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Die Bayerische Presse. Nr. 194. Würzburg, 14. August 1850.

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[Spaltenumbruch] der gegenwärtige ist, wo das Streben nach größe-
rer Einigung noch immer so lebendig sich kund
gibt, daß widerkämpfende Sonderinteressen leicht
überwunden werden, und wo die Ereignisse der
Jahre 1848--49 alles Bestehende in Fluß ge-
bracht und neuen Formen schmiegsam gemacht
haben.

Hannover, 10. August. Vor einigen Ta-
gen ist der österr. Feldzeugmeister Frhr. von
Haynau auf der Durchreise nach England, in Be-
gleitung zweier Adjutanten, hier eingetroffen; er
ist noch jetzt hier anwesend und hat die Zeit zur
Besichtigung der hiesigen militärischen Etablisse-
ments benutzt. Auch andere Sehenswürdigkeiten
hat der General in Augenschein genommen und
dadurch ein großes Jnteresse an Hannover an den
Tag gelegt. Der König soll ihn mit großer
Auszeichnung empfangen haben. Der gestrige Tag
war gerade ein sehr bedeutungsvoller -- der erste
Jahrestag der Einnahme der Festung Temeswar,
eine der größten Heldenthaten des Generals, die
mit der siegreichen Unterwerfung Ungarns endig-
ten. Der König gab am gestrigen Tage zu Ehren
des Generals ein militärisches Diner und brachte
dabei dem Vernehmen nach einen Toast auf den
General aus, welcher in Anerkennung des großen
weltgeschichtlichen Ruhmes, den dieser sich erwor-
ben, die lebhafteste Theilnahme gefunden haben
soll. Der General soll darauf mit sichtlicher
Rührung und innerer Bewegung geantwortet und
für die ihm vom Könige gewordene auszeichnende
Anerkennung seinen Dank ausgsprochen haben. H. Z.

Wien, 6. August. Gestern wurde die Secte
der Neuevangelisten oder Salemiten bei einer ih-
rer Versammlungen überrascht, in dem Augenblicke,
als ihr Prediger Franz Kölmel eben eine Rede
hielt, welche statt der Religion, das politisch=so-
ciale Streben der Gegenwart zum Gegenstande
hatte. Hr. Kölmel wurde sofort verhaftet und
die Namen und Wohnungen der Anwesenden no-
tirt, worauf sich die Letzteren frei entfernen durf-
ten, noch steht zu erwarten, daß auch gegen sie
eine Untersuchung eingeleitet wird.

Berlin, 9. Aug. Dem Vernehmen nach hat
die Unterredung des Prinzen von Preußen mit
Hrn. v. Radowitz zu dem Resultat geführt, daß
der Letztere ein schriftliches Promemoria überreichte.
Man versichert, daß dasselbe die Zustimmung des
Prinzen erhalten habe. -- Die Handelsbeziehun-
gen zwischen Preußen und Belgien werden durch
die Kündigung des bisher bestandenen Vertrags
nicht unterbrochen werden, indem, falls bis zum
Ablaufstermin kein neuer Vertrag zu Stande ge-
kommen sein sollte, interimistische Bestimmungen
gelten sollen.

Berlin, 10. August. Wie sich die Lage der
Dinge in Preußen wirklich verhalte, mag durch
das Schreiben angedeutet werden, welches Mini-
ster v. Schleinitz an den General v. Radowitz
geschrieben hat. Es lautet: Ew. Excellenz ersuche
ich ergebenst, in der heute stattfindenden Sitzung
des provisor. Fürstencollegiums die hier abschrift-
lich beigefügten beiden Erlasse an den königl. Ge-
sandten zu Wien vom 4. und 5. d. M. durch
vertrauliche Vorlesung zur Kenntniß der Mitglie-
der zu bringen. Eine förmliche Mittheilung für
das Protokoll glaube ich mir für den Augenblick
vorbehalten zu sollen, wo uns über die Ausfüh-
rung der dem Grafen v. Bernstorff ertheilten Auf-
träge eine wenigstens vorläufige Anzeige zugekom-
men sein wird. Allein es dürfte Ew. Excellenz
nicht unerwünscht sein, schon jetzt den unirten Re-
gierungen durch das Fürstencollegium einen neuen
Beweis davon zu geben, daß in vollster Ueberein-
stimmung mit Jhnen die k. Regierung entschlossen
ist, die eigene Ehre und Würde zu wahren und
ihre Pflicht gegen Deutschland zu erfüllen. Der
vollsten Uebereinstimmung mit Ew. Excellenz bei
dieser Gelegenheit ausdrücklich zu gedenken, ist mir
um so mehr ein Anliegen, je mehr ich beklage,
daß der Mann, welcher mit größter Beharrlichkeit
bemüht ist, die deutsche Sache in jedem Stadium
ihrer Entwickelung ernst und kräftig zu vertreten,
wieder und wieder zum Gegenstand einer ebenso
gehässigen, als grundlosen Verdächtigung zahlloser
[Spaltenumbruch] Organe der öffentlichen Meinung in verschiedenen
Theilen von Deutschland gemacht wird.

