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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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alljährlich wurde eine Festrede zu Ehren Kant's gehalten. Rosenkranz liebte es,
junge Talente um sich zu sammeln; damals wurde es Sitte, sich lyrisch gehn zu
lassen, zuerst in sentimentalen Trinkliedern, doch spielte bald die Freiheit im All¬
gemeinen und der aufgeklärte Patriotismus hinein, und es fehlte weder die Heinesche
Zerrissenheit noch die Grün'sche Reflexionspoesie. Die Mehrzahl der Professoren
hielt auf rationalistische Auffassung der Geschichte, des Rechts, der Theologie; die
pietistisch gesinnten jungen Theologen kamelisirten und kamen im Studentenleben nicht
viel in Betracht. Lobeck kämpfte in seinem philologischen Seminar mit Erfolg
gegen alle romantischen Einfälle, die seiner Wissenschaft zu nahe traten; er galt
als Republikaner, da er ohnehin mehr in Rom und Athen, als in Königsberg
lebte. Schubert, Voigt, Drumann waren entschieden Preußisch gesinnt; Schu¬
bert stellte mit einem diplomatisch feinen Lächeln die Spießbürgerlichkeit der alten
Republiken dem complicirten modernen Staatsleben gegenüber ins Licht; er liebte
es, mit Personen von Stande umzugehn und ironisirte bei seinen Schülern ein
etwa hervortretendes jugendliches Interesse an der französischen Revolution, aber
er war dabei aufgeklärt und gegen allen Obscurantismus in der Kirche wie im
Staate. Mit den staatsökonomischen Kollegien richtete er nicht viel aus, man
lernte ebendie Hefte, soviel zum Examen nöthig war und dachte conservativ ge¬
nug, sich am Gegebenen genügen zu lassen. Voigt stand mit dem Oberpräsiden¬
ten in näherer Verbindung; er war schon seiner amtlichen Beschäftigung nach,
seinen archivarischen Arbeiten nämlich, Royalist; Drumann war es im Princip, er
sah die ganze römische Geschichte bis auf Cäsar nur als Vorbereitung an für die
monarchische Verfassung, die später eintrat. Auch der Jurist Simson, der ge¬
genwärtig in Frankfurt ist und der durch einen fließenden Vortrag imponirte, war
loyal; er wußte sich etwas darauf, im Tribunal zu sitzen und so dem Staate nä¬
her anzugehören.

Auf legitime Weise wurde also der oppositionelle Sinn der Studirenden
nicht genährt. Dagegen blieb eine stille Opposition. In keinem Corps wurde
der präjudicielle Vers des Landesvaters gemacht. Bei den rechten Studenten galt
es für schlechten Ton, sich mit Politik abzugeben oder gar die Zeitung zu lesen;
aber hin und wieder verirrte sich ein alter Bursch, der von fremden Universitäten
relegirt war, nach Königsberg und sah mit dem ganzen Bewußtsein eines verfolgten
Patrioten auf die gewöhnlichen Sterblichen herab. Je stoffloser dieser Radicalismus
war, desto gründlicher verachtete er das Bestehende. M[a]n las seinen Thiers und Mignet
und schwärmte demnach für Mirabeau und Danton -- bis zu Robespierre ver¬
[st]ieg man sich noch nicht; man war Republikaner, verachtete die Deutschen und
las in der Allgemeinen Zeitung nur die Französischen und Englischen Artikel; man
trieb nur grande politique und combinirte eine beliebige Niederlage Esparteros mit
einem Tscherkessischen Krawall, und glücklich in diesem Bewußtsein großer Princi¬
pien hielt man sich des politischen Details für überhoben und trieb die sonstigen

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alljährlich wurde eine Festrede zu Ehren Kant's gehalten. Rosenkranz liebte es,
junge Talente um sich zu sammeln; damals wurde es Sitte, sich lyrisch gehn zu
lassen, zuerst in sentimentalen Trinkliedern, doch spielte bald die Freiheit im All¬
gemeinen und der aufgeklärte Patriotismus hinein, und es fehlte weder die Heinesche
Zerrissenheit noch die Grün'sche Reflexionspoesie. Die Mehrzahl der Professoren
hielt auf rationalistische Auffassung der Geschichte, des Rechts, der Theologie; die
pietistisch gesinnten jungen Theologen kamelisirten und kamen im Studentenleben nicht
viel in Betracht. Lobeck kämpfte in seinem philologischen Seminar mit Erfolg
gegen alle romantischen Einfälle, die seiner Wissenschaft zu nahe traten; er galt
als Republikaner, da er ohnehin mehr in Rom und Athen, als in Königsberg
lebte. Schubert, Voigt, Drumann waren entschieden Preußisch gesinnt; Schu¬
bert stellte mit einem diplomatisch feinen Lächeln die Spießbürgerlichkeit der alten
Republiken dem complicirten modernen Staatsleben gegenüber ins Licht; er liebte
es, mit Personen von Stande umzugehn und ironisirte bei seinen Schülern ein
etwa hervortretendes jugendliches Interesse an der französischen Revolution, aber
er war dabei aufgeklärt und gegen allen Obscurantismus in der Kirche wie im
Staate. Mit den staatsökonomischen Kollegien richtete er nicht viel aus, man
lernte ebendie Hefte, soviel zum Examen nöthig war und dachte conservativ ge¬
nug, sich am Gegebenen genügen zu lassen. Voigt stand mit dem Oberpräsiden¬
ten in näherer Verbindung; er war schon seiner amtlichen Beschäftigung nach,
seinen archivarischen Arbeiten nämlich, Royalist; Drumann war es im Princip, er
sah die ganze römische Geschichte bis auf Cäsar nur als Vorbereitung an für die
monarchische Verfassung, die später eintrat. Auch der Jurist Simson, der ge¬
genwärtig in Frankfurt ist und der durch einen fließenden Vortrag imponirte, war
loyal; er wußte sich etwas darauf, im Tribunal zu sitzen und so dem Staate nä¬
her anzugehören.

