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Der Arbeitgeber. Nr. 676. Frankfurt a. M., 15. April 1870.

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[Spaltenumbruch] Gewohnheit willig angenommen. Das ist weder in Deutschland
noch in Frankreich der Fall; auch nicht in England und noch we-
niger in dem übrigen Europa. Jn Altbayern beschränkt sich die
Fleischkonsumtion beinahe allein auf die Städte, und selbst in den
reichen Landdistrikten des Rheines ist frisches Fleisch auf [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]dem Tische
des Bauern während der Woche ein Luxus. Der Wunsch[unleserliches Material] des guten
Königs Henri IV., er möchte jedem Bauern des Sonntags ein
Hühnchen in den Topf schaffen, ist hier längst übertroffen. Ein
trinkbarer, erfrischender Aepfelwein findet sich bei jedem wohlhabenden
Farmer, und nicht selten seit den letzten fünf Jahren selbst gezogener
Wein, der, obgleich noch lange kein Rheinwein, jedes Jahr in der
Qualität sich bessert.

Die Deutschen auf dem Lande und in den Städten leben
durchschnittlich besser, als die Amerikaner, nicht weil sie reicher sind,
sondern weil sie die Küche besser verstehen, d. h. die deutschen Frauen.
Sie führen einen beständigen, kleinen Krieg gegen die Trägheit in
der Küche, welche die Amerikanerinnen häufig, doch nicht immer,
zeigen, indem letztere selten länger als eine Stunde auf die Zuberei-
tung eines Mahles verwenden; sie sehen mit dem Stolze eines
Lehrers auf ihre Nachbarinnen englischer Zunge herab, und haben
in der That auf diesem Felde schon viele Siege über sie erfochten,
indem die Amerikaner die deutsche Küche, die Fleischsuppe, die Mehl-
speisen und das Sauerkraut sich ganz gut schmecken lassen, und nach
und nach in ihrem Hause einführen. Ueberhaupt gebührt der
deutschen, schlichten Hausfrau in Amerika ein gut Thel der
Anerkennung,
welche deutsche Sitte und deutscher Fleiß sich
errungen haben.
Sie sucht das Erworbene durch Sparsamkeit
zusammenzuhalten, und ist dem oft leicht erwerbenden und leicht
spendenden Manne ein guter Moralprediger, der ihn vor den Aus-
schreitungen des hiesigen, oft bewegten Lebens bewahrt. An Sonn-
tagen dagegen bewegt sich die ganze Arbeiterfamilie bis zu dem
kleinsten Kinde nach einem Belustigungsorte und in's Freie; und
heiterer Lebensgenuß wird dann keineswegs verschmäht. Da gibt es
Bälle und Konzerte und Theater an Sonntagen; die Frau des Ar-
beiters kann sie eben so gut besuchen, wie Andere. Der Arbeiter ist
stolz darauf, seiner Frau ein Vergnügen zu machen, denn er hat die
Mittel und die Frau freut sich, dies ihren Nachbarinnen sagen zu
können. Diese deutschen Frauen sind freilich keine Salondamen; sie
sind nicht so zart und gebrechlich gebaut, wie ihre amerikanischen
Schwestern, allein sie bringen ihren Mann schneller vorwärts in
seiner Kasse, welche am Ende die Basis seiner Unabhängigkeit ist.
Auf dem Lande verkauft häufig der Amerikaner eine Farm, weil er
von dem Ertrage nicht mehr leben kann, an einen Deutschen, der in
zehn, ja in fünf Jahren ein wohlhabender Mann darauf wird. Ob-
gleich keine Statistik über den ehelichen Frieden in Europa und
Amerika besteht, so kann man doch kühn behaupten, daß die Ehe
hier ein viel freundlicheres und friedlicheres Jnstitut ist, als in
Deutschland und Frankreich, weil eben das Haupt der Familie bessere
Fortschritte im bürgerlichen Leben macht, als in der alten Welt.