Berlin, 10. August. Wenn wir gut unter-
richtet sind, wie wir hoffen dürfen ( berichtet die
"C. Z." ) , so ist das Entlassungsgesuch des Hrn.
v. Manteuffel nicht nur erneuert worden -- und
zwar zugleich mit dem des Hrn. v. Stockhausen,
sondern beide Minister hätten auch ihr Verbleiben
im Amt an eine folgenreiche Entschließung über
den Gang der Politik Preußens geknüpft. Die
Regierung Sr. Maj. würde dieser Entscheidung
gemäs zu sofortiger definitiver Constituirung der
Union, zur baldigsten Berufung des Reichstags
und zur Wahrnehmung der Jnteressen Schleswig-
Holsteins im Sinne der Union schreiten und die-
sen Beschlüssen den Nachdruck der ganzen Kraft
Preußens geben. Ein theilweiser Wechsel der Per-
sonen des Kabinets würde mit dem des Systems
zusammenhängen, doch glaubt man, daß der Mi-
nisterpräsident für diese Combination würde er-
halten werden. ( Privatnachrichten aus Berlin
vom 11. August besagen, daß Hr. v. Manteuffel
nicht viel Aussicht habe, mit diesen seinen Forde-
rungen durchzudringen. )

Frankreich.

C Paris. Proudhon hat seinen guten Freun-
den in London, den Bürgern Ledru=Rollin, Char-
les Delescluse, Martin Bernard und Consorten
( nach dem Ausdruck der "Patrie" ) "die präch-
tigste Ruthe gegeben, die je einen demagogischen
Rücken geliebkost hat." Es ist bekannt, daß diese
Bürger unhöflich genug waren, ihn einen stolzen,
heillosen Geist, einen Renommisten zu nennen.
Dafür führt nun der Bürger Proudhon in der
zweiten Nummer des "Peuple" eine heftige Po-
lemik gegen sie. "Sehen wir," sagt er ihnen,
"welche großen Jdeen, welche erhabene Politik
ihr dem französischen Volk beibringt, dieser euro-
päischen Demokratie, deren Organe ihr euch nennt.
Euer Programm zerfällt gleich dem Dekalog in
zwei Theile. Jhr wollt das Recht zur Arbeit,
sagt er ihnen. Eine schöne Sache. Wer streng
sein wollte, könnte sagen, daß das Recht zur Ar-
beit, ohne Erklärung, nichts als ein Köder poli-
tischer Charlatane, eine wahrhaft demagogische
Mystifikation ist. Jhr wollt die freiwillige Asso-
ciation. Was für Association? Die Bürger und
die Arbeiter haben es nöthig, dieß zu wissen; die
Pariser=Associationen, welche in große Schwierig-
keiten verwickelt sind, fragen das mit großem Ge-
schrei. Und ihr antwortet ihnen, wie Marphorius
dem Sganarelle: Associirt euch, wenn ihr wollt;
associirt euch nicht, wenn ihr nicht wollt. Jhr
seid doch mächtige Reformatoren! Jhr wollt eine
einzige, verhältnißmäßige, progressive Steuer.
Wisset doch wenigstens, was ihr sagt. Jhr seid
so sehr gewohnt zu sprechen, ohne zu überlegen,
daß ihr jeden Augenblick die erbärmlichsten Fehl-
griffe macht. Wie habt ihr nur vergessen können,
daß Proportionalität u. Progression in der Steuer
widersprechende Ausdrücke sind, die sich einander
ausschließen? Und diesen schönen Begriffen zu
Liebe ruft ihr das Volk zu den Waffen auf. --
Das Volk zu den Waffen aufrufen! Aber wißt
ihr denn noch nicht, warum euer Manifest vom
13. Juni nicht zum Zweck geführt hat, nicht zum
Zweck führen konnte? Wisset denn, der Aufstand
trägt trotz allen demagogischen Erklärungen und
Glorifikationen, wie der Krieg und das Verbre-
chen, etwas mißliebiges mit sich; etwas, das be-
wirkt, daß das Gewissen des Volkes sich wider
den Aufstand sträubt, und die Bürger nur wider
Willen daran theilnehmen. Jch predige da keine
Doctrin, ich bestätige nur eine Thatsache. Der
Aufstand ist nur dann von Erfolg, wenn er sich
einen legalen Anschein zu geben weiß. Man könnte
sagen, daß das Volk selbst in der gerechtesten
Sache vor der Revolte erröthet. Die Revolution
vom Jahre 1830 fand statt unter dem Rufe:
Vive la charte! die des Jahres 1848 unter
dem Rufe: Vive la reforme! Diese Rufe wa-
ren nicht nur nicht insurrectionell, sondern noch
ein Protest gegen die Jnsurrection. Leidenschaft
[Spaltenumbruch] kann eine anfangs nur friedliche und legale Be-
wegung in eine Revolution umwandeln; nie ist
eine Revolution vom Volke gleich als solche ein-
gestanden worden. Euer Aufrus zu den Waffen,
den ihr von der Tribüne aus erlassen, hat die
Jnsurrection unmöglich gemacht am 13. Juni
1849, unmöglich am 31. Mai 1850, unmög-
lich vielleicht noch für viele Jahre. -- Ferner
dürfet ihr euch nicht verhehlen, daß das Volk,
wie die Bourgeoisie, zu euch gar kein Ver-
trauen hat. Das Volk lacht über eure politischen
und socialen Pasquinaden; es hat euch bei Euren
Thaten erkannt, es hat die Macht eurer Mittel
und die Fruchtbarkeit eurer Quellen beurtheilt; es
hat unter eurer Jnitiative die Reaction aufkeimen
gesehen, welche ihr heute verdammt, deren Princip
aber in euren Herzen immer lebt; es hat gefühlt,
daß ihr, die ihr immer von revolutionärer Tradi-
tion sprechet, den Faden dieser Tradition verloren
habt; indem es eure Manifeste liest, überzeugt es
sich alle Tage, daß ihr seinen Wünschen völlig
fremd, seine Jnteressen gar nicht kennet; es weiß
endlich, daß ihr nur Menschen der Autorität und
der Macht seid, und um keinen Preis der Welt
wird es sein Geschick zum Zweitenmal in eure
Hände legen. "Beruhigt euch also, und was im-
mer geschehen möge, zerbrechet euch nicht den
Kopf, erhitzt eure Galle nicht, nehmet die Ruhe
im Exil mit Resignation hin, und merket es euch
wohl: wenn ihr nicht einen ganz andern Geist,
einen ganz andern Charakter, eine ganz andere
Jntelligenz bekommet, so ist eure Rolle ansge-
spielt. Begebet euch eurer Phrasen, ruft er ih-
nen zum Schlusse zu, werfet den alten Plunder
des Jakobinismus fort, studirt die Philosophie der
Geschichte, der politischen Oeconomie und des
Rechts. Mit all' euren großen Worten von
Krieg gegen die Könige und Brüderlichkeit der
Völker, mit all' euren revolutionären Paraden
seid ihr bisher nichts als Prahlhänse gewesen."

