hart über die Zunge lauffen lassen Andere aber reden nichts anders als von der edlen Freyheit des ledigen Standes, bey welchem man keiner so verhaßten Sclaverey unterworffen sey; unerachtet man wol weiß, daß ihr einziges heimli- ches Sehnen nach der Veränderung ih- res Ehelosen Lebens gehet, und das alte Sprichwort wahr bleibet:
Ach trau nur keiner Jungfer nicht, so offt sie was vom Closter spricht: und stellt sie sich gleich noch so keusch, so hat sie dennoch Blut und Fleisch. und denckt: hätt? ich nur einen Mann, so wärs mit mir sehr wohl gethan.
Dieses schöne Geschlecht, welches mei- stentheils sehr in sich selbst verliebet ist, so sie durch ihr öfteres Spiegel-schauen zu erkennen geben, kan auch wol leiden, wenn man sie mi[t] mehrern und grössern Ehren- Tituln ehret, als ihnen gehört und gebüh- ret: allein es lässet warlich sehr schlecht und miserabel, wenn ich heute einem schö- nen Mägdgen so viele affectirte Compli- menten und Ehrenbezeugungen mache, und sehe selbiges doch des folgenden Ta-
ges,
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hart uͤber die Zunge lauffen laſſen Andere aber reden nichts anders als von der edlen Freyheit des ledigen Standes, bey welchem man keiner ſo verhaßten Sclaverey unterworffen ſey; unerachtet man wol weiß, daß ihr einziges heimli- ches Sehnen nach der Veraͤnderung ih- res Eheloſen Lebens gehet, und das alte Sprichwort wahr bleibet:
Ach trau nur keiner Jungfer nicht, ſo offt ſie was vom Cloſter ſpricht: und ſtellt ſie ſich gleich noch ſo keuſch, ſo hat ſie dennoch Blut und Fleiſch. und denckt: haͤtt? ich nur einen Mann, ſo waͤrs mit mir ſehr wohl gethan.
Dieſes ſchoͤne Geſchlecht, welches mei- ſtentheils ſehr in ſich ſelbſt verliebet iſt, ſo ſie durch ihr oͤfteres Spiegel-ſchauen zu erkennen geben, kan auch wol leiden, wenn man ſie mi[t] mehrern und groͤſſern Ehren- Tituln ehret, als ihnen gehoͤrt und gebuͤh- ret: allein es laͤſſet warlich ſehr ſchlecht und miſerabel, wenn ich heute einem ſchoͤ- nen Maͤgdgen ſo viele affectirte Compli- menten und Ehrenbezeugungen mache, und ſehe ſelbiges doch des folgenden Ta-
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hart uͤber die Zunge lauffen laſſen
Andere aber reden nichts anders als von
der edlen Freyheit des ledigen Standes,
bey welchem man keiner ſo verhaßten
Sclaverey unterworffen ſey; unerachtet
man wol weiß, daß ihr einziges heimli-
ches Sehnen nach der Veraͤnderung ih-
res Eheloſen Lebens gehet, und das alte
Sprichwort wahr bleibet:
Ach trau nur keiner Jungfer nicht,
ſo offt ſie was vom Cloſter ſpricht:
und ſtellt ſie ſich gleich noch ſo keuſch,
ſo hat ſie dennoch Blut und Fleiſch.
und denckt: haͤtt? ich nur einen Mann,
ſo waͤrs mit mir ſehr wohl gethan.
Dieſes ſchoͤne Geſchlecht, welches mei-
ſtentheils ſehr in ſich ſelbſt verliebet iſt, ſo
ſie durch ihr oͤfteres Spiegel-ſchauen zu
erkennen geben, kan auch wol leiden, wenn
man ſie mit mehrern und groͤſſern Ehren-
Tituln ehret, als ihnen gehoͤrt und gebuͤh-
ret: allein es laͤſſet warlich ſehr ſchlecht
und miſerabel, wenn ich heute einem ſchoͤ-
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[N. N.]: Kürzliche Anweisung zu Complimenten und höflicher Condvite, für Personen Bürgerlichen Standes. Frankfurt [u. a.], 1736, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_complimente_1736/35>, abgerufen am 22.07.2024.
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