Der Fortschritt im Wohlstande erzeugt überall Wohlbehagen und
guten Humor. Die Frau ergreift mit Lebhaftigkeit die politische
Partei ihres Mannes und eifert ihn an, denn sie liest in freien
Stunden eine deutsche Zeitung; zuerst den Roman, dann die Lokal-
neuigkeiten und zuletzt, nicht immer, die politischen Artikel. Jn den
verflossenen Kriegsjahren ist es häufig vorgekommen, daß frühere
Freundinnen der politischen Ansichten wegen sich trennten und bitter
anfeindeten. Der ächt weibliche Verstand dieser deutschen Frauen, so
wenig sie auch gebildet sein mochten, sah in dem letzten Kampfe ganz
genau, daß er um die Existenz der freien Arbeit geführt wurde, und
so wenig versorgt ihre Kinder auch waren, und so unsicher auch die
Zukunft ihnen drohte, so ließen sie doch ihre Männer in den Krieg
gehen, um die Republik zu vertheidigen. Mancher ist nicht mehr
zurückgekehrt, allein das Volk hat die Wittwen und Waisen nicht
vergessen, und wird noch mehr für sie thun. Hier dürfen wir eine
kleine, aber bedeutende Gruppe deutscher Frauen nicht vergessen, welche
in Deutschland gebildet und in den besten Umständen dort gelebt
hatten. Sie folgten ihren Männern nach der neuen Welt, um ein
Asyl und die ersehnte Freiheit zu suchen. Jn den meisten Fällen
legten ihnen die Umstände eine erdrückende Last von Mühsalen und
Beschwerden auf, die sie mit einem Seelenadel, mit einem ächt weib-
lichen Heroismus ertrugen, welcher selbst dem Frivolen eine Art von
Ehrfurcht abnöthigte. Welche Leidensgeschichte dieser [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]Dulderinnen seit
1833, seit 1849! Aber wie stolz und siegreich stehen jetzt die
[Spaltenumbruch] Ueberlebenden unter diesen neuen Heiligen in dem Kreise ihrer Kinder
und Enkel! Ein Volk, das solche Frauen hat, kann nicht untergehen.

Wenn nun gleich dieses materielle Wohlsein nicht der höchste
Zweck der menschlichen Gesellschaft ist, so bildet es doch den Grund,
auf dem eine weitere Fortbildung möglich ist. Wir finden noch viel
Derbheit und Rohheit unter diesen so beinahe plötzlich zu Wohlstand
gelangten Massen, und der alte, meistens ohne sein Zuthun, durch
zufälligen Landbesitz reich gewordene Ansiedler ist eine widerwärtige
Kuriosität. Ohne alle Erziehung außer der seines Handwerks, wurde
er durch das Steigen der Landpreise und durch seine Zähigkeit im
Festhalten am Grundbesitze reich und ist folglich unter einer gewissen
Klasse von Leuten auch angesehen. Seine Ansichten in der Politik
sind veraltet und reaktionär und über andere Dinge hat er keine
Ansicht. Aber weil er Geld hat, glaubt er auch Verstand genug zu
haben, um, auf seinen langen Aufenthalt im Lande gestützt, jedem
Anderen seine Ansichten oktroiren zu können. Er thut nichts für
öffentliche Unternehmungen; er ist zu geizig, um Zeitungen zu halten,
am allerwenigsten solche, die von den 48er Schnurrbärten redigirt
sind. Während des Krieges sympathisirte er mit den Rebellen,
schimpfte auf die hohen Steuern, und machte sich ein Geschäft da-
raus, den allgemeinen Bankrott zu prophezeihen und dadurch den
öffentlichen Kredit zu schädigen. Nachdem der Krieg beendigt, hat
er sich in sein Gehäuse zurückgezogen, und beklagt unter Gleichge-
sinnten den Verfall der guten, alten Zeit, als noch keine rothen
Republikaner im Lande waren. Seine Kinder sprechen nur englisch,
meistens darum, weil sie das Deutsche nicht richtig gelernt haben,
und die Söhne sind nicht selten die lautesten und gefährlichsten unter
jenen Banden von Tagedieben, welche an Sonntagen die unschul-
digen Vergnügungen der Deutschen zu stören pflegen. Jn seiner
