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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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läßt er eine Periode fallen, jedes Bild wird zu Tode gehetzt. Jeden Satz, der
sonor aus seinem gewaltigen Brustkasten quillt, kündigt ein feierliches Räuspern
an. Sobald er auf eine bestimmte politische Frage kommt, zeigt sich der Dilet¬
tant; er spricht wie vor dem Publikum eines Winkeljournals. Er hat keinen In¬
halt, als die alte traditionelle Antipathie gegen Alles, was nach Regierung aus¬
sieht; wenn es nicht eine große Frage, d. h. eine Frage ist, die zu Phrasen für die
Galerie Veranlassung gibt, so schweigt er. Die positiven Notizen, die er gelegent¬
lich anbringt, hat er sich gestern geben lassen, man sieht es ihnen an, daß sie nicht
in den Organismus seiner Deklamation gehören, sie sind als Zierrathen angeklebt.
Er liebt es, mit resignirter Miene sich damit zu rühmen, daß ihn, den tugend¬
haften Mann des Volks, kein Portefeuille erwartet: wir glauben es auch nicht,
denn Gott bewahre uns vor einem Staate, in dem Blum und Consorten das
Heft in Händen hätten! Nicht weil sie zu radical sind, sondern weil sie von
Staatsgeschäften Nichts verstehn, weil sie auch nicht den geringsten Begriff haben
von irgend einem Zweig der Verwaltung, nicht die geringste Kenntniß von den
bestehenden Zuständen, mit Einem Worte, keinen politischen Inhalt, als der ihnen
durch gelegentliche Klatschereien zugetragen wird. Was ist das aber für eine Partei,
die sich selber sagen muß, sie könne nie an die Regierung kommen! Wir haben
wahrhaftig für die Radowitze und ihres Gleichen keine Sympathie, aber zur Re¬
gierung einer großen Nation gebraucht man Staatsmänner, keine Phraseurs.

Häßlicher wird das Bild dieses Helden, wenn wir ihn als Demagogen be¬
trachten. Hier redet er vor jedem Publikum anders, am Rhein fordert er zum
Zermalmen aller Potentaten, Aristokraten und Bourgeois auf, in Leipzig spricht
er salbungsvoll von dem heiligen Rechte des Eigenthums und von seiner Vorliebe
für die constitutionelle Monarchie in Sachsen. Bald aufhetzend, bald beschwich¬
tigend, spricht er jeder Masse zu Munde. Nicht blos aus liberalem Jesuitismus,
sondern weil er keinem eignen Inhalt hat, weil er nichts zu geben weiß,
als was der Volkswind ihm zuweht. Er weiß und will nur was sein Audito¬
rium weiß und will, er ist nicht der Lenker des Volks, sondern sein Produkt. Wenn
er verletzt oder herausfordert, so ist es, weil ihm noch die Eindrücke von gestern
in die Ohren klingen, und mit dem, was er heute hört, nicht in Einklang zu brin¬
gen sind. Dabei ist er kein eigentlicher Volksredner, wie O'Connell, denn er
hat keinen bewußten Humor, keine Originalität, keine Plastik; er ist drollig, aber
ohne es zu wollen; er sieht trotz seiner leidenden Miene gekränkter Unschuld nach
dem Falstaff aus, aber ohne es zu wissen. Er ist eben so wenig frei von seinem
Pathos, als eigentlich von einem bestimmten Zwecke erfüllt; die Phrase reißt ihn
hin und sein Eigenthum ist nur die Phrase.

Es ist in ihm nichts ursprünglich: bei jedem Satz fällt einem ein: wo hat
er das Citat her! Er ist der Enthusiasmus der Trivialität, das Philisterthum in
seinem klassischen Ausdruck.

läßt er eine Periode fallen, jedes Bild wird zu Tode gehetzt. Jeden Satz, der
sonor aus seinem gewaltigen Brustkasten quillt, kündigt ein feierliches Räuspern
an. Sobald er auf eine bestimmte politische Frage kommt, zeigt sich der Dilet¬
tant; er spricht wie vor dem Publikum eines Winkeljournals. Er hat keinen In¬
halt, als die alte traditionelle Antipathie gegen Alles, was nach Regierung aus¬
sieht; wenn es nicht eine große Frage, d. h. eine Frage ist, die zu Phrasen für die
Galerie Veranlassung gibt, so schweigt er. Die positiven Notizen, die er gelegent¬
lich anbringt, hat er sich gestern geben lassen, man sieht es ihnen an, daß sie nicht
in den Organismus seiner Deklamation gehören, sie sind als Zierrathen angeklebt.
Er liebt es, mit resignirter Miene sich damit zu rühmen, daß ihn, den tugend¬
haften Mann des Volks, kein Portefeuille erwartet: wir glauben es auch nicht,
denn Gott bewahre uns vor einem Staate, in dem Blum und Consorten das
Heft in Händen hätten! Nicht weil sie zu radical sind, sondern weil sie von
Staatsgeschäften Nichts verstehn, weil sie auch nicht den geringsten Begriff haben
von irgend einem Zweig der Verwaltung, nicht die geringste Kenntniß von den
bestehenden Zuständen, mit Einem Worte, keinen politischen Inhalt, als der ihnen
durch gelegentliche Klatschereien zugetragen wird. Was ist das aber für eine Partei,
die sich selber sagen muß, sie könne nie an die Regierung kommen! Wir haben
wahrhaftig für die Radowitze und ihres Gleichen keine Sympathie, aber zur Re¬
gierung einer großen Nation gebraucht man Staatsmänner, keine Phraseurs.

