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Allgemeine Zeitung. Nr. 80. Augsburg (Bayern), 21. März 1871.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 80.
Dienstag, 21 März 1871.

Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.;
ausserdem ist zu Ermöglichung der Selbstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briefmarken eine
wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um "baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Ngr. ö. W.,
1 1 / 4 Ngr., 15 Cent ) für jedes Wort oder Zahl" in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage.



[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Zur Universitätsreform in Oesterreich. -- Graf Bismarck und die deutsche
Nation. Von Dr. Constantin Rößler.

Neueste Posten. Berlin: Nachwahlen zum Reichstag. Köln:
Neue Fuldaer Bischofsversammlung. Wilhelmshöhe: Abreise des
Kaisers. Schreiben desselben an Mac Mahon.



Telegraphische Berichte.

Bern, 20 März. Der Bundesrath dementirt die Nachricht:
Frankreich habe die Rückkehr der kriegsgefangenen Franzosen aus Deutsch-
land durch die Schweiz nachgesucht. Wegen Schneefalls wurde seit dem
17 März über Pontarlier täglich nur ein Zug internirter Franzosen heim-
befördert, zwei Züge gehen jetzt über Morges.

* Paris, 19 März. Die Regierung hat folgende Proclamation er-
lassen, unterzeichnet von Dufaure, Favre, Picard, Simon, Pothuau und
Lefl o: "Ein Nationalgarden=Comit e, welches den Namen Central=Comit e
annahm, bemächtigte sich einer gewissen Zahl von Kanonen, bedeckte Paris
mit Barricaden, schoß auf die Vertheidiger der Ordnung, machte Ge-
fangene und ermordete kaltblütig die Generale Lecomte und Thomas.
Wer sind die Comitemitglieder? Niemand kennt sie, niemand kann an-
geben zu welcher Partei sie gehören. Sind sie Communisten, Bonaparti-
sten, Preußen? ( !! ) Sind sie aus dreifacher Coalition hervorgegangen?
Jedenfalls sind sie Feinde von Paris, welches sie der Plünderung überlie-
fern, Feinde Frankreichs, welches sie Preußen ( ! ) überliefern. Die verab-
scheuungswürdigen Verbrechen jener Männer benehmen denen die es wagen
ihnen zu folgen jede Entschuldigung. Wollt ihr die Verantwortlichkeit der
Mordthaten und Verbrechen, die sich noch steigern werden, auf euch nehmen,
dann bleibt in euren Behausungen; wenn euch aber an der Ehre und den
heiligsten Jnteressen gelegen ist, so schaart euch um die Regierung der Re-
publik und die Nationalversammlung."

* Paris, 19 März. Die Aufständischen zogen auf dem Stadt-
hause die rothe Fahne auf. Das Stadthaus ist von Barricaden umgeben.
Der Straßenverkehr ist nicht gehemmt. Bis jetzt wurde kein neuer Con-
flict gemeldet.

Diese Depeschen aus dem Hauptblatt hier wiederholt.

* München, 20 März. Graf Quadt, der bayerische Delegirte für
die Brüsseler Friedensverhandlungen, reist morgen Abends ab. Heute
hatte er Audienz beim König. Jn seiner Begleitung befinden sich der
Legationsrath Rudhart und Graf Lerchenfeld.

* Dresden, 20 März. Das "Dresd. Journal" meldet: Der König
von Sachsen reist am 26 d. zum Besuch an den kaiserl. Hof nach Berlin.
Der commandirende General des sächsischen Armeecorps, Prinz Georg, ist
gestern hier eingetroffen und freudigst empfangen worden; er reist am
Mittwoch nach Frankreich zurück.

Weitere Telegramme siehe fünfte Seite.
Zur Universitätsreform in Oesterreich.

   " Veritas odium parit."