Jtalien.

Rom, 15. Juli. Nachträglich berühren wir
noch eine Sache, welche -- mitgetheilt von meh-
reren auch deutschen Blättern -- einiges Aufsehen
gemacht haben mag: wir meinen die Audienz des
anglicanischen Canonicus von Durham, Dr. Jown-
send, bei dem heil. Vater, wo derselbe ein Pro-
Memoria
überreichte mit dem Vorschlag zu einer
Vereinigung aller protestantischen Parteien mit der
Kirche, vermöge einer allgemeinen Versammlung
unter Vorsitz des Pabstes. Das Factum ist rich-
tig, aber die Consequenzen nicht, welche man viel-
leicht protestantischer Seits daraus ziehen möchte.
Man weiß, wie sehr die Reformen des h. Vaters
in politischer Beziehung einst verkannt wurden;
man weiß aber auch, wie sehr jede aus dieser
Verkennung entsprungene Hoffnung enttäuscht wor-
den ist. -- Der h. Vater nahm den Dr. Jown-
send liebevoll auf und sprach seine Freude darü-
ber aus, daß man in England das Bedürfniß ei-
nes Bessern fühle und immer noch fest auf posi-
tivem Boden halte. Jn einer spätern Audienz
äußerte sich aber auch der h. Vater über densel-
ben Punkt gegen einen hochgestellten Geistlichen
dahin, daß diese besonders in England lebendige
Jdee einer Art von Transaction doch eine voll-
ständige Verkennung des Wesens der Kirche sei.
-- Einige in der vorigen Woche vorgekommene
Verhaftungen, von denen wir nähere Kunde ha-
ben, werfen ein merkwürdiges Licht auf die jetzige
Wirksamkeit der Radikalen und ihre Verbindun-
gen. Mehrere Polizeicommissäre ließen sich vom
Eigenthümer eines Hauses die innere Thüre eines
Zimmers öffnen, das von einem jungen Menschen
in Miethe genommen und auch mit der Straße
in Verbindung gesetzt war. Obwohl spät am
Abend, war der junge Mann noch abwesend; aber
die Vorbereitungen zu einem großen Mahle zeig-
ten, daß in der Nacht auf viel Besuch zu rechnen
war. Endlich trat Jener, ohne Verdacht zu schö-
pfen, von der Straße durch eine kleine Treppe
ein; die Karabiniere forderten ihn auf, sich ruhig
zu halten und auf jedes Klopfen von Außen
"herein" zu rufen. Man fand bei ihm einen

[Spaltenumbruch] der gegenwärtige ist, wo das Streben nach größe-
rer Einigung noch immer so lebendig sich kund
gibt, daß widerkämpfende Sonderinteressen leicht
überwunden werden, und wo die Ereignisse der
Jahre 1848--49 alles Bestehende in Fluß ge-
bracht und neuen Formen schmiegsam gemacht
haben.

Hannover, 10. August. Vor einigen Ta-
gen ist der österr. Feldzeugmeister Frhr. von
Haynau auf der Durchreise nach England, in Be-
gleitung zweier Adjutanten, hier eingetroffen; er
ist noch jetzt hier anwesend und hat die Zeit zur
Besichtigung der hiesigen militärischen Etablisse-
ments benutzt. Auch andere Sehenswürdigkeiten
hat der General in Augenschein genommen und
dadurch ein großes Jnteresse an Hannover an den
Tag gelegt. Der König soll ihn mit großer
Auszeichnung empfangen haben. Der gestrige Tag
war gerade ein sehr bedeutungsvoller -- der erste
Jahrestag der Einnahme der Festung Temeswar,
eine der größten Heldenthaten des Generals, die
mit der siegreichen Unterwerfung Ungarns endig-
ten. Der König gab am gestrigen Tage zu Ehren
des Generals ein militärisches Diner und brachte
dabei dem Vernehmen nach einen Toast auf den
General aus, welcher in Anerkennung des großen
weltgeschichtlichen Ruhmes, den dieser sich erwor-
ben, die lebhafteste Theilnahme gefunden haben
soll. Der General soll darauf mit sichtlicher
Rührung und innerer Bewegung geantwortet und
für die ihm vom Könige gewordene auszeichnende
Anerkennung seinen Dank ausgsprochen haben. H. Z.

