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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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Rheinische Zeitung hatte mehr Raum, und konnte daher concreter sein; in dem
Lapidarstyl der Konigsberger lag eine gewisse Dürftigkeit. Die eintretende Re¬
action brachte sie nach zweijähriger Wirksamkeit zum Schweigen; sie hätte ohnehin
nicht viel mehr zu sagen gehabt, sie hätte denn bei § 1. wieder anfangen müssen.
Im Uebrigen ist nicht zu leugnen, daß in dem frischen Muth, in dem jugendlich
heitern Glauben, der die damalige Presse belebte, etwas unendlich Anziehendes
lag; die Zeit von 1843 machte mit ihrer verbitterten Kritik einen viel unange¬
nehmern Eindruck.

Jene Artikel in der Hartungschen Zeitung waren vorzugsweise von Jacoby
angeregt. Sie verschafften Königsberg den Ruhm der gesinnungstüchtigen Stadt
par excellence, von Baden bis den Rhein hinunter blickte man mit einer ge¬
wissen Bewunderung auf sie hin. Der Landtag, durch seinen ersten Erfolg über¬
rascht, raffte sich auf; der Magistrat und die Bürgerschaft beeiferten sich, bei jeder
passenden Gelegenheit ihrer Gesinnung freien Lauf zu lassen; das Zeitungslesen
bei der studirenden Jugend nahm überhand; angesehene Männer, wie der Justiz-
commissarius Crelinger, dessen Talent damals geachteter war, als sein Charakter,
stellten sich mit an die Spitze der Bewegung; die Phalanx der liberalen Aristo¬
kratie schloß sich enger zusammen; Walesrode hielt seine humoristischen Vorlesungen,
und propagirte den Ruhm der Königsberger Gesinnung in Süddeutschland; es
wurden Volksversammlungen gehalten, an denen Jacoby lebhaften Antheil nahm
-- freilich nicht als Redner, denn seine Logik ist abstract: er ist in seinem Libe¬
ralismus dogmatisch, nicht dialektisch, und hat zu wenig Objectivität, um über
die einfache Behauptung hinaus auf nähere Begründung im Sinne Andersden¬
kender einzugehen, er ist abhängig von dem Inhalt seines Glaubens, und versteht
seine Gegner nicht, darum kann er weder ein Volksredner, noch eine parla¬
mentarische Notabilität werden; es fehlt ihm Pathos wie Humor. Wenn die
Wahrheit sich in die abstracte Form rationeller Decrete bringen ließe, so wäre er
ein Politiker; so aber bleibt er immer außerhalb des Staatslebens, wie er auch
in seiner bürgerlichen Stellung und als Junggesell der eigentlich lebendigen Ver¬
wickelung der Interessen fremd bleibt.

Mit Herwegh's Besuch in Königsberg, der damals vor seinem schwärmerischen
Auditorium -- er kam bald nach Liszt -- erklärte, nur die Jugend sei für das
neue Staatswesen gemacht, und man müsse die Freiheit bis zum Wahnsinn lie¬
ben, beginnt die Reaction. Die Volksversammlungen wurden zuerst auf unerträg¬
liche Weise belästigt, dann ganz unterdrückt; der freien Presse stellte man erst eine
gouvernementale gegenüber, dann bändigte man sie durch die Censur -- was in
Königsberg um so leichter war, da die abstract dogmatische Form des Liberalis¬
mus durch einfache Striche zu beseitigen ist, während die dialektische Freiheit
schon mehr Umstände macht. Man schmuggelte berüchtigte Pietisten in die theo¬
logische Facultät ein, man gab Schön seine Entlassung, und ersetzte ihn durch

Rheinische Zeitung hatte mehr Raum, und konnte daher concreter sein; in dem
Lapidarstyl der Konigsberger lag eine gewisse Dürftigkeit. Die eintretende Re¬
action brachte sie nach zweijähriger Wirksamkeit zum Schweigen; sie hätte ohnehin
nicht viel mehr zu sagen gehabt, sie hätte denn bei § 1. wieder anfangen müssen.
Im Uebrigen ist nicht zu leugnen, daß in dem frischen Muth, in dem jugendlich
heitern Glauben, der die damalige Presse belebte, etwas unendlich Anziehendes
lag; die Zeit von 1843 machte mit ihrer verbitterten Kritik einen viel unange¬
nehmern Eindruck.

Jene Artikel in der Hartungschen Zeitung waren vorzugsweise von Jacoby
angeregt. Sie verschafften Königsberg den Ruhm der gesinnungstüchtigen Stadt
par excellence, von Baden bis den Rhein hinunter blickte man mit einer ge¬
wissen Bewunderung auf sie hin. Der Landtag, durch seinen ersten Erfolg über¬
rascht, raffte sich auf; der Magistrat und die Bürgerschaft beeiferten sich, bei jeder
passenden Gelegenheit ihrer Gesinnung freien Lauf zu lassen; das Zeitungslesen
bei der studirenden Jugend nahm überhand; angesehene Männer, wie der Justiz-
commissarius Crelinger, dessen Talent damals geachteter war, als sein Charakter,
stellten sich mit an die Spitze der Bewegung; die Phalanx der liberalen Aristo¬
kratie schloß sich enger zusammen; Walesrode hielt seine humoristischen Vorlesungen,
und propagirte den Ruhm der Königsberger Gesinnung in Süddeutschland; es
wurden Volksversammlungen gehalten, an denen Jacoby lebhaften Antheil nahm
— freilich nicht als Redner, denn seine Logik ist abstract: er ist in seinem Libe¬
ralismus dogmatisch, nicht dialektisch, und hat zu wenig Objectivität, um über
die einfache Behauptung hinaus auf nähere Begründung im Sinne Andersden¬
kender einzugehen, er ist abhängig von dem Inhalt seines Glaubens, und versteht
seine Gegner nicht, darum kann er weder ein Volksredner, noch eine parla¬
mentarische Notabilität werden; es fehlt ihm Pathos wie Humor. Wenn die
Wahrheit sich in die abstracte Form rationeller Decrete bringen ließe, so wäre er
ein Politiker; so aber bleibt er immer außerhalb des Staatslebens, wie er auch
in seiner bürgerlichen Stellung und als Junggesell der eigentlich lebendigen Ver¬
wickelung der Interessen fremd bleibt.

