
vertheidigt würde, als der Souverän besitze, der ihn
gesandt habe. Er bedauerte ihn wegen der zahllosen
Entbehrungen, denen er bei der Erfüllung seiner
schweren Pflicht unterworfen gewesen sei; und da er
wisse, hieß es in dem Schreiben, wie sehr der Gou-
verneur in dieser kalten Jahrszeit an Lebensmitteln
Mangel leide, so bitte der Schreiber, er möchte bei-
kommendes kleines Geschenk gütigst von ihm annehmen
– und werde er es während der Dauer der ungün-
stigen Witterung so oft wiederholen, als der Gouver-
neur ihm die Ehre erzeigen werde, es anzunehmen. –

    (Fortsetzung folgt.)



Miscellen.
Die Ratten (Ratzen) .

Der Baron Nienland, ein Edelmann ans Gel-
dern und Kommandeur eines Kriegsschiffes der Gene-
ralstaaten, ein unterrichteter und wahrheitsliebender
Mann, erzählt Folgendes in Bezug auf diese Thiere,
deren übrige Naturgeschichte zu bekannt ist, um hier
erwähnt zu werden.

„Als ich einst eine Kauffahrtei=Flotte nach Spa-
nien begleitete, klagte mir mein Schiffswundarzt, daß
es ihm nicht helfe, wenn er gleich alle Morgen die
Eier zähle, welche für die Kranken sorgfältig verschlos-
sen würden, indem täglich mehre davon fehlten. Er
hatte seine Bedienten in dem Verdacht, daß sie Nach-
schlüssel hätten, und schlug sogar einen derselben, der
ihm auf seine Nachfrage deshalb eine unbescheidene
Antwort gab. Dieser Mensch, der dergleichen Be-
handlung nicht gewohnt war, nahm sich vor, den
Dieb zu entdecken, und dieses gelang ihm auch sehr
bald. Als er seinem Herren diese Entdeckung hinter-
brachte, wollte ihm dieser nicht glauben und drohete
ihm von neuem mit Schlägen. Der Bediente kam
klagend zu mir, fand mich aber eben so ungläubig,
als seinen Herrn. Nun ließ ich jedoch die hölzernen
Wände der Kammer, wo die Eier verwahrt lagen,
an verschiedenen Stellen durchbohren, und stellte mich
gegen Mitternacht mit noch einigen Andern davor.
Bald erschienen drei große Ratten, die sogleich auf
ein halbleeres Eierfäßchen losgingen. Eine derselben
stieg in das Fäßchen hinein, eine andere stellte sich

[Ende Spaltensatz]
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Der Baron Nienland, ein Edelmann ans Gel- dern und Kommandeur eines Kriegsschiffes der Gene- ralstaaten, ein unterrichteter und wahrheitsliebender Mann, erzählt Folgendes in Bezug auf diese Thiere, deren übrige Naturgeschichte zu bekannt ist, um hier erwähnt zu werden. „Als ich einst eine Kauffahrtei=Flotte nach Spa- nien begleitete, klagte mir mein Schiffswundarzt, daß es ihm nicht helfe, wenn er gleich alle Morgen die Eier zähle, welche für die Kranken sorgfältig verschlos- sen würden, indem täglich mehre davon fehlten. Er hatte seine Bedienten in dem Verdacht, daß sie Nach- schlüssel hätten, und schlug sogar einen derselben, der ihm auf seine Nachfrage deshalb eine unbescheidene Antwort gab. Dieser Mensch, der dergleichen Be- handlung nicht gewohnt war, nahm sich vor, den Dieb zu entdecken, und dieses gelang ihm auch sehr bald. Als er seinem Herren diese Entdeckung hinter- brachte, wollte ihm dieser nicht glauben und drohete ihm von neuem mit Schlägen. 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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 8. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt08_1836/7>, abgerufen am 24.11.2024.