Wien, 6. August. Gestern wurde die Secte
der Neuevangelisten oder Salemiten bei einer ih-
rer Versammlungen überrascht, in dem Augenblicke,
als ihr Prediger Franz Kölmel eben eine Rede
hielt, welche statt der Religion, das politisch=so-
ciale Streben der Gegenwart zum Gegenstande
hatte. Hr. Kölmel wurde sofort verhaftet und
die Namen und Wohnungen der Anwesenden no-
tirt, worauf sich die Letzteren frei entfernen durf-
ten, noch steht zu erwarten, daß auch gegen sie
eine Untersuchung eingeleitet wird.

Berlin, 9. Aug. Dem Vernehmen nach hat
die Unterredung des Prinzen von Preußen mit
Hrn. v. Radowitz zu dem Resultat geführt, daß
der Letztere ein schriftliches Promemoria überreichte.
Man versichert, daß dasselbe die Zustimmung des
Prinzen erhalten habe. -- Die Handelsbeziehun-
gen zwischen Preußen und Belgien werden durch
die Kündigung des bisher bestandenen Vertrags
nicht unterbrochen werden, indem, falls bis zum
Ablaufstermin kein neuer Vertrag zu Stande ge-
kommen sein sollte, interimistische Bestimmungen
gelten sollen.

Berlin, 10. August. Wie sich die Lage der
Dinge in Preußen wirklich verhalte, mag durch
das Schreiben angedeutet werden, welches Mini-
ster v. Schleinitz an den General v. Radowitz
geschrieben hat. Es lautet: Ew. Excellenz ersuche
ich ergebenst, in der heute stattfindenden Sitzung
des provisor. Fürstencollegiums die hier abschrift-
lich beigefügten beiden Erlasse an den königl. Ge-
sandten zu Wien vom 4. und 5. d. M. durch
vertrauliche Vorlesung zur Kenntniß der Mitglie-
der zu bringen. Eine förmliche Mittheilung für
das Protokoll glaube ich mir für den Augenblick
vorbehalten zu sollen, wo uns über die Ausfüh-
rung der dem Grafen v. Bernstorff ertheilten Auf-
träge eine wenigstens vorläufige Anzeige zugekom-
men sein wird. Allein es dürfte Ew. Excellenz
nicht unerwünscht sein, schon jetzt den unirten Re-
gierungen durch das Fürstencollegium einen neuen
Beweis davon zu geben, daß in vollster Ueberein-
stimmung mit Jhnen die k. Regierung entschlossen
ist, die eigene Ehre und Würde zu wahren und
ihre Pflicht gegen Deutschland zu erfüllen. Der
vollsten Uebereinstimmung mit Ew. Excellenz bei
dieser Gelegenheit ausdrücklich zu gedenken, ist mir
um so mehr ein Anliegen, je mehr ich beklage,
daß der Mann, welcher mit größter Beharrlichkeit
bemüht ist, die deutsche Sache in jedem Stadium
ihrer Entwickelung ernst und kräftig zu vertreten,
wieder und wieder zum Gegenstand einer ebenso
gehässigen, als grundlosen Verdächtigung zahlloser
[Spaltenumbruch] Organe der öffentlichen Meinung in verschiedenen
Theilen von Deutschland gemacht wird.

Berlin, 10. August. Wenn wir gut unter-
richtet sind, wie wir hoffen dürfen ( berichtet die
„C. Z.“ ) , so ist das Entlassungsgesuch des Hrn.
v. Manteuffel nicht nur erneuert worden -- und
zwar zugleich mit dem des Hrn. v. Stockhausen,
sondern beide Minister hätten auch ihr Verbleiben
im Amt an eine folgenreiche Entschließung über
den Gang der Politik Preußens geknüpft. Die
Regierung Sr. Maj. würde dieser Entscheidung
gemäs zu sofortiger definitiver Constituirung der
Union, zur baldigsten Berufung des Reichstags
und zur Wahrnehmung der Jnteressen Schleswig-
Holsteins im Sinne der Union schreiten und die-
sen Beschlüssen den Nachdruck der ganzen Kraft
Preußens geben. Ein theilweiser Wechsel der Per-
sonen des Kabinets würde mit dem des Systems
zusammenhängen, doch glaubt man, daß der Mi-
nisterpräsident für diese Combination würde er-
halten werden. ( Privatnachrichten aus Berlin
vom 11. August besagen, daß Hr. v. Manteuffel
nicht viel Aussicht habe, mit diesen seinen Forde-
rungen durchzudringen. )

Frankreich.