++ Bei Eröffnung der gegenwärtigen Reichsrathssession im November
v. J. kündigte die Thronrede auch eine Vorlage für Universitätsreform
an. Obschon nun unter Sachverständigen eine solche Reform schon lange
Gegenstand eines lebhaften Verlangens war, so wollte doch der Glaube
daß es sich um eine sogenannte reformatio in capite et membris
handle nicht recht aufkommen. Die Gründe dafür waren mannichfach.
Das Unsichere und Schwankende unserer Zustände beeinflußt und lähmt
auch die Thätigkeit der Minister, und die Erfahrung daß es zum minde-
sten klug am Tage der ministeriellen Taufe auch schon an das Grab zu
denken, ist keine große Aufmunterung zu einer umfassenden und durch-
greifenden Thätigkeit, da keiner weiß ob er seine Vorschläge auch noch
wird vertreten können, oder wohl gar es erleben muß dieselben von seinem
Nachfolger als schätzbares Material behandelt zu sehen. Ferner weiß
man ja daß auch die gemeinnützigsten Anträge, sollen sie auf die ganze
Westhälfte ausgedehnt werden, an der gereizten Stimmung der Nationa-
len schon oft gescheitert sind, und endlich durfte man sich auch nicht ver-
hehlen daß die unmittelbar Betheiligten Schwierigkeiten entgegenstellen
würden, wenn eine Beeinträchtigung ihrer Privatinteressen als möglich er-
scheinen sollte.

[Spaltenumbruch]

Diese Bedenken bezüglich einer entsprechenden Heilung wurden durch
die nachfolgende Vorlage des Ministers Stremayr selbst nicht gehoben; sie
befaßte sich nur mit der Organisirung der akademischen Behörden, und
war, mit wenigen Ausnahmen, eine fast wörtliche Abschrift eines seit
zwanzig Jahren bestehenden provisorischen Statuts, und selbst diese Vor-
lage ist nun zurückgezogen und eine neue Redaction derselben in Aussicht
gestellt worden.

Diesem Zaudern und Schwanken wollen wir nun eine wahrheitsge-
treue Schilderung der Krankheit gegenüberstellen, mag auch die Stimme
ungehört verhallen und das Motto seine Kraft erweisen.

Die bureaukratische Einrichtung des gesammten Unterrichtswesens,
wie sie die josephinische Periode geschaffen, blieb mit geringen Aenderun-
gen bis zum Jahr 1848 bestehen; von da an wurde aber der Ruf nach
einer zweckmäßigen Reform desselben so laut daß er auch in maßgebenden
Kreisen nicht überhört werden konnte. Es erschien noch im Spät-
sommer des Jahrs 1848 ein Entwurf zur Regelung des gesammten
österreichischen Unterrichtswesens von dem damaligen Leiter des Unter-
richtsministeriums, dem edlen und hochgebildeten Feuchtersleben, welcher
Entwurf von competenten Stimmen als ebenso freisinnig wie den Zeit-
bedürfnissen entsprechend freudig begrüßt wurde.

Was nun die Universitäten anbelangt, so hat Feuchtersleben den bei
jeder Neubildung allein richtigen Weg betreten: er nahm nur die Licht-
seiten seines Vorbildes auf, vermied aber die Schattenseiten desselben.
Als Vorbild dienten ihm die deutschen Universitaten mit ihren corporati-
ven, freiheitlichen Einrichtungen; von dieser Grundlage gieng er aus ohne
sie sklavisch zu copiren, denn wie wäre es möglich gewesen den schon da-
mals laut erhobenen Ruf nach Reform des deutschen Universitätswesens,
der auf der Versammlung in Jena energischen Ausdruck fand, zu überhö-
ren! Feuchtersleben starb aber bald darauf, und eine nachfolgende Zeit
beseitigte, wo es angieng, alles was an das Jahr 1848 erinnerte.

