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Badener Zeitung. Nr. 58, Baden (Niederösterreich), 21.07.1909.

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Mittwoch Badener Zeitung 21. Juli 1909 Nr. 58

[Spaltenumbruch]

Herabsinken in Oesterreich zu bewahren.
Graf Taaffe hat eigentlich nur tat-
sächlich mit dem staatserhaltenden
Moment der deutschliberalen Partei
regiert.

Da ersann eines Tages ein deutscher
Prinz ein Mittel, um der deutschen Kultur,
welche durch ein Staatsgrundgesetz vermeint-
lich gesichert schien, den Garaus zu machen
und man war anfänglich so leichtsinnig, über
den Liechtenstein'schen Schulantrag zu lachen.
Heute ist er aber auf manchen recht unge-
setzlichen Wegen zur Geltung gelangt und
Prinz Alois hat seinen jesuitischen Schnallen-
schuh fest auf den wehrlosen Nacken der
ganzen Lehrerschaft Oesterreichs triumphierend
gesetzt. Rom war zur höchsten Macht in
Oesterreich gelangt und die Jugendbildner
wurden in den Dienst des größten Feindes
jeglicher Kultur, namentlich aber der deutschen,
gestellt. Ein Spionierdienst, wie er selbst zur
Zeit des größten Despotismus in Oesterreich
nicht denkbar war, wurde ganz öffentlich ein-
gerichtet und die deutsche Kultur Oesterreichs
öffentlich verhöhnt, ja dem Spotte ungebildeter
Massen ausgeliefert. Wer sich unter den
Lehrern nicht im geheimen fügte, mit dessen
materieller Zukunft war es vorbei. Die
Deutschen waren aber inzwischen so verarmt
und schwach geworden, daß sie sich ihr höchstes
Gut, ihre Kultur, ohne Widerstand rauben
ließen. Der Antisemetismus des radikalen
Germanen Schönerer hatte einen solchen
Erfolg, daß die Klerisei nur nach diesem Er-
folge zu greifen brauchte, um der deutschen
Kultur den Todesstoß zu geben. Delila hat
dem Riesen Simson durch eine Frisur a la
Fiesco jeder Kraft benommen und die Deutschen
Oesterreichs tragen nun, wenn auch nicht auf-
fällig sichtbar, die Tonsur.

Da trat ein Mann von großer Willens-
kraft auf, beseelt von dem selbstlosesten Opfer-
mut, verbrannte seine Schiffe, um sich den
Rückzug unmöglich zu machen, und stellte sich
an die Spitze eines Kampfes gegen die über-
mütigen Räuber des wertvollsten Schatzes
der Deutschen Oesterreichs. Er versprach
[Spaltenumbruch] seinen Mitkämpfern keine Ehren, keinen
irdischen Lohn, nur Opfer hätten seine Mit-
kämpfer zu bringen! Aber wenn der Sieg
errungen sein würde, dann hätten viele Milli-
onen Menschen in Oesterreich wieder die
Hoffnung, ihre frühere Menschenwürde und
die Kraft, ihre materielle Not zu bekämpfen,
zu gewinnen.

Man kann sich keine größere ideale Auf-
gabe, keinen größeren Opfer- und Wagemut,
aber auch keinen größeren wirklichen öster-
reichischen Patriotismus kaum denken!

Das ist die große Bedeutung der Grün-
dung des Vereines "Freie Schule". Ein
Schulhaus, ausgestattet mit den modernsten
Behelfen der ernstesten Jugendbildung, und
darin eine Lehrerschaft, erfüllt von dem idealsten
Bestreben, dem Kinde den Segen wahrer
Ethik auf den dornenvollen Lebensweg mit-
zugeben. Das Institut sollte den Beweis der
Größe des Verbrechens erbringen, welches der
Klerikalismus in der Gegenwart an den
Staatsbürgern Oesterreichs begeht. Daß die
Klerisei mit der von ihr geleiteten politischen,
sogenannten christlichsozialen Partei, den Verein
"Freie Schule" als ein Werk des Teufels
mit allen erlaubten und noch mehr mit allen
nur denkbaren unerlaubten Mitteln bekämpft,
das ist wohl selbstverständlich. Jeder Gewerbe-
treibende würde das Gleiche tun und denje-
nigen rücksichtslos bekämpfen, welcher ihm seine
beste Kundschaft nimmt. Aber daß sich
Deutsche finden, die vorgeben frei-
heitlich gesinnt zu sein und mit der
niederträchtigsten Hinterlist dem
Verein "Freie Schule" jeden Boden
abgraben wollen, das ist ein Verrat
an dem Deutschtum Oesterreichs, wie
er gefährlicher und jesuitischer noch
nicht vorgekommen ist.
Die "Badener
Zeitung" hat dies geahnt, als sie den
Artikel "Herrenhausmitglied Braß" vor
zwei Jahren veröffentlichte.