Person flößt er uns mehr Mitleiden als Haß ein; er ist ein Jammer-
bild in sittlicher und nationaler Beziehung; ein Opfer des radikalen
Jrrthums, den noch ein Theil der 30er Einwanderung theilte, daß
der Deutsche hier seinen deutschen Charakter wie einen alten Rock
ablegen solle, und daß er es könne. Diese Leute haben es ver-
sucht, und es ist ihnen nur gelungen, eine Karrikatur aus sich zu
machen. Weder englisch noch deutsch richtig sprechend, werden sie
weder von Amerikanern noch von Deutschen als die ihrigen betrachtet;
ein Zwitterding, das für die Fortbildung der Nation gänzlich bedeu-
tungslos ist; ein warnendes Beispiel für alle die, welche sich erdreisten,
den Schooß zu verläugnen, der sie geboren. Wären die Deutschen
alle ihrem Sinne gefolgt, so hätte niemals die Rede sein können von
einem wohlthätigen Einflusse des deutschen Geistes auf die Fortent-
wicklung dieser Nation, wie er in dem letzten Jahrzehnt sich geltend
gemacht hat. Diese verächtliche Rolle, als Rohmaterial, als Kanonen-
futter des Friedens zu dienen, wurde diesen ungebildeten Leuten, als
sie einwanderten, allerdings damals von engherzigen, kurzsichtigen
amerikanischen Politikern zugetheilt; es wurde ihnen gesagt, sie müßten
sich amerikanisiren, d. h. sie sollten außer den bürgerlichen Gesetzen
auch den andern sozialen Gewohnheiten des Amerikaners Folge leisten,
die keineswegs das Höchste boten was die civilisirten Völker Europas
aufzuweisen haben. Allein der heutige Amerikaner, der auf der Höhe
seiner Zeit steht, steht diese Engherzigkeit ein und erkennt den Ein-
fluß des deutschen Wesens in dem sozialen Leben, in der Politik, in
der Wissenschaft und Kunst dankbar an.

Sind auch solche Auswüchse an dem deutschen Stamm Amerika's
beklagenswerth, so ist doch im Allgemeinen der Ueberblick über den
arbeitenden Mittelstand ein erfreulicher, wohlthuender. Nichts von
dem gedrückten, servilen Wesen der Arbeiter in andern Ländern; nichts
Aengstliches, Furchtsames; sondern nur Männliches; freier und froher
Lebensgenuß, ungetrübt durch die Sorge für die eigene Zukunft oder
die der Kinder. Trotz allem materiellen Streben der ideale, beinahe
romantische Zug der deutschen Natur überall durch die rauhe Hülle
hervorbrechend in dem deutschen Lied, in der Liebe zu deutschen
Erinnerungen und deutscher Literatur.

Handel im Mittelalter.

Macaulay ( Essays ) erzählt nach einem Berichte von Johann
Villani aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, daß das Ein-
kommen der Stadt Florenz 300,000 Goldgulden betragen habe,
"mehr als das Gesammteinkommen, welches die Königin Elisabeth

[Spaltenumbruch] Gewohnheit willig angenommen. Das ist weder in Deutschland
noch in Frankreich der Fall; auch nicht in England und noch we-
niger in dem übrigen Europa. Jn Altbayern beschränkt sich die
Fleischkonsumtion beinahe allein auf die Städte, und selbst in den
reichen Landdistrikten des Rheines ist frisches Fleisch auf [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]dem Tische
des Bauern während der Woche ein Luxus. Der Wunsch[unleserliches Material] des guten
Königs Henri IV., er möchte jedem Bauern des Sonntags ein
Hühnchen in den Topf schaffen, ist hier längst übertroffen. Ein
trinkbarer, erfrischender Aepfelwein findet sich bei jedem wohlhabenden
Farmer, und nicht selten seit den letzten fünf Jahren selbst gezogener
Wein, der, obgleich noch lange kein Rheinwein, jedes Jahr in der
Qualität sich bessert.

Die Deutschen auf dem Lande und in den Städten leben
durchschnittlich besser, als die Amerikaner, nicht weil sie reicher sind,
sondern weil sie die Küche besser verstehen, d. h. die deutschen Frauen.
