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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 7. Burg/Berlin, 1836.

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99 Conversations=Blatt. 100
[Spaltenumbruch] bald sie antworten konnten: Wir haben die Rebellen
geschlagen!

Bei diesem Rückzug bewiesen sich diese Krieger
unwürdig und brandmarkten sich durch eine Menge von
Abscheulichkeiten. Täglich trafen neue Nachrichten bei
Joaquin und seinem Schwager Pablo ein. Verwun-
dete, Verstümmelte, Sterbende schleppten sich nach
San Pedro, schrieen um Rache und stürzten zu den
Füßen ihrer Landsleute verblutend hin. Mißhandelte
Frauen und Mädchen stoben weinend heran und jam-
merten heulend um Rache.

Diesem Anblick kann ich unmöglich länger wider-
stehen!" sprach endlich Joaquin zu seiner Maria,
"ich muß hinaus, diesen Ungeheuern entgegen! Mich
treibt es fort in den Kampf, hier kann ich länger
nicht weilen, ich ersticke in dieser Luft; in jedem
Luftzug, der von der Sierra herüberweht, glaube ich
die seufzenden Stimmen unsers Vaters und unsrer so
niederträchtig hingeschlachteten Brüder zu vernehmen,
sie mahnen mich klagend, daß ich sie noch nicht ge-
rächt habe!"

Schweigend betrachtete ihn Marie, sie konnte
nicht sprechen! Sie preßte ihr Kind heftig an das
Herz, trat näher zu ihrem Mann, schlang einen Arm
um den Hals ihres Bruders, umfing sie so Alle und
schloß sie an ihre Brust. Ach, sie hätte die Theuren
in ihrem Herzen bergen mögen!

"Ach!" sprach sie zu Joaquin, "ich habe nicht
die Kraft, dich zurückzuhalten, aber noch weniger den
Muth, dich gehen zu heißen. Jedoch, mein Freund,
hat Gott dich berufen, so geh, wohin er dir befiehlt
- heilig ist unsre Sache, sie muß siegen!"

Allein ihre Gedanken entflohen plötzlich zu ihrem
Vater und zu ihren Brüdern, welche alle vier Käm-
pfer für diese heilige Sache gesiegt und dennoch besiegt
gefallen waren. Bei dieser Erinnerung brach ihr
Herz, ein Strom von Thränen entrann der Schluch-
zenden. Aller Muth und alle Kraft schienen von der
liebenden, zärtlichen, an ihrem Schmerz sterbenden
Mutter gewichen zu sein. Ach, man kann an seinem
Schmerz sterben!

Joaquin zog hinaus, aber nicht, ohne zuvor
seiner Marie genaue Verhaltungsregeln für jeden mög-
lichen Fall ertheilt zu haben. Diese waren sehr ein-
fach und leicht verständlich, weil sie sämmtlich die
Sicherheit ihres Sohnes und ihrer alten Großmutter
betrafen.

Es war am 15. September Abends elf Uhr,
als Joaquin und Pablo Munoz an der Spitze von
zweihundert Wohlbewaffneten und von Rache Begeister-
ten ausrückten. Die Kämpfer bestanden aus der ver-
zweifelten Mannschaft einiger von den Franzosen ver-
wüsteten Dörfer. Joaquin kannte das ganze Gebirge
vollkommen und beschloß, das redoutenartige Lager
der Franzosen zu umgehen und diese sämmtlich zu er-
würgen. Eine schwarze trübselige Regennacht begün-
stigte ein solches Unternehmen, Mond und Sterne
waren hinter Wolkenmassen verborgen.

[Spaltenumbruch]

Maria wollte den Gatten unb Bruder bis an
den Fuß des Gebirges begleiten. Sie verließ für einen
Augenblick die alte Großmutter, nahm ihr kleines Kind
auf den Arm und ging am Ufer des Zaparadiel hin-
auf bis an den Fuß des Berges. Der Wind pfiff
heftig und peitschte die knorrigen Aeste der Stein-
eichen, daß sie seufzten und wimmerten. Rings um
sie her erschloß sich ein Schauspiel der Trostlosigkeit,
Alles vermehrte die Schmerzen, unter deren Grimm
ihr Herz zu verbluten drohte, einzelne heiße Thränen
entfielen ihren Augen und benetzten das rosige Gesicht
ihres armen Kindes, welches betroffen von so stum-
men Schmerz und zu ungewöhnlicher Stunde dem
Schlaf entrissen, bald schmerzlich zu weinen begann.

"Hier, Marie," sprach Joaquin plötzlich, "hier
müssen wir uns trennen; von hier an wird der Weg
sehr beschwerlich, und die Nachtluft taugt nicht für
unsern Manuel. Lebe wohl, Marie, morgen sehen
wir uns wieder, lebe wohl!"