Mit Herwegh's Besuch in Königsberg, der damals vor seinem schwärmerischen
Auditorium — er kam bald nach Liszt — erklärte, nur die Jugend sei für das
neue Staatswesen gemacht, und man müsse die Freiheit bis zum Wahnsinn lie¬
ben, beginnt die Reaction. Die Volksversammlungen wurden zuerst auf unerträg¬
liche Weise belästigt, dann ganz unterdrückt; der freien Presse stellte man erst eine
gouvernementale gegenüber, dann bändigte man sie durch die Censur — was in
Königsberg um so leichter war, da die abstract dogmatische Form des Liberalis¬
mus durch einfache Striche zu beseitigen ist, während die dialektische Freiheit
schon mehr Umstände macht. Man schmuggelte berüchtigte Pietisten in die theo¬
logische Facultät ein, man gab Schön seine Entlassung, und ersetzte ihn durch

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[444/0011] Rheinische Zeitung hatte mehr Raum, und konnte daher concreter sein; in dem Lapidarstyl der Konigsberger lag eine gewisse Dürftigkeit. Die eintretende Re¬ action brachte sie nach zweijähriger Wirksamkeit zum Schweigen; sie hätte ohnehin nicht viel mehr zu sagen gehabt, sie hätte denn bei § 1. wieder anfangen müssen. Im Uebrigen ist nicht zu leugnen, daß in dem frischen Muth, in dem jugendlich heitern Glauben, der die damalige Presse belebte, etwas unendlich Anziehendes lag; die Zeit von 1843 machte mit ihrer verbitterten Kritik einen viel unange¬ nehmern Eindruck. Jene Artikel in der Hartungschen Zeitung waren vorzugsweise von Jacoby angeregt. Sie verschafften Königsberg den Ruhm der gesinnungstüchtigen Stadt par excellence, von Baden bis den Rhein hinunter blickte man mit einer ge¬ wissen Bewunderung auf sie hin. Der Landtag, durch seinen ersten Erfolg über¬ rascht, raffte sich auf; der Magistrat und die Bürgerschaft beeiferten sich, bei jeder passenden Gelegenheit ihrer Gesinnung freien Lauf zu lassen; das Zeitungslesen bei der studirenden Jugend nahm überhand; angesehene Männer, wie der Justiz- commissarius Crelinger, dessen Talent damals geachteter war, als sein Charakter, stellten sich mit an die Spitze der Bewegung; die Phalanx der liberalen Aristo¬ kratie schloß sich enger zusammen; Walesrode hielt seine humoristischen Vorlesungen, und propagirte den Ruhm der Königsberger Gesinnung in Süddeutschland; es wurden Volksversammlungen gehalten, an denen Jacoby lebhaften Antheil nahm — freilich nicht als Redner, denn seine Logik ist abstract: er ist in seinem Libe¬ ralismus dogmatisch, nicht dialektisch, und hat zu wenig Objectivität, um über die einfache Behauptung hinaus auf nähere Begründung im Sinne Andersden¬ kender einzugehen, er ist abhängig von dem Inhalt seines Glaubens, und versteht seine Gegner nicht, darum kann er weder ein Volksredner, noch eine parla¬ mentarische Notabilität werden; es fehlt ihm Pathos wie Humor. Wenn die Wahrheit sich in die abstracte Form rationeller Decrete bringen ließe, so wäre er ein Politiker; so aber bleibt er immer außerhalb des Staatslebens, wie er auch in seiner bürgerlichen Stellung und als Junggesell der eigentlich lebendigen Ver¬ wickelung der Interessen fremd bleibt. Mit Herwegh's Besuch in Königsberg, der damals vor seinem schwärmerischen Auditorium — er kam bald nach Liszt — erklärte, nur die Jugend sei für das neue Staatswesen gemacht, und man müsse die Freiheit bis zum Wahnsinn lie¬ ben, beginnt die Reaction. Die Volksversammlungen wurden zuerst auf unerträg¬ liche Weise belästigt, dann ganz unterdrückt; der freien Presse stellte man erst eine gouvernementale gegenüber, dann bändigte man sie durch die Censur — was in Königsberg um so leichter war, da die abstract dogmatische Form des Liberalis¬ mus durch einfache Striche zu beseitigen ist, während die dialektische Freiheit schon mehr Umstände macht. Man schmuggelte berüchtigte Pietisten in die theo¬ logische Facultät ein, man gab Schön seine Entlassung, und ersetzte ihn durch

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/11>, abgerufen am 19.04.2024.