Graf Thun, selbst kein Mann der Wissenschaft, sondern nur von dem
Rath anderer abhängig, gab ein Statut welches fast durchweg die Einrich-
tung der deutschen Universitäten auf österreichischen Boden verpflanzte.
Nun ist es aber unläugbar daß Einrichtungen, auf dem heimischen Boden
erwachsen, ungeachtet ihrer Reformbedürftigkeit noch länger fortbestehen
können, weil die Zeit an sie gewöhnt und manches an ihnen gemildert
hat, während sie, auf einen fremden Boden verpflanzt, leicht zu ungünsti-
gen Ergebnissen führen können. Aehnlich gieng es in Oesterreich mit dem
neuen Universitätsstatut; rasch und ohne Bereitung eines günstigen Bo-
dens hingestellt, blieb der gute Weizen taub unter der Erde liegen, und
nur das Unkraut wucherte üppig empor.

Die ersten Fehler giengen vom Minister selbst aus. Graf Thun
klagte es jedem der es nur hören wollte wie arm Oesterreich an Lehrkräf-
ten sei, und wie nothwendig eine umfassende Berufung Auswärtiger
erscheine. Dieses Verhalten brachte aber mannichfache Nachtheile. Es
verletzte zunächst die Einheimischen. Es ist zwar auch in Oesterreich
wie anderwärts dafür gesorgt daß nicht alle Bäume in den Himmel
wachsen, aber die übertriebene Klage des Ministers entstammte einem
österreichischen Erbübel, vermöge dessen man nicht geneigt ist die Kräfte
zu Hause zu suchen und, wo sie zufällig sich zeigen, sie auch zu benützen.
Dazu kommt daß man bei den Berufungen nicht immer glücklich war, und
gerade die tüchtigen Männer darunter nicht zu halten versuchte, sondern
ohne Sang und Klang wieder ziehen ließ. Der erstere Umstand war je-
doch kein Hinderniß die Neuankommenden aufmerksam zu machen daß
man sie als das Salz betrachte welches der bisherigen Fäulniß abhelfen
solle.

Was das Verhältniß der einzelnen Facultäten zu einander und mit-
hin ein harmonisches Wirken anbelangt, so wurde dasselbe auch von oben
her mannichfach verrückt. Der Glanz der medicinischen Schule in Wien
verleitete zu einer Ueberschätzung des naturwissenschaftlichen Studiums
auf Kosten anderer Fächer, besonders der philosophischen und theologischen.
Damit verschwand von den österreichischen Universitäten immer mehr das
Bewußtsein von dem Zusammenhang und der Wechselwirkung der einzel-
nen Fächer in welche die eine und ganze Wissenschaft sich verzweigt, und
es bürgerte sich dafür ein bedenklicher Zunftgeist ein. Professor Lazarus
sprach bei Gelegenheit der Säcularfeier der Wiener Universität bedeu-

Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 80.
Dienstag, 21 März 1871.

Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.;
ausserdem ist zu Ermöglichung der Selbstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briefmarken eine
wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um „baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Ngr. ö. W.,
1 1 / 4 Ngr., 15 Cent ) für jedes Wort oder Zahl“ in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage.



[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Zur Universitätsreform in Oesterreich. -- Graf Bismarck und die deutsche
Nation. Von Dr. Constantin Rößler.

Neueste Posten. Berlin: Nachwahlen zum Reichstag. Köln:
Neue Fuldaer Bischofsversammlung. Wilhelmshöhe: Abreise des
Kaisers. Schreiben desselben an Mac Mahon.



Telegraphische Berichte.

⨁ Bern, 20 März. Der Bundesrath dementirt die Nachricht:
Frankreich habe die Rückkehr der kriegsgefangenen Franzosen aus Deutsch-
land durch die Schweiz nachgesucht. Wegen Schneefalls wurde seit dem
17 März über Pontarlier täglich nur ein Zug internirter Franzosen heim-
befördert, zwei Züge gehen jetzt über Morges.

