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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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der Versammlung auf gleichem Boden und er wußte das auch geltend zu machen,
so sehr er sie auch durch seine Organe in schlechten Ruf zu bringen suchte. Jetzt
aber ist seine Partei, die gegen die meisten Regierungen die Fahne der Central-
gewalt aufpflanzt, weil sie nach ihren Ansichten und Hoffnungen hier die Fahne
der Empörung ist, gezwungen, gegen die Natur dieser Centralgewalt fortwährend zu
protestiren. Die "äußerste" Linke ist sich dieser Stellung bewußt und spricht sie
offen aus; dazu ist Blum nicht der Mann: wenn er auch in der Minorität ist,
so behält er doch den Instinkt der Majorität, der ihm eigen ist und liebäugelt mit
dem einen Auge mit den Republikanern, mit dem andern mit dem Rechtszustande.
Diese Stellung muß von Tage zu Tage unhaltbarer werden und hat ihn schon
in manche, nicht gerade angenehme Widersprüche verwickelt.

In der polnischen Frage wußte er, nach seiner gewöhnlichen Weise, das Prin¬
cip zu umgehen. Ueber die Sympathien für oder wider Polen konnte man sich
bequem entscheiden und die Linke hatte hier ein leichteres Spiel, theils weil das
Mitgefühl mit dem Unglück hübscher aussieht, theils weil sie sich auf die entspre¬
chende Stimmung des Vorparlaments berufen konnte. So einfach war die Sache
aber keineswegs; es handelte sich um einen concreten Fall: soll die Trennung
des Großherzogthums Posen nach den Nationalitäten im Prinzip und in den be¬
sondern Bestimmungen anerkannt werden? Die äußerste Linke sagte: wir sind nicht
competent, darüber zu entscheiden; sondern es muß durch einen Congreß aller freien
Nationen geschehen. Das klang undeutsch und Blum konnte sich also dafür nicht
entscheiden. Er sagte: wir sind vorläufig incompetent, denn die eine Partei
sagt dies, die andere jenes, wir müssen durch eine Commission a la Aachen und
Mainz die Sache untersuchen, wahrscheinlich wird die preußische Regierung gelogen
haben. Er versteckte also seinen Kampf gegen das Prinzip der Theilung in
eine bloße Opposition gegen das Detail derselben und forderte die Regierung auf,
abzuwarten, abzuwarten in einer Zeit der schlimmsten Krisis. Das war un¬
redlich, denn es hatte nur den Zweck, die Versammlung mit sich selber und dem
preußischen Staat zu veruneinigen, ohne doch ein großes Prinzip, wenn auch
ein falsches, der herrschenden Ansicht offen entgegen zu stellen. --

Als Parlamentsredner ist Blum noch immer der Liebling der Tribüne. Bald
ergeht er sich in dem memorirten Enthusiasmus für alles Schöne, Gute und Vor¬
treffliche, was es irgend gibt oder geben soll; bald "entsetzt er sich," bald "sträubt
sich das Haar"*) über die Schändlichkeiten, die noch auf der Welt geduldet wer¬
den. In beiden Fällen empfiehlt er ebenso sein gutes Herz, wie sein Talent, in
Gleichnissen zu reden. Das Charakteristische seines Vortrags ist der alte Predi¬
gerstyl, er geberdet sich noch immer als deutschkatholischer Gemeindevorstand. Nie

*) Ein politischer Gegner im Tageblatt hat gezählt, wie oft sich sein Haar gesträubt habe,
ich glaube, es war 16 Mal. So schlimm ist die Welt!

der Versammlung auf gleichem Boden und er wußte das auch geltend zu machen,
so sehr er sie auch durch seine Organe in schlechten Ruf zu bringen suchte. Jetzt
aber ist seine Partei, die gegen die meisten Regierungen die Fahne der Central-
gewalt aufpflanzt, weil sie nach ihren Ansichten und Hoffnungen hier die Fahne
der Empörung ist, gezwungen, gegen die Natur dieser Centralgewalt fortwährend zu
protestiren. Die „äußerste“ Linke ist sich dieser Stellung bewußt und spricht sie
offen aus; dazu ist Blum nicht der Mann: wenn er auch in der Minorität ist,
so behält er doch den Instinkt der Majorität, der ihm eigen ist und liebäugelt mit
dem einen Auge mit den Republikanern, mit dem andern mit dem Rechtszustande.
Diese Stellung muß von Tage zu Tage unhaltbarer werden und hat ihn schon
in manche, nicht gerade angenehme Widersprüche verwickelt.