Häßlicher wird das Bild dieses Helden, wenn wir ihn als Demagogen be¬
trachten. Hier redet er vor jedem Publikum anders, am Rhein fordert er zum
Zermalmen aller Potentaten, Aristokraten und Bourgeois auf, in Leipzig spricht
er salbungsvoll von dem heiligen Rechte des Eigenthums und von seiner Vorliebe
für die constitutionelle Monarchie in Sachsen. Bald aufhetzend, bald beschwich¬
tigend, spricht er jeder Masse zu Munde. Nicht blos aus liberalem Jesuitismus,
sondern weil er keinem eignen Inhalt hat, weil er nichts zu geben weiß,
als was der Volkswind ihm zuweht. Er weiß und will nur was sein Audito¬
rium weiß und will, er ist nicht der Lenker des Volks, sondern sein Produkt. Wenn
er verletzt oder herausfordert, so ist es, weil ihm noch die Eindrücke von gestern
in die Ohren klingen, und mit dem, was er heute hört, nicht in Einklang zu brin¬
gen sind. Dabei ist er kein eigentlicher Volksredner, wie O'Connell, denn er
hat keinen bewußten Humor, keine Originalität, keine Plastik; er ist drollig, aber
ohne es zu wollen; er sieht trotz seiner leidenden Miene gekränkter Unschuld nach
dem Falstaff aus, aber ohne es zu wissen. Er ist eben so wenig frei von seinem
Pathos, als eigentlich von einem bestimmten Zwecke erfüllt; die Phrase reißt ihn
hin und sein Eigenthum ist nur die Phrase.

Es ist in ihm nichts ursprünglich: bei jedem Satz fällt einem ein: wo hat
er das Citat her! Er ist der Enthusiasmus der Trivialität, das Philisterthum in
seinem klassischen Ausdruck.

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[385/0020] läßt er eine Periode fallen, jedes Bild wird zu Tode gehetzt. Jeden Satz, der sonor aus seinem gewaltigen Brustkasten quillt, kündigt ein feierliches Räuspern an. Sobald er auf eine bestimmte politische Frage kommt, zeigt sich der Dilet¬ tant; er spricht wie vor dem Publikum eines Winkeljournals. Er hat keinen In¬ halt, als die alte traditionelle Antipathie gegen Alles, was nach Regierung aus¬ sieht; wenn es nicht eine große Frage, d. h. eine Frage ist, die zu Phrasen für die Galerie Veranlassung gibt, so schweigt er. Die positiven Notizen, die er gelegent¬ lich anbringt, hat er sich gestern geben lassen, man sieht es ihnen an, daß sie nicht in den Organismus seiner Deklamation gehören, sie sind als Zierrathen angeklebt. Er liebt es, mit resignirter Miene sich damit zu rühmen, daß ihn, den tugend¬ haften Mann des Volks, kein Portefeuille erwartet: wir glauben es auch nicht, denn Gott bewahre uns vor einem Staate, in dem Blum und Consorten das Heft in Händen hätten! Nicht weil sie zu radical sind, sondern weil sie von Staatsgeschäften Nichts verstehn, weil sie auch nicht den geringsten Begriff haben von irgend einem Zweig der Verwaltung, nicht die geringste Kenntniß von den bestehenden Zuständen, mit Einem Worte, keinen politischen Inhalt, als der ihnen durch gelegentliche Klatschereien zugetragen wird. Was ist das aber für eine Partei, die sich selber sagen muß, sie könne nie an die Regierung kommen! Wir haben wahrhaftig für die Radowitze und ihres Gleichen keine Sympathie, aber zur Re¬ gierung einer großen Nation gebraucht man Staatsmänner, keine Phraseurs. Häßlicher wird das Bild dieses Helden, wenn wir ihn als Demagogen be¬ trachten. Hier redet er vor jedem Publikum anders, am Rhein fordert er zum Zermalmen aller Potentaten, Aristokraten und Bourgeois auf, in Leipzig spricht er salbungsvoll von dem heiligen Rechte des Eigenthums und von seiner Vorliebe für die constitutionelle Monarchie in Sachsen. Bald aufhetzend, bald beschwich¬ tigend, spricht er jeder Masse zu Munde. Nicht blos aus liberalem Jesuitismus, sondern weil er keinem eignen Inhalt hat, weil er nichts zu geben weiß, als was der Volkswind ihm zuweht. Er weiß und will nur was sein Audito¬ rium weiß und will, er ist nicht der Lenker des Volks, sondern sein Produkt. Wenn er verletzt oder herausfordert, so ist es, weil ihm noch die Eindrücke von gestern in die Ohren klingen, und mit dem, was er heute hört, nicht in Einklang zu brin¬ gen sind. Dabei ist er kein eigentlicher Volksredner, wie O'Connell, denn er hat keinen bewußten Humor, keine Originalität, keine Plastik; er ist drollig, aber ohne es zu wollen; er sieht trotz seiner leidenden Miene gekränkter Unschuld nach dem Falstaff aus, aber ohne es zu wissen. Er ist eben so wenig frei von seinem Pathos, als eigentlich von einem bestimmten Zwecke erfüllt; die Phrase reißt ihn hin und sein Eigenthum ist nur die Phrase. Es ist in ihm nichts ursprünglich: bei jedem Satz fällt einem ein: wo hat er das Citat her! Er ist der Enthusiasmus der Trivialität, das Philisterthum in seinem klassischen Ausdruck.

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/20>, abgerufen am 19.04.2024.