C Paris. Proudhon hat seinen guten Freun-
den in London, den Bürgern Ledru=Rollin, Char-
les Delescluse, Martin Bernard und Consorten
( nach dem Ausdruck der „Patrie“ ) „die präch-
tigste Ruthe gegeben, die je einen demagogischen
Rücken geliebkost hat.“ Es ist bekannt, daß diese
Bürger unhöflich genug waren, ihn einen stolzen,
heillosen Geist, einen Renommisten zu nennen.
Dafür führt nun der Bürger Proudhon in der
zweiten Nummer des „Peuple“ eine heftige Po-
lemik gegen sie. „Sehen wir,“ sagt er ihnen,
„welche großen Jdeen, welche erhabene Politik
ihr dem französischen Volk beibringt, dieser euro-
päischen Demokratie, deren Organe ihr euch nennt.
Euer Programm zerfällt gleich dem Dekalog in
zwei Theile. Jhr wollt das Recht zur Arbeit,
sagt er ihnen. Eine schöne Sache. Wer streng
sein wollte, könnte sagen, daß das Recht zur Ar-
beit, ohne Erklärung, nichts als ein Köder poli-
tischer Charlatane, eine wahrhaft demagogische
Mystifikation ist. Jhr wollt die freiwillige Asso-
ciation. Was für Association? Die Bürger und
die Arbeiter haben es nöthig, dieß zu wissen; die
Pariser=Associationen, welche in große Schwierig-
keiten verwickelt sind, fragen das mit großem Ge-
schrei. Und ihr antwortet ihnen, wie Marphorius
dem Sganarelle: Associirt euch, wenn ihr wollt;
associirt euch nicht, wenn ihr nicht wollt. Jhr
seid doch mächtige Reformatoren! Jhr wollt eine
einzige, verhältnißmäßige, progressive Steuer.
Wisset doch wenigstens, was ihr sagt. Jhr seid
so sehr gewohnt zu sprechen, ohne zu überlegen,
daß ihr jeden Augenblick die erbärmlichsten Fehl-
griffe macht. Wie habt ihr nur vergessen können,
daß Proportionalität u. Progression in der Steuer
widersprechende Ausdrücke sind, die sich einander
ausschließen? Und diesen schönen Begriffen zu
Liebe ruft ihr das Volk zu den Waffen auf. --
Das Volk zu den Waffen aufrufen! Aber wißt
ihr denn noch nicht, warum euer Manifest vom
13. Juni nicht zum Zweck geführt hat, nicht zum
Zweck führen konnte? Wisset denn, der Aufstand
trägt trotz allen demagogischen Erklärungen und
Glorifikationen, wie der Krieg und das Verbre-
chen, etwas mißliebiges mit sich; etwas, das be-
wirkt, daß das Gewissen des Volkes sich wider
den Aufstand sträubt, und die Bürger nur wider
Willen daran theilnehmen. Jch predige da keine
Doctrin, ich bestätige nur eine Thatsache. Der
Aufstand ist nur dann von Erfolg, wenn er sich
einen legalen Anschein zu geben weiß. Man könnte
sagen, daß das Volk selbst in der gerechtesten
Sache vor der Revolte erröthet. Die Revolution
vom Jahre 1830 fand statt unter dem Rufe:
Vive la charte! die des Jahres 1848 unter
dem Rufe: Vive la réforme! Diese Rufe wa-
ren nicht nur nicht insurrectionell, sondern noch
ein Protest gegen die Jnsurrection. Leidenschaft
[Spaltenumbruch] kann eine anfangs nur friedliche und legale Be-
wegung in eine Revolution umwandeln; nie ist
eine Revolution vom Volke gleich als solche ein-
gestanden worden. Euer Aufrus zu den Waffen,
den ihr von der Tribüne aus erlassen, hat die
Jnsurrection unmöglich gemacht am 13. Juni
1849, unmöglich am 31. Mai 1850, unmög-
lich vielleicht noch für viele Jahre. -- Ferner
dürfet ihr euch nicht verhehlen, daß das Volk,
wie die Bourgeoisie, zu euch gar kein Ver-
trauen hat. Das Volk lacht über eure politischen
und socialen Pasquinaden; es hat euch bei Euren
Thaten erkannt, es hat die Macht eurer Mittel
und die Fruchtbarkeit eurer Quellen beurtheilt; es
hat unter eurer Jnitiative die Reaction aufkeimen
gesehen, welche ihr heute verdammt, deren Princip
aber in euren Herzen immer lebt; es hat gefühlt,
daß ihr, die ihr immer von revolutionärer Tradi-
tion sprechet, den Faden dieser Tradition verloren
habt; indem es eure Manifeste liest, überzeugt es
sich alle Tage, daß ihr seinen Wünschen völlig
fremd, seine Jnteressen gar nicht kennet; es weiß
endlich, daß ihr nur Menschen der Autorität und
der Macht seid, und um keinen Preis der Welt
wird es sein Geschick zum Zweitenmal in eure
Hände legen. „Beruhigt euch also, und was im-
mer geschehen möge, zerbrechet euch nicht den
Kopf, erhitzt eure Galle nicht, nehmet die Ruhe
im Exil mit Resignation hin, und merket es euch
wohl: wenn ihr nicht einen ganz andern Geist,
einen ganz andern Charakter, eine ganz andere
Jntelligenz bekommet, so ist eure Rolle ansge-
spielt. Begebet euch eurer Phrasen, ruft er ih-
nen zum Schlusse zu, werfet den alten Plunder
des Jakobinismus fort, studirt die Philosophie der
Geschichte, der politischen Oeconomie und des
Rechts. Mit all' euren großen Worten von
Krieg gegen die Könige und Brüderlichkeit der
Völker, mit all' euren revolutionären Paraden
seid ihr bisher nichts als Prahlhänse gewesen.“

Jtalien.