Herr Hermann Braß ist der Typus jener
reichen deutschen Industriellen, welche aus
diversen, nebenbei laufenden Gründen ihre
freie Zeit, die sie nicht zweckmäßiger aus-
[Spaltenumbruch] nützen können, zu einem gefährlichen politi-
schen Dilettantismus verwenden. Nun hat es
der früher radikal-deutschnationale Hermann
Braß richtig bis zum Herrenhausmitgliede
gebracht. Der Weg, den er hiebei zurücklegte,
ist eigentlich ein ungewöhnlicher, aber in
Oesterreich mehren sich die Beispiele, wie
Deutschradikale, welche plötzlich vom Höhen-
schwindel befallen werden, umfallen. --
Unter dem vom deutschradikalen Antisemiten
zum Minister avanzierten Prade wurden
den Tschechen im geheimen die unglaub-
lichsten Konzessionen gemacht. Herr Hermann
Braß wollte nun, im Herrenhaus angelangt,
doch von sich reden machen, das von ihm
bisher angewandte Geld sollte doch nicht
ganz nutzlos ausgegeben sein. Dort im Herren-
hause, unter den großen Kapazitäten, ging
dies freilich nicht; so stieg er wieder herab
unter das gemeine Volk und gründete den
Verein "Freie deutsche Schule". Heute ist
es aber aller Welt klar geworden, daß dieses
Unternehmen nur den einen Zweck haben
sollte, dem ernsten Verein "Freie Schule"
mittelst eines Bluffs ein Bein zu stellen.
Die von dem Verein des Herrn Hermann
Braß vor kurzem veröffentlichte Flugschrift
bildet den klarsten Beweis der rein politischen
Machenschaft dieses Herrenhausmitgliedes. Die
christlichsozialen Blätter stimmen unisono
ein Halleluja an und es ist gar nicht ausge-
schlossen, daß Hermann Braß einmal der
Seligsprechung unterzogen wird, ja bei der
heutigen Praxis Roms kann er es zu einem
wirklichen Heiligen schein bringen.

Die "Badener Zeitung" aber sagte am
14. August 1907 am Schlusse des früher
angeführten Aufsatzes: "Herrn Hermann Braß
wird bei der nächsten Session des Herren-
hauses so mancher Kirchenfürst die Hand für
diesen Liebesdienst mit verständnisvollem
Schmunzeln drücken. Er wird in seinem
Unternehmen von dem deutschradikalen Ab-
geordneten K. H. Wolf, welcher mit den
Stimmen der Christlichsozialen den deutsch-
freiheitlichen Kandidaten besiegte, unterstützt.
Sollten solche Männer als ernste Vertreter




[Spaltenumbruch]

zu ziehen, die ihm aus seiner entdeckten Korrespondenz
mit Moritz Eszterhazy in Neapel erwuchs.

Reichstadt erzählt Prokesch, daß Kaiser Franz
mit ihm nach dem Essen gerne plaudere. U. a. fielen
einmal die Worte: "Lebte mein Vater noch, ich würde
mit Leib und Seele für seine Rückkunft nach Frank-
reich arbeiten", worauf der Kaiser den charakteristi-
schen Ausspruch tat: "Du würdest recht daran tun,
ich würde dich vielleicht, nicht öffentlich (sic!) aber
insgeheim, mit Geld unterstützen".

Reichstadt erörterte mit Prokesch sogar den Ge-
danken einer heimlichen Flucht nach Frankreich.

Reichstadt schenkte Prokesch sehr wertvolle Auto-
gramme, so ein Schreiben an ihn von der Kaiserin
Karoline, eines von seiner Mutter, eines von der
Erzherzogin Sofie, dann ein Schreiben Napoleons an
Marmont aus Schönbrunn, 23. brumaire, an 14
1 heure apres-midi,
dann ein Blatt aus einem
damals sehr beliebten Erbauungsbuche Albachs "Heilige
Anklänge", das er von seinen Großeltern erhielt und
worauf Kaiserin und Kaiser ihre Namen gesetzt hatten.

Noch am 30. Jänner 1832, als Reichstadt schon
erkrankt war, schenkte ihm Prokesch ein Paar türkische
Pantoffel und den Wehabitenmantel.

Am 22. Juli starb Reichstadt im Schlafzimmer
seines Vaters in Schönbrunn. Die Obduktion des
Leichnams stellte fest, daß der Raum für die Lunge
zu enge war, diese überall angewachsen und ganz mit
Eiter infiltriert war.

Marie Louise schenkte Prokesch noch den Lieb-
lingssäbel des Prinzen. Er hinterließ eine Bibliothek
von 1136 Büchern, meist kriegswissenschaftlichen
Inhaltes.

Höchst interessant sind alle Aufzeichnungen, welche
sich auf seine in diplomatischer Sendung in der Zeit
vom 12. Februar bis 11. August 1832 gemachte
Romreise beziehen. Einiges besonders mir bemerkens-
[Spaltenumbruch] wertes will ich anführen. Zur Fahrt, der ersten
Etappe der Reise, von Wien bis Mürzzuschlag brauchte
man damals von 2 Uhr früh bis abends. Als Reise-
lektüre hat er sich Eugen Sues "Attar Gull" mit-
genommen. In Triest mußte er wegen Choleragefahr
eine Quarantäne durchmachen. In Bologna, wo er
am 24. Februar, also nach 11tägiger Fahrt, ankam,
lernte er den Kardinal Albani kennen, den er als ein
kleines, 84jähriges schmutziges Männchen schildert,
mit einigen Resten von Verstand und Sinnen.