* Paris, 19 März. Die Regierung hat folgende Proclamation er-
lassen, unterzeichnet von Dufaure, Favre, Picard, Simon, Pothuau und
Lefl ô: „Ein Nationalgarden=Comit é, welches den Namen Central=Comit é
annahm, bemächtigte sich einer gewissen Zahl von Kanonen, bedeckte Paris
mit Barricaden, schoß auf die Vertheidiger der Ordnung, machte Ge-
fangene und ermordete kaltblütig die Generale Lecomte und Thomas.
Wer sind die Comitémitglieder? Niemand kennt sie, niemand kann an-
geben zu welcher Partei sie gehören. Sind sie Communisten, Bonaparti-
sten, Preußen? ( !! ) Sind sie aus dreifacher Coalition hervorgegangen?
Jedenfalls sind sie Feinde von Paris, welches sie der Plünderung überlie-
fern, Feinde Frankreichs, welches sie Preußen ( ! ) überliefern. Die verab-
scheuungswürdigen Verbrechen jener Männer benehmen denen die es wagen
ihnen zu folgen jede Entschuldigung. Wollt ihr die Verantwortlichkeit der
Mordthaten und Verbrechen, die sich noch steigern werden, auf euch nehmen,
dann bleibt in euren Behausungen; wenn euch aber an der Ehre und den
heiligsten Jnteressen gelegen ist, so schaart euch um die Regierung der Re-
publik und die Nationalversammlung.“

* Paris, 19 März. Die Aufständischen zogen auf dem Stadt-
hause die rothe Fahne auf. Das Stadthaus ist von Barricaden umgeben.
Der Straßenverkehr ist nicht gehemmt. Bis jetzt wurde kein neuer Con-
flict gemeldet.

Diese Depeschen aus dem Hauptblatt hier wiederholt.

* München, 20 März. Graf Quadt, der bayerische Delegirte für
die Brüsseler Friedensverhandlungen, reist morgen Abends ab. Heute
hatte er Audienz beim König. Jn seiner Begleitung befinden sich der
Legationsrath Rudhart und Graf Lerchenfeld.

* Dresden, 20 März. Das „Dresd. Journal“ meldet: Der König
von Sachsen reist am 26 d. zum Besuch an den kaiserl. Hof nach Berlin.
Der commandirende General des sächsischen Armeecorps, Prinz Georg, ist
gestern hier eingetroffen und freudigst empfangen worden; er reist am
Mittwoch nach Frankreich zurück.

Weitere Telegramme siehe fünfte Seite.
Zur Universitätsreform in Oesterreich.

   „ Veritas odium parit.“

‡ Bei Eröffnung der gegenwärtigen Reichsrathssession im November
v. J. kündigte die Thronrede auch eine Vorlage für Universitätsreform
an. Obschon nun unter Sachverständigen eine solche Reform schon lange
Gegenstand eines lebhaften Verlangens war, so wollte doch der Glaube
daß es sich um eine sogenannte reformatio in capite et membris
handle nicht recht aufkommen. Die Gründe dafür waren mannichfach.
Das Unsichere und Schwankende unserer Zustände beeinflußt und lähmt
auch die Thätigkeit der Minister, und die Erfahrung daß es zum minde-
sten klug am Tage der ministeriellen Taufe auch schon an das Grab zu
denken, ist keine große Aufmunterung zu einer umfassenden und durch-
greifenden Thätigkeit, da keiner weiß ob er seine Vorschläge auch noch
wird vertreten können, oder wohl gar es erleben muß dieselben von seinem
Nachfolger als schätzbares Material behandelt zu sehen. Ferner weiß
man ja daß auch die gemeinnützigsten Anträge, sollen sie auf die ganze
Westhälfte ausgedehnt werden, an der gereizten Stimmung der Nationa-
len schon oft gescheitert sind, und endlich durfte man sich auch nicht ver-
hehlen daß die unmittelbar Betheiligten Schwierigkeiten entgegenstellen
würden, wenn eine Beeinträchtigung ihrer Privatinteressen als möglich er-
scheinen sollte.