Rom, 15. Juli. Nachträglich berühren wir
noch eine Sache, welche -- mitgetheilt von meh-
reren auch deutschen Blättern -- einiges Aufsehen
gemacht haben mag: wir meinen die Audienz des
anglicanischen Canonicus von Durham, Dr. Jown-
send, bei dem heil. Vater, wo derselbe ein Pro-
Memoria
überreichte mit dem Vorschlag zu einer
Vereinigung aller protestantischen Parteien mit der
Kirche, vermöge einer allgemeinen Versammlung
unter Vorsitz des Pabstes. Das Factum ist rich-
tig, aber die Consequenzen nicht, welche man viel-
leicht protestantischer Seits daraus ziehen möchte.
Man weiß, wie sehr die Reformen des h. Vaters
in politischer Beziehung einst verkannt wurden;
man weiß aber auch, wie sehr jede aus dieser
Verkennung entsprungene Hoffnung enttäuscht wor-
den ist. -- Der h. Vater nahm den Dr. Jown-
send liebevoll auf und sprach seine Freude darü-
ber aus, daß man in England das Bedürfniß ei-
nes Bessern fühle und immer noch fest auf posi-
tivem Boden halte. Jn einer spätern Audienz
äußerte sich aber auch der h. Vater über densel-
ben Punkt gegen einen hochgestellten Geistlichen
dahin, daß diese besonders in England lebendige
Jdee einer Art von Transaction doch eine voll-
ständige Verkennung des Wesens der Kirche sei.
-- Einige in der vorigen Woche vorgekommene
Verhaftungen, von denen wir nähere Kunde ha-
ben, werfen ein merkwürdiges Licht auf die jetzige
Wirksamkeit der Radikalen und ihre Verbindun-
gen. Mehrere Polizeicommissäre ließen sich vom
Eigenthümer eines Hauses die innere Thüre eines
Zimmers öffnen, das von einem jungen Menschen
in Miethe genommen und auch mit der Straße
in Verbindung gesetzt war. Obwohl spät am
Abend, war der junge Mann noch abwesend; aber
die Vorbereitungen zu einem großen Mahle zeig-
ten, daß in der Nacht auf viel Besuch zu rechnen
war. Endlich trat Jener, ohne Verdacht zu schö-
pfen, von der Straße durch eine kleine Treppe
ein; die Karabiniere forderten ihn auf, sich ruhig
zu halten und auf jedes Klopfen von Außen
„herein“ zu rufen. Man fand bei ihm einen