Sie führen einen beständigen, kleinen Krieg gegen die Trägheit in
der Küche, welche die Amerikanerinnen häufig, doch nicht immer,
zeigen, indem letztere selten länger als eine Stunde auf die Zuberei-
tung eines Mahles verwenden; sie sehen mit dem Stolze eines
Lehrers auf ihre Nachbarinnen englischer Zunge herab, und haben
in der That auf diesem Felde schon viele Siege über sie erfochten,
indem die Amerikaner die deutsche Küche, die Fleischsuppe, die Mehl-
speisen und das Sauerkraut sich ganz gut schmecken lassen, und nach
und nach in ihrem Hause einführen. Ueberhaupt gebührt der
deutschen, schlichten Hausfrau in Amerika ein gut Thel der
Anerkennung,
welche deutsche Sitte und deutscher Fleiß sich
errungen haben.
Sie sucht das Erworbene durch Sparsamkeit
zusammenzuhalten, und ist dem oft leicht erwerbenden und leicht
spendenden Manne ein guter Moralprediger, der ihn vor den Aus-
schreitungen des hiesigen, oft bewegten Lebens bewahrt. An Sonn-
tagen dagegen bewegt sich die ganze Arbeiterfamilie bis zu dem
kleinsten Kinde nach einem Belustigungsorte und in's Freie; und
heiterer Lebensgenuß wird dann keineswegs verschmäht. Da gibt es
Bälle und Konzerte und Theater an Sonntagen; die Frau des Ar-
beiters kann sie eben so gut besuchen, wie Andere. Der Arbeiter ist
stolz darauf, seiner Frau ein Vergnügen zu machen, denn er hat die
Mittel und die Frau freut sich, dies ihren Nachbarinnen sagen zu
können. Diese deutschen Frauen sind freilich keine Salondamen; sie
sind nicht so zart und gebrechlich gebaut, wie ihre amerikanischen
Schwestern, allein sie bringen ihren Mann schneller vorwärts in
seiner Kasse, welche am Ende die Basis seiner Unabhängigkeit ist.
Auf dem Lande verkauft häufig der Amerikaner eine Farm, weil er
von dem Ertrage nicht mehr leben kann, an einen Deutschen, der in
zehn, ja in fünf Jahren ein wohlhabender Mann darauf wird. Ob-
gleich keine Statistik über den ehelichen Frieden in Europa und
Amerika besteht, so kann man doch kühn behaupten, daß die Ehe
hier ein viel freundlicheres und friedlicheres Jnstitut ist, als in
Deutschland und Frankreich, weil eben das Haupt der Familie bessere
Fortschritte im bürgerlichen Leben macht, als in der alten Welt.
Der Fortschritt im Wohlstande erzeugt überall Wohlbehagen und
guten Humor. Die Frau ergreift mit Lebhaftigkeit die politische
Partei ihres Mannes und eifert ihn an, denn sie liest in freien
Stunden eine deutsche Zeitung; zuerst den Roman, dann die Lokal-
neuigkeiten und zuletzt, nicht immer, die politischen Artikel. Jn den
verflossenen Kriegsjahren ist es häufig vorgekommen, daß frühere
Freundinnen der politischen Ansichten wegen sich trennten und bitter
anfeindeten. Der ächt weibliche Verstand dieser deutschen Frauen, so
wenig sie auch gebildet sein mochten, sah in dem letzten Kampfe ganz
genau, daß er um die Existenz der freien Arbeit geführt wurde, und
so wenig versorgt ihre Kinder auch waren, und so unsicher auch die
Zukunft ihnen drohte, so ließen sie doch ihre Männer in den Krieg
gehen, um die Republik zu vertheidigen. Mancher ist nicht mehr
zurückgekehrt, allein das Volk hat die Wittwen und Waisen nicht
vergessen, und wird noch mehr für sie thun. Hier dürfen wir eine
kleine, aber bedeutende Gruppe deutscher Frauen nicht vergessen, welche
in Deutschland gebildet und in den besten Umständen dort gelebt
hatten. Sie folgten ihren Männern nach der neuen Welt, um ein
Asyl und die ersehnte Freiheit zu suchen. Jn den meisten Fällen
legten ihnen die Umstände eine erdrückende Last von Mühsalen und
Beschwerden auf, die sie mit einem Seelenadel, mit einem ächt weib-
lichen Heroismus ertrugen, welcher selbst dem Frivolen eine Art von
Ehrfurcht abnöthigte. Welche Leidensgeschichte dieser [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]Dulderinnen seit
1833, seit 1849! Aber wie stolz und siegreich stehen jetzt die
[Spaltenumbruch] Ueberlebenden unter diesen neuen Heiligen in dem Kreise ihrer Kinder
und Enkel! Ein Volk, das solche Frauen hat, kann nicht untergehen.