Am 22. März hatte er um Ave Maria Audienz
beim Papste Gregor XVI. in seinem kleinen Studier-
zimmer. "Sitzend, so daß unsere Knie sich berührten,
plauderten wir". Dann sucht der Papst ein Schreiben
in allen Kasten, allen Laden, und kann es nicht
sinden, mittlerweile erzählt ihm Prokesch von Jeru-
salem. Der Papst zeigt ihm Geschenke der Irokesen,
aus Pantoffeln und einer kostbaren Binde bestehend.

In Rom macht Prokesch interessante Bekannt-
schaften: den Landschaftsmaler Koch, der einst ein
Tiro[l]er Hirtenknabe war und dann wundervolle Kom-
positionen aus Dante, Ossian und der Bibel ge-
schaffen hat. Hier kommt er auch mit Kestner, dem
Sohn von Werthers Lotte, zusammen. Nicht für Kestner's
Mutter schoß sich Jerusalem tot, sondern dies geschah
nur zu einer Zeit, als Goethe in Lotte sehr verliebt
war. Er deduziert dies aus einem Briefe Goethes
an einen Jugendfreund in Hannover. Hier nimmt er
auch Einsicht in einen Brief der Frau Aja, in welchem
sie von ihrem Sohne Wolfgang per "der Herr Doktor"
schreibt. Bei einer Soiree der Lady Conventry lernt
er deren Töchterchen kennen[,] ein interessantes Mädchen
von 20 Jahren, welche Lateinisch, Griechisch, Deutsch,
Italienisch und Englisch liest und schreibt, schön
zeichnet und malt, sehr unterrichtet und dabei kindlich
und bescheiden wie ein Laudmädchen ist.

Am 5. April erfährt er in Rom von dem am
[Spaltenumbruch] 22. März erfolgten Tode Goethes, was ihn zu der
Bemerkung veranlaßt: "Kann denn ein solcher Geist
ausgeloschen sein?"

Interessant ist, wie Prokesch aus Anlaß einer
Soiree bei der Gräfin Logano die einzelnen Natio-
nalitäten in ihren weiblichen Vertreterinnen charak-
terisiert: "Seele in den Gesichtern aller Italienerinnen,
die der Engländerinnen verlederten, die Französinnen
zu geistreich, um nicht abgenützt zu sein".

In der Charwoche wohnt er den kirchlichen Ze-
remonien in der päpstlichen Kapelle bei: "Mich rühren
die Symbole und Zeichen einer Zeit, die nicht mehr
sind". Am Ostersonntag macht er die Bemerkung:
"Die Kommunion des Papstes rührend, der alte Mann
fast in Krämpfen in Bewegung."

Durch die Prinzessin von Dänemark wird er
dem soeben angekommenen Walther Scott vorgestellt:
"Keine Spur von Geist in diesem Biergesichte".

Bei St. Aulaire ist er einmal Tischgenosse mit
Mr. Thiers, dem nachmaligen ersten Präsidenten der
französischen Republik. Bei Lützow lernt er den Kom-
ponisten Donizetti kennen, "einen jungen Mann von
gefälligem Aeußern".

Durch den Kurier Grafen Emanuel Zichy wird
er infolge des Todes Gentz' nach Wien rückberufen,
die Abreise verzögerte sich aber noch längere Zeit.

Bei einem Konzerte bei St. Aulaire hört er die
Malibran, Marini und Comporosi, damalige Gesangs-
Koryphäen, singen.

Es ist ein eigentümliches Zusammentreffen, daß
er am 21. Juli, also einen Tag vor dem in Schön-
brunn erfolgten Ableben des Herzogs von Reichstadt,
die Mutter Napoleons, Lätitia Bonoparte, kennen
lernt. Er mußte der 84jährigen Frau viel vom Herzog
von Reichstadt erzählen, und sie will aus den Er-
zählungen so manche Aehnlichkeit mit seinem großen
Vater herausfinden: "Auch der Kaiser lernte als


Mittwoch Badener Zeitung 21. Juli 1909 Nr. 58

[Spaltenumbruch]

Herabſinken in Oeſterreich zu bewahren.
Graf Taaffe hat eigentlich nur tat-
ſächlich mit dem ſtaatserhaltenden
Moment der deutſchliberalen Partei
regiert.