[Spaltenumbruch]

Diese Bedenken bezüglich einer entsprechenden Heilung wurden durch
die nachfolgende Vorlage des Ministers Stremayr selbst nicht gehoben; sie
befaßte sich nur mit der Organisirung der akademischen Behörden, und
war, mit wenigen Ausnahmen, eine fast wörtliche Abschrift eines seit
zwanzig Jahren bestehenden provisorischen Statuts, und selbst diese Vor-
lage ist nun zurückgezogen und eine neue Redaction derselben in Aussicht
gestellt worden.

Diesem Zaudern und Schwanken wollen wir nun eine wahrheitsge-
treue Schilderung der Krankheit gegenüberstellen, mag auch die Stimme
ungehört verhallen und das Motto seine Kraft erweisen.

Die bureaukratische Einrichtung des gesammten Unterrichtswesens,
wie sie die josephinische Periode geschaffen, blieb mit geringen Aenderun-
gen bis zum Jahr 1848 bestehen; von da an wurde aber der Ruf nach
einer zweckmäßigen Reform desselben so laut daß er auch in maßgebenden
Kreisen nicht überhört werden konnte. Es erschien noch im Spät-
sommer des Jahrs 1848 ein Entwurf zur Regelung des gesammten
österreichischen Unterrichtswesens von dem damaligen Leiter des Unter-
richtsministeriums, dem edlen und hochgebildeten Feuchtersleben, welcher
Entwurf von competenten Stimmen als ebenso freisinnig wie den Zeit-
bedürfnissen entsprechend freudig begrüßt wurde.

Was nun die Universitäten anbelangt, so hat Feuchtersleben den bei
jeder Neubildung allein richtigen Weg betreten: er nahm nur die Licht-
seiten seines Vorbildes auf, vermied aber die Schattenseiten desselben.
Als Vorbild dienten ihm die deutschen Universitaten mit ihren corporati-
ven, freiheitlichen Einrichtungen; von dieser Grundlage gieng er aus ohne
sie sklavisch zu copiren, denn wie wäre es möglich gewesen den schon da-
mals laut erhobenen Ruf nach Reform des deutschen Universitätswesens,
der auf der Versammlung in Jena energischen Ausdruck fand, zu überhö-
ren! Feuchtersleben starb aber bald darauf, und eine nachfolgende Zeit
beseitigte, wo es angieng, alles was an das Jahr 1848 erinnerte.

Graf Thun, selbst kein Mann der Wissenschaft, sondern nur von dem
Rath anderer abhängig, gab ein Statut welches fast durchweg die Einrich-
tung der deutschen Universitäten auf österreichischen Boden verpflanzte.
Nun ist es aber unläugbar daß Einrichtungen, auf dem heimischen Boden
erwachsen, ungeachtet ihrer Reformbedürftigkeit noch länger fortbestehen
können, weil die Zeit an sie gewöhnt und manches an ihnen gemildert
hat, während sie, auf einen fremden Boden verpflanzt, leicht zu ungünsti-
gen Ergebnissen führen können. Aehnlich gieng es in Oesterreich mit dem
neuen Universitätsstatut; rasch und ohne Bereitung eines günstigen Bo-
dens hingestellt, blieb der gute Weizen taub unter der Erde liegen, und
nur das Unkraut wucherte üppig empor.