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[0003] der gegenwärtige ist, wo das Streben nach größe- rer Einigung noch immer so lebendig sich kund gibt, daß widerkämpfende Sonderinteressen leicht überwunden werden, und wo die Ereignisse der Jahre 1848--49 alles Bestehende in Fluß ge- bracht und neuen Formen schmiegsam gemacht haben. Hannover, 10. August. Vor einigen Ta- gen ist der österr. Feldzeugmeister Frhr. von Haynau auf der Durchreise nach England, in Be- gleitung zweier Adjutanten, hier eingetroffen; er ist noch jetzt hier anwesend und hat die Zeit zur Besichtigung der hiesigen militärischen Etablisse- ments benutzt. Auch andere Sehenswürdigkeiten hat der General in Augenschein genommen und dadurch ein großes Jnteresse an Hannover an den Tag gelegt. Der König soll ihn mit großer Auszeichnung empfangen haben. Der gestrige Tag war gerade ein sehr bedeutungsvoller -- der erste Jahrestag der Einnahme der Festung Temeswar, eine der größten Heldenthaten des Generals, die mit der siegreichen Unterwerfung Ungarns endig- ten. Der König gab am gestrigen Tage zu Ehren des Generals ein militärisches Diner und brachte dabei dem Vernehmen nach einen Toast auf den General aus, welcher in Anerkennung des großen weltgeschichtlichen Ruhmes, den dieser sich erwor- ben, die lebhafteste Theilnahme gefunden haben soll. Der General soll darauf mit sichtlicher Rührung und innerer Bewegung geantwortet und für die ihm vom Könige gewordene auszeichnende Anerkennung seinen Dank ausgsprochen haben. H. Z. Wien, 6. August. Gestern wurde die Secte der Neuevangelisten oder Salemiten bei einer ih- rer Versammlungen überrascht, in dem Augenblicke, als ihr Prediger Franz Kölmel eben eine Rede hielt, welche statt der Religion, das politisch=so- ciale Streben der Gegenwart zum Gegenstande hatte. Hr. Kölmel wurde sofort verhaftet und die Namen und Wohnungen der Anwesenden no- tirt, worauf sich die Letzteren frei entfernen durf- ten, noch steht zu erwarten, daß auch gegen sie eine Untersuchung eingeleitet wird. Berlin, 9. Aug. Dem Vernehmen nach hat die Unterredung des Prinzen von Preußen mit Hrn. v. Radowitz zu dem Resultat geführt, daß der Letztere ein schriftliches Promemoria überreichte. Man versichert, daß dasselbe die Zustimmung des Prinzen erhalten habe. -- Die Handelsbeziehun- gen zwischen Preußen und Belgien werden durch die Kündigung des bisher bestandenen Vertrags nicht unterbrochen werden, indem, falls bis zum Ablaufstermin kein neuer Vertrag zu Stande ge- kommen sein sollte, interimistische Bestimmungen gelten sollen. ( N. Pr. Z. ) Berlin, 10. August. Wie sich die Lage der Dinge in Preußen wirklich verhalte, mag durch das Schreiben angedeutet werden, welches Mini- ster v. Schleinitz an den General v. Radowitz geschrieben hat. Es lautet: Ew. Excellenz ersuche ich ergebenst, in der heute stattfindenden Sitzung des provisor. Fürstencollegiums die hier abschrift- lich beigefügten beiden Erlasse an den königl. Ge- sandten zu Wien vom 4. und 5. d. M. durch vertrauliche Vorlesung zur Kenntniß der Mitglie- der zu bringen. Eine förmliche Mittheilung für das Protokoll glaube ich mir für den Augenblick vorbehalten zu sollen, wo uns über die Ausfüh- rung der dem Grafen v. Bernstorff ertheilten Auf- träge eine wenigstens vorläufige Anzeige zugekom- men sein wird. Allein es dürfte Ew. Excellenz nicht unerwünscht sein, schon jetzt den unirten Re- gierungen durch das Fürstencollegium einen neuen Beweis davon zu geben, daß in vollster Ueberein- stimmung mit Jhnen die k. Regierung entschlossen ist, die eigene Ehre und Würde zu wahren und ihre Pflicht gegen Deutschland zu erfüllen. Der vollsten Uebereinstimmung mit Ew. Excellenz bei dieser Gelegenheit ausdrücklich zu gedenken, ist mir um so mehr ein Anliegen, je mehr ich beklage, daß der Mann, welcher mit größter Beharrlichkeit bemüht ist, die deutsche Sache in jedem Stadium ihrer Entwickelung ernst und kräftig zu vertreten, wieder und wieder zum Gegenstand einer ebenso gehässigen, als grundlosen Verdächtigung zahlloser Organe der öffentlichen Meinung in verschiedenen Theilen von Deutschland gemacht wird. Berlin, den 9. August 1850. ( gez. ) v. Schleinitz. Berlin, 10. August. Wenn wir gut unter- richtet sind, wie wir hoffen dürfen ( berichtet die „C. Z.“ ) , so ist das Entlassungsgesuch des Hrn. v. Manteuffel nicht nur erneuert worden -- und zwar zugleich mit dem des Hrn. v. Stockhausen, sondern beide Minister hätten auch ihr Verbleiben im Amt an eine folgenreiche Entschließung über den Gang der Politik Preußens geknüpft. Die Regierung Sr. Maj. würde dieser Entscheidung gemäs zu sofortiger definitiver Constituirung der Union, zur baldigsten Berufung des Reichstags und zur Wahrnehmung der Jnteressen Schleswig- Holsteins im Sinne der Union schreiten und die- sen Beschlüssen den Nachdruck der ganzen Kraft Preußens geben. Ein theilweiser Wechsel der Per- sonen des Kabinets würde mit dem des Systems zusammenhängen, doch glaubt man, daß der Mi- nisterpräsident für diese Combination würde er- halten werden. ( Privatnachrichten aus Berlin vom 11. August besagen, daß Hr. v. Manteuffel nicht viel Aussicht habe, mit diesen seinen Forde- rungen durchzudringen. ) Frankreich. C Paris. Proudhon hat seinen guten Freun- den in London, den Bürgern Ledru=Rollin, Char- les Delescluse, Martin Bernard und Consorten ( nach dem Ausdruck der „Patrie“ ) „die präch- tigste Ruthe gegeben, die je einen demagogischen Rücken geliebkost hat.