Da erſann eines Tages ein deutſcher
Prinz ein Mittel, um der deutſchen Kultur,
welche durch ein Staatsgrundgeſetz vermeint-
lich geſichert ſchien, den Garaus zu machen
und man war anfänglich ſo leichtſinnig, über
den Liechtenſtein’ſchen Schulantrag zu lachen.
Heute iſt er aber auf manchen recht unge-
ſetzlichen Wegen zur Geltung gelangt und
Prinz Alois hat ſeinen jeſuitiſchen Schnallen-
ſchuh feſt auf den wehrloſen Nacken der
ganzen Lehrerſchaft Oeſterreichs triumphierend
geſetzt. Rom war zur höchſten Macht in
Oeſterreich gelangt und die Jugendbildner
wurden in den Dienſt des größten Feindes
jeglicher Kultur, namentlich aber der deutſchen,
geſtellt. Ein Spionierdienſt, wie er ſelbſt zur
Zeit des größten Deſpotismus in Oeſterreich
nicht denkbar war, wurde ganz öffentlich ein-
gerichtet und die deutſche Kultur Oeſterreichs
öffentlich verhöhnt, ja dem Spotte ungebildeter
Maſſen ausgeliefert. Wer ſich unter den
Lehrern nicht im geheimen fügte, mit deſſen
materieller Zukunft war es vorbei. Die
Deutſchen waren aber inzwiſchen ſo verarmt
und ſchwach geworden, daß ſie ſich ihr höchſtes
Gut, ihre Kultur, ohne Widerſtand rauben
ließen. Der Antiſemetismus des radikalen
Germanen Schönerer hatte einen ſolchen
Erfolg, daß die Kleriſei nur nach dieſem Er-
folge zu greifen brauchte, um der deutſchen
Kultur den Todesſtoß zu geben. Delila hat
dem Rieſen Simſon durch eine Friſur à la
Fiesco jeder Kraft benommen und die Deutſchen
Oeſterreichs tragen nun, wenn auch nicht auf-
fällig ſichtbar, die Tonſur.

Da trat ein Mann von großer Willens-
kraft auf, beſeelt von dem ſelbſtloſeſten Opfer-
mut, verbrannte ſeine Schiffe, um ſich den
Rückzug unmöglich zu machen, und ſtellte ſich
an die Spitze eines Kampfes gegen die über-
mütigen Räuber des wertvollſten Schatzes
der Deutſchen Oeſterreichs. Er verſprach
[Spaltenumbruch] ſeinen Mitkämpfern keine Ehren, keinen
irdiſchen Lohn, nur Opfer hätten ſeine Mit-
kämpfer zu bringen! Aber wenn der Sieg
errungen ſein würde, dann hätten viele Milli-
onen Menſchen in Oeſterreich wieder die
Hoffnung, ihre frühere Menſchenwürde und
die Kraft, ihre materielle Not zu bekämpfen,
zu gewinnen.

Man kann ſich keine größere ideale Auf-
gabe, keinen größeren Opfer- und Wagemut,
aber auch keinen größeren wirklichen öſter-
reichiſchen Patriotismus kaum denken!

Das iſt die große Bedeutung der Grün-
dung des Vereines „Freie Schule“. Ein
Schulhaus, ausgeſtattet mit den modernſten
Behelfen der ernſteſten Jugendbildung, und
darin eine Lehrerſchaft, erfüllt von dem idealſten
Beſtreben, dem Kinde den Segen wahrer
Ethik auf den dornenvollen Lebensweg mit-
zugeben. Das Inſtitut ſollte den Beweis der
Größe des Verbrechens erbringen, welches der
Klerikalismus in der Gegenwart an den
Staatsbürgern Oeſterreichs begeht. Daß die
Kleriſei mit der von ihr geleiteten politiſchen,
ſogenannten chriſtlichſozialen Partei, den Verein
„Freie Schule“ als ein Werk des Teufels
mit allen erlaubten und noch mehr mit allen
nur denkbaren unerlaubten Mitteln bekämpft,
das iſt wohl ſelbſtverſtändlich. Jeder Gewerbe-
treibende würde das Gleiche tun und denje-
nigen rückſichtslos bekämpfen, welcher ihm ſeine
beſte Kundſchaft nimmt. Aber daß ſich
Deutſche finden, die vorgeben frei-
heitlich geſinnt zu ſein und mit der
niederträchtigſten Hinterliſt dem
Verein „Freie Schule“ jeden Boden
abgraben wollen, das iſt ein Verrat
an dem Deutſchtum Oeſterreichs, wie
er gefährlicher und jeſuitiſcher noch
nicht vorgekommen iſt.
Die „Badener
Zeitung“ hat dies geahnt, als ſie den
Artikel „Herrenhausmitglied Braß“ vor
zwei Jahren veröffentlichte.

Herr Hermann Braß iſt der Typus jener
reichen deutſchen Induſtriellen, welche aus
diverſen, nebenbei laufenden Gründen ihre
freie Zeit, die ſie nicht zweckmäßiger aus-
[Spaltenumbruch] nützen können, zu einem gefährlichen politi-
ſchen Dilettantismus verwenden. Nun hat es
der früher radikal-deutſchnationale Hermann
Braß richtig bis zum Herrenhausmitgliede
gebracht. Der Weg, den er hiebei zurücklegte,
iſt eigentlich ein ungewöhnlicher, aber in
Oeſterreich mehren ſich die Beiſpiele, wie
Deutſchradikale, welche plötzlich vom Höhen-
ſchwindel befallen werden, umfallen. —
Unter dem vom deutſchradikalen Antiſemiten
zum Miniſter avanzierten Prade wurden
den Tſchechen im geheimen die unglaub-
lichſten Konzeſſionen gemacht. Herr Hermann
Braß wollte nun, im Herrenhaus angelangt,
doch von ſich reden machen, das von ihm
bisher angewandte Geld ſollte doch nicht
ganz nutzlos ausgegeben ſein. Dort im Herren-
hauſe, unter den großen Kapazitäten, ging
dies freilich nicht; ſo ſtieg er wieder herab
unter das gemeine Volk und gründete den
Verein „Freie deutſche Schule“. Heute iſt
es aber aller Welt klar geworden, daß dieſes
Unternehmen nur den einen Zweck haben
ſollte, dem ernſten Verein „Freie Schule“
mittelſt eines Bluffs ein Bein zu ſtellen.
Die von dem Verein des Herrn Hermann
Braß vor kurzem veröffentlichte Flugſchrift
bildet den klarſten Beweis der rein politiſchen
Machenſchaft dieſes Herrenhausmitgliedes. Die
chriſtlichſozialen Blätter ſtimmen uniſono
ein Halleluja an und es iſt gar nicht ausge-
ſchloſſen, daß Hermann Braß einmal der
Seligſprechung unterzogen wird, ja bei der
heutigen Praxis Roms kann er es zu einem
wirklichen Heiligen ſchein bringen.