Die ersten Fehler giengen vom Minister selbst aus. Graf Thun
klagte es jedem der es nur hören wollte wie arm Oesterreich an Lehrkräf-
ten sei, und wie nothwendig eine umfassende Berufung Auswärtiger
erscheine. Dieses Verhalten brachte aber mannichfache Nachtheile. Es
verletzte zunächst die Einheimischen. Es ist zwar auch in Oesterreich
wie anderwärts dafür gesorgt daß nicht alle Bäume in den Himmel
wachsen, aber die übertriebene Klage des Ministers entstammte einem
österreichischen Erbübel, vermöge dessen man nicht geneigt ist die Kräfte
zu Hause zu suchen und, wo sie zufällig sich zeigen, sie auch zu benützen.
Dazu kommt daß man bei den Berufungen nicht immer glücklich war, und
gerade die tüchtigen Männer darunter nicht zu halten versuchte, sondern
ohne Sang und Klang wieder ziehen ließ. Der erstere Umstand war je-
doch kein Hinderniß die Neuankommenden aufmerksam zu machen daß
man sie als das Salz betrachte welches der bisherigen Fäulniß abhelfen
solle.

Was das Verhältniß der einzelnen Facultäten zu einander und mit-
hin ein harmonisches Wirken anbelangt, so wurde dasselbe auch von oben
her mannichfach verrückt. Der Glanz der medicinischen Schule in Wien
verleitete zu einer Ueberschätzung des naturwissenschaftlichen Studiums
auf Kosten anderer Fächer, besonders der philosophischen und theologischen.
Damit verschwand von den österreichischen Universitäten immer mehr das
Bewußtsein von dem Zusammenhang und der Wechselwirkung der einzel-
nen Fächer in welche die eine und ganze Wissenschaft sich verzweigt, und
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[0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 80. Dienstag, 21 März 1871. Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren. ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet: im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.; ausserdem ist zu Ermöglichung der Selbstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briefmarken eine wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um „baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Ngr. ö. W., 1 1 / 4 Ngr., 15 Cent ) für jedes Wort oder Zahl“ in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage. Uebersicht. Zur Universitätsreform in Oesterreich. -- Graf Bismarck und die deutsche Nation. Von Dr. Constantin Rößler. Neueste Posten. Berlin: Nachwahlen zum Reichstag. Köln: Neue Fuldaer Bischofsversammlung. Wilhelmshöhe: Abreise des Kaisers. Schreiben desselben an Mac Mahon. Telegraphische Berichte. ⨁ Bern, 20 März. Der Bundesrath dementirt die Nachricht: Frankreich habe die Rückkehr der kriegsgefangenen Franzosen aus Deutsch- land durch die Schweiz nachgesucht. Wegen Schneefalls wurde seit dem 17 März über Pontarlier täglich nur ein Zug internirter Franzosen heim- befördert, zwei Züge gehen jetzt über Morges. * Paris, 19 März. Die Regierung hat folgende Proclamation er- lassen, unterzeichnet von Dufaure, Favre, Picard, Simon, Pothuau und Lefl ô: „Ein Nationalgarden=Comit é, welches den Namen Central=Comit é annahm, bemächtigte sich einer gewissen Zahl von Kanonen, bedeckte Paris mit Barricaden, schoß auf die Vertheidiger der Ordnung, machte Ge- fangene und ermordete kaltblütig die Generale Lecomte und Thomas. Wer sind die Comitémitglieder? Niemand kennt sie, niemand kann an- geben zu welcher Partei sie gehören. Sind sie Communisten, Bonaparti- sten, Preußen? ( !! ) Sind sie aus dreifacher Coalition hervorgegangen? Jedenfalls sind sie Feinde von Paris, welches sie der Plünderung überlie- fern, Feinde Frankreichs, welches sie Preußen ( ! ) überliefern. Die verab- scheuungswürdigen Verbrechen jener Männer benehmen denen die es wagen ihnen zu folgen jede Entschuldigung. Wollt ihr die Verantwortlichkeit der Mordthaten und Verbrechen, die sich noch steigern werden, auf euch nehmen, dann bleibt in euren Behausungen; wenn euch aber an der Ehre und den heiligsten Jnteressen gelegen ist, so schaart euch um die Regierung der Re- publik und die Nationalversammlung.