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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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Verstandes, ein so unbeschränktes Schiedsrichteramt in allen
menschlichen Dingen auszuüben? Jst seine Kraft denn wirk-
lich so allvermögend, daß sie dieser Aufgabe gewachsen wäre?
Jhr spreizet euch so sehr mit der Kraft des Begriffes. Seid
ihr euch denn auch bewußt, was dieser Kraft zugänglich ist,
und was nicht? Jst denn diese Kraft nicht vor allen Dingen
eine rein formale, welche gar nicht bis zum Erfassen des
Wesens der Dinge vorzudringen vermag? Was weiß sie
uns Anderes über die Dinge anzugeben, als ihre in die Sinne
fallenden Eigenschaften, ihr Entstehen, die Wirkungen, die
sie hervorbringen, und Aehnliches? Jst denn aber damit das
Wesen der Dinge erklärt? bleibt dieses nicht ein unserem
Verstande ewig unlösbares Räthsel? Sind wir in diesem
Sinne nicht von lauter unlösbaren Räthseln umgeben?
Jst nicht unser eigenes Dasein, unser Leben und Empfinden
ein solches Räthsel? Wenn aber das der Fall ist, warum
ignoriren wir so gerne diese unleugbare Thatsache? Jn wel-
chem Falle werden wir wohl uns selbst und unsere Stellung
in der Welt richtiger erkennen: Wenn wir von der Unwahr-
heit ausgehen, daß der menschliche Verstand allmächtig sei,
oder wenn wir uns jederzeit der Wahrheit bewußt bleiben,
daß dem menschlichen Verstande bestimmte Grenzen gezogen
sind, über welche er nicht hinauskann? Wird jene Unwahr-
heit
nicht den Hochmuth in uns erzeugen, welcher vor dem
Falle kömmt? Würde diese Wahrheit nicht eine Beschei-
denheit in uns befördern, ohne welche ein sittlicher Werth
des Menschen gar nicht denkbar ist, und zu welcher wir
offenbar bestimmt sind, da so Vieles um uns her uns an
sie mahnt? Und in welchem Falle werden wir wohl die Kraft
unseres Verstandes mit größerem und besserem Erfolge

Verſtandes, ein ſo unbeſchränktes Schiedsrichteramt in allen
menſchlichen Dingen auszuüben? Jſt ſeine Kraft denn wirk-
lich ſo allvermögend, daß ſie dieſer Aufgabe gewachſen wäre?
Jhr ſpreizet euch ſo ſehr mit der Kraft des Begriffes. Seid
ihr euch denn auch bewußt, was dieſer Kraft zugänglich iſt,
und was nicht? Jſt denn dieſe Kraft nicht vor allen Dingen
eine rein formale, welche gar nicht bis zum Erfaſſen des
Weſens der Dinge vorzudringen vermag? Was weiß ſie
uns Anderes über die Dinge anzugeben, als ihre in die Sinne
fallenden Eigenſchaften, ihr Entſtehen, die Wirkungen, die
ſie hervorbringen, und Aehnliches? Jſt denn aber damit das
Weſen der Dinge erklärt? bleibt dieſes nicht ein unſerem
Verſtande ewig unlösbares Räthſel? Sind wir in dieſem
Sinne nicht von lauter unlösbaren Räthſeln umgeben?
Jſt nicht unſer eigenes Daſein, unſer Leben und Empfinden
ein ſolches Räthſel? Wenn aber das der Fall iſt, warum
ignoriren wir ſo gerne dieſe unleugbare Thatſache? Jn wel-
chem Falle werden wir wohl uns ſelbſt und unſere Stellung
in der Welt richtiger erkennen: Wenn wir von der Unwahr-
heit ausgehen, daß der menſchliche Verſtand allmächtig ſei,
oder wenn wir uns jederzeit der Wahrheit bewußt bleiben,
daß dem menſchlichen Verſtande beſtimmte Grenzen gezogen
ſind, über welche er nicht hinauskann? Wird jene Unwahr-
heit
nicht den Hochmuth in uns erzeugen, welcher vor dem
Falle kömmt? Würde dieſe Wahrheit nicht eine Beſchei-
denheit in uns befördern, ohne welche ein ſittlicher Werth
des Menſchen gar nicht denkbar iſt, und zu welcher wir
offenbar beſtimmt ſind, da ſo Vieles um uns her uns an
ſie mahnt? Und in welchem Falle werden wir wohl die Kraft
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[52/0058] Verſtandes, ein ſo unbeſchränktes Schiedsrichteramt in allen menſchlichen Dingen auszuüben? Jſt ſeine Kraft denn wirk- lich ſo allvermögend, daß ſie dieſer Aufgabe gewachſen wäre? Jhr ſpreizet euch ſo ſehr mit der Kraft des Begriffes. Seid ihr euch denn auch bewußt, was dieſer Kraft zugänglich iſt, und was nicht? Jſt denn dieſe Kraft nicht vor allen Dingen eine rein formale, welche gar nicht bis zum Erfaſſen des Weſens der Dinge vorzudringen vermag? Was weiß ſie uns Anderes über die Dinge anzugeben, als ihre in die Sinne fallenden Eigenſchaften, ihr Entſtehen, die Wirkungen, die ſie hervorbringen, und Aehnliches? Jſt denn aber damit das Weſen der Dinge erklärt? bleibt dieſes nicht ein unſerem Verſtande ewig unlösbares Räthſel? Sind wir in dieſem Sinne nicht von lauter unlösbaren Räthſeln umgeben? Jſt nicht unſer eigenes Daſein, unſer Leben und Empfinden ein ſolches Räthſel? Wenn aber das der Fall iſt, warum ignoriren wir ſo gerne dieſe unleugbare Thatſache? Jn wel- chem Falle werden wir wohl uns ſelbſt und unſere Stellung in der Welt richtiger erkennen: Wenn wir von der Unwahr- heit ausgehen, daß der menſchliche Verſtand allmächtig ſei, oder wenn wir uns jederzeit der Wahrheit bewußt bleiben, daß dem menſchlichen Verſtande beſtimmte Grenzen gezogen ſind, über welche er nicht hinauskann? Wird jene Unwahr- heit nicht den Hochmuth in uns erzeugen, welcher vor dem Falle kömmt? Würde dieſe Wahrheit nicht eine Beſchei- denheit in uns befördern, ohne welche ein ſittlicher Werth des Menſchen gar nicht denkbar iſt, und zu welcher wir offenbar beſtimmt ſind, da ſo Vieles um uns her uns an ſie mahnt? Und in welchem Falle werden wir wohl die Kraft unſeres Verſtandes mit größerem und beſſerem Erfolge

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/58>, abgerufen am 21.11.2024.