“ Es ist bekannt, daß diese Bürger unhöflich genug waren, ihn einen stolzen, heillosen Geist, einen Renommisten zu nennen. Dafür führt nun der Bürger Proudhon in der zweiten Nummer des „Peuple“ eine heftige Po- lemik gegen sie. „Sehen wir,“ sagt er ihnen, „welche großen Jdeen, welche erhabene Politik ihr dem französischen Volk beibringt, dieser euro- päischen Demokratie, deren Organe ihr euch nennt. Euer Programm zerfällt gleich dem Dekalog in zwei Theile. Jhr wollt das Recht zur Arbeit, sagt er ihnen. Eine schöne Sache. Wer streng sein wollte, könnte sagen, daß das Recht zur Ar- beit, ohne Erklärung, nichts als ein Köder poli- tischer Charlatane, eine wahrhaft demagogische Mystifikation ist. Jhr wollt die freiwillige Asso- ciation. Was für Association? Die Bürger und die Arbeiter haben es nöthig, dieß zu wissen; die Pariser=Associationen, welche in große Schwierig- keiten verwickelt sind, fragen das mit großem Ge- schrei. Und ihr antwortet ihnen, wie Marphorius dem Sganarelle: Associirt euch, wenn ihr wollt; associirt euch nicht, wenn ihr nicht wollt. Jhr seid doch mächtige Reformatoren! Jhr wollt eine einzige, verhältnißmäßige, progressive Steuer. Wisset doch wenigstens, was ihr sagt. Jhr seid so sehr gewohnt zu sprechen, ohne zu überlegen, daß ihr jeden Augenblick die erbärmlichsten Fehl- griffe macht. Wie habt ihr nur vergessen können, daß Proportionalität u. Progression in der Steuer widersprechende Ausdrücke sind, die sich einander ausschließen? Und diesen schönen Begriffen zu Liebe ruft ihr das Volk zu den Waffen auf. -- Das Volk zu den Waffen aufrufen! Aber wißt ihr denn noch nicht, warum euer Manifest vom 13. Juni nicht zum Zweck geführt hat, nicht zum Zweck führen konnte? Wisset denn, der Aufstand trägt trotz allen demagogischen Erklärungen und Glorifikationen, wie der Krieg und das Verbre- chen, etwas mißliebiges mit sich; etwas, das be- wirkt, daß das Gewissen des Volkes sich wider den Aufstand sträubt, und die Bürger nur wider Willen daran theilnehmen. Jch predige da keine Doctrin, ich bestätige nur eine Thatsache. Der Aufstand ist nur dann von Erfolg, wenn er sich einen legalen Anschein zu geben weiß. Man könnte sagen, daß das Volk selbst in der gerechtesten Sache vor der Revolte erröthet. Die Revolution vom Jahre 1830 fand statt unter dem Rufe: Vive la charte! die des Jahres 1848 unter dem Rufe: Vive la réforme! Diese Rufe wa- ren nicht nur nicht insurrectionell, sondern noch ein Protest gegen die Jnsurrection. Leidenschaft kann eine anfangs nur friedliche und legale Be- wegung in eine Revolution umwandeln; nie ist eine Revolution vom Volke gleich als solche ein- gestanden worden. Euer Aufrus zu den Waffen, den ihr von der Tribüne aus erlassen, hat die Jnsurrection unmöglich gemacht am 13. Juni 1849, unmöglich am 31. Mai 1850, unmög- lich vielleicht noch für viele Jahre. -- Ferner dürfet ihr euch nicht verhehlen, daß das Volk, wie die Bourgeoisie, zu euch gar kein Ver- trauen hat. Das Volk lacht über eure politischen und socialen Pasquinaden; es hat euch bei Euren Thaten erkannt, es hat die Macht eurer Mittel und die Fruchtbarkeit eurer Quellen beurtheilt; es hat unter eurer Jnitiative die Reaction aufkeimen gesehen, welche ihr heute verdammt, deren Princip aber in euren Herzen immer lebt; es hat gefühlt, daß ihr, die ihr immer von revolutionärer Tradi- tion sprechet, den Faden dieser Tradition verloren habt; indem es eure Manifeste liest, überzeugt es sich alle Tage, daß ihr seinen Wünschen völlig fremd, seine Jnteressen gar nicht kennet; es weiß endlich, daß ihr nur Menschen der Autorität und der Macht seid, und um keinen Preis der Welt wird es sein Geschick zum Zweitenmal in eure Hände legen. „Beruhigt euch also, und was im- mer geschehen möge, zerbrechet euch nicht den Kopf, erhitzt eure Galle nicht, nehmet die Ruhe im Exil mit Resignation hin, und merket es euch wohl: wenn ihr nicht einen ganz andern Geist, einen ganz andern Charakter, eine ganz andere Jntelligenz bekommet, so ist eure Rolle ansge- spielt. Begebet euch eurer Phrasen, ruft er ih- nen zum Schlusse zu, werfet den alten Plunder des Jakobinismus fort, studirt die Philosophie der Geschichte, der politischen Oeconomie und des Rechts. Mit all' euren großen Worten von Krieg gegen die Könige und Brüderlichkeit der Völker, mit all' euren revolutionären Paraden seid ihr bisher nichts als Prahlhänse gewesen.“ Jtalien. Rom, 15. Juli. Nachträglich berühren wir noch eine Sache, welche -- mitgetheilt von meh- reren auch deutschen Blättern -- einiges Aufsehen gemacht haben mag: wir meinen die Audienz des anglicanischen Canonicus von Durham, Dr. Jown- send, bei dem heil. Vater, wo derselbe ein Pro- Memoria überreichte mit dem Vorschlag zu einer Vereinigung aller protestantischen Parteien mit der Kirche, vermöge einer allgemeinen Versammlung unter Vorsitz des Pabstes. Das Factum ist rich- tig, aber die Consequenzen nicht, welche man viel- leicht protestantischer Seits daraus ziehen möchte. Man weiß, wie sehr die Reformen des h. Vaters in politischer Beziehung einst verkannt wurden; man weiß aber auch, wie sehr jede aus dieser Verkennung entsprungene Hoffnung enttäuscht wor- den ist. -- Der h. Vater nahm den Dr. Jown- send liebevoll auf und sprach seine Freude darü- ber aus, daß man in England das Bedürfniß ei- nes Bessern fühle und immer noch fest auf posi- tivem Boden halte. Jn einer spätern Audienz äußerte sich aber auch der h. Vater über densel- ben Punkt gegen einen hochgestellten Geistlichen dahin, daß diese besonders in England lebendige Jdee einer Art von Transaction doch eine voll- ständige Verkennung des Wesens der Kirche sei. -- Einige in der vorigen Woche vorgekommene Verhaftungen, von denen wir nähere Kunde ha- ben, werfen ein merkwürdiges Licht auf die jetzige Wirksamkeit der Radikalen und ihre Verbindun- gen. Mehrere Polizeicommissäre ließen sich vom Eigenthümer eines Hauses die innere Thüre eines Zimmers öffnen, das von einem jungen Menschen in Miethe genommen und auch mit der Straße in Verbindung gesetzt war. Obwohl spät am Abend, war der junge Mann noch abwesend; aber die Vorbereitungen zu einem großen Mahle zeig- ten, daß in der Nacht auf viel Besuch zu rechnen war. Endlich trat Jener, ohne Verdacht zu schö- pfen, von der Straße durch eine kleine Treppe ein; die Karabiniere forderten ihn auf, sich ruhig zu halten und auf jedes Klopfen von Außen „herein“ zu rufen. Man fand bei ihm einen

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Zitationshilfe: Die Bayerische Presse. Nr. 194. Würzburg, 14. August 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_bayerische194_1850/3>, abgerufen am 26.04.2024.