Wenn nun gleich dieses materielle Wohlsein nicht der höchste
Zweck der menschlichen Gesellschaft ist, so bildet es doch den Grund,
auf dem eine weitere Fortbildung möglich ist. Wir finden noch viel
Derbheit und Rohheit unter diesen so beinahe plötzlich zu Wohlstand
gelangten Massen, und der alte, meistens ohne sein Zuthun, durch
zufälligen Landbesitz reich gewordene Ansiedler ist eine widerwärtige
Kuriosität. Ohne alle Erziehung außer der seines Handwerks, wurde
er durch das Steigen der Landpreise und durch seine Zähigkeit im
Festhalten am Grundbesitze reich und ist folglich unter einer gewissen
Klasse von Leuten auch angesehen. Seine Ansichten in der Politik
sind veraltet und reaktionär und über andere Dinge hat er keine
Ansicht. Aber weil er Geld hat, glaubt er auch Verstand genug zu
haben, um, auf seinen langen Aufenthalt im Lande gestützt, jedem
Anderen seine Ansichten oktroiren zu können. Er thut nichts für
öffentliche Unternehmungen; er ist zu geizig, um Zeitungen zu halten,
am allerwenigsten solche, die von den 48er Schnurrbärten redigirt
sind. Während des Krieges sympathisirte er mit den Rebellen,
schimpfte auf die hohen Steuern, und machte sich ein Geschäft da-
raus, den allgemeinen Bankrott zu prophezeihen und dadurch den
öffentlichen Kredit zu schädigen. Nachdem der Krieg beendigt, hat
er sich in sein Gehäuse zurückgezogen, und beklagt unter Gleichge-
sinnten den Verfall der guten, alten Zeit, als noch keine rothen
Republikaner im Lande waren. Seine Kinder sprechen nur englisch,
meistens darum, weil sie das Deutsche nicht richtig gelernt haben,
und die Söhne sind nicht selten die lautesten und gefährlichsten unter
jenen Banden von Tagedieben, welche an Sonntagen die unschul-
digen Vergnügungen der Deutschen zu stören pflegen. Jn seiner
Person flößt er uns mehr Mitleiden als Haß ein; er ist ein Jammer-
bild in sittlicher und nationaler Beziehung; ein Opfer des radikalen
Jrrthums, den noch ein Theil der 30er Einwanderung theilte, daß
der Deutsche hier seinen deutschen Charakter wie einen alten Rock
ablegen solle, und daß er es könne. Diese Leute haben es ver-
sucht, und es ist ihnen nur gelungen, eine Karrikatur aus sich zu
machen. Weder englisch noch deutsch richtig sprechend, werden sie
weder von Amerikanern noch von Deutschen als die ihrigen betrachtet;
ein Zwitterding, das für die Fortbildung der Nation gänzlich bedeu-
tungslos ist; ein warnendes Beispiel für alle die, welche sich erdreisten,
den Schooß zu verläugnen, der sie geboren. Wären die Deutschen
alle ihrem Sinne gefolgt, so hätte niemals die Rede sein können von
einem wohlthätigen Einflusse des deutschen Geistes auf die Fortent-
wicklung dieser Nation, wie er in dem letzten Jahrzehnt sich geltend
gemacht hat. Diese verächtliche Rolle, als Rohmaterial, als Kanonen-
futter des Friedens zu dienen, wurde diesen ungebildeten Leuten, als
sie einwanderten, allerdings damals von engherzigen, kurzsichtigen
amerikanischen Politikern zugetheilt; es wurde ihnen gesagt, sie müßten
sich amerikanisiren, d. h. sie sollten außer den bürgerlichen Gesetzen
auch den andern sozialen Gewohnheiten des Amerikaners Folge leisten,
die keineswegs das Höchste boten was die civilisirten Völker Europas
aufzuweisen haben. Allein der heutige Amerikaner, der auf der Höhe
seiner Zeit steht, steht diese Engherzigkeit ein und erkennt den Ein-
fluß des deutschen Wesens in dem sozialen Leben, in der Politik, in
der Wissenschaft und Kunst dankbar an.