In der polnischen Frage wußte er, nach seiner gewöhnlichen Weise, das Prin¬
cip zu umgehen. Ueber die Sympathien für oder wider Polen konnte man sich
bequem entscheiden und die Linke hatte hier ein leichteres Spiel, theils weil das
Mitgefühl mit dem Unglück hübscher aussieht, theils weil sie sich auf die entspre¬
chende Stimmung des Vorparlaments berufen konnte. So einfach war die Sache
aber keineswegs; es handelte sich um einen concreten Fall: soll die Trennung
des Großherzogthums Posen nach den Nationalitäten im Prinzip und in den be¬
sondern Bestimmungen anerkannt werden? Die äußerste Linke sagte: wir sind nicht
competent, darüber zu entscheiden; sondern es muß durch einen Congreß aller freien
Nationen geschehen. Das klang undeutsch und Blum konnte sich also dafür nicht
entscheiden. Er sagte: wir sind vorläufig incompetent, denn die eine Partei
sagt dies, die andere jenes, wir müssen durch eine Commission à la Aachen und
Mainz die Sache untersuchen, wahrscheinlich wird die preußische Regierung gelogen
haben. Er versteckte also seinen Kampf gegen das Prinzip der Theilung in
eine bloße Opposition gegen das Detail derselben und forderte die Regierung auf,
abzuwarten, abzuwarten in einer Zeit der schlimmsten Krisis. Das war un¬
redlich, denn es hatte nur den Zweck, die Versammlung mit sich selber und dem
preußischen Staat zu veruneinigen, ohne doch ein großes Prinzip, wenn auch
ein falsches, der herrschenden Ansicht offen entgegen zu stellen. —

Als Parlamentsredner ist Blum noch immer der Liebling der Tribüne. Bald
ergeht er sich in dem memorirten Enthusiasmus für alles Schöne, Gute und Vor¬
treffliche, was es irgend gibt oder geben soll; bald „entsetzt er sich,“ bald „sträubt
sich das Haar“*) über die Schändlichkeiten, die noch auf der Welt geduldet wer¬
den. In beiden Fällen empfiehlt er ebenso sein gutes Herz, wie sein Talent, in
Gleichnissen zu reden. Das Charakteristische seines Vortrags ist der alte Predi¬
gerstyl, er geberdet sich noch immer als deutschkatholischer Gemeindevorstand. Nie

*) Ein politischer Gegner im Tageblatt hat gezählt, wie oft sich sein Haar gesträubt habe,
ich glaube, es war 16 Mal. So schlimm ist die Welt!
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[384/0019] der Versammlung auf gleichem Boden und er wußte das auch geltend zu machen, so sehr er sie auch durch seine Organe in schlechten Ruf zu bringen suchte. Jetzt aber ist seine Partei, die gegen die meisten Regierungen die Fahne der Central- gewalt aufpflanzt, weil sie nach ihren Ansichten und Hoffnungen hier die Fahne der Empörung ist, gezwungen, gegen die Natur dieser Centralgewalt fortwährend zu protestiren. Die „äußerste“ Linke ist sich dieser Stellung bewußt und spricht sie offen aus; dazu ist Blum nicht der Mann: wenn er auch in der Minorität ist, so behält er doch den Instinkt der Majorität, der ihm eigen ist und liebäugelt mit dem einen Auge mit den Republikanern, mit dem andern mit dem Rechtszustande. Diese Stellung muß von Tage zu Tage unhaltbarer werden und hat ihn schon in manche, nicht gerade angenehme Widersprüche verwickelt. In der polnischen Frage wußte er, nach seiner gewöhnlichen Weise, das Prin¬ cip zu umgehen. Ueber die Sympathien für oder wider Polen konnte man sich bequem entscheiden und die Linke hatte hier ein leichteres Spiel, theils weil das Mitgefühl mit dem Unglück hübscher aussieht, theils weil sie sich auf die entspre¬ chende Stimmung des Vorparlaments berufen konnte. So einfach war die Sache aber keineswegs; es handelte sich um einen concreten Fall: soll die Trennung des Großherzogthums Posen nach den Nationalitäten im Prinzip und in den be¬ sondern Bestimmungen anerkannt werden? Die äußerste Linke sagte: wir sind nicht competent, darüber zu entscheiden; sondern es muß durch einen Congreß aller freien Nationen geschehen. Das klang undeutsch und Blum konnte sich also dafür nicht entscheiden. Er sagte: wir sind vorläufig incompetent, denn die eine Partei sagt dies, die andere jenes, wir müssen durch eine Commission à la Aachen und Mainz die Sache untersuchen, wahrscheinlich wird die preußische Regierung gelogen haben. Er versteckte also seinen Kampf gegen das Prinzip der Theilung in eine bloße Opposition gegen das Detail derselben und forderte die Regierung auf, abzuwarten, abzuwarten in einer Zeit der schlimmsten Krisis. Das war un¬ redlich, denn es hatte nur den Zweck, die Versammlung mit sich selber und dem preußischen Staat zu veruneinigen, ohne doch ein großes Prinzip, wenn auch ein falsches, der herrschenden Ansicht offen entgegen zu stellen. — Als Parlamentsredner ist Blum noch immer der Liebling der Tribüne. Bald ergeht er sich in dem memorirten Enthusiasmus für alles Schöne, Gute und Vor¬ treffliche, was es irgend gibt oder geben soll; bald „entsetzt er sich,“ bald „sträubt sich das Haar“ *) über die Schändlichkeiten, die noch auf der Welt geduldet wer¬ den. In beiden Fällen empfiehlt er ebenso sein gutes Herz, wie sein Talent, in Gleichnissen zu reden. Das Charakteristische seines Vortrags ist der alte Predi¬ gerstyl, er geberdet sich noch immer als deutschkatholischer Gemeindevorstand. Nie *) Ein politischer Gegner im Tageblatt hat gezählt, wie oft sich sein Haar gesträubt habe, ich glaube, es war 16 Mal. So schlimm ist die Welt!

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/19>, abgerufen am 28.11.2024.