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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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Böttiger, ein reines Werkzeug der Camarilla; man entfernte Abegg und machte
Lauterbach zum Polizeipräsidenten, dem es auch bald gelang, das Institut der
Polizei der gesammten Bürgerschaft so verhaßt als möglich zu machen; man erhob
Lucas zum Schulrath, dessen pietistische Färbung um so gehässiger war, da er
früher als Burschenhafter mit der Demagogie geliebäugelt hatte und da er in
seiner frühern Stellung als Gymnasialdirector in den Ruf der Zweideutigkeit ge¬
kommen war; man schärfte von Oben her den antiliberalen Sinn der Offiziere
und veranlaßte sie zu noch größerer Abschließung. Die Stadtbehörden wurden
durch brüske Entscheidungen verletzt, es sah aus wie ein abgekartetes Spiel, die
Königsberger für ihre Gesinnung zu ärgern. Die Stimmung der Liberalen wurde
immer verbitterter.

Es war die Zeit, wo der Liberalismus in seiner politischen Richtung ge¬
hemmt, sich den abenteuerlichsten Werdegelüsten hingab. Der Gustav-Adolphverein
fand auch in Königsberg lebhaften Anklang, obgleich hier eine Opposition gegen
die katholische Kirche durch die Verhältnisse gar nicht motivirt war. Man betrach¬
tete ihn von liberaler Seite als eine politische Demonstration, doch der Vorsitzende,
Rupp, war zu sehr Theolog; als Jacoby sich betheiligen wollte, versagte er dem
Juden die Aufnahme. Aehnliche Züge, gleich unbedeutend und doch nicht zu
übersehen, finden sich mehrere; Jacoby wurde dadurch immer mehr in den Radi¬
kalismus hineingedrängt -- d. h. in die Form des Liberalismus, welcher der
Boden unter den Füßen entzogen wird und die sich dadurch veranlaßt sieht,
den ganzen Rechtsboden für eine tabula rasa, eine Schöpfung aus dem Nichts
für die einzige Form der Wiedergeburt zu halten. Zwar blieb Jacoby, eben sei¬
nes nüchternen, anscheinend leidenschaftlosen und ernsten Wesens wegen stets in
großer Achtung, auch bei der wohlhabenden Classe der Liberalen, die schon all-
mälig vor dem Ungestüm des Radikalismus scheu wurde; aber was half es! er
hatte keinen legitimen Boden für seine Thätigkeit. Von Außen her, wo er nur
Name war, wurde ihm größere Anerkennung zu Theil; er trat den süddeutschen
Radikalen näher und entfremdete sich Preußen mehr und mehr.

Bei der Jubelfeier der Universität sollte eine Art Versöhnung zwischen der Re¬
gierung und der Stadt gefeiert werden; sie mißlang gänzlich, im Gegentheil traten
die Parteien sich seitdem viel schroffer und gehässiger entgegen. Jacoby wurde jetzt
vorzugsweise von den jüngern Leuten getragen, die Opposition der liberalen Pro¬
fessoren, Studenten u. s. w. wurde ihm zu lau; die "Entschiednen" fingen an,
an dem Bunde mit den "Halben" zu verzweifeln.

Jacoby's zweite Schrift erschien; sie enthielt im Wesentlichen die alten Ge¬
danken, nur herber ausgedrückt. Er erklärte, die angebliche Rücksicht auf das Ge¬
fährliche eines Schrittes, wie ihn die liberale Partei forderte, könne den Bruch eines
Fürstenwortes nicht entschuldigen. Die alte Comödie mit der erfolglosen Unter¬
suchung, den Rechtfertigungsschreiben u. s. w. wiederholte sich; im Ganzen machte

Grenzboten. III. 1848. 57

Böttiger, ein reines Werkzeug der Camarilla; man entfernte Abegg und machte
Lauterbach zum Polizeipräsidenten, dem es auch bald gelang, das Institut der
Polizei der gesammten Bürgerschaft so verhaßt als möglich zu machen; man erhob
Lucas zum Schulrath, dessen pietistische Färbung um so gehässiger war, da er
früher als Burschenhafter mit der Demagogie geliebäugelt hatte und da er in
seiner frühern Stellung als Gymnasialdirector in den Ruf der Zweideutigkeit ge¬
kommen war; man schärfte von Oben her den antiliberalen Sinn der Offiziere
und veranlaßte sie zu noch größerer Abschließung. Die Stadtbehörden wurden
durch brüske Entscheidungen verletzt, es sah aus wie ein abgekartetes Spiel, die
Königsberger für ihre Gesinnung zu ärgern. Die Stimmung der Liberalen wurde
immer verbitterter.

Es war die Zeit, wo der Liberalismus in seiner politischen Richtung ge¬
hemmt, sich den abenteuerlichsten Werdegelüsten hingab. Der Gustav-Adolphverein
fand auch in Königsberg lebhaften Anklang, obgleich hier eine Opposition gegen
die katholische Kirche durch die Verhältnisse gar nicht motivirt war. Man betrach¬
tete ihn von liberaler Seite als eine politische Demonstration, doch der Vorsitzende,
Rupp, war zu sehr Theolog; als Jacoby sich betheiligen wollte, versagte er dem
Juden die Aufnahme. Aehnliche Züge, gleich unbedeutend und doch nicht zu
übersehen, finden sich mehrere; Jacoby wurde dadurch immer mehr in den Radi¬
kalismus hineingedrängt — d. h. in die Form des Liberalismus, welcher der
Boden unter den Füßen entzogen wird und die sich dadurch veranlaßt sieht,
den ganzen Rechtsboden für eine tabula rasa, eine Schöpfung aus dem Nichts
für die einzige Form der Wiedergeburt zu halten. Zwar blieb Jacoby, eben sei¬
nes nüchternen, anscheinend leidenschaftlosen und ernsten Wesens wegen stets in
großer Achtung, auch bei der wohlhabenden Classe der Liberalen, die schon all-
mälig vor dem Ungestüm des Radikalismus scheu wurde; aber was half es! er
hatte keinen legitimen Boden für seine Thätigkeit. Von Außen her, wo er nur
Name war, wurde ihm größere Anerkennung zu Theil; er trat den süddeutschen
Radikalen näher und entfremdete sich Preußen mehr und mehr.