Sind auch solche Auswüchse an dem deutschen Stamm Amerika's
beklagenswerth, so ist doch im Allgemeinen der Ueberblick über den
arbeitenden Mittelstand ein erfreulicher, wohlthuender. Nichts von
dem gedrückten, servilen Wesen der Arbeiter in andern Ländern; nichts
Aengstliches, Furchtsames; sondern nur Männliches; freier und froher
Lebensgenuß, ungetrübt durch die Sorge für die eigene Zukunft oder
die der Kinder. Trotz allem materiellen Streben der ideale, beinahe
romantische Zug der deutschen Natur überall durch die rauhe Hülle
hervorbrechend in dem deutschen Lied, in der Liebe zu deutschen
Erinnerungen und deutscher Literatur.

Handel im Mittelalter.

Macaulay ( Essays ) erzählt nach einem Berichte von Johann
Villani aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, daß das Ein-
kommen der Stadt Florenz 300,000 Goldgulden betragen habe,
„mehr als das Gesammteinkommen, welches die Königin Elisabeth

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[0003] Gewohnheit willig angenommen. Das ist weder in Deutschland noch in Frankreich der Fall; auch nicht in England und noch we- niger in dem übrigen Europa. Jn Altbayern beschränkt sich die Fleischkonsumtion beinahe allein auf die Städte, und selbst in den reichen Landdistrikten des Rheines ist frisches Fleisch auf ___dem Tische des Bauern während der Woche ein Luxus. Der Wunsch_ des guten Königs Henri IV., er möchte jedem Bauern des Sonntags ein Hühnchen in den Topf schaffen, ist hier längst übertroffen. Ein trinkbarer, erfrischender Aepfelwein findet sich bei jedem wohlhabenden Farmer, und nicht selten seit den letzten fünf Jahren selbst gezogener Wein, der, obgleich noch lange kein Rheinwein, jedes Jahr in der Qualität sich bessert. Die Deutschen auf dem Lande und in den Städten leben durchschnittlich besser, als die Amerikaner, nicht weil sie reicher sind, sondern weil sie die Küche besser verstehen, d. h. die deutschen Frauen. Sie führen einen beständigen, kleinen Krieg gegen die Trägheit in der Küche, welche die Amerikanerinnen häufig, doch nicht immer, zeigen, indem letztere selten länger als eine Stunde auf die Zuberei- tung eines Mahles verwenden; sie sehen mit dem Stolze eines Lehrers auf ihre Nachbarinnen englischer Zunge herab, und haben in der That auf diesem Felde schon viele Siege über sie erfochten, indem die Amerikaner die deutsche Küche, die Fleischsuppe, die Mehl- speisen und das Sauerkraut sich ganz gut schmecken lassen, und nach und nach in ihrem Hause einführen. Ueberhaupt gebührt der deutschen, schlichten Hausfrau in Amerika ein gut Thel der Anerkennung, welche deutsche Sitte und deutscher Fleiß sich errungen haben. Sie sucht das Erworbene durch Sparsamkeit zusammenzuhalten, und ist dem oft leicht erwerbenden und leicht spendenden Manne ein guter Moralprediger, der ihn vor den Aus- schreitungen des hiesigen, oft bewegten Lebens bewahrt. An Sonn- tagen dagegen bewegt sich die ganze Arbeiterfamilie bis zu dem kleinsten Kinde nach einem Belustigungsorte und in's Freie; und heiterer Lebensgenuß wird dann keineswegs verschmäht. Da gibt es Bälle und Konzerte und Theater an Sonntagen; die Frau des Ar- beiters kann sie eben so gut besuchen, wie Andere. Der Arbeiter ist stolz darauf, seiner Frau ein Vergnügen zu machen, denn er hat die Mittel und die Frau freut sich, dies ihren Nachbarinnen sagen zu können. Diese deutschen Frauen sind freilich keine Salondamen; sie sind nicht so zart und gebrechlich gebaut, wie ihre amerikanischen