Die „Badener Zeitung“ aber ſagte am
14. Auguſt 1907 am Schluſſe des früher
angeführten Aufſatzes: „Herrn Hermann Braß
wird bei der nächſten Seſſion des Herren-
hauſes ſo mancher Kirchenfürſt die Hand für
dieſen Liebesdienſt mit verſtändnisvollem
Schmunzeln drücken. Er wird in ſeinem
Unternehmen von dem deutſchradikalen Ab-
geordneten K. H. Wolf, welcher mit den
Stimmen der Chriſtlichſozialen den deutſch-
freiheitlichen Kandidaten beſiegte, unterſtützt.
Sollten ſolche Männer als ernſte Vertreter




[Spaltenumbruch]

zu ziehen, die ihm aus ſeiner entdeckten Korreſpondenz
mit Moritz Eszterhazy in Neapel erwuchs.

Reichſtadt erzählt Prokeſch, daß Kaiſer Franz
mit ihm nach dem Eſſen gerne plaudere. U. a. fielen
einmal die Worte: „Lebte mein Vater noch, ich würde
mit Leib und Seele für ſeine Rückkunft nach Frank-
reich arbeiten“, worauf der Kaiſer den charakteriſti-
ſchen Ausſpruch tat: „Du würdeſt recht daran tun,
ich würde dich vielleicht, nicht öffentlich (sic!) aber
insgeheim, mit Geld unterſtützen“.

Reichſtadt erörterte mit Prokeſch ſogar den Ge-
danken einer heimlichen Flucht nach Frankreich.

Reichſtadt ſchenkte Prokeſch ſehr wertvolle Auto-
gramme, ſo ein Schreiben an ihn von der Kaiſerin
Karoline, eines von ſeiner Mutter, eines von der
Erzherzogin Sofie, dann ein Schreiben Napoleons an
Marmont aus Schönbrunn, 23. brumaire, an 14
1 heure après-midi,
dann ein Blatt aus einem
damals ſehr beliebten Erbauungsbuche Albachs „Heilige
Anklänge“, das er von ſeinen Großeltern erhielt und
worauf Kaiſerin und Kaiſer ihre Namen geſetzt hatten.

Noch am 30. Jänner 1832, als Reichſtadt ſchon
erkrankt war, ſchenkte ihm Prokeſch ein Paar türkiſche
Pantoffel und den Wehabitenmantel.

Am 22. Juli ſtarb Reichſtadt im Schlafzimmer
ſeines Vaters in Schönbrunn. Die Obduktion des
Leichnams ſtellte feſt, daß der Raum für die Lunge
zu enge war, dieſe überall angewachſen und ganz mit
Eiter infiltriert war.

Marie Louiſe ſchenkte Prokeſch noch den Lieb-
lingsſäbel des Prinzen. Er hinterließ eine Bibliothek
von 1136 Büchern, meiſt kriegswiſſenſchaftlichen
Inhaltes.

Höchſt intereſſant ſind alle Aufzeichnungen, welche
ſich auf ſeine in diplomatiſcher Sendung in der Zeit
vom 12. Februar bis 11. Auguſt 1832 gemachte
Romreiſe beziehen. Einiges beſonders mir bemerkens-
[Spaltenumbruch] wertes will ich anführen. Zur Fahrt, der erſten
Etappe der Reiſe, von Wien bis Mürzzuſchlag brauchte
man damals von 2 Uhr früh bis abends. Als Reiſe-
lektüre hat er ſich Eugen Sues „Attar Gull“ mit-
genommen. In Trieſt mußte er wegen Choleragefahr
eine Quarantäne durchmachen. In Bologna, wo er
am 24. Februar, alſo nach 11tägiger Fahrt, ankam,
lernte er den Kardinal Albani kennen, den er als ein
kleines, 84jähriges ſchmutziges Männchen ſchildert,
mit einigen Reſten von Verſtand und Sinnen.

Am 22. März hatte er um Ave Maria Audienz
beim Papſte Gregor XVI. in ſeinem kleinen Studier-
zimmer. „Sitzend, ſo daß unſere Knie ſich berührten,
plauderten wir“. Dann ſucht der Papſt ein Schreiben
in allen Kaſten, allen Laden, und kann es nicht
ſinden, mittlerweile erzählt ihm Prokeſch von Jeru-
ſalem. Der Papſt zeigt ihm Geſchenke der Irokeſen,
aus Pantoffeln und einer koſtbaren Binde beſtehend.

