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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 3. Burg/Berlin, 1838.

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35 Conversations=Blatt. 36
[Beginn Spaltensatz] theils bleich und zitternd, theils fest und entschlossen
heran. Die Gewißheit des Todes ist weniger marter-
voll, als die bange Ungewißheit zwischen Furcht und
Hoffnung. Weniger hätte es sie erschreckt in die
Schlacht zu gehen, wo der neunte Mann nur am Le-
ben bliebe, als hier, wo nur der Neunte sterben sollte.

"Hurrah! jetzt nur d'rauf!" rief indessen der alte
Husar, indem er seinen geschüttelten Chakot umkehrte
und die Würfel auf die Decke rollten.

Mit gespannter Aufmerksamkeit schaute Alles darein,
selbst die Kosacken blinzelten mit neugierigen Augen nach
den Würfeln.

"Nur Sieben! verdammte Galgenzahl!" rief der
alte Husar.

Die Würfel lagen da, als getraute keiner sich, die
Unheilvollen zu berühren. Endlich griff ein Entschlos-
sener mit kräftiger Hand darnach und schleuderte sie hin.

"Neune! frei!" hieß es, und die Kosacken be-
dauerten, nur wegen der trefflichen goldenen Berloques.

Zitternd und zagend langte ein Dritter nach den
verhängnißvollen Regierern ihres Schicksals. Er wir-
belte sie lange in den zitternden Händen, ließ sie end-
lich diesen entfallen und bedeckte beide Augen.

"Sechs -" rief der alte Husar.

"O Gott!" unterbrach der erschrockene Spieler,
- "und zehn, machen sechszehn!" fügte ruhig der alte
Husar hinzu.

Der Spieler erholte sich vom Todesschrecken, und
athmete von Neuem auf.

Hastig griff ein Vierter nach den Würfeln, aber-
gläubig, schnell den guten Dämon, der fleißig viele
Augen in die Höhe kehre, zu benutzen. Er drehete und
rollte sie und blies in die Hände und ließ sie endlich
weit zum alten Husaren hinüberrollen.

"Eilf!" - er sprang empor und umarmte in der
ersten Freude, den neben ihm lauschenden Kosacken.

Ein Fünfter langte zagend zu, fast ohne Hoffnung,
denn nachdem so viele gute Augen in wenig Wür-
fen herausgekommen waren, konnten nur noch die gerin-
gern folgen. Kaum hatte er die Würfel in der Hand,
als er sie, gleich glühenden Kohlen wieder fallen ließ.

"Achtzehn!" Auch er war gerettet. Noch hatte
der alte Husar die geringsten Augen. Doch er stand
ruhig und schaute gefaßt dem Spiele zu.

Der Sechste, ein armes Muttersöhnchen, hatte
durch ein heimliches Gebet seinen Muth gestärkt. Er
schlug ein frommes Kreuz, nahm die Würfel, blickte
gen Himmel und -

"Sieben mit!" rief der alte Husar.

Der Siebente langte gleichgiltig zu, als ob es
um wenige Sous seines letzten Traktaments gewesen
wäre. Er warf nachlässig und -

"Frei, mit funfzehn," hieß es, ohne daß dieser
Ruf ihn seines Gleichmuths beraubt hätte.

Der Achte versicherte, er habe den Krampf in den
Fingern, es sei ihm unmöglich zu werfen, überdem sei
heute Feiertag, an welchen das Laster des Spiels ver-
boten wäre. Er erklärte, man möge ihn nur erschies-
sen, er wolle sein Schicksal nicht herausfordern. Ein
[Spaltenumbruch] Kosack nahm indessen lächelnd seine Partie und warf
ihn frei.

Und nun der Neunte. Auf diesen Letzten war
das Augenmerk der beiden Todes=Kandidaten gerichtet.
Sieben, meinte er getrost, sei leicht überworfen und
siehe -

"Da ist der Dritte, der sich stechen muß!" rie-
fen Mehre, als auch dieser nur sieben Augen geworfen
hatte. Die Kosacken fragten sogleich, ob der Ring an
seinem Finger echt sei?

"Hol der Teufel das Stechen, ich als Husar
haue lieber drein," rief der Alte, der entschlossen seine
beiden Mitspieler näher heran ladete.