Schwestern, allein sie bringen ihren Mann schneller vorwärts in seiner Kasse, welche am Ende die Basis seiner Unabhängigkeit ist. Auf dem Lande verkauft häufig der Amerikaner eine Farm, weil er von dem Ertrage nicht mehr leben kann, an einen Deutschen, der in zehn, ja in fünf Jahren ein wohlhabender Mann darauf wird. Ob- gleich keine Statistik über den ehelichen Frieden in Europa und Amerika besteht, so kann man doch kühn behaupten, daß die Ehe hier ein viel freundlicheres und friedlicheres Jnstitut ist, als in Deutschland und Frankreich, weil eben das Haupt der Familie bessere Fortschritte im bürgerlichen Leben macht, als in der alten Welt. Der Fortschritt im Wohlstande erzeugt überall Wohlbehagen und guten Humor. Die Frau ergreift mit Lebhaftigkeit die politische Partei ihres Mannes und eifert ihn an, denn sie liest in freien Stunden eine deutsche Zeitung; zuerst den Roman, dann die Lokal- neuigkeiten und zuletzt, nicht immer, die politischen Artikel. Jn den verflossenen Kriegsjahren ist es häufig vorgekommen, daß frühere Freundinnen der politischen Ansichten wegen sich trennten und bitter anfeindeten. Der ächt weibliche Verstand dieser deutschen Frauen, so wenig sie auch gebildet sein mochten, sah in dem letzten Kampfe ganz genau, daß er um die Existenz der freien Arbeit geführt wurde, und so wenig versorgt ihre Kinder auch waren, und so unsicher auch die Zukunft ihnen drohte, so ließen sie doch ihre Männer in den Krieg gehen, um die Republik zu vertheidigen. Mancher ist nicht mehr zurückgekehrt, allein das Volk hat die Wittwen und Waisen nicht vergessen, und wird noch mehr für sie thun. Hier dürfen wir eine kleine, aber bedeutende Gruppe deutscher Frauen nicht vergessen, welche in Deutschland gebildet und in den besten Umständen dort gelebt hatten. Sie folgten ihren Männern nach der neuen Welt, um ein Asyl und die ersehnte Freiheit zu suchen. Jn den meisten Fällen legten ihnen die Umstände eine erdrückende Last von Mühsalen und Beschwerden auf, die sie mit einem Seelenadel, mit einem ächt weib- lichen Heroismus ertrugen, welcher selbst dem Frivolen eine Art von Ehrfurcht abnöthigte. Welche Leidensgeschichte dieser ___________Dulderinnen seit 1833, seit 1849! Aber wie stolz und siegreich stehen jetzt die Ueberlebenden unter diesen neuen Heiligen in dem Kreise ihrer Kinder und Enkel! Ein Volk, das solche Frauen hat, kann nicht untergehen. Wenn nun gleich dieses materielle Wohlsein nicht der höchste Zweck der menschlichen Gesellschaft ist, so bildet es doch den Grund, auf dem eine weitere Fortbildung möglich ist. Wir finden noch viel Derbheit und Rohheit unter diesen so beinahe plötzlich zu Wohlstand gelangten Massen, und der alte, meistens ohne sein Zuthun, durch zufälligen Landbesitz reich gewordene Ansiedler ist eine widerwärtige Kuriosität. Ohne alle Erziehung außer der seines Handwerks, wurde er durch das Steigen der Landpreise und durch seine Zähigkeit im Festhalten am Grundbesitze reich und ist folglich unter einer gewissen Klasse von Leuten auch angesehen. Seine Ansichten in der Politik sind veraltet und reaktionär und über andere Dinge hat er keine Ansicht. Aber weil er Geld hat, glaubt er auch Verstand genug zu haben, um, auf seinen langen Aufenthalt im Lande gestützt, jedem Anderen seine Ansichten oktroiren zu können. Er thut nichts für öffentliche Unternehmungen; er ist zu geizig, um Zeitungen zu halten, am allerwenigsten solche, die von den 48er Schnurrbärten redigirt sind. Während des