In Rom macht Prokeſch intereſſante Bekannt-
ſchaften: den Landſchaftsmaler Koch, der einſt ein
Tiro[l]er Hirtenknabe war und dann wundervolle Kom-
poſitionen aus Dante, Oſſian und der Bibel ge-
ſchaffen hat. Hier kommt er auch mit Keſtner, dem
Sohn von Werthers Lotte, zuſammen. Nicht für Keſtner’s
Mutter ſchoß ſich Jeruſalem tot, ſondern dies geſchah
nur zu einer Zeit, als Goethe in Lotte ſehr verliebt
war. Er deduziert dies aus einem Briefe Goethes
an einen Jugendfreund in Hannover. Hier nimmt er
auch Einſicht in einen Brief der Frau Aja, in welchem
ſie von ihrem Sohne Wolfgang per „der Herr Doktor“
ſchreibt. Bei einer Soiree der Lady Conventry lernt
er deren Töchterchen kennen[,] ein intereſſantes Mädchen
von 20 Jahren, welche Lateiniſch, Griechiſch, Deutſch,
Italieniſch und Engliſch lieſt und ſchreibt, ſchön
zeichnet und malt, ſehr unterrichtet und dabei kindlich
und beſcheiden wie ein Laudmädchen iſt.

Am 5. April erfährt er in Rom von dem am
[Spaltenumbruch] 22. März erfolgten Tode Goethes, was ihn zu der
Bemerkung veranlaßt: „Kann denn ein ſolcher Geiſt
ausgeloſchen ſein?“

Intereſſant iſt, wie Prokeſch aus Anlaß einer
Soiree bei der Gräfin Logano die einzelnen Natio-
nalitäten in ihren weiblichen Vertreterinnen charak-
teriſiert: „Seele in den Geſichtern aller Italienerinnen,
die der Engländerinnen verlederten, die Franzöſinnen
zu geiſtreich, um nicht abgenützt zu ſein“.

In der Charwoche wohnt er den kirchlichen Ze-
remonien in der päpſtlichen Kapelle bei: „Mich rühren
die Symbole und Zeichen einer Zeit, die nicht mehr
ſind“. Am Oſterſonntag macht er die Bemerkung:
„Die Kommunion des Papſtes rührend, der alte Mann
faſt in Krämpfen in Bewegung.“

Durch die Prinzeſſin von Dänemark wird er
dem ſoeben angekommenen Walther Scott vorgeſtellt:
„Keine Spur von Geiſt in dieſem Biergeſichte“.

Bei St. Aulaire iſt er einmal Tiſchgenoſſe mit
Mr. Thiers, dem nachmaligen erſten Präſidenten der
franzöſiſchen Republik. Bei Lützow lernt er den Kom-
poniſten Donizetti kennen, „einen jungen Mann von
gefälligem Aeußern“.

Durch den Kurier Grafen Emanuel Zichy wird
er infolge des Todes Gentz’ nach Wien rückberufen,
die Abreiſe verzögerte ſich aber noch längere Zeit.

Bei einem Konzerte bei St. Aulaire hört er die
Malibran, Marini und Comporoſi, damalige Geſangs-
Koryphäen, ſingen.

Es iſt ein eigentümliches Zuſammentreffen, daß
er am 21. Juli, alſo einen Tag vor dem in Schön-
brunn erfolgten Ableben des Herzogs von Reichſtadt,
die Mutter Napoleons, Lätitia Bonoparte, kennen
lernt. Er mußte der 84jährigen Frau viel vom Herzog
von Reichſtadt erzählen, und ſie will aus den Er-
zählungen ſo manche Aehnlichkeit mit ſeinem großen
Vater herausfinden: „Auch der Kaiſer lernte als