Er preßte sein Weib ans Herz, küßte noch ein-
mal seinen Sohn, legte Marien einem mit ihr heim-
kehrenden Einwohner von San Pedro in den Arm
und rannte seiner Schaar voraus den steilen Pfad hin-
an, der im dichtesten Gehölz sich bald verlierend den
Berg umschlang.

"Joaquin!" rief Marie mit erstickter Stimme,
"denke an deinen Sohn, denke an mich!"

"Jch denke an euch beide," entgegnete Joaquin
von der Höhe herab, "darum eile ich, mein Vater-
land zu vertheidigen."

"Weh mir Unglückseligen!" jammerte Marie,
indem sie zur Erde sank, "ich bin es, die ihn zu
solchem Schwur getrieben hat! Manuel, mein Sohn,
mein Kind!"

Verwirrt vom Schmerz gräßlicher Gefühle erhob
sie sich und eilte so wilden Schrittes der Heimath zu,
daß der Begleiter ihr kaum folgen konnte. Schon
nach einer halben Stunde war sie wieder im Angesicht
des Dorfes; dort blieb sie stehen. Sie schien nicht
in das Dorf zurückkehren zu wollen, ihre Seele und
ihr Leben waren dort in den finstern Wäldern, welche
gleich zerstreuten Stücken eines Trauerschleiers über den
Pena de Francia geworfen waren. Alles rings umher
wurde zur Ahnung, Alles verkündete den Untergang.

Plötzlich hörte Marie durch die Stille der Nacht
den Knall ferner Flintenschüsse. Sie lauscht, sie horcht,
sie hat recht gehört, ihr wohlgeübtes Ohr erkennt die-
sen Ton des Todes, den sie selbst so oft gegen den
Feind geschleudert hatte. Aber niemals war er so ver-
hängnißvoll, so unbeschreiblich furchtbar ihr erklungen,
wie in diesem Augenblick. Ein gräßlich unbestimmtes
Etwas trieb sie fort aus dem Bereich dieser Töne, sie
verdoppelte ihre Schritte, rannte in das Dorf, in ihr
Haus und verschloß sich in dem verborgensten Winkel.
Dort begann sie zu beten, aber nur die Lippen be-
wegten sich, ihr Herz konnte zu keinem Gedanken an
Gott sich sammeln; ach, es hatte ihm nur Vorwürfe
über so viel Unglück zu machen!

    (Fortsetzung folgt.)

99 Conversations=Blatt. 100
[Spaltenumbruch] bald sie antworten konnten: Wir haben die Rebellen
geschlagen!

Bei diesem Rückzug bewiesen sich diese Krieger
unwürdig und brandmarkten sich durch eine Menge von
Abscheulichkeiten. Täglich trafen neue Nachrichten bei
Joaquin und seinem Schwager Pablo ein. Verwun-
dete, Verstümmelte, Sterbende schleppten sich nach
San Pedro, schrieen um Rache und stürzten zu den
Füßen ihrer Landsleute verblutend hin. Mißhandelte
Frauen und Mädchen stoben weinend heran und jam-
merten heulend um Rache.

Diesem Anblick kann ich unmöglich länger wider-
stehen!“ sprach endlich Joaquin zu seiner Maria,
„ich muß hinaus, diesen Ungeheuern entgegen! Mich
treibt es fort in den Kampf, hier kann ich länger
nicht weilen, ich ersticke in dieser Luft; in jedem
Luftzug, der von der Sierra herüberweht, glaube ich
die seufzenden Stimmen unsers Vaters und unsrer so
niederträchtig hingeschlachteten Brüder zu vernehmen,
sie mahnen mich klagend, daß ich sie noch nicht ge-
rächt habe!“

Schweigend betrachtete ihn Marie, sie konnte
nicht sprechen! Sie preßte ihr Kind heftig an das
Herz, trat näher zu ihrem Mann, schlang einen Arm
um den Hals ihres Bruders, umfing sie so Alle und
schloß sie an ihre Brust. Ach, sie hätte die Theuren
in ihrem Herzen bergen mögen!

„Ach!“ sprach sie zu Joaquin, „ich habe nicht
die Kraft, dich zurückzuhalten, aber noch weniger den
Muth, dich gehen zu heißen. Jedoch, mein Freund,
hat Gott dich berufen, so geh, wohin er dir befiehlt
– heilig ist unsre Sache, sie muß siegen!“

Allein ihre Gedanken entflohen plötzlich zu ihrem
Vater und zu ihren Brüdern, welche alle vier Käm-
pfer für diese heilige Sache gesiegt und dennoch besiegt
gefallen waren. Bei dieser Erinnerung brach ihr
Herz, ein Strom von Thränen entrann der Schluch-
zenden. Aller Muth und alle Kraft schienen von der
liebenden, zärtlichen, an ihrem Schmerz sterbenden
Mutter gewichen zu sein. Ach, man kann an seinem
Schmerz sterben!