“ * Paris, 19 März. Die Aufständischen zogen auf dem Stadt- hause die rothe Fahne auf. Das Stadthaus ist von Barricaden umgeben. Der Straßenverkehr ist nicht gehemmt. Bis jetzt wurde kein neuer Con- flict gemeldet. Diese Depeschen aus dem Hauptblatt hier wiederholt. * München, 20 März. Graf Quadt, der bayerische Delegirte für die Brüsseler Friedensverhandlungen, reist morgen Abends ab. Heute hatte er Audienz beim König. Jn seiner Begleitung befinden sich der Legationsrath Rudhart und Graf Lerchenfeld. * Dresden, 20 März. Das „Dresd. Journal“ meldet: Der König von Sachsen reist am 26 d. zum Besuch an den kaiserl. Hof nach Berlin. Der commandirende General des sächsischen Armeecorps, Prinz Georg, ist gestern hier eingetroffen und freudigst empfangen worden; er reist am Mittwoch nach Frankreich zurück. Weitere Telegramme siehe fünfte Seite. Zur Universitätsreform in Oesterreich. „ Veritas odium parit.“ ‡ Bei Eröffnung der gegenwärtigen Reichsrathssession im November v. J. kündigte die Thronrede auch eine Vorlage für Universitätsreform an. Obschon nun unter Sachverständigen eine solche Reform schon lange Gegenstand eines lebhaften Verlangens war, so wollte doch der Glaube daß es sich um eine sogenannte reformatio in capite et membris handle nicht recht aufkommen. Die Gründe dafür waren mannichfach. Das Unsichere und Schwankende unserer Zustände beeinflußt und lähmt auch die Thätigkeit der Minister, und die Erfahrung daß es zum minde- sten klug am Tage der ministeriellen Taufe auch schon an das Grab zu denken, ist keine große Aufmunterung zu einer umfassenden und durch- greifenden Thätigkeit, da keiner weiß ob er seine Vorschläge auch noch wird vertreten können, oder wohl gar es erleben muß dieselben von seinem Nachfolger als schätzbares Material behandelt zu sehen. Ferner weiß man ja daß auch die gemeinnützigsten Anträge, sollen sie auf die ganze Westhälfte ausgedehnt werden, an der gereizten Stimmung der Nationa- len schon oft gescheitert sind, und endlich durfte man sich auch nicht ver- hehlen daß die unmittelbar Betheiligten Schwierigkeiten entgegenstellen würden, wenn eine Beeinträchtigung ihrer Privatinteressen als möglich er- scheinen sollte. Diese Bedenken bezüglich einer entsprechenden Heilung wurden durch die nachfolgende Vorlage des Ministers Stremayr selbst nicht gehoben; sie befaßte sich nur mit der Organisirung der akademischen Behörden, und war, mit wenigen Ausnahmen, eine fast wörtliche Abschrift eines seit zwanzig Jahren bestehenden provisorischen Statuts, und selbst diese Vor- lage ist nun zurückgezogen und eine neue Redaction derselben in Aussicht gestellt worden. Diesem Zaudern und Schwanken wollen wir nun eine wahrheitsge- treue Schilderung der Krankheit gegenüberstellen, mag auch die Stimme ungehört verhallen und das Motto seine Kraft erweisen. Die bureaukratische Einrichtung des gesammten Unterrichtswesens, wie sie die josephinische Periode geschaffen, blieb mit geringen Aenderun- gen bis zum Jahr 1848 bestehen; von da an wurde aber der Ruf nach einer zweckmäßigen Reform desselben so laut daß er auch in maßgebenden Kreisen nicht überhört werden konnte. Es erschien noch im Spät- sommer des Jahrs 1848 ein Entwurf zur Regelung des gesammten österreichischen