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[2/0002] Mittwoch Badener Zeitung 21. Juli 1909 Nr. 58 Herabſinken in Oeſterreich zu bewahren. Graf Taaffe hat eigentlich nur tat- ſächlich mit dem ſtaatserhaltenden Moment der deutſchliberalen Partei regiert. Da erſann eines Tages ein deutſcher Prinz ein Mittel, um der deutſchen Kultur, welche durch ein Staatsgrundgeſetz vermeint- lich geſichert ſchien, den Garaus zu machen und man war anfänglich ſo leichtſinnig, über den Liechtenſtein’ſchen Schulantrag zu lachen. Heute iſt er aber auf manchen recht unge- ſetzlichen Wegen zur Geltung gelangt und Prinz Alois hat ſeinen jeſuitiſchen Schnallen- ſchuh feſt auf den wehrloſen Nacken der ganzen Lehrerſchaft Oeſterreichs triumphierend geſetzt. Rom war zur höchſten Macht in Oeſterreich gelangt und die Jugendbildner wurden in den Dienſt des größten Feindes jeglicher Kultur, namentlich aber der deutſchen, geſtellt. Ein Spionierdienſt, wie er ſelbſt zur Zeit des größten Deſpotismus in Oeſterreich nicht denkbar war, wurde ganz öffentlich ein- gerichtet und die deutſche Kultur Oeſterreichs öffentlich verhöhnt, ja dem Spotte ungebildeter Maſſen ausgeliefert. Wer ſich unter den Lehrern nicht im geheimen fügte, mit deſſen materieller Zukunft war es vorbei. Die Deutſchen waren aber inzwiſchen ſo verarmt und ſchwach geworden, daß ſie ſich ihr höchſtes Gut, ihre Kultur, ohne Widerſtand rauben ließen. Der Antiſemetismus des radikalen Germanen Schönerer hatte einen ſolchen Erfolg, daß die Kleriſei nur nach dieſem Er- folge zu greifen brauchte, um der deutſchen Kultur den Todesſtoß zu geben. Delila hat dem Rieſen Simſon durch eine Friſur à la Fiesco jeder Kraft benommen und die Deutſchen Oeſterreichs tragen nun, wenn auch nicht auf- fällig ſichtbar, die Tonſur. Da trat ein Mann von großer Willens- kraft auf, beſeelt von dem ſelbſtloſeſten Opfer- mut, verbrannte ſeine Schiffe, um ſich den Rückzug unmöglich zu machen, und ſtellte ſich an die Spitze eines Kampfes gegen die über- mütigen Räuber des wertvollſten Schatzes der Deutſchen Oeſterreichs. Er verſprach ſeinen Mitkämpfern keine Ehren, keinen irdiſchen Lohn, nur Opfer hätten ſeine Mit- kämpfer zu bringen! Aber wenn der Sieg errungen ſein würde, dann hätten viele Milli- onen Menſchen in Oeſterreich wieder die Hoffnung, ihre frühere Menſchenwürde und die Kraft, ihre materielle Not zu bekämpfen, zu gewinnen. Man kann ſich keine größere ideale Auf- gabe, keinen größeren Opfer- und Wagemut, aber auch keinen größeren wirklichen öſter- reichiſchen Patriotismus kaum denken! Das iſt die große Bedeutung der Grün- dung des Vereines „Freie Schule“. 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Die von dem Verein des Herrn Hermann Braß vor kurzem veröffentlichte Flugſchrift bildet den klarſten Beweis der rein politiſchen Machenſchaft dieſes Herrenhausmitgliedes. Die chriſtlichſozialen Blätter ſtimmen uniſono ein Halleluja an und es iſt gar nicht ausge- ſchloſſen, daß Hermann Braß einmal der Seligſprechung unterzogen wird, ja bei der heutigen Praxis Roms kann er es zu einem wirklichen Heiligen ſchein bringen. Die „Badener Zeitung“ aber ſagte am 14. Auguſt 1907 am Schluſſe des früher angeführten Aufſatzes: „Herrn Hermann Braß wird bei der nächſten Seſſion des Herren- hauſes ſo mancher Kirchenfürſt die Hand für dieſen Liebesdienſt mit verſtändnisvollem Schmunzeln drücken. Er wird in ſeinem Unternehmen von dem deutſchradikalen Ab- geordneten K. H. Wolf, welcher mit den Stimmen der Chriſtlichſozialen den deutſch- freiheitlichen Kandidaten beſiegte, unterſtützt. Sollten ſolche Männer als ernſte Vertreter zu ziehen, die ihm aus ſeiner entdeckten Korreſpondenz mit Moritz Eszterhazy in Neapel erwuchs. Reichſtadt erzählt Prokeſch, daß Kaiſer Franz mit ihm nach dem Eſſen gerne plaudere. U. a. fielen einmal die Worte: „Lebte mein Vater noch, ich würde mit Leib und Seele für ſeine Rückkunft nach Frank- reich arbeiten“, worauf der Kaiſer den charakteriſti- ſchen Ausſpruch tat: „Du würdeſt recht daran tun, ich würde dich vielleicht, nicht öffentlich (sic!) aber insgeheim, mit Geld unterſtützen“. Reichſtadt erörterte mit Prokeſch ſogar den Ge- danken einer heimlichen Flucht nach Frankreich. Reichſtadt ſchenkte Prokeſch ſehr wertvolle Auto- gramme, ſo ein Schreiben an ihn von der Kaiſerin Karoline, eines von ſeiner Mutter, eines von der Erzherzogin Sofie, dann ein Schreiben Napoleons an Marmont aus Schönbrunn, 23. brumaire, an 14 1 heure après-midi, dann ein Blatt aus einem damals ſehr beliebten Erbauungsbuche Albachs „Heilige Anklänge“, das er von ſeinen