Bei der Jubelfeier der Universität sollte eine Art Versöhnung zwischen der Re¬
gierung und der Stadt gefeiert werden; sie mißlang gänzlich, im Gegentheil traten
die Parteien sich seitdem viel schroffer und gehässiger entgegen. Jacoby wurde jetzt
vorzugsweise von den jüngern Leuten getragen, die Opposition der liberalen Pro¬
fessoren, Studenten u. s. w. wurde ihm zu lau; die „Entschiednen“ fingen an,
an dem Bunde mit den „Halben“ zu verzweifeln.

Jacoby's zweite Schrift erschien; sie enthielt im Wesentlichen die alten Ge¬
danken, nur herber ausgedrückt. Er erklärte, die angebliche Rücksicht auf das Ge¬
fährliche eines Schrittes, wie ihn die liberale Partei forderte, könne den Bruch eines
Fürstenwortes nicht entschuldigen. Die alte Comödie mit der erfolglosen Unter¬
suchung, den Rechtfertigungsschreiben u. s. w. wiederholte sich; im Ganzen machte

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[445/0012] Böttiger, ein reines Werkzeug der Camarilla; man entfernte Abegg und machte Lauterbach zum Polizeipräsidenten, dem es auch bald gelang, das Institut der Polizei der gesammten Bürgerschaft so verhaßt als möglich zu machen; man erhob Lucas zum Schulrath, dessen pietistische Färbung um so gehässiger war, da er früher als Burschenhafter mit der Demagogie geliebäugelt hatte und da er in seiner frühern Stellung als Gymnasialdirector in den Ruf der Zweideutigkeit ge¬ kommen war; man schärfte von Oben her den antiliberalen Sinn der Offiziere und veranlaßte sie zu noch größerer Abschließung. Die Stadtbehörden wurden durch brüske Entscheidungen verletzt, es sah aus wie ein abgekartetes Spiel, die Königsberger für ihre Gesinnung zu ärgern. Die Stimmung der Liberalen wurde immer verbitterter. Es war die Zeit, wo der Liberalismus in seiner politischen Richtung ge¬ hemmt, sich den abenteuerlichsten Werdegelüsten hingab. Der Gustav-Adolphverein fand auch in Königsberg lebhaften Anklang, obgleich hier eine Opposition gegen die katholische Kirche durch die Verhältnisse gar nicht motivirt war. Man betrach¬ tete ihn von liberaler Seite als eine politische Demonstration, doch der Vorsitzende, Rupp, war zu sehr Theolog; als Jacoby sich betheiligen wollte, versagte er dem Juden die Aufnahme. Aehnliche Züge, gleich unbedeutend und doch nicht zu übersehen, finden sich mehrere; Jacoby wurde dadurch immer mehr in den Radi¬ kalismus hineingedrängt — d. h. in die Form des Liberalismus, welcher der Boden unter den Füßen entzogen wird und die sich dadurch veranlaßt sieht, den ganzen Rechtsboden für eine tabula rasa, eine Schöpfung aus dem Nichts für die einzige Form der Wiedergeburt zu halten. Zwar blieb Jacoby, eben sei¬ nes nüchternen, anscheinend leidenschaftlosen und ernsten Wesens wegen stets in großer Achtung, auch bei der wohlhabenden Classe der Liberalen, die schon all- mälig vor dem Ungestüm des Radikalismus scheu wurde; aber was half es! er hatte keinen legitimen Boden für seine Thätigkeit. Von Außen her, wo er nur Name war, wurde ihm größere Anerkennung zu Theil; er trat den süddeutschen Radikalen näher und entfremdete sich Preußen mehr und mehr. Bei der Jubelfeier der Universität sollte eine Art Versöhnung zwischen der Re¬ gierung und der Stadt gefeiert werden; sie mißlang gänzlich, im Gegentheil traten die Parteien sich seitdem viel schroffer und gehässiger entgegen. Jacoby wurde jetzt vorzugsweise von den jüngern Leuten getragen, die Opposition der liberalen Pro¬ fessoren, Studenten u. s. w. wurde ihm zu lau; die „Entschiednen“ fingen an, an dem Bunde mit den „Halben“ zu verzweifeln. Jacoby's zweite Schrift erschien; sie enthielt im Wesentlichen die alten Ge¬ danken, nur herber ausgedrückt. Er erklärte, die angebliche Rücksicht auf das Ge¬ fährliche eines Schrittes, wie ihn die liberale Partei forderte, könne den Bruch eines Fürstenwortes nicht entschuldigen. Die alte Comödie mit der erfolglosen Unter¬ suchung, den Rechtfertigungsschreiben u. s. w. wiederholte sich; im Ganzen machte Grenzboten. III. 1848. 57

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/12>, abgerufen am 28.03.2024.