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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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wir ein solches, die Bundesacte; diese verheißt uns eine reichsständische Verfas¬
sung, und wir ersuchen Dich, König, uns eine solche zu geben.

Wie ist es zu erklären, daß die königliche Antwort: in dem Sinne wolle er
nun wohl keine Verfassung geben, doch er gedenke allerdings die ständische
Entwickelung zu fördern; daß diese Antwort den Landtag ganz glücklich machte?
daß sie ihm als eine Gewährung seiner Bitte erschien, bis der König in einem
zweiten Erlaß das Abschlägliche derselben schärfer accentuirte.

Davon will ich gar nicht sprechen, daß die Rede des Königs vom Balkon des
Schlosses die alten Bürger so bewegte, daß so mancher Ultraliberale sich kaum der
Thränen enthalten konnte. Ein redender König! das war ja noch gar nicht dagewesen!
Und noch dazu ein feierlicher Schwur! Was dieser Schwur enthielt, darauf kam
weniger an; Walesrode hat später mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß es
sich eigentlich von selbst verstände, man müsse ein "gerechter, milder und barm¬
herziger König"
sein, weil man ohne das ein Nero und Busiris wäre, aber "wer
denkt daran in einer Schäferstunde?"
Ich erinnere an Georg Herwegh, der noch
in seiner radikalsten Zeit, in dem bekannten Gedicht an den König von Preußen
nicht lebhaft genug den Eindruck zu schildern weiß, den jener Schwur auf ihn
gemacht. "Es erscholl so feierlich: Ich schwöre!" "Ach mein Jesus!" sagt
die Amme in Romeo und Julia; "ihr schwört? das will ich meinem Fräulein
sagen."
"Aber gute Frau! Du hörst ja gar nicht, was ich verspreche." "Einerlei!"

Ein Einziger von den liberalen Bürgern störte seinen gerührten Nachbar
durch die frostige Bemerkung: "Er spielt gut!" -- Man spielt aber in solchen
Augenblicken doch nur seinen eigenen Charakter. Im Uebrigen war es nur die
ältere Generation, die, trotz aller oppositionellen Gelüste im Grunde des Herzens
monarchisch gestimmt, sich dem Eindrucke hingab; die Jugend, aufgewachsen im
Widerstreben gegen die Restauration, blieb kälter.

Jene Selbsttäuschung des Landtags hatte einen einfachen Grund. Seine For¬
derung war ihm nicht natürlich erwachsen, sie war ihm künstlich beigebracht, und
ihm selber unklar. Die Landtage hatten bei ihrer höchst beschränkten und unpro-
ductiven Thätigkeit kein Selbstgefühl gewinnen können, noch weniger eine Ansicht
über die Gesammtverfassung des Staats. Nur die vorhin bezeichnete aristokratisch-
liberale Partei des Herrn v. Schön wußte, was sie wollte. Die Meisten der
Uebrigen waren in dem Wahn, sie kämen mit ihrem Antrag nur einem entschiede¬
nen Wunsch des Königs zuvor; er erwarte so etwas von ihnen. Ja mir scheint,
als ob Schön sich selber davon überredet hätte; einen gelinden Anstrich phan¬
tastischen Wesens kann man bei diesem ausgezeichneten Staatsmann nicht verken¬
nen. Ein großer Theil der Mitunterzeichner jener Adresse gerieth, als die ent¬
gegengesetzte Ansicht des Königs bekannt wurde, in Besorgniß, man möge ihre
Loyalität verkennen; sie protestirten nachträglich gegen ihre eigne Bitte.

Auf jenen fliegenden Enthusiasmus folgte, wie es zu erwarten war, eine ge-

wir ein solches, die Bundesacte; diese verheißt uns eine reichsständische Verfas¬
sung, und wir ersuchen Dich, König, uns eine solche zu geben.

Wie ist es zu erklären, daß die königliche Antwort: in dem Sinne wolle er
nun wohl keine Verfassung geben, doch er gedenke allerdings die ständische
Entwickelung zu fördern; daß diese Antwort den Landtag ganz glücklich machte?
daß sie ihm als eine Gewährung seiner Bitte erschien, bis der König in einem
zweiten Erlaß das Abschlägliche derselben schärfer accentuirte.

Davon will ich gar nicht sprechen, daß die Rede des Königs vom Balkon des
Schlosses die alten Bürger so bewegte, daß so mancher Ultraliberale sich kaum der
Thränen enthalten konnte. Ein redender König! das war ja noch gar nicht dagewesen!
Und noch dazu ein feierlicher Schwur! Was dieser Schwur enthielt, darauf kam
weniger an; Walesrode hat später mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß es
sich eigentlich von selbst verstände, man müsse ein „gerechter, milder und barm¬
herziger König“
sein, weil man ohne das ein Nero und Busiris wäre, aber „wer
denkt daran in einer Schäferstunde?“
Ich erinnere an Georg Herwegh, der noch
in seiner radikalsten Zeit, in dem bekannten Gedicht an den König von Preußen
nicht lebhaft genug den Eindruck zu schildern weiß, den jener Schwur auf ihn
gemacht. „Es erscholl so feierlich: Ich schwöre!" „Ach mein Jesus!“ sagt
die Amme in Romeo und Julia; „ihr schwört? das will ich meinem Fräulein
sagen.“
„Aber gute Frau! Du hörst ja gar nicht, was ich verspreche.“ „Einerlei!“

Ein Einziger von den liberalen Bürgern störte seinen gerührten Nachbar
durch die frostige Bemerkung: „Er spielt gut!“ — Man spielt aber in solchen
Augenblicken doch nur seinen eigenen Charakter. Im Uebrigen war es nur die
ältere Generation, die, trotz aller oppositionellen Gelüste im Grunde des Herzens
monarchisch gestimmt, sich dem Eindrucke hingab; die Jugend, aufgewachsen im
Widerstreben gegen die Restauration, blieb kälter.

Jene Selbsttäuschung des Landtags hatte einen einfachen Grund. Seine For¬
derung war ihm nicht natürlich erwachsen, sie war ihm künstlich beigebracht, und
ihm selber unklar. Die Landtage hatten bei ihrer höchst beschränkten und unpro-
ductiven Thätigkeit kein Selbstgefühl gewinnen können, noch weniger eine Ansicht
über die Gesammtverfassung des Staats. Nur die vorhin bezeichnete aristokratisch-
liberale Partei des Herrn v. Schön wußte, was sie wollte. Die Meisten der
Uebrigen waren in dem Wahn, sie kämen mit ihrem Antrag nur einem entschiede¬
nen Wunsch des Königs zuvor; er erwarte so etwas von ihnen. Ja mir scheint,
als ob Schön sich selber davon überredet hätte; einen gelinden Anstrich phan¬
tastischen Wesens kann man bei diesem ausgezeichneten Staatsmann nicht verken¬
nen. Ein großer Theil der Mitunterzeichner jener Adresse gerieth, als die ent¬
gegengesetzte Ansicht des Königs bekannt wurde, in Besorgniß, man möge ihre
Loyalität verkennen; sie protestirten nachträglich gegen ihre eigne Bitte.

Auf jenen fliegenden Enthusiasmus folgte, wie es zu erwarten war, eine ge-

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/8>, abgerufen am 28.03.2024.