Großeltern erhielt und worauf Kaiſerin und Kaiſer ihre Namen geſetzt hatten. Noch am 30. Jänner 1832, als Reichſtadt ſchon erkrankt war, ſchenkte ihm Prokeſch ein Paar türkiſche Pantoffel und den Wehabitenmantel. Am 22. Juli ſtarb Reichſtadt im Schlafzimmer ſeines Vaters in Schönbrunn. Die Obduktion des Leichnams ſtellte feſt, daß der Raum für die Lunge zu enge war, dieſe überall angewachſen und ganz mit Eiter infiltriert war. Marie Louiſe ſchenkte Prokeſch noch den Lieb- lingsſäbel des Prinzen. Er hinterließ eine Bibliothek von 1136 Büchern, meiſt kriegswiſſenſchaftlichen Inhaltes. Höchſt intereſſant ſind alle Aufzeichnungen, welche ſich auf ſeine in diplomatiſcher Sendung in der Zeit vom 12. Februar bis 11. Auguſt 1832 gemachte Romreiſe beziehen. Einiges beſonders mir bemerkens- wertes will ich anführen. Zur Fahrt, der erſten Etappe der Reiſe, von Wien bis Mürzzuſchlag brauchte man damals von 2 Uhr früh bis abends. Als Reiſe- lektüre hat er ſich Eugen Sues „Attar Gull“ mit- genommen. In Trieſt mußte er wegen Choleragefahr eine Quarantäne durchmachen. In Bologna, wo er am 24. Februar, alſo nach 11tägiger Fahrt, ankam, lernte er den Kardinal Albani kennen, den er als ein kleines, 84jähriges ſchmutziges Männchen ſchildert, mit einigen Reſten von Verſtand und Sinnen. Am 22. März hatte er um Ave Maria Audienz beim Papſte Gregor XVI. in ſeinem kleinen Studier- zimmer. „Sitzend, ſo daß unſere Knie ſich berührten, plauderten wir“. Dann ſucht der Papſt ein Schreiben in allen Kaſten, allen Laden, und kann es nicht ſinden, mittlerweile erzählt ihm Prokeſch von Jeru- ſalem. Der Papſt zeigt ihm Geſchenke der Irokeſen, aus Pantoffeln und einer koſtbaren Binde beſtehend. In Rom macht Prokeſch intereſſante Bekannt- ſchaften: den Landſchaftsmaler Koch, der einſt ein Tiroler Hirtenknabe war und dann wundervolle Kom- poſitionen aus Dante, Oſſian und der Bibel ge- ſchaffen hat. Hier kommt er auch mit Keſtner, dem Sohn von Werthers Lotte, zuſammen. Nicht für Keſtner’s Mutter ſchoß ſich Jeruſalem tot, ſondern dies geſchah nur zu einer Zeit, als Goethe in Lotte ſehr verliebt war. Er deduziert dies aus einem Briefe Goethes an einen Jugendfreund in Hannover. Hier nimmt er auch Einſicht in einen Brief der Frau Aja, in welchem ſie von ihrem Sohne Wolfgang per „der Herr Doktor“ ſchreibt. Bei einer Soiree der Lady Conventry lernt er deren Töchterchen kennen, ein intereſſantes Mädchen von 20 Jahren, welche Lateiniſch, Griechiſch, Deutſch, Italieniſch und Engliſch lieſt und ſchreibt, ſchön zeichnet und malt, ſehr unterrichtet und dabei kindlich und beſcheiden wie ein Laudmädchen iſt. Am 5. April erfährt er in Rom von dem am 22. März erfolgten Tode Goethes, was ihn zu der Bemerkung veranlaßt: „Kann denn ein ſolcher Geiſt ausgeloſchen ſein?“ Intereſſant iſt, wie Prokeſch aus Anlaß einer Soiree bei der Gräfin Logano die einzelnen Natio- nalitäten in ihren weiblichen Vertreterinnen charak- teriſiert: „Seele in den Geſichtern aller Italienerinnen, die der Engländerinnen verlederten, die Franzöſinnen zu geiſtreich, um nicht abgenützt zu ſein“. In der Charwoche wohnt er den kirchlichen Ze- remonien in der päpſtlichen Kapelle bei: „Mich rühren die Symbole und Zeichen einer Zeit, die nicht mehr ſind“. Am Oſterſonntag macht er die Bemerkung: „Die Kommunion des Papſtes rührend, der alte Mann faſt in Krämpfen in Bewegung.“ Durch die Prinzeſſin von Dänemark wird er dem ſoeben angekommenen Walther Scott vorgeſtellt: „Keine Spur von Geiſt in dieſem Biergeſichte“. Bei St. Aulaire iſt er einmal Tiſchgenoſſe mit Mr. Thiers, dem nachmaligen erſten Präſidenten der franzöſiſchen Republik. Bei Lützow lernt er den Kom- poniſten Donizetti kennen, „einen jungen Mann von gefälligem Aeußern“. Durch den Kurier Grafen Emanuel Zichy wird er infolge des Todes Gentz’ nach Wien rückberufen, die Abreiſe verzögerte ſich aber noch längere Zeit. Bei einem Konzerte bei St. Aulaire hört er die Malibran, Marini und Comporoſi, damalige Geſangs- Koryphäen, ſingen. Es iſt ein eigentümliches Zuſammentreffen, daß er am 21. Juli, alſo einen Tag vor dem in Schön- brunn erfolgten Ableben des Herzogs von Reichſtadt, die Mutter Napoleons, Lätitia Bonoparte, kennen lernt. Er mußte der 84jährigen Frau viel vom Herzog von Reichſtadt erzählen, und ſie will aus den Er- zählungen ſo manche Aehnlichkeit mit ſeinem großen Vater herausfinden: „Auch der Kaiſer lernte als

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 58, Baden (Niederösterreich), 21.07.1909, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener058_1909/2>, abgerufen am 22.11.2024.