Joaquin zog hinaus, aber nicht, ohne zuvor
seiner Marie genaue Verhaltungsregeln für jeden mög-
lichen Fall ertheilt zu haben. Diese waren sehr ein-
fach und leicht verständlich, weil sie sämmtlich die
Sicherheit ihres Sohnes und ihrer alten Großmutter
betrafen.

Es war am 15. September Abends elf Uhr,
als Joaquin und Pablo Munoz an der Spitze von
zweihundert Wohlbewaffneten und von Rache Begeister-
ten ausrückten. Die Kämpfer bestanden aus der ver-
zweifelten Mannschaft einiger von den Franzosen ver-
wüsteten Dörfer. Joaquin kannte das ganze Gebirge
vollkommen und beschloß, das redoutenartige Lager
der Franzosen zu umgehen und diese sämmtlich zu er-
würgen. Eine schwarze trübselige Regennacht begün-
stigte ein solches Unternehmen, Mond und Sterne
waren hinter Wolkenmassen verborgen.

[Spaltenumbruch]

Maria wollte den Gatten unb Bruder bis an
den Fuß des Gebirges begleiten. Sie verließ für einen
Augenblick die alte Großmutter, nahm ihr kleines Kind
auf den Arm und ging am Ufer des Zaparadiel hin-
auf bis an den Fuß des Berges. Der Wind pfiff
heftig und peitschte die knorrigen Aeste der Stein-
eichen, daß sie seufzten und wimmerten. Rings um
sie her erschloß sich ein Schauspiel der Trostlosigkeit,
Alles vermehrte die Schmerzen, unter deren Grimm
ihr Herz zu verbluten drohte, einzelne heiße Thränen
entfielen ihren Augen und benetzten das rosige Gesicht
ihres armen Kindes, welches betroffen von so stum-
men Schmerz und zu ungewöhnlicher Stunde dem
Schlaf entrissen, bald schmerzlich zu weinen begann.

„Hier, Marie,“ sprach Joaquin plötzlich, „hier
müssen wir uns trennen; von hier an wird der Weg
sehr beschwerlich, und die Nachtluft taugt nicht für
unsern Manuel. Lebe wohl, Marie, morgen sehen
wir uns wieder, lebe wohl!“

Er preßte sein Weib ans Herz, küßte noch ein-
mal seinen Sohn, legte Marien einem mit ihr heim-
kehrenden Einwohner von San Pedro in den Arm
und rannte seiner Schaar voraus den steilen Pfad hin-
an, der im dichtesten Gehölz sich bald verlierend den
Berg umschlang.

„Joaquin!“ rief Marie mit erstickter Stimme,
„denke an deinen Sohn, denke an mich!“

„Jch denke an euch beide,“ entgegnete Joaquin
von der Höhe herab, „darum eile ich, mein Vater-
land zu vertheidigen.“

„Weh mir Unglückseligen!“ jammerte Marie,
indem sie zur Erde sank, „ich bin es, die ihn zu
solchem Schwur getrieben hat! Manuel, mein Sohn,
mein Kind!“

Verwirrt vom Schmerz gräßlicher Gefühle erhob
sie sich und eilte so wilden Schrittes der Heimath zu,
daß der Begleiter ihr kaum folgen konnte. Schon
nach einer halben Stunde war sie wieder im Angesicht
des Dorfes; dort blieb sie stehen. Sie schien nicht
in das Dorf zurückkehren zu wollen, ihre Seele und
ihr Leben waren dort in den finstern Wäldern, welche
gleich zerstreuten Stücken eines Trauerschleiers über den
Pena de Francia geworfen waren. Alles rings umher
wurde zur Ahnung, Alles verkündete den Untergang.

Plötzlich hörte Marie durch die Stille der Nacht
den Knall ferner Flintenschüsse. Sie lauscht, sie horcht,
sie hat recht gehört, ihr wohlgeübtes Ohr erkennt die-
sen Ton des Todes, den sie selbst so oft gegen den
Feind geschleudert hatte. Aber niemals war er so ver-
hängnißvoll, so unbeschreiblich furchtbar ihr erklungen,
wie in diesem Augenblick. Ein gräßlich unbestimmtes
Etwas trieb sie fort aus dem Bereich dieser Töne, sie
verdoppelte ihre Schritte, rannte in das Dorf, in ihr
Haus und verschloß sich in dem verborgensten Winkel.
Dort begann sie zu beten, aber nur die Lippen be-
wegten sich, ihr Herz konnte zu keinem Gedanken an
Gott sich sammeln; ach, es hatte ihm nur Vorwürfe
über so viel Unglück zu machen!

    (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 7. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt07_1836/2>, abgerufen am 06.06.2024.