Auf legitime Weise wurde also der oppositionelle Sinn der Studirenden
nicht genährt. Dagegen blieb eine stille Opposition. In keinem Corps wurde
der präjudicielle Vers des Landesvaters gemacht. Bei den rechten Studenten galt
es für schlechten Ton, sich mit Politik abzugeben oder gar die Zeitung zu lesen;
aber hin und wieder verirrte sich ein alter Bursch, der von fremden Universitäten
relegirt war, nach Königsberg und sah mit dem ganzen Bewußtsein eines verfolgten
Patrioten auf die gewöhnlichen Sterblichen herab. Je stoffloser dieser Radicalismus
war, desto gründlicher verachtete er das Bestehende. M[a]n las seinen Thiers und Mignet
und schwärmte demnach für Mirabeau und Danton — bis zu Robespierre ver¬
[st]ieg man sich noch nicht; man war Republikaner, verachtete die Deutschen und
las in der Allgemeinen Zeitung nur die Französischen und Englischen Artikel; man
trieb nur grande politique und combinirte eine beliebige Niederlage Esparteros mit
einem Tscherkessischen Krawall, und glücklich in diesem Bewußtsein großer Princi¬
pien hielt man sich des politischen Details für überhoben und trieb die sonstigen

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[439/0006] alljährlich wurde eine Festrede zu Ehren Kant's gehalten. Rosenkranz liebte es, junge Talente um sich zu sammeln; damals wurde es Sitte, sich lyrisch gehn zu lassen, zuerst in sentimentalen Trinkliedern, doch spielte bald die Freiheit im All¬ gemeinen und der aufgeklärte Patriotismus hinein, und es fehlte weder die Heinesche Zerrissenheit noch die Grün'sche Reflexionspoesie. Die Mehrzahl der Professoren hielt auf rationalistische Auffassung der Geschichte, des Rechts, der Theologie; die pietistisch gesinnten jungen Theologen kamelisirten und kamen im Studentenleben nicht viel in Betracht. Lobeck kämpfte in seinem philologischen Seminar mit Erfolg gegen alle romantischen Einfälle, die seiner Wissenschaft zu nahe traten; er galt als Republikaner, da er ohnehin mehr in Rom und Athen, als in Königsberg lebte. Schubert, Voigt, Drumann waren entschieden Preußisch gesinnt; Schu¬ bert stellte mit einem diplomatisch feinen Lächeln die Spießbürgerlichkeit der alten Republiken dem complicirten modernen Staatsleben gegenüber ins Licht; er liebte es, mit Personen von Stande umzugehn und ironisirte bei seinen Schülern ein etwa hervortretendes jugendliches Interesse an der französischen Revolution, aber er war dabei aufgeklärt und gegen allen Obscurantismus in der Kirche wie im Staate. Mit den staatsökonomischen Kollegien richtete er nicht viel aus, man lernte ebendie Hefte, soviel zum Examen nöthig war und dachte conservativ ge¬ nug, sich am Gegebenen genügen zu lassen. Voigt stand mit dem Oberpräsiden¬ ten in näherer Verbindung; er war schon seiner amtlichen Beschäftigung nach, seinen archivarischen Arbeiten nämlich, Royalist; Drumann war es im Princip, er sah die ganze römische Geschichte bis auf Cäsar nur als Vorbereitung an für die monarchische Verfassung, die später eintrat. Auch der Jurist Simson, der ge¬ genwärtig in Frankfurt ist und der durch einen fließenden Vortrag imponirte, war loyal; er wußte sich etwas darauf, im Tribunal zu sitzen und so dem Staate nä¬ her anzugehören. Auf legitime Weise wurde also der oppositionelle Sinn der Studirenden nicht genährt. Dagegen blieb eine stille Opposition. In keinem Corps wurde der präjudicielle Vers des Landesvaters gemacht. Bei den rechten Studenten galt es für schlechten Ton, sich mit Politik abzugeben oder gar die Zeitung zu lesen; aber hin und wieder verirrte sich ein alter Bursch, der von fremden Universitäten relegirt war, nach Königsberg und sah mit dem ganzen Bewußtsein eines verfolgten Patrioten auf die gewöhnlichen Sterblichen herab. Je stoffloser dieser Radicalismus war, desto gründlicher verachtete er das Bestehende. Man las seinen Thiers und Mignet und schwärmte demnach für Mirabeau und Danton — bis zu Robespierre ver¬ stieg man sich noch nicht; man war Republikaner, verachtete die Deutschen und las in der Allgemeinen Zeitung nur die Französischen und Englischen Artikel; man trieb nur grande politique und combinirte eine beliebige Niederlage Esparteros mit einem Tscherkessischen Krawall, und glücklich in diesem Bewußtsein großer Princi¬ pien hielt man sich des politischen Details für überhoben und trieb die sonstigen 56*

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/6>, abgerufen am 29.03.2024.