Unterrichtswesens von dem damaligen Leiter des Unter- richtsministeriums, dem edlen und hochgebildeten Feuchtersleben, welcher Entwurf von competenten Stimmen als ebenso freisinnig wie den Zeit- bedürfnissen entsprechend freudig begrüßt wurde. Was nun die Universitäten anbelangt, so hat Feuchtersleben den bei jeder Neubildung allein richtigen Weg betreten: er nahm nur die Licht- seiten seines Vorbildes auf, vermied aber die Schattenseiten desselben. Als Vorbild dienten ihm die deutschen Universitaten mit ihren corporati- ven, freiheitlichen Einrichtungen; von dieser Grundlage gieng er aus ohne sie sklavisch zu copiren, denn wie wäre es möglich gewesen den schon da- mals laut erhobenen Ruf nach Reform des deutschen Universitätswesens, der auf der Versammlung in Jena energischen Ausdruck fand, zu überhö- ren! Feuchtersleben starb aber bald darauf, und eine nachfolgende Zeit beseitigte, wo es angieng, alles was an das Jahr 1848 erinnerte. Graf Thun, selbst kein Mann der Wissenschaft, sondern nur von dem Rath anderer abhängig, gab ein Statut welches fast durchweg die Einrich- tung der deutschen Universitäten auf österreichischen Boden verpflanzte. Nun ist es aber unläugbar daß Einrichtungen, auf dem heimischen Boden erwachsen, ungeachtet ihrer Reformbedürftigkeit noch länger fortbestehen können, weil die Zeit an sie gewöhnt und manches an ihnen gemildert hat, während sie, auf einen fremden Boden verpflanzt, leicht zu ungünsti- gen Ergebnissen führen können. Aehnlich gieng es in Oesterreich mit dem neuen Universitätsstatut; rasch und ohne Bereitung eines günstigen Bo- dens hingestellt, blieb der gute Weizen taub unter der Erde liegen, und nur das Unkraut wucherte üppig empor. Die ersten Fehler giengen vom Minister selbst aus. Graf Thun klagte es jedem der es nur hören wollte wie arm Oesterreich an Lehrkräf- ten sei, und wie nothwendig eine umfassende Berufung Auswärtiger erscheine. Dieses Verhalten brachte aber mannichfache Nachtheile. Es verletzte zunächst die Einheimischen. Es ist zwar auch in Oesterreich wie anderwärts dafür gesorgt daß nicht alle Bäume in den Himmel wachsen, aber die übertriebene Klage des Ministers entstammte einem österreichischen Erbübel, vermöge dessen man nicht geneigt ist die Kräfte zu Hause zu suchen und, wo sie zufällig sich zeigen, sie auch zu benützen. Dazu kommt daß man bei den Berufungen nicht immer glücklich war, und gerade die tüchtigen Männer darunter nicht zu halten versuchte, sondern ohne Sang und Klang wieder ziehen ließ. Der erstere Umstand war je- doch kein Hinderniß die Neuankommenden aufmerksam zu machen daß man sie als das Salz betrachte welches der bisherigen Fäulniß abhelfen solle. Was das Verhältniß der einzelnen Facultäten zu einander und mit- hin ein harmonisches Wirken anbelangt, so wurde dasselbe auch von oben her mannichfach verrückt. Der Glanz der medicinischen Schule in Wien verleitete zu einer Ueberschätzung des naturwissenschaftlichen Studiums auf Kosten anderer Fächer, besonders der philosophischen und theologischen. Damit verschwand von den österreichischen Universitäten immer mehr das Bewußtsein von dem Zusammenhang und der Wechselwirkung der einzel- nen Fächer in welche die eine und ganze Wissenschaft sich verzweigt, und es bürgerte sich dafür ein bedenklicher Zunftgeist ein. Professor Lazarus sprach bei Gelegenheit der Säcularfeier der Wiener Universität bedeu-

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  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 80. Augsburg (Bayern), 21. März 1871, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg80_1871/9>, abgerufen am 28.04.2024.