Beide nahmen nacheinander die Würfel, und jeder
warf jetzt siebenzehn. Armer alter Husar! - Unver-
zagt nahm er dennoch die Würfel, warf, und - " ver-
loren!" sprach er, als zwei Cyklopen=Augen ihm an-
blickten, währenb der Dritte sich noch kreiselte. Doch
nein! - "Jungfern=Pasch!" hieß es, als auch dieser seine
Eins ihm zeigte. Noch einmal! Große Eilf!" fuhr
er fort, die Würfel wieder zusammenraffend und in sei-
nem Chakot schüttelnd. Trotz ihren hohen Nummern
blickten die beiden Mitspieler noch voll Sorge auf ihn
hin, er konnte ja noch achtzehn werfen. Die Kosacken
schauten neugierig ihm über die Achsel und lauschten
nach seiner Uhr, deren Repetiren sie mit feinem Ohr
vernahmen. Der Offizier stand sinnend und blickte über
den Fluß hinüber, nach dem händeringenden Weibe, der
armen Gattin des unglücklichen Spielers, welche von
den französischen Posten vom Ufer zurückgehalten wurde,
damit fie in der Verzweiflung sich nicht in die Fluth
stürzen sollte.

"Armes Soldaten = Weib, seufzte der alte Husar
still in sich hinein. Doch - "Hurrah! d'rauf auf Le-
ben und Tod!" fuhr er, sich ermannend, kräftig fort
und die Würfel sprangen umher und die Cameraden
stierten mit angehaltenem Athem nach der Zahl der
Glücks = Augen.

"Es brennt!" Rief der Offizier dazwischen, als
ein Würfel schief auf einer Kante stehend, gegen die
Pike eines zuschauenden Kosacken gerollt war.

Noch einmal sollte sich die Angst der gespannten
Erwartung wiederholen.

Da nahete sich der rauhe, tapfere Alsufiew. -
Gewiß währte es dem ungestümen Manne zu lange, bevor
das Fatum gehuldigt und das Schicksal erfüllt wurde.

"Halt!" gebot er indessen mit strenger Miene.
Man war verwundert und glaubte schon, daß der herz-
zerreißende Anblick des armen Weibes das auf jener Seite
stand, den eisernen Sinn des strengen Kriegsmannes ge-
wandt und seinen Hang an den Aberglauben besiegt habe.

"Es wird noch ein zehnter Spieler kommen,"
lächelte er, indem er seitwärts die Wilia hinabblickte.

Jn der Entfernung, wo der Fluß eine Biegung
machte, die von Gebüsch auf beiden Seiten gedeckt
war, sah man durch die Fluthen, rüstig auf ihren zot-
tigen Gaulen, zwei donische Reiter schwimmen, die an
einem Arkan einen Gefangenen durch die Wellen nach-
schleppten.

[Ende Spaltensatz]

35 Conversations=Blatt. 36
[Beginn Spaltensatz] theils bleich und zitternd, theils fest und entschlossen
heran. Die Gewißheit des Todes ist weniger marter-
voll, als die bange Ungewißheit zwischen Furcht und
Hoffnung. Weniger hätte es sie erschreckt in die
Schlacht zu gehen, wo der neunte Mann nur am Le-
ben bliebe, als hier, wo nur der Neunte sterben sollte.

„Hurrah! jetzt nur d'rauf!“ rief indessen der alte
Husar, indem er seinen geschüttelten Chakot umkehrte
und die Würfel auf die Decke rollten.

Mit gespannter Aufmerksamkeit schaute Alles darein,
selbst die Kosacken blinzelten mit neugierigen Augen nach
den Würfeln.

„Nur Sieben! verdammte Galgenzahl!“ rief der
alte Husar.

Die Würfel lagen da, als getraute keiner sich, die
Unheilvollen zu berühren. Endlich griff ein Entschlos-
sener mit kräftiger Hand darnach und schleuderte sie hin.

„Neune! frei!“ hieß es, und die Kosacken be-
dauerten, nur wegen der trefflichen goldenen Berloques.

Zitternd und zagend langte ein Dritter nach den
verhängnißvollen Regierern ihres Schicksals. Er wir-
belte sie lange in den zitternden Händen, ließ sie end-
lich diesen entfallen und bedeckte beide Augen.

„Sechs –“ rief der alte Husar.

„O Gott!“ unterbrach der erschrockene Spieler,
– „und zehn, machen sechszehn!“ fügte ruhig der alte
Husar hinzu.

Der Spieler erholte sich vom Todesschrecken, und
athmete von Neuem auf.

Hastig griff ein Vierter nach den Würfeln, aber-
gläubig, schnell den guten Dämon, der fleißig viele
Augen in die Höhe kehre, zu benutzen. Er drehete und
rollte sie und blies in die Hände und ließ sie endlich
weit zum alten Husaren hinüberrollen.

„Eilf!“ – er sprang empor und umarmte in der
ersten Freude, den neben ihm lauschenden Kosacken.

Ein Fünfter langte zagend zu, fast ohne Hoffnung,
denn nachdem so viele gute Augen in wenig Wür-
fen herausgekommen waren, konnten nur noch die gerin-
gern folgen. Kaum hatte er die Würfel in der Hand,
als er sie, gleich glühenden Kohlen wieder fallen ließ.