Krieges sympathisirte er mit den Rebellen, schimpfte auf die hohen Steuern, und machte sich ein Geschäft da- raus, den allgemeinen Bankrott zu prophezeihen und dadurch den öffentlichen Kredit zu schädigen. Nachdem der Krieg beendigt, hat er sich in sein Gehäuse zurückgezogen, und beklagt unter Gleichge- sinnten den Verfall der guten, alten Zeit, als noch keine rothen Republikaner im Lande waren. Seine Kinder sprechen nur englisch, meistens darum, weil sie das Deutsche nicht richtig gelernt haben, und die Söhne sind nicht selten die lautesten und gefährlichsten unter jenen Banden von Tagedieben, welche an Sonntagen die unschul- digen Vergnügungen der Deutschen zu stören pflegen. Jn seiner Person flößt er uns mehr Mitleiden als Haß ein; er ist ein Jammer- bild in sittlicher und nationaler Beziehung; ein Opfer des radikalen Jrrthums, den noch ein Theil der 30er Einwanderung theilte, daß der Deutsche hier seinen deutschen Charakter wie einen alten Rock ablegen solle, und daß er es könne. Diese Leute haben es ver- sucht, und es ist ihnen nur gelungen, eine Karrikatur aus sich zu machen. Weder englisch noch deutsch richtig sprechend, werden sie weder von Amerikanern noch von Deutschen als die ihrigen betrachtet; ein Zwitterding, das für die Fortbildung der Nation gänzlich bedeu- tungslos ist; ein warnendes Beispiel für alle die, welche sich erdreisten, den Schooß zu verläugnen, der sie geboren. Wären die Deutschen alle ihrem Sinne gefolgt, so hätte niemals die Rede sein können von einem wohlthätigen Einflusse des deutschen Geistes auf die Fortent- wicklung dieser Nation, wie er in dem letzten Jahrzehnt sich geltend gemacht hat. Diese verächtliche Rolle, als Rohmaterial, als Kanonen- futter des Friedens zu dienen, wurde diesen ungebildeten Leuten, als sie einwanderten, allerdings damals von engherzigen, kurzsichtigen amerikanischen Politikern zugetheilt; es wurde ihnen gesagt, sie müßten sich amerikanisiren, d. h. sie sollten außer den bürgerlichen Gesetzen auch den andern sozialen Gewohnheiten des Amerikaners Folge leisten, die keineswegs das Höchste boten was die civilisirten Völker Europas aufzuweisen haben. Allein der heutige Amerikaner, der auf der Höhe seiner Zeit steht, steht diese Engherzigkeit ein und erkennt den Ein- fluß des deutschen Wesens in dem sozialen Leben, in der Politik, in der Wissenschaft und Kunst dankbar an. Sind auch solche Auswüchse an dem deutschen Stamm Amerika's beklagenswerth, so ist doch im Allgemeinen der Ueberblick über den arbeitenden Mittelstand ein erfreulicher, wohlthuender. Nichts von dem gedrückten, servilen Wesen der Arbeiter in andern Ländern; nichts Aengstliches, Furchtsames; sondern nur Männliches; freier und froher Lebensgenuß, ungetrübt durch die Sorge für die eigene Zukunft oder die der Kinder. Trotz allem materiellen Streben der ideale, beinahe romantische Zug der deutschen Natur überall durch die rauhe Hülle hervorbrechend in dem deutschen Lied, in der Liebe zu deutschen Erinnerungen und deutscher Literatur. Handel im Mittelalter. Macaulay ( Essays ) erzählt nach einem Berichte von Johann Villani aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, daß das Ein- kommen der Stadt Florenz 300,000 Goldgulden betragen habe, „mehr als das Gesammteinkommen, welches die Königin Elisabeth

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 676. Frankfurt a. M., 15. April 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0676_1870/3>, abgerufen am 29.03.2024.