„Achtzehn!“ Auch er war gerettet. Noch hatte
der alte Husar die geringsten Augen. Doch er stand
ruhig und schaute gefaßt dem Spiele zu.

Der Sechste, ein armes Muttersöhnchen, hatte
durch ein heimliches Gebet seinen Muth gestärkt. Er
schlug ein frommes Kreuz, nahm die Würfel, blickte
gen Himmel und –

„Sieben mit!“ rief der alte Husar.

Der Siebente langte gleichgiltig zu, als ob es
um wenige Sous seines letzten Traktaments gewesen
wäre. Er warf nachlässig und –

„Frei, mit funfzehn,“ hieß es, ohne daß dieser
Ruf ihn seines Gleichmuths beraubt hätte.

Der Achte versicherte, er habe den Krampf in den
Fingern, es sei ihm unmöglich zu werfen, überdem sei
heute Feiertag, an welchen das Laster des Spiels ver-
boten wäre. Er erklärte, man möge ihn nur erschies-
sen, er wolle sein Schicksal nicht herausfordern. Ein
[Spaltenumbruch] Kosack nahm indessen lächelnd seine Partie und warf
ihn frei.

Und nun der Neunte. Auf diesen Letzten war
das Augenmerk der beiden Todes=Kandidaten gerichtet.
Sieben, meinte er getrost, sei leicht überworfen und
siehe –

„Da ist der Dritte, der sich stechen muß!“ rie-
fen Mehre, als auch dieser nur sieben Augen geworfen
hatte. Die Kosacken fragten sogleich, ob der Ring an
seinem Finger echt sei?

„Hol der Teufel das Stechen, ich als Husar
haue lieber drein,“ rief der Alte, der entschlossen seine
beiden Mitspieler näher heran ladete.

Beide nahmen nacheinander die Würfel, und jeder
warf jetzt siebenzehn. Armer alter Husar! – Unver-
zagt nahm er dennoch die Würfel, warf, und – „ ver-
loren!“ sprach er, als zwei Cyklopen=Augen ihm an-
blickten, währenb der Dritte sich noch kreiselte. Doch
nein! – „Jungfern=Pasch!“ hieß es, als auch dieser seine
Eins ihm zeigte. Noch einmal! Große Eilf!“ fuhr
er fort, die Würfel wieder zusammenraffend und in sei-
nem Chakot schüttelnd. Trotz ihren hohen Nummern
blickten die beiden Mitspieler noch voll Sorge auf ihn
hin, er konnte ja noch achtzehn werfen. Die Kosacken
schauten neugierig ihm über die Achsel und lauschten
nach seiner Uhr, deren Repetiren sie mit feinem Ohr
vernahmen. Der Offizier stand sinnend und blickte über
den Fluß hinüber, nach dem händeringenden Weibe, der
armen Gattin des unglücklichen Spielers, welche von
den französischen Posten vom Ufer zurückgehalten wurde,
damit fie in der Verzweiflung sich nicht in die Fluth
stürzen sollte.

„Armes Soldaten = Weib, seufzte der alte Husar
still in sich hinein. Doch – „Hurrah! d'rauf auf Le-
ben und Tod!“ fuhr er, sich ermannend, kräftig fort
und die Würfel sprangen umher und die Cameraden
stierten mit angehaltenem Athem nach der Zahl der
Glücks = Augen.

„Es brennt!“ Rief der Offizier dazwischen, als
ein Würfel schief auf einer Kante stehend, gegen die
Pike eines zuschauenden Kosacken gerollt war.

Noch einmal sollte sich die Angst der gespannten
Erwartung wiederholen.

Da nahete sich der rauhe, tapfere Alsufiew. –
Gewiß währte es dem ungestümen Manne zu lange, bevor
das Fatum gehuldigt und das Schicksal erfüllt wurde.

„Halt!“ gebot er indessen mit strenger Miene.
Man war verwundert und glaubte schon, daß der herz-
zerreißende Anblick des armen Weibes das auf jener Seite
stand, den eisernen Sinn des strengen Kriegsmannes ge-
wandt und seinen Hang an den Aberglauben besiegt habe.

„Es wird noch ein zehnter Spieler kommen,“
lächelte er, indem er seitwärts die Wilia hinabblickte.

Jn der Entfernung, wo der Fluß eine Biegung
machte, die von Gebüsch auf beiden Seiten gedeckt
war, sah man durch die Fluthen, rüstig auf ihren zot-
tigen Gaulen, zwei donische Reiter schwimmen, die an
einem Arkan einen Gefangenen durch die Wellen nach-
schleppten.

[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 3. Burg/Berlin, 1838, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt03_1838/